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Unterwegs nach Essaouira
Unterwegs nach Essaouira
Unterwegs nach Essaouira
eBook136 Seiten1 Stunde

Unterwegs nach Essaouira

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Über dieses E-Book

Essaouira ist in diesem Buch nicht nur ein konkreter Ort, Fluchtpunkt und "Szene" der Hippies, sondern ebenso eine Metapher für das ständige Unterwegssein der Protagonisten. Zwei junge Leute wollen nach Essaouira, schaffen es aber nicht; stattdessen bleiben sie anderswo hängen. Später gründen sie eine Musikgruppe, die eine schöne LP macht und sich danach auflöst. Dann gelangt einer doch nach Essaouira, aber die Szene dort ist bereits "am Kippen".
Tiny Stricker beschreibt das Lebensgefühl einer Generation, den permanenten Aufbruch und den Freiheitsdrang, aber auch die Ruhelosigkeit der Personen, bevor die Gesellschaft sie wieder einholt. Gleichzeitig zeichnet er ein Stück Popgeschichte auf; dabei klingt das Buch über weite Strecken selbst wie die Musik dieser Zeit.
Die besondere Atmosphäre dieser Jahre hat Tiny Stricker auch in anderen Romanen und Erzählungen wie "Trip Generation", "Soultime" und "Ein Mercedes für Täbris" eindringlich festgehalten.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum12. Sept. 2017
ISBN9783957659514
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    Buchvorschau

    Unterwegs nach Essaouira - Tiny Stricker

    gewidmet

    Die Freunde

    Mascha und Maarten waren von den Freunden in Essaouira die Einzigen, die eine richtige Wohnung, oder war es ein Haus, für sich hatten. Die Zimmer waren im kolonial-französischen Stil eingerichtet, sie stiegen geradezu vor ihm auf, wenn er sich daran erinnerte, viel massives, dunkles Holz, Schnitzereien, ein Übermaß an Inventar, das der Annehmlichkeit des Bewohners dienen sollte. Dabei hatten die beiden das Haus, um ihm seine Schwere zu nehmen und weil sie Blumenkinder waren, mit Blüten angefüllt. Diese Gebinde, ich weiß nicht, wo sie sie in Essaouira auftrieben, aus Gladiolen und Calla waren ebenso konventionell und glichen in bestimmter Weise dem Mobiliar, aber ihr betäubender, süßlicher Duft überschwemmte die Räume, wirkte wie eine Droge, wie eine Auflösung.

    Ihre Empfänge in diesem Blumenreich waren eine Art Sommernachtstraum. Man redete über das »Paradiso« in Amsterdam, als ob es gleich in der Nähe liegen würde … Eigentlich hatten sie selbst etwas von Blumen, und die selbst geschaffene Atmosphäre dieser Räume trug sicher dazu bei. Sie wurden sich auch immer ähnlicher, der Gleichklang ihrer Namen verdeutlichte es besonders (und dass man die Namen meistens zusammen aussprach). Mascha, obwohl sie »Knabenkleidung« trug, T-Shirt und Jeans, war einfach elfenhaft schön, ihre Bewegungen waren wie fließendes Licht, und Maarten, mit fast gleich langen blonden Haaren und gleichem »Look«, versuchte, ihr nachzueifern, sich ihr anzupassen, was völlig verständlich war.

    Wenn sie redeten, konnte einer mitten im Satz aufhören, und der andere führte ihn mühelos fort. Dabei merkte man, dass sie die bürgerlichen französischen Räume, über die sie sprachen, ganz ehrfürchtig behandelten und sie dadurch transzendierten, in einen Schrein verwandelten. Das Ineinanderfließen der Stimmen schien ein Teil des Kultes, den sie dem Haus, ihrem neuen Lebenszentrum, entgegenbrachten.

    Vielleicht verkörperten Mascha und Maarten das Hippie-Ideal von Essaouira am stärksten. In der großen Gruppe sprachen sie wenig, existierten, waren eher Randfiguren oder begleitende Engel. Ihre Gleichartigkeit zeigte auch, dass sie die Hippie-Ideale besonders intensiv lebten, ganz ausgefüllt waren von ihnen. Ihr holländisches Englisch war außerdem eine Art Mittelton der bunten Gesellschaft, in dem sich die anderen wieder fingen und den Fortgang ihrer Bewegung erkannten.

    Anderthalb Jahre vorher: Vier junge Leute standen am Rande eines oberbayrischen Dorfs bei einer Scheune und einem Bach, der zum See hinabfloss. Eine kleine Rauchwolke stieg über ihnen auf, und den vieren mochte sie bald als verwehtes Türmchen, bald als Zeltdach erschienen sein. Aber auch ein leichtes Schneetreiben hatte eingesetzt, das einen zusätzlichen wirbelnden Kreis um sie zog.

    Willie und H., die aus der Großstadt angereist waren, hatten hier Thom getroffen, den Willie aus einer anderen Schule kannte. Schließlich hatte sich noch ein Mädchen verstohlen zu ihnen gesellt, das Thom Manuela nannte (wobei er den Namen verdrehen konnte, dass er ganz orientalisch, ja fast chinesisch klang). Sie war ein großes, schlankes Mädchen mit langen, hellblonden Haaren, das sich jetzt enger in ihren afghanischen Mantel hüllte, und dieses Einhüllen schien auch den anderen zu gelten, sie zu umfließen. Ein leichter Duft ging von ihr aus, und die Art, wie sie den kunstvoll gefertigten »Reefer«, den Thom hervorgezaubert hatte, zum Mund führte und dabei kurz und sehnsüchtig die Augen schloss, erregte sie alle.

    Thom hatte angefangen, einige witzige Geschichten vom Landschulheim zu erzählen, das weiter oben lag, und seine Bemerkungen lösten bei Manuela ein kleines, silberhelles Lachen und manchmal ein Prusten aus. Diese Laute schienen aber die Umgebung erst richtig zu erwecken, denn plötzlich vernahm man dazu das Klirren und Rauschen des Bachs, das Klatschen der Wellen draußen und den Wind, der die Schneeflocken herumtrieb. Es war wie ein Musikstück, das sich immer mehr ineinanderfügte und eine eigene Harmonie erzeugte, und auch die Szenerie passte sich dem an. Die alte Scheune mit den tropfenden, glitzernden Eiszapfen, der Garten mit dem spitzen Lattenzaun und den bizarr erstarrten Ranken, das Brücklein über dem Bach, bald war es ein fernöstliches, sie tragendes Bild, und als sie später zum Landschulheim hinaufstiegen, kam es ihnen so vor, als ob sie ein Wunderland verließen (für Willie und H. war zweifellos das unbekannte Mädchen der Mittelpunkt dieses Wunderlands), in das sie immer wieder zurückkehren wollten.

    Unweigerlich entstand eine Verunsicherung, als sie wieder in den hellen Lichtkreis der Schule eintraten. Manuela, noch fester in ihren weichen Mantel gehüllt, verschwand aufseufzend im Mädchentrakt. Für die anderen aber wurde die Rückkehr gemildert, gewissermaßen abgefedert durch Thoms Zimmer, das etwas abseits in einem der oberen Stockwerke lag.

    Es gab Poster und selbst gemalte Bilder an den Wänden, viele Platten, indische Kissen und vor allem eine Musikanlage, die Thom sofort einschaltete. Thom war älter als die anderen Schüler, hatte dieses eigene Zimmer, und man gewann den Eindruck, dass er an diesem Ort eher das Leben eines hierher verpflanzten Eremiten oder höheren Gefangenen führte.

    Er erinnerte sich, dass sich überhaupt keine Spuren der Schule in diesem Raum fanden (und doch meinte man manchmal, dass Thom innerhalb der Anstalt eine eigene, andere Schule betrieb). Tatsächlich war, kaum, dass sie das Zimmer betreten hatten, ein Mädchen hereingehuscht.

    Sie schmiegte sich, offenbar vertraut mit allem, in die indischen Kissen, zu denen ihre halb offenen Schuhe mit den Stickereien sehr gut passten. Ihr Name war Birgitta, wobei Thom wieder mit dem Namen spielte und ihm einen anderen Beiklang gab. Eigentlich war sie das genaue Gegenbild Manuelas (und darum ebenso schön), sehr zierlich, mit langen schwarzen Haaren, die aufgrund ihrer Samtjacke blauseiden schimmerten. Dabei hatte sie einen sorgenvollen Gesichtsausdruck, ein Problem schien sie zu beschäftigen, und bald setzte sie sich auf die Lagerstätte zu Thom, der hier anscheinend eine beratende Tätigkeit ausübte.

    Während nun H. etwas nutzlos herumsaß und immerhin angeregt Thoms Bilder betrachtete, versuchte sich Willie als DJ am Plattenspieler, was ihn auch näher in den Umkreis der beiden brachte. Er studierte kennerhaft die Cover von Thoms LPs, entschied sich dann ruckartig für eine, brach aber gleich wieder ab und legte eine neue auf, als ob er seinen übermächtigen Gefühlen damit doch nicht Herr werden könnte. Zwischen Pink Floyd und King Crimson ging es hin und her, und schließlich, vielleicht in Anbetracht der Situation, siegte der »Crimson King« …

    Nicht viel später traten Willie und H. in Willies altem R4 den Rückweg nach München an, und obwohl sie Thom stark beeindruckt hatte, drehte sich das Gespräch jetzt nur noch um ihre beiden anderen neuen Bekanntschaften, die ihnen unglaublich schön vorkamen.

    Yves de G… behauptete in Essaouira eine ähnliche Stellung wie Thom in seiner Umgebung, dabei war er ganz anders. Er »residierte« in einem alten arabischen Lagerhaus, das auch ein Zentrum der Hippies war, und tatsächlich hatten die Räumlichkeiten etwas von einem fürstlichen Hof, wenn auch in einem bescheidenen oder fantastischen Sinne. Das Haus mit seinem hallenden Innen- oder Lichthof, den abgenutzten Stiegen, die in Kehren hinaufführten, war fast ein klassisches Bauwerk, dazu kam der »Empfangsraum« oben mit den Kleidergehängen, die theatralische Kulissen waren, den ausgebreiteten, bunten marokkanischen Decken, dem wie ein Weihegegenstand ausgestellten Transistorgerät … Hier pflegte er langatmige Gespräche mit ausgewählten Hippies, die schon geraume Zeit hier waren, drehte gedankenverloren zu versponnener Musik einen Reefer …

    Er war aus Quebec, wechselte problemlos zwischen »freaky English« und Französisch, schlüpfte von einer Kultur in die andere, was ihn sicher zu einer Führungsrolle in der Hippie-Gesellschaft prädestinierte, aber auch die lange Existenz vor Ort, die, wie es schien, gefestigte Lebensweise in Essaouira.

    Dies und sein prächtiger Name (vielleicht war seine Familie wirklich während der Revolution aus Frankreich geflüchtet) hinderten ihn aber nicht daran, später am Tag mit khol-verschmierten Lidern durch die Gassen zu laufen und arabischen Burschen nachzurufen … Im Gegenteil, wie ein Abkömmling eines alten Geschlechts musste er seine Großartigkeit nicht erst unter Beweis stellen, ja es war seine Besonderheit, irgendeine Situation, wenn sie zu sentimental oder feierlich wurde, durch plötzliches schallendes, zynisches Gelächter umkippen zu lassen und sie der absoluten Lächerlichkeit preiszugeben. Vielleicht war es ein Ausdruck der Hippie-Situation. Dies machte ihn für die anderen unberechenbar …

    Auch der mühelose Wechsel zwischen den Kulturen, den die anderen nicht mitvollziehen konnten, gehörte dazu. Es war das Zwitterhafte, Wechselbalghafte, das er durch die Schminke und die vielen Kleider (er hätte, wenn man sich überhaupt einen Beruf bei ihm vorstellen konnte, nur ein Modezar sein können) noch betonte, was beunruhigte.

    Ebenso leicht übrigens tauchte er in die arabische Kultur ein. Vor allem nachts, wenn er, die Djellabah oder einen Kapuzenmantel übergezogen, durch die Gassen streifte, verwandelte er sich ganz in eine einheimische Figur, wurde eine schemenhafte Gestalt der Kasbah. Vielleicht hatte er sogar als Einziger wirklich einen echten Zugang zu dieser anderen Welt, die jenseits ihrer Vorstellungen lag.

    Auch arabische Kurtisanen benutzten das unergründliche Haus, und Yves, der selbst in einer Zwischenwelt lebte, kannte sie und nahm H. einmal zu einem »Gastmahl« bei ihnen mit. Sie lagen, unverschleiert, aber in einer Art Reisekleidung, in ein langes, nachdenkliches Gespräch mit zwei Herren vertieft, offenbar in völliger Gleichberechtigung, beim Mahl. Die beiden nahmen daran teil, Yves mischte sich leichthin in das Gespräch, das zwischen Arabisch und Französisch hin- und herflog, die Grenzen waren wie in alten, fast mittelalterlichen Zeiten aufgelöst, dann zogen sich Yves, der jetzt wirklich taktvoll und fürstlich war, und H. auf gemessene Art wieder zurück.

    Willie und H., die schon in der Schule miteinander befreundet waren, hatten sich nach langer Zeit wieder im »Crash« getroffen. H. war gerade aus Indien zurück, und Willie war an einer Münchner Privatschule gelandet, wo er nach dem Plan der Eltern das Abitur machen sollte.

    H. hatte in Indien Tempelmusik gehört und die Klänge der Handorgel, oft vermischt mit dem verwirrenden Duft der Blütenkränze, auch die Liebeslieder mit den Nachtigallstimmen, aber außer einmal in Delhi nie mehr westliche Rockmusik. Erst als er im

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