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Black Bullet – Light Novel, Band 1
Black Bullet – Light Novel, Band 1
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eBook310 Seiten2 Stunden

Black Bullet – Light Novel, Band 1

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Über dieses E-Book

2031, 1. Bezirk, Tokyo: Die Regierung ruft zum Kampf gegen die Gastrea auf - mutierte Wesen, die fast die gesamte Menschheit ausgerottet haben. Rentaro, Schüler und Promoter bei einem privaten Wachdienst, und seine Initiatorin Enju sind Teil einer geheimen Mission, die den Tokyo-Bezirk retten soll. Leider kreuzen nicht nur Gastrea ihren Weg - auch die unheimliche "Maske" beansprucht Ruhm und Ehre für sich und geht dafür gern mal über Leichen ...
SpracheDeutsch
HerausgeberTOKYOPOP Verlag
Erscheinungsdatum2. Aug. 2019
ISBN9783842056183
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    Buchvorschau

    Black Bullet – Light Novel, Band 1 - Saki Ukai

    Der Junge kauerte sich in eine Ecke der von Rissen und Löchern übersäten Straße. Seine Knie eng umschlungen beobachtete er die Menschen, die an ihm vorbeikamen.

    Dafür, dass die Straße vom Regen ziemlich matschig war, waren erstaunlich viele Menschen unterwegs. Betrunkene hockten am Rand und diskutierten lebhaft.

    Der Junge beobachtete einen alten Mann, den offenbar der Hunger dazu getrieben hatte, an einem ausgegrabenen Stück Baumwurzel zu knabbern. Die Augäpfel des Alten quollen hervor und sein Hals war unnatürlich angeschwollen. Der Junge wusste nur zu gut, dass Menschen, denen nichts anderes mehr blieb, als auf Gras oder Baumrinden herumzukauen, früher oder später krank wurden. Er sah weg.

    Ein Mann versuchte, zerbröselte Keksstücke zu einem absurden Preis an die Passanten zu verkaufen. Seine Jackentaschen waren mit 10.000-Yen-Scheinen* vollgestopft, die nicht mehr wert waren als Papierschnipsel. Der Mann war völlig abgemagert. Wahrscheinlich hatte er selbst die Nahrung am nötigsten.

    Dahinter, am improvisierten Grenzposten, skandierte eine dunkle Menge mit hochgehaltenen Plakaten ihre Forderungen. Der Junge konnte aus der Entfernung nicht lesen, was auf den Plakaten der Demonstranten stand, aber es war sicher etwas wie: »Wir wollen leben!«

    All diese Menschen hatten ihre Häuser, ihren Besitz aufgegeben und waren als Aussiedler nach Tokyo gekommen. Doch selbst die Hauptstadt hatte nicht die Kapazitäten, die Flüchtlinge aus dem ganzen Land aufzunehmen.

    Platz gab es genug, aber die Flüchtlinge hatten ihre Zelte trotzdem eng nebeneinander aufgeschlagen. Am sichersten vor Wind und Wetter war man in einem der Gebäude. Allerdings kostete es viel Mut, sich in einen dieser halb abgerissenen Bürobauten oder eins der Kaufhäuser zu schmuggeln, die jeden Moment in sich zusammenbrechen konnten.

    Vor den Augen des Jungen breitete sich eine skurrile Landschaft aus – wie eine Mischung aus Apokalypse und Dingen, von denen er sich sicher war, dass sie so nur im Fernsehen existierten.

    Die grauen, fahlen Gesichter und die von der perspektivlosen Verzweiflung zerfressenen Herzen waren allen Menschen gemeinsam. Nicht wenige hatten dieses Leben im Elend abgelehnt und längst in Würde Selbstmord begangen. War das wirklich die gegenwärtige Situation in der japanischen Hauptstadt? Dem Jungen wurde schwindelig. Beinahe hätte er das Bewusstsein verloren.

    Auch er wusste nicht, was er tun sollte. Auch er hatte kein Zuhause mehr.

    Die Zahl der Toten stieg jeden Tag um ein Vielfaches und die Situation in diesem Krieg wurde immer unerträglicher. Die Verstorbenen wurden entweder allesamt auf einem Scheiterhaufen verbrannt oder in ein einziges Massengrab gekippt und begraben. Es verging kein Tag, an dem der Geruch nach verbranntem Eiweiß und verfaultem Fleisch dem Jungen nicht in die Nase stieg.

    Eigentlich war er doch ein Glückspilz! Er sollte dankbar sein, dass für ihn eine Feier abgehalten wurde. Doch egal wie sehr er sich das einredete – die erdrückende Trauer wollte nicht verschwinden.

    Wenn er seine Augen schloss, erinnerte er sich als Erstes an die regelmäßige, fast monoton tiefe Stimme.

    Er musste ganz vorn sitzen. Der Raum war erfüllt von einem Klanggemisch aus den Stimmen der Zikaden, der vorgelesenen Sutra und der Windglocke.

    Vor dem Mönch, der das buddhistische Gebet vorlas, waren zwei Särge aufgebahrt. Dahinter war alles voller Blumenkränze und -sträuße. Mittendrin thronten die Fotos zweier Personen, die den Betrachter fröhlich anlächelten.

    Ein plötzlicher Schmerz drehte dem Jungen beinahe den Magen um. Zitternd ballte er seine Hände auf den Knien zu Fäusten. Tränen liefen über sein Gesicht und tropften auf seine Hose, wo sie einen immer größeren Fleck bildeten.

    Es war gerade mal eine Woche her, dass seine Heimat von Gastrea befallen und damit zum Schlachtfeld geworden war.

    Der Himmel war vom Rauch der Raketen und Mörsergranaten tiefrot gewesen, als sein Vater den sich verzweifelt wehrenden Jungen in den Nachtzug nach Tokyo gequetscht hatte. Dort sollte er bei angeblichen Freunden unterkommen. Kurz bevor sich die Türen des Zuges schlossen, sagte sein Vater mit ernster Miene: »Deine Mutter und ich kommen bald nach.«

    Fünf Tage später kamen sie nach. Als ein Häufchen Asche.

    Gemeinsame Bestattung: Allein um diesen Begriff zu verstehen, musste sich der Junge stundenlange Erklärungen anhören.

    Anfangs konnte er es nicht glauben. Immer wieder griff er mit einer Hand in die pechschwarze Asche. Kleine Klumpen zerbröselten unglaublich leicht in seiner Hand und die Asche rieselte wie feiner Sand zwischen seinen Fingern hindurch. Immer wieder öffnete und schloss er seine schwarze Hand und versuchte, das, was er hörte, mit der Realität in Verbindung zu bringen. Vergebens.

    Er konnte einfach nicht fassen, dass diese schwarze Asche bis vor ein paar Tagen seine Mutter und sein Vater gewesen sein sollte.

    Asche kann einen weder anlächeln, sich zu einem ins Bett legen noch etwas Leckeres zu essen kochen.

    Als er zu sich kam, hatte der Junge den betenden Mönch beiseitegedrängt, die Deckel von den Särgen getreten und brüllend randaliert. Er zeigte auf die leeren Särge und rief den Trauergästen immer wieder zu: »Vater und Mutter sind nicht tot!« Dann bahnte er sich einen Weg durch die zweifarbig gestreiften Vorhänge und rannte nach draußen.

    So wurde er später im Zeltlager der Flüchtlinge angeschwemmt, zwei Tage, nachdem er aus dem riesigen Haus mit seinen vielen Haushaltshilfen weggerannt war.

    Es war klar, dass ihm hier niemand etwas zu essen geben würde, zumal er nicht einmal Lebensmittelmarken besaß. Aus Verzweiflung kaute auch er auf Baumwurzeln und saugte an Grashalmen, nur um kurz darauf heftigen Durchfall und Magenkrämpfe zu bekommen, sodass er völlig dehydrierte.

    Vorhin war ihm schließlich schwarz vor Augen geworden. Er konnte nicht einmal mehr stehen. So kauerte er sich an einer Hauswand zusammen.

    Wenn er aufsah, erblickte er, verschwommen, nichts als unzählige Beine. Die Beine Tausender Flüchtlinge, die vor seinen Augen an ihm vorbeirauschten. Dünne Beine, alte Beine, Kinderbeine, Männerbeine, Frauenbeine.

    Sein Mund war so trocken, dass er nicht mal mehr Spucke hatte. Keiner der Vorbeiziehenden blieb stehen – auch nicht, als er all seine Kraft zusammennahm, seine Hand hob und mit schwächlicher Stimme um Hilfe bat. Eine einzelne Träne lief an seiner Wange hinunter.

    Er wollte nicht mehr zurück zum Hause Tendo. Seine neuen Eltern, die vielen älteren Brüder sowie die kleine Schwester, die er vor einer Woche plötzlich bekommen hatte … Er konnte sich einfach nicht vorstellen, mit ihnen klarzukommen.

    Aber vielleicht war das auch gut so! Plötzlich löste sich seine Furcht vor dem Tod wie von Zauberhand auf. Er war zwar noch ein Kind, doch selbst er hatte es kapiert: Dieses Land war am Ende. Mehr als 80 Prozent war von Gastrea befallen. Die nationalen Verteidigungskräfte, egal ob in der Luft, im Wasser oder am Boden, waren praktisch komplett zerstört. Unfassbar viele Menschen waren getötet worden. Bestimmt musste er weniger leiden, wenn er jetzt einfach sterben würde.

    Aber … Der Junge nahm all seine Kraft zusammen und scharrte den Boden auf. Wenn er diesen Moment hier überlebte, würde er sein restliches Leben darauf verwenden, seine Eltern zu finden. Es konnte nicht sein, dass diese zwei Häufchen Asche seine Eltern sein sollten. Er glaubte daran, dass sie noch lebten, und er würde bis ans Ende der Welt gehen, um sie zu finden.

    Plötzlich tat es einen langen, dröhnenden Schlag wie entferntes Donnern. Die vorbeiziehenden Menschen blieben stehen und neigten die Köpfe. Ein Mann, der sofort die Situation durchschaute, kletterte blitzschnell auf den Glockenturm einer Kirche und läutete mit verzweifelter Miene die Glocken.

    Als der Junge mit seinen Augen den Blicken der Menschen gen Himmel folgte, sah er hinter der Bergkette eine riesige Silhouette hervorkriechen. In dem Moment, als alle erkannten, dass es ein Lebewesen mit riesigen Schwingen war, brach im Zeltlager Panik aus.

    Schreiend stießen und schoben sich die Menschen gegenseitig zur Seite und traten auf alte Frauen und kleine Kinder, die zu Boden gefallen waren. In Panik versuchte jeder, vor diesem riesigen Wesen zu fliehen, und rannte ziellos umher.

    Halb ohnmächtig sah der Junge erneut hoch und umklammerte seine Knie noch fester. Mit seinem Hunger und Durst konnte er keinen einzigen Schritt mehr gehen.

    Dann kamen die Kampfjets der Verteidigungskräfte.

    Mit ohrenbetäubendem Lärm stürzten sie sich auf das Ungeheuer, das versuchte, seine Angreifer abzuwimmeln. Das Ganze wirkte wie ein Tanz von Luftakrobaten. Ein Bild, wie man es bis vor Kurzem nur im Fernsehen hätte sehen können.

    In einem günstigen Moment schoss einer der Jets eine Luftrakete ab. Das Riesentier versuchte mit schlängelnden Bewegungen zu entkommen, doch da bohrte sich die Rakete schon in seine Flanke, wo sie wie ein Feuerwerk explodierte. Als einer der beiden Flügel der Kreatur in Flammen aufging und sie voller Schmerzen aufschrie, applaudierten die Menschen am Boden. Doch der Applaus verwandelte sich jäh in einen Aufschrei der Verzweiflung. »Er kommt hierher!«

    Das Ungeheuer änderte im Sturz seine Flugbahn und erfüllte im nächsten Moment das gesamte Blickfeld des Jungen. Die Schreie und Rufe der Menschen wurden nun so laut, dass sie alle anderen Geräusche übertönten. Als das Riesentier den Boden streifte, erzitterte die Erde und die Menschen fielen wie Dominosteine um. Die Kreatur bewegte sich wie ein Flugzeug im Landeanflug, doch mit seinem massigen Körper nicht halb so elegant. Mit einem irrsinnigen Krachen landete das Tier hart in den umstehenden Gebäuden und Zelten und machte diese dem Erdboden gleich.

    Es wird mich zerquetschen, dachte der Junge und schloss fest seine Augen.

    Getöse und Geschrei erfüllten die Luft. Dem Jungen flogen riesige Gesteinsbrocken und Trümmerstücke ins Gesicht. Dann spürte er nur noch den stechenden Geruch von Erde und einen heftigen Atem, der nicht von ihm kam.

    Er lebte.

    Als er langsam die Augen öffnete, sah er in der dichten Staubwolke direkt vor sich – so nah, dass er es hätte berühren können, wenn er nur seine Hand ausstreckte – das Gesicht des Riesentiers. »Gas…trea …«, murmelte der Junge.

    Mit seinen etwa 14 Metern Länge wirkte das Wesen mit den rötlichen, vogelartigen Flügeln wie ein Dinosaurier aus längst vergangener Zeit. Seine hervorstehenden Augen, die an die Facettenaugen von Libellen erinnerten, glitzerten wie rote Kristalle. Eine Mischung aus Vogel und Insekt. Aus seinem spitzen Schnabel quoll literweise schwarzes Blut. Der Junge konnte an der aufgequollenen Brust die leuchtend rote Wunde erkennen.

    Wegen dieses Viechs … Dieses Viech ist schuld …

    Wie als Antwort auf den Hass des Jungen nahm der Gastrea all seine Kraft zusammen und hob seinen Oberkörper. Das Blut lief ihm in langen Fäden am Körper hinunter. Dann riss das Monstrum den Schnabel auf und kreischte, direkt vor der Nase des Jungen.

    Mit Blut vermischter Speichel spritzte ihm ins Gesicht und ein nach Tier stinkender Luftstoß raubte ihm den Atem. Er zitterte am ganzen Körper. Beinahe hätte er vor Angst geschrien.

    Das war’s, dachte er und kauerte sich zusammen.

    In diesem Moment riss jemand mit Gewalt an seinem Arm. Er entkam dem spitzen Schnabel des Gastrea in letzter Sekunde.

    »Wie … Onkel …?«

    Trotz seiner 60 Jahre war er hochgewachsen und hatte den stählernen Körper eines Karatekämpfers: Kikunojo Tendo. Das Oberhaupt der Familie Tendo, bei der der Junge untergekommen war. Hatte er nach ihm gesucht? So weit weg von zu Hause?

    Während er unsicher so etwas wie ein »Danke« murmelte, umzingelten etwas entfernt die verspäteten Verteidigungskräfte den sterbenden Gastrea und richteten ihre Schusswaffen auf ihn.

    Sein Retter sprach zu ihm, ohne ihn anzusehen. »Wenn du nicht sterben willst, musst du leben, Rentaro.«

    Auf das Kommando des Truppenführers erfüllte das trockene Knallen von Schüssen aus unzähligen Patronen die Luft.

    Zwei Monate später erklärte Japan dem Volk seine Niederlage und schloss die »Monolithen« in sämtlichen Provinzen. Damit befand sich das Land in einer permanenten Verteidigungsstellung. Und als würden sie es Japan gleichtun wollen, machte eine Weltmacht nach der anderen seine Monolithen als »ausgediente provisorische Lösung« zu.

    Japan hatte einen Großteil des Landes endgültig verloren. Der Überfall hatte unzählige Tote und ein Vielfaches an Vermissten hervorgebracht.

    So gab sich die Menschheit im Jahre 2021 gegen die Gastrea geschlagen.

    Zehn Jahre später …

    *etwa 67 Euro

    1

    Es war Frühling.

    Während man draußen das schönste Abendrot betrachten konnte, versuchte im Innern des Gebäudes der Hauptkommissar der örtlichen Mordkommission, den schmächtigen Jungen einzuschüchtern. Drohend beugte er sich vor. »Du sollst die Verstärkung vom Securityladen sein? Machst du Witze?! Du bist ja noch ein Kind!«

    Der Junge, das kantig-flächige und äußerst imposante Gesicht des Kommissars direkt vor der Nase, kniff die Augen zusammen und spähte erschöpft aus dem Fenster. Er sah zu, wie eine Krähe kreischend zu ihrem Nest zurückflog.

    Rentaro Satomi wollte einfach nur noch nach Hause. Als er den Kommissar endlich ein wenig auf Abstand halten konnte, seufzte Rentaro. »Was kann ich denn dafür … Ich bin die Verstärkung, die Sie geordert haben. Ich habe eine Schusswaffe und auch die Lizenz dafür. Ich bin nur hergekommen, weil meine Chefin mich geschickt hat. Wenn Sie so misstrauisch sind, kann ich gern wieder nach Hause gehen.«

    Der Kommissar schnalzte mit der Zunge. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als würde er eine bestellte Ware prüfen, nur um plötzlich hektisch die Umgebung zu scannen. »Diese Uniform … bist du etwa noch ein Schüler?«

    Rentaro blickte an seiner pechschwarzen Uniform herunter. Auf Brusthöhe war das Emblem der Magata-Highschool gestickt.

    »Was dagegen?«

    »Pff, jetzt spielen sogar schon die Kinder Bürgerpolizei … Zeig mir deine Lizenz!«

    Rentaro zog seine Lizenz hervor. Der Kommissar verglich das Ausweisfoto mit seinem Gesicht. Dann brach er in dröhnendes Gelächter aus. »Ha ha ha, du hast ja eine klassische Pechvogelvisage! Bist wohl nicht so fotogen, was?!«

    Reiß dich zusammen, Rentaro, das gehört nun mal zum Job, sagte Rentaro sich und blickte den Kommissar grimmig an.

    Dieser stellte sich kurz als Tadashima vor, dann warf er Rentaro den Ausweis zu. »Tendo Security GmbH … noch nie gehört.«

    »Die Geschäfte laufen nicht besonders gut. Hey, sorry, wenn ich so plötzlich zur Sache komme, aber wollen wir dann mal übers Geschäftliche reden?« Rentaro warf einen Blick auf den sechsstöckigen Wohnblock vor ihm: zerbrochene Fenster, Dreck, Verrottung, Zerstörung. Auf einem Schild stand: »Grand Tanaka«.

    »Hier ist das wirklich passiert?«

    »Ja«, antwortete Tadashima. »Der Bewohner von Zimmer 102 rief hysterisch an, weil vom oberen Stockwerk ein Regen aus Blut durch die Decke sickerte. Wenn man die Informationen sammelt und kombiniert, kann es nur ein Gastrea gewesen sein. Wie auch immer, lass uns reingehen. Mein Gott. Endlich.«

    Er betonte das letzte Wort lautstark, damit es jeder hören konnte. Dann betrat er das Gebäude.

    Es war nichts Neues, dass Polizisten und private Sicherheitskräfte nicht miteinander klarkamen. Doch hier wurde diese Tatsache derart offen zur Schau getragen, dass Rentaro sich nicht mal mehr ärgern konnte, sondern einfach sprachlos war. Für einen kurzen Moment blieb er stehen und dachte darüber nach, den Heimweg anzutreten. Doch dann entschied er sich anders und folgte dem Kommissar ins Haus.

    Einige Zeit nach dem verlorenen Krieg war ein Gesetz erlassen worden, das den Zutritt zu Tatorten, die etwas mit Gastrea zu tun hatten, nur noch in Begleitung von privaten Wachleuten gestattete. Diese Maßnahme sollte die sprunghaft angestiegene Sterberate von Polizisten reduzieren. Doch natürlich empfingen die Beamten die Sicherheitskräfte, die hemmungslos in den Zuständigkeitsbereich der Polizei eindrangen, nicht mit offenen Armen.

    Plötzlich fiel Tadashima etwas ein: »Wo steckt eigentlich dein Initiator, also dein Partner? Ihr Kämpfer von der Zivilwehr erscheint doch immer im Doppelpack.«

    Rentaro zuckte zusammen. »Ach so … Ich dachte, diesen Fall hier schaffe ich schon allein.« Er konnte ja schlecht zugeben, dass er vergessen hatte, seine Partnerin zu informieren. So richtig in Ordnung war das vermutlich nicht. Rentaro kratzte sich am Kopf, während er draußen auf den Weg blickte, den er gekommen war.

    Er konnte sich noch daran erinnern, dass er ausnahmsweise kräftig in die Pedale getreten hatte, nachdem er von seiner Chefin die Nachricht über den Gastrea-Fall in der Nachbarschaft erhalten hatte – mit dem Hinweis, sich die Sache auf keinen Fall von der Konkurrenz wegschnappen zu lassen. Das musste der Moment gewesen sein, an dem er seine Partnerin zurückgelassen hatte. Er hoffte sehr, dass sie sich nicht verirrt hatte.

    Als sie den Tatort, Zimmer 202, erreichten, fanden sie bereits zahlreiche Polizisten vor, die den Eingang überwachten.

    »Irgendwas Neues?«, fragte Tadashima.

    Einer der Polizisten drehte sich mit kreidebleichem Gesicht zu ihm. »Es tut mir leid! Zwei unserer Leute sind soeben übers Fenster eingestiegen. Seitdem ist der Funkkontakt zu ihnen abgebrochen.«

    »Du Idiot! Warum hast du nicht gewartet, bis einer von den Ziviltrupps gekommen ist?«, fragte Tadashima mit eisiger Stimme.

    »Ich wollte nicht, dass einer von denen wie ein Hooligan den Tatort verwüstet, um dann all die Lorbeeren für sich zu beanspruchen! Das verstehen Sie doch auch, Chef!«

    »Das ist mir egal. Viel wichtiger …«

    »Zur Seite, ihr Vollpfosten! Ich werde jetzt da reingehen.«

    Einen kurzen Moment blickte Tadashima Rentaro in die Augen. Er kratzte sich am Kinn, dann gab er Befehle: Zwei Polizisten in voller Montur traten aus ihrem Versteck im Hintergrund und wurden an der Tür postiert. Die kleinen Sprengstoffpakete, die zu ihrer Ausrüstung gehörten, wurden an der Tür angebracht.

    Auch Rentaro zog seine Waffe, eine Springfield XD, und entsicherte sie, damit er jederzeit einen Schuss abgeben konnte.

    Er atmete tief ein und konzentrierte sich ganz aufs Wesentliche. Dann wischte er seine feuchten Hände an der Hose ab und schnalzte mit der Zunge. Die Sache wurde immer komplizierter.

    »Geh bitte voran.«

    Er trat die Tür ein. Zeitgleich fielen zwei Schüsse.

    Die im Westen untergehende Sonne blendete ihn. Er musste blinzeln. Der kleine Raum schien in der Abendsonne zu schweben. Noch röter als das Licht war der riesige Fleck auf dem Wohnzimmerboden. Der Gestank nach Blut stach sofort in die Nase. Zwei Polizisten mussten sich benommen an die Wand lehnen.

    Rentaro konnte kaum glauben, was er sah.

    Ein hochgewachsener Mann stand mitten im Raum. Er war sicher mindestens 1,90 Meter groß. Seine Arme und Beine, ja, sein ganzer Körper war viel zu dünn. Er trug einen weinroten Frack, einen Zylinder und eine Maske, als sei er unterwegs zu einem Kostümball. Eine durch und durch seltsame Erscheinung.

    Weit und breit war kein Gastrea zu sehen. Wer war dieser Kerl?

    Der Maskenmann neigte seinen Kopf in Rentaros Richtung und grinste ihn an. Rentaro konnte den stechenden Blick durch die Maske hindurch spüren.

    »Spät dran, hm? Herr Wachmann.«

    »Und du … bist ein Kollege oder was?«, fragte Rentaro.

    »In der Tat bin ich ebenfalls auf der Spur des Gastrea, der Ansteckungsquelle. Doch ich bin kein Kollege. Und zwar weil …« Der mysteriöse Maskentyp breitete theatralisch die Arme aus. »… ich diesen Polizisten getötet habe.«

    In dem Moment, als Rentaro realisierte, dass er einen Feind vor sich hatte, reagierte sein Körper wie von selbst. Sofort griff er mit einem Fausthieb an. Timing und Winkel waren gut.

    »Ha. Nicht schlecht.« Vergnügt wich der Maskentyp dem Angriff aus und traf seinerseits mit der Faust Rentaros Brust. Der Schlag war so heftig, dass Rentaro quer durch den Raum flog und mit dem Rücken hart auf dem Glastisch landete.

    Ihm blieb die Luft weg. Was war

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