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Schatten über Brodersby: Ein Landarzt-Krimi
Schatten über Brodersby: Ein Landarzt-Krimi
Schatten über Brodersby: Ein Landarzt-Krimi
eBook428 Seiten5 Stunden

Schatten über Brodersby: Ein Landarzt-Krimi

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Über dieses E-Book

Der Frühling naht im idyllischen Brodersby: Landarzt Jan Storm bekämpft mit allen Mitteln die grassierende Grippewelle und treibt die Renovierung seines Hauses voran. Als sein Freund Jörg in Schwierigkeiten gerät, ist es mit der Ruhe schlagartig vorbei. Ida, die Tochter von Jörgs Freundin, wird erpresst. Der Kieler Polizist will den Täter zur Rede stellen, aber nach dem Treffen ist der Jugendliche tot und Jörg der Hauptverdächtige. Der Landarzt beginnt, Nachforschungen anzustellen. Tatsächlich häufen sich an Idas Schule seltsame Vorfälle – und jemand aus Jans nächstem Umfeld scheint die Fäden zu ziehen und über jeden seiner Schritte informiert zu sein. Als ob das nicht reichen würde, geht auch noch seine Lebensgefährtin Lena auf Distanz und verhält sich merkwürdig. Kann Jan ihr noch trauen?
SpracheDeutsch
HerausgeberGrafit Verlag
Erscheinungsdatum25. Juli 2019
ISBN9783894255985
Schatten über Brodersby: Ein Landarzt-Krimi

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    Buchvorschau

    Schatten über Brodersby - Stefanie Ross

    Stefanie Ross

    Schatten über Brodersby

    Ein Landarzt-Krimi

    Mehr von Stefanie Ross und Jan Storm:

    Das Schweigen von Brodersby. ISBN 978-3-89425-490-2

    Jagdsaison in Brodersby. ISBN 978-3-89425-584-8

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

    © 2019 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

    Cäcilienstraße 48, 50667 Köln

    Internet: http://www.grafit.de

    E-Mail: info@grafit.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Kossack, Hamburg.

    Umschlaggestaltung: © Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/grafikwork (Himmel), Anton-Burakov (Gras), avphotosales (Boot/See)

    Lektorat: Dr. Marion Heister

    eBook-Produktion: CPI books GmbH, Leck

    eISBN 978-3-89425-598-5

    Die Autorin

    Stefanie Ross wurde in Lübeck geboren. Sie verbrachte einen Teil der Schulzeit in Amerika und unternahm später ausgedehnte Reisen unter anderem durch die USA, Kanada und Mexiko. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre folgten leitende Positionen bei Banken in Frankfurt und Hamburg.

    Sie ist verheiratet, Mutter eines Sohnes, fährt gerne Motorrad und schreibt seit 2012 Thriller. Das Schweigen von Brodersby war der erste Roman um den charismatischen Landarzt Jan Storm.

    www.stefanieross.de

    Kapitel 1

    Noch eine halbe Stunde und Jan Storm konnte sich auf den Heimweg machen. Er liebte seinen Beruf als Landarzt in dem kleinen Dorf Brodersby in unmittelbarer Nähe der Ostsee, aber heute zog es ihn nach Hause. Und dabei dachte er nicht mehr an die Wohnung, die über seiner Praxis lag, sondern an das alte, renovierungsbedürftige Haus, das er seit dieser Woche mit seiner Lebensgefährtin Lena bewohnte.

    Nach etlichen Stunden harter Arbeit hatten sie einen Zustand erreicht, den sie ›einzugsready‹ getauft hatten. Das sollte wohl eine Anspielung auf Jans Zeit als Soldat sein, die er lächelnd abgetan und dabei überspielt hatte, dass ihm das Wortkonstrukt sehr gut gefiel. So ganz hatte er seine Jahre als Angehöriger der Spezialeinheit der Bundeswehr wohl noch nicht hinter sich gelassen. Heute Abend wollten sie gemeinsam mit den Freunden, die ihnen so tatkräftig geholfen hatten, grillen. Da das Wochenende vor der Tür stand, hatte er einen ordentlichen Biervorrat besorgt.

    Wenn Jan den Plan richtig im Kopf hatte, wartete kein Patient mehr auf ihn. Leider ging seine Sprechstunde noch bis drei Uhr, aber er würde die restliche Zeit für den ungeliebten Papierkram nutzen. Wieder einmal machte sich das perfekte Praxismanagement seiner Arzthelferin Gerda bezahlt: Sie belegte die Randtermine grundsätzlich zuletzt und hatte ihnen so schon manches Mal einen früheren Feierabend beschert.

    Es klopfte an der Tür und ungewöhnlich zögernd betrat Gerda sein Behandlungszimmer. Als Jan den Umschlag in ihrer Hand entdeckte, erkannte er den Grund für ihre Zurückhaltung.

    »Sag nicht, dass es uns jetzt auch getroffen hat«, bat er und wusste bereits, dass sein Wunsch unerfüllt bleiben würde. Er hatte schon von Kollegen gehört, dass die Krankenkassen auf eine weitere, in ihren Augen geniale Idee zur Kosteneinsparung gekommen waren.

    »Leider doch. Diese Hyänen werfen dir jetzt deine Hausbesuche vor. Aber nicht mit mir! Ich habe zu sämtlichen Terminen bereits die Gehbehinderungen, sonstigen Gebrechlichkeiten und das Alter der Patienten in einer Tabelle erfasst. Du musst nur noch ein bisschen Mediziner-Blabla hinzufügen und dann sind wir draußen.«

    »Und wie viel fordern sie zurück, wenn wir uns diesen elenden Papierkram sparen? Wobei erst einmal: danke für deine Vorarbeiten.«

    »Dafür nicht. Es geht ja gar nicht, dass du noch dafür bestraft werden sollst, dass du dich um deine Patienten kümmerst. Nach meiner Hochrechnung würden ungefähr zwanzigtausend Euro Honorarrückzahlungen auf dich zukommen, wenn wir die Notwendigkeit nicht belegen. Das wäre dann wohl euer neues Badezimmer …«

    Jan quetschte einen Fluch aus seiner Bundeswehrzeit hervor und rechnete mit einem strafenden Blick von Gerda, der jedoch ausblieb.

    »In diesem Fall ist das ausnahmsweise erlaubt. Da wundert es diese Dösköppe, dass junge Leute keine Lust mehr haben, eine Praxis zu eröffnen und …« Gerda brach ihre Tirade mitten im Satz ab und sah an ihm vorbei aus dem Fenster. »Oh, das sieht nicht gut aus. Geh mal besser raus und fass mit an. Ich bereite hier alles vor.«

    Jan folgte ihrem Blick und sprintete los. Saskia Möhlerich versuchte vergeblich, ihren sechzehn Jahre alten Sohn aus dem Beifahrersitz ihres Passats zu zerren. Da der Junge einen guten Kopf größer war, schaffte sie es nicht.

    Jan überprüfte noch im Wagen die Atmung und den Puls des Teenagers. Beides war zum Glück nicht so auffällig, dass es lebensbedrohlich gewesen wäre. »Lass mal, ich bringe Tommy rein.«

    »Nenn ihn bloß Thomas, sonst flippt er gleich wieder aus«, erklärte Saskia. »Als ich ihn nicht wach bekam, habe ich Angst gekriegt.«

    Nicht ganz zu Unrecht, aber das sagte Jan lieber nicht laut, um die besorgte Mutter nicht noch weiter zu beunruhigen.

    Schon auf dem Weg in die Praxis bemerkte er einen leichten Alkoholgeruch, aber auch ohne weitere Untersuchung war Jan sich sicher, dass der Junge nicht bloß unter einem ausgeprägten Kater litt.

    Kaum hatte Jan den Teenager auf die Untersuchungsliege bugsiert, drehte Tommy sich auch schon auf die Seite und schlief ein.

    Kopfschüttelnd betrachtete Jan den Jungen. »Wie lange geht das schon so?«

    Saskia atmete tief ein. »Ich habe ihn heute Morgen um Viertel nach sechs geweckt und bin dann aus dem Haus. Ich dachte, er steht gleich auf. Zur Sicherheit ist nämlich sein Handywecker auf halb sieben gestellt. Aber als ich um zwei Uhr von der Arbeit gekommen bin, lag Tommy immer noch da. Ich habe mit viel Mühe geschafft, dass er sich angezogen hat, aber du siehst ja selbst …«

    »Und was hat er gestern Abend gemacht?«

    »Mit zwei Freunden in seinem Zimmer gezockt. Irgend so ein Onlinespiel. Sie hatten ein paar Dosen Bier dabei, aber nicht wirklich viel. Und er trinkt ja sonst auch nicht oder kaum was. Schon wegen Fußball und so. Ich verstehe das alles nicht.« Sie fuhr sich mit der Hand durch die kurzen braunen Haare. »Um Mitternacht habe ich die Jungs rausgeschmissen. Das war schon etwas später als sonst, also so zwei Stunden, aber ich war vorm Fernseher eingeschlafen. Eigentlich ist um zehn Uhr Schicht im Schacht.«

    Jan brummte etwas Unverständliches und überprüfte den Blutdruck des Teenagers. Viel zu niedrig. Und die auffallend trockene Haut gefiel ihm auch nicht.

    Trotzdem widerstrebte es ihm, den Jungen ins Krankenhaus einweisen zu lassen. Er kannte ihn vom Fußball. Während Jan zum Spaß in der Alte-Herren-Mannschaft spielte, war Tommy trotz seines Alters bereits Stammspieler in der ersten Mannschaft.

    »Tommy?« Er packte ihn fest an der Schulter und brachte ihn in eine sitzende Position.

    Blinzelnd kam der Teenager zu sich. »Jan? Was machst du denn hier?«

    »Ich sollte dich besser fragen, was du für Sachen machst. Sieh dich mal um, wo du bist.«

    Langsam, fast wie in Zeitlupe, wendete Tommy den Kopf. »Wie komm ich denn hierher? Was ist passiert?«

    »Sag du es mir.«

    Der Blick des Jungen irrte zu seiner Mutter. »Ähm, könnten wir vielleicht alleine … Na, du weißt schon …«

    Jan nickte. »Tut mir leid, Saskia, aber er hat das Recht, dass ich ihn ohne dich untersuche. Wenn die Diagnose lebensbedrohlich sein sollte, was sie ganz bestimmt nicht ist, würdest du es natürlich erfahren.«

    »Alles klar. Ich glaube, das solltet ihr wirklich unter Männern klären.«

    Jan sah Saskia an, wie schwer ihr die scheinbar lockere Zustimmung fiel, und lächelte ihr aufmunternd zu. Als alleinerziehende Mutter hatte sie es nicht leicht, erledigte aber ihren Job nach allem, was er wusste, sehr gut.

    »Na, dann erzähl mal«, bat er den Teenager, als die Tür hinter Gerda und Saskia ins Schloss fiel.

    »Da war gestern Abend so ein Turnier. Ich war schon im Halbfinale und es ging um hundert Euro. Aber ich war so verdammt müde, dass ich nur noch Mist gemacht habe. Da … Einer meiner Kumpels hatte so ein Zeug bei mir vergessen.«

    »Irgendwelche Pillen?«

    »Nee, ich bin doch nicht bescheuert. Da weißt du doch nie, was du nimmst. Das war einfach nur Gras. Keine Ahnung, wieso mich das so umhaut.« Tommy gähnte dermaßen, dass Jan Angst um das Kiefergelenk des Jungen bekam.

    Mit Vorwürfen oder Predigten kam er hier nicht weiter. »Rauchst du regelmäßig Gras?«

    »Nein, das geht nur auf die Kondition und kostet irre viel Geld.«

    »Und woher weißt du, dass das einfach nur Gras war?«

    Tommy stutzte. »Na, das ist es doch immer. Kostet fünf Euro und … Um ehrlich zu sein, habe ich das noch nicht so oft gemacht, mir reichen ein oder zwei Bier, um in Stimmung zu kommen. Aber meine Kumpels meinten, dass das Zeug harmlos sei.«

    Dazu hätte Jan einiges zu sagen gehabt. »Dass das nicht stimmt, merkst du ja gerade. Ich würde dir raten, beim Bier zu bleiben. Apropos, wie viel hast du gestern getrunken?«

    »Ein, höchstens zwei Bier.«

    Die Art, wie Tommy seinem Blick auswich, gefiel Jan nicht. »Und weiter?«

    »Na, du hast nach gestern gefragt. Ich glaube, ich habe heute Morgen das letzte getrunken, weil ich einfach nicht hochkam. Aber vielleicht habe ich mir das auch eingebildet.«

    »Ich hoffe, du merkst, wie gefährlich das Zeug ist, wenn du solche Erinnerungslücken hast! Ich verpasse dir jetzt eine Infusion, das heißt, du kannst dich rund dreißig Minuten hier ausruhen. Danach checken wir deinen Kreislauf. Wenn du sicher auf den Füßen stehst, war’s das. Wenn die Flüssigkeitszufuhr alleine nicht ausreicht, muss ich einen RTW rufen, der dich in die Klinik bringt. Dann steht eine Blutanalyse auf dem Programm, um geeignete Gegengifte zu finden.«

    »RTW heißt Rettungswagen, oder? Ins Krankenhaus? Nee, das geht nicht. Sonntag ist Pokalspiel, da muss ich ran.«

    »Dann drück mal die Daumen, dass es dir gleich besser geht.«

    Während er den Zugang legte, horchte Jan den Teenager unauffällig aus, erfuhr aber nichts wirklich Neues. Anscheinend gab es die Joints fertig gedreht auf dem Schulhof zu kaufen und sie erfreuten sich unter den Jugendlichen großer Beliebtheit. Das Zeug galt als Wachmacher, Konzentrationshilfe und auch als reiner Stimmungsaufheller.

    Als die Infusion vernünftig lief, verzog Tommy das Gesicht. »Musst du jetzt meiner Mutter sagen, was los war?«

    »Nein, muss ich nicht, darf ich genau genommen auch gar nicht. Aber ich würde dir empfehlen, es ihr selbst zu sagen. Ihr habt doch ein gutes Verhältnis, mach das nicht kaputt.«

    »Ach Mensch, ich fühle mich gerade so bescheuert.«

    »Jeder macht Fehler. Glaubst du ernsthaft, das war dein letzter?« Jan deutete mit dem Finger auf Tommy und grinste schief. »Es hätte dein letzter sein können, wenn du an noch giftigeres Zeug geraten wärst, denn normal ist deine Reaktion darauf nicht.«

    Vermutlich war die Konzentration des Joints nur sehr stark gewesen, was eigentlich für die Qualität des Rauschgifts sprach, aber das verschwieg Jan ihm lieber.

    Tommy kratzte sich am Kopf. »Na, dann sollte ich meine Kumpels mal lieber warnen. Nicht, dass die auch noch bei dir landen.«

    »Das wäre nett, denn ich habe am Wochenende eigentlich was anderes vor.« Jan setzte sich neben dem Teenager auf die Liege. »Weißt du, das Gefährliche an diesen Drogen ist, dass sie bei jedem anders wirken können. Was der eine wie einen ordentlichen Whisky wegsteckt, führt beim nächsten zum Kollaps. Und niemand weiß so recht, woran das liegt.«

    »Verstanden. Aber sag mal, kannst du mir ein Attest für die Schule schreiben? Unser Klassenlehrer ist bei Abwesenheiten am Freitag oder Montag immer extrem pingelig.«

    Seufzend nickte Jan. »Wie ist das Turnier eigentlich ausgegangen? Und welches Spiel war’s?«

    »Fortnite, ich habe gewonnen! Langsam ist eSport echt eine Alternative zum Kicken. Bringt voll Spaß, sogar etwas Geld und ist auch ganz schön anstrengend.«

    »Aber nicht wirklich gesund«, erwiderte Jan. »Jedenfalls nicht, wenn man nicht regelmäßig mit Laufen oder einem anderen Ausdauersport einen Ausgleich schafft. Du weißt schon, dass das bei professionellen eSport-Mannschaften Pflicht ist?«

    »Klar. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du dich in der Szene auskennst.«

    »Tja, da kannst du mal sehen, was wir alten Herren noch so draufhaben.« Dass er das angesprochene Spiel nur kannte, weil einer seiner Freunde sich ständig darüber beschwerte, dass sein Sohn es viel zu lange spielte, erwähnte Jan nicht. Und erst vor zwei Tagen hatte er durch seinen Freund Jörg erfahren, was es mit eSport auf sich hatte, nachdem dessen Lieblingsverein, der HSV, nun auch eine entsprechende Sparte hatte. So ganz hatte Jan sich noch nicht mit dem Gedanken angefreundet, dass Videospiele mittlerweile als Sport galten.

    »Ich hole mal deine Mutter rein.«

    Dann überließ Jan den beiden sein Zimmer.

    Von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch im Empfangsbereich sah Gerda ihm missmutig entgegen. »Die Jugend wird auch immer schlimmer.«

    »Als ob du früher ein Unschuldsengel gewesen wärst. Aber du hast schon recht. Tommy hat es ganz schön erwischt und das wundert mich.«

    »Du solltest mal Heiner fragen. Neulich gab’s doch diesen Unfall hinter Karby. Ich meine, das Mädel hatte auch Drogen genommen. Irgendwas war Heiner daran nicht koscher, aber ich konnte nicht weiter nachfragen, weil deine Nachbarin dazwischengeplatzt ist.«

    Seufzend rieb sich Jan übers Kinn. »War das der Tag, als …«

    »Ja, genau der. Was für ein Drama!«

    Jan seufzte erneut, dieses Mal allerdings nur gedanklich. Obwohl er wusste, was Gerda meinte, ergoss sich eine wahre Wortflut über ihn, mit der seine Arzthelferin nochmals das Schicksal seiner Nachbarin Elvira schilderte. Zu Elvira, die gleichzeitig die Witwe des früheren Landarztes war, hatte Jan ein extrem ambivalentes Verhältnis. Dennoch hatte es ihm natürlich leidgetan, dass ihr Sohn, zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt hatte, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

    Kurz darauf war seine Witwe mitsamt der gemeinsamen Tochter bei Elvira eingezogen. Die sechsjährige Sophie sorgte für reichlich Trubel und hatte ihre Großmutter förmlich aufblühen lassen. Für Jans Geschmack war die Kleine zu schwer einzuschätzen. Mal war sie der reinste Wirbelwind, dann wieder erstaunlich ernst und altklug. Ihre Mutter hingegen war uneingeschränkt nett und zurückhaltend, sogar ein wenig schüchtern.

    Mit etwas Verspätung machte es bei ihm Klick. »Dein Gespräch mit Heiner liegt dann doch eine halbe Ewigkeit zurück. Wieso hast du nicht noch mal nachgefragt?«

    Seine Arzthelferin bedachte ihn mit einem Blick der Marke ›Männer‹. »Weil mich das Thema bis gerade eben nicht interessiert hat und mir erst da wieder eingefallen ist. Was hat denn einen so sportlichen Jungen wie Tommy nun umgehauen?«

    »Vermutlich ungewöhnlich starkes Marihuana.«

    Gerda schüttelte den Kopf, murmelte etwas und verschwand dann ohne weitere Erklärung im Wartezimmer. Mit der aktuellen Ausgabe eines Nachrichtenmagazins in der Hand kehrte sie zurück und warf es geöffnet auf ihren Schreibtisch. »Hier. Das habe ich gerade gelesen. Das gute Zeug in den Joints, also das, was uns früher so gefallen hat, wird immer weniger. Aber das böse Zeug, das die Psychosen und so ’n Kram auslöst, wird immer mehr. Das liegt daran, dass die Anbauer nur noch wenige weibliche Pflanzen nutzen und vermehrt männliche. Ich sag’s doch immer: Wir Frauen …«

    Jan unterbrach die Tirade, indem er sich die Zeitschrift schnappte und den Artikel überflog. Außer einer Bestätigung von Gerdas Zusammenfassung brachten die Zeilen jedoch keine neuen Erkenntnisse. Viel interessanter war die Vergangenheit seiner Helferin. »So, so, du kennst dich mit dem Zeug also bestens aus.«

    Prompt lief sie rot an. »Na ja, wir waren auch mal jung. Und ich hatte damals ein Keksrezept, das auf jeder Party für ordentlich Stimmung gesorgt hat. Da hat manch einer seine Klamotten …«

    Jan hob eine Hand. »Okay, das reicht. Mehr Kopfkino vertrage ich heute nicht.«

    Kapitel 2

    Jörg Hansen überlegte auf dem Weg zu seinem Vorgesetzten, ob und was er sich in den letzten Tagen zu Schulden kommen lassen hatte. Ihm fiel nichts ein. Trotzdem war da so ein gewisser Tonfall gewesen, der ihn alarmierte.

    Normalerweise würde er nicht so empfindlich auf ein mögliches Fehlverhalten reagieren, aber er liebte seinen Job beim Mobilen Einsatzkommando des Kieler Landeskriminalamtes und hatte keine Lust, diesen nach wenigen Wochen bereits wieder zu verlieren. In seiner bisherigen Laufbahn bei der Polizei hatte er schon öfter feststellen müssen, dass nicht jeder seine unkonventionellen Methoden zu schätzen wusste – trotz seiner unbestreitbaren Erfolge. Martin Harms schätzte er eigentlich anders ein, aber selbst der konnte sich nicht unbegrenzt gegen Druck von oben wehren.

    Jörg hielt sich nach dem Klopfen an Martins Bürotür nicht mit dem Warten auf eine Einladung auf, sondern betrat das Zimmer. »Habe ich irgendwelchen Mist gebaut?«

    Verdutzt blinzelte Martin. »Wie kommst du denn darauf?« Er grinste schief. »Meldet sich da dein schlechtes Gewissen? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«

    Erleichtert ließ sich Jörg auf einen der zwei Besucherstühle fallen »Nö, ich dachte nur. Du hast dich vorhin ziemlich genervt angehört.«

    Martin schnaubte und klopfte auf einen dicken Ordner. »Budgetbesprechungen fürs nächste Jahr.«

    »Okay, das erklärt einiges. Aber ich dachte, du wärst um diese Zeit schon auf dem Weg zu deinem Sohn.«

    »Das war auch der Plan. Jedenfalls so lange, bis ich unerwartet ins Innenministerium bestellt wurde.«

    »Wegen des Budgets? Sollen wir sparen?«

    »Sollen wir das nicht immer? Du liegst teilweise richtig. Unerwartet wurden heute zwei Themen verknüpft und ich wollte so schnell wie möglich mit dir darüber reden. Du hast dich nach dem Einsatz vor rund drei Wochen ziemlich deutlich zur Abstimmung mit den Kollegen aus den einzelnen Dezernaten geäußert.«

    Wenn Jörg die Wärme auf seinen Wangen richtig deutete, lief er gerade rot an. Verdammt! Trotz seiner Sonnenbräune hatte er relativ helle Haut. Zusammen mit seinen hellblonden Haaren sah man ihm viel zu oft seine Verlegenheit allzu deutlich an. »Ähm, sollte ich mich in der Wortwahl vergriffen haben, kann ich mich offiziell entschuldigen.«

    Martin winkte ab. »Inhaltlich hattest du ja recht, allerdings hättest du das diplomatischer ausdrücken können.«

    Einem ranghöheren Kollegen, der nur noch wenige Monate bis zur Pensionierung hatte, zu empfehlen, seinen Schreibtisch nicht mehr zu verlassen, weil er offenbar geistig nicht mehr in der Lage sei, auf der Straße zu arbeiten, war tatsächlich nicht besonders nett gewesen. Allerdings hatte der Beamte fast ihren geplanten Zugriff verraten, weil er den gut erkennbaren zivilen Streifenwagen direkt vor ihrem Zielobjekt, einem illegalen Wettbüro, geparkt hatte. Wenigstens hatte Jörg das Wort ›Altersschwachsinn‹ so leise gemurmelt, dass niemand außer seinem Team es gehört hatte.

    Martin lehnte sich zurück. »Die gute Nachricht ist, dass unsere oberste Führungsebene endlich eingesehen hat, dass es bei einigen Fällen sinnvoller ist, das MEK von Anfang an mit den Ermittlungen zu betrauen, einschließlich des Zugriffs natürlich. Die Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, dass es zahlreiche Situationen gibt, bei denen es richtig ist, eine Spezialeinheit für die letzten entscheidenden Schritte der Festnahme anzufordern. Aber eben auch etliche, bei denen das nicht die optimale Vorgehensweise ist.«

    Über diesen Punkt hatten sie oft genug geredet und waren einer Meinung gewesen. »Das klingt doch gut. Wo ist der Haken?«

    »Wir brauchen ein Team, das als Versuchskaninchen dient. Du und deine Jungs habt durch eure bisherigen Einsätze mit Abstand die meisten Erfahrungen mit Ermittlungen, also wird es dich nicht wundern, dass die Wahl auf euch gefallen ist.«

    »Das gefällt mir. Warum habe ich immer noch das Gefühl, dass du mir eine schlechte Nachricht verschweigst?«

    Martin lachte. »Dass du mich so leicht durchschaust, sollte mir zu denken geben. Es gibt einfach nur noch keinen Fall für euch. Da ist etwas Geduld angesagt.« Martin grinste spöttisch. »Ich kann ja mal deinen Kumpel Jan fragen, ob er was hat, was interessant sein könnte.«

    Prompt musste Jörg an die WhatsApp seines Freundes denken, in der Jan ihn gefragt hatte, ob er mit der aktuellen Entwicklung am Cannabis-Markt vertraut war oder er ihm einen Ansprechpartner für das Thema nennen konnte. Jörg spürte, dass seine Wangen sich erneut verräterisch röteten.

    Martin stöhnte demonstrativ. »Offenbar habe ich mit meinem Scherz ins Schwarze getroffen. Woran ist die Brodersby-Gang dieses Mal dran?«

    Abwehrend hob Jörg die Hände. »Ich kenne noch keine Details. Aber wir treffen uns nachher zum Grillen. Jan fragte nur nach aktuellen Tendenzen in der Drogenszene.«

    »Ich hätte nicht gedacht, dass das in dieser idyllischen Umgebung ein Thema ist.« Martin runzelte leicht die Stirn. »Aber andererseits hattet ihr es ja schon mit so einigem zu tun. Halte mich auf dem Laufenden.«

    »Mache ich. War’s das mit den schlechten Nachrichten?«

    »Nicht ganz. Ich habe klargemacht, dass dein Team die Sache übernehmen wird, und nicht damit gerechnet, dass mir ordentlich Gegenwind um die Ohren wehen würde. Du hast nicht nur Freunde in den höheren Etagen. Es gibt anscheinend einige, zum Glück wenige, die nur darauf warten, dass du Murks baust. Also lass es. Verstanden?«

    Jörg beschränkte sich auf ein Nicken, während er fieberhaft überlegte, mit wem er es sich in der Vergangenheit dermaßen verdorben hatte, dass ihn die Sache jetzt einholte. Ihm fiel niemand ein.

    Nur ein schmaler Grasstreifen trennte Jans Haus vom Strand, sodass sie die Feier kurzerhand direkt ans Meer verlegt hatten. Anders als an den Touristenorten lagen hier im Sand etliche Steine, von denen einige sogar groß genug waren, um darauf zu sitzen. Wenn der Wind ungünstig stand, wurde auch eine Menge Seetang angespült. Aber ein Anruf bei einem befreundeten Bauern reichte, damit dieser das Zeug nicht nur zur Seite schob, sondern es auf seinen Hänger lud, um es als natürlichen Dünger zu nutzen.

    Fackeln und Solarleuchten, die sich tagsüber aufgeladen hatten, würden auch dann noch ausreichend Licht spenden, wenn die Sonne endgültig untergegangen war.

    Jan deutete mit der Bierflasche auf den Sandweg, der neuerdings von ihrer Terrasse direkt zur Ostsee führte, und grinste dann seinen Freund an. »Deine Idee war genial.«

    Jörg nickte. Falsche Bescheidenheit war noch nie seine Art gewesen. »Finde ich auch. Wenn du ewig über das Grünzeug gelaufen wärst, hättest du dir im Herbst und im Frühjahr nasse Füße geholt. Theoretisch könnten wir den Rasen auch einzäunen und ihr haltet euch ein paar Schafe, die das Mähen übernehmen.«

    »Vergiss es!«, mischte sich Lena ein und hakte sich bei Jan unter. »Das klingt zwar gut, aber erst einmal muss das Haus fertig sein. Danach sehen wir weiter.«

    Der schwarze Labradormix Tarzan trottete näher und legte sich mit einem beeindruckenden Gähnen neben Jan in den Sand.

    Jörg schüttelte den Kopf. »Dann bräuchtet ihr noch einen vernünftigen Hütehund. Also einen Vierbeiner, der sich auch mal bewegt.«

    Tarzan gab ein tiefes Brummen von sich.

    Lena lachte. »Was heißt das nun?«

    »Keine Ahnung. Er ist euer Hund«, erwiderte Jörg und sah sich suchend um. Er kannte und schätzte die anderen Gäste, die in kleinen Grüppchen am Strand standen, sich unterhielten und darauf warteten, dass auf dem Grill die ersten Würste gar wurden, aber die interessierten ihn im Moment nicht. Er konnte seinen Hund nicht entdecken! Dafür lächelte seine Lebensgefährtin Andrea ihm kurz zu und hob grüßend ihre Bierflasche. Sofort wurde ihm warm ums Herz. So ganz hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, dass es mit Andrea und ihrer Tochter Ida gleich zwei Menschen gab, mit denen er zusammenwohnte und die ihm genauso wichtig waren, wie es andersherum der Fall war.

    Jan seufzte übertrieben laut. »Ginger ist mit den Kindern ein Stück am Strand langgegangen«, erklärte er spöttisch.

    »Nenn die Teenager nicht Kinder«, mahnte Jörg, ehe seine Freunde ihn wieder einmal damit aufzogen, dass er eben gerne wusste, wo sich sein Hund befand. Er sah den Strand entlang und stutzte. »Was geht denn da ab?«, sagte er mehr zu sich selbst.

    Jan und Lena folgten seinem Blick.

    »Hm, sieht nach Gewitter im Teenieparadies aus«, mutmaßte Lena.

    Zwischen Ida und ihrem Freund Jonas schien es hoch herzugehen. Selbst aus der Entfernung waren die Gesten, die das Gespräch der Teenager begleiteten, unmissverständlich. Nun wandte sich Ida ab und stapfte davon. Ginger folgte ihr.

    Jörg fluchte leise. Ida war für ihn zwar wie ein eigenes Kind, er hätte aber eine Bedienungsanleitung für den Umgang mit rebellischen Teenagern gut gebrauchen können. Normalerweise beschränkte er sich recht erfolgreich auf die Rolle eines älteren Freundes. Er war sich nicht sicher, der Richtige zu sein, um ihr bei Liebeskummer zu helfen. Andrea war in ein Gespräch mit Freunden verwickelt und hatte nichts mitbekommen. Also war es wohl tatsächlich seine Aufgabe, dem Mädchen zumindest etwas Trost anzubieten.

    Ehe er losgehen konnte, kam Jonas auf ihn zugeeilt. Der Junge blieb vor ihm stehen und trat unsicher von einem Bein aufs andere.

    »Ich müsste dich mal kurz sprechen, Jörg.« Er schielte zu seinem Vater, dem die Kfz-Werkstatt in Brodersby gehörte und der von dem Drama nichts mitbekommen hatte. »Alleine.« Jan hob demonstrativ eine Augenbraue, aber Jonas ließ sich nicht abschrecken. »Es ist wirklich wichtig.«

    Das leichte Zittern in der Stimme des Jungen alarmierte Jörg. Hier schien es um mehr als einen einfachen Krach zu gehen. »Na, dann komm mal mit. Reicht es, wenn wir ein paar Schritte am Wasser entlanggehen?«

    »Ja, sicher. Dann können wir hinterher auch gleich Ida beruhigen.«

    Anscheinend hatte Jörg mit seiner Vermutung, dass es zwischen den Teenagern gekracht hatte, komplett danebengelegen. So langsam machte er sich tatsächlich Sorgen und dachte an Jans Fragen zum Thema Rauschgift bei den Jugendlichen in der Umgebung. Sie hatten nur kurz darüber geredet, einfach weil Jörg noch keine vernünftigen Informationen hatte, aber Jans Patient Tommy war nur eine oder zwei Klassen über Jonas und damit praktisch gleichaltrig.

    Jonas sah zurück und blieb stehen. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und bohrte seinen Sneaker tief in den Sand. »Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.«

    »Einfach am Anfang. Ich sortiere schon alles.«

    »Also gut. Das Ganze …«

    »Nein!« Laut kreischend rannte Ida auf sie zu. Ginger folgte ihr mit wildem Bellen.

    Jörg kannte sie zwar auch als launischen Teenager, aber einen, der recht beherrscht war. Nun entdeckte er Tränen in ihren Augen. Er befahl Ginger, ruhig zu sein und sich zu setzen. Dann legte er Ida einen Arm um die Schultern. »Beruhige dich. Egal, was es ist, wir bekommen es hin. Und denk immer dran: Du kannst niemals so viel Mist machen wie ich damals in deinem Alter.«

    Ein zaghaftes Lächeln zeigte sich in ihren Mundwinkeln. »Das sagst du immer, verrätst mir aber nicht, was du eigentlich alles angestellt hast.«

    Und das aus gutem Grund! Jörg grinste nur. »Na, komm. Was ist los? Du weißt doch, dass du mit allem, also wirklich allem, zu mir kommen kannst.«

    Jonas nickte so heftig, dass seine Nackenwirbel knackten. »Genau das habe ich ihr auch gesagt!«

    »Ist ja gut.« Ida hielt Jörg ihr Handy hin. »Sieh dir mal die WhatsApp an. Aber bitte sag Mama nichts davon! Sie regt sich nur auf und ich habe Stubenarrest bis zum Abi.«

    »Dabei ist Ida absolut unschuldig!«

    Jörg ging auf Jonas’ Verteidigungsrede nicht weiter ein, sondern überflog die Nachricht, die laut Absenderangabe des Chats von Carsten (Arschloch) stammte. Zumindest konnte man dem Typen nicht vorwerfen, nicht auf den Punkt zu kommen. »Du sollst für ihn Gras verticken?«, fragte Jörg, obwohl der Text eindeutig war.

    Ida nickte. Jonas schnaubte.

    »Logisch«, sagte der Junge dann. »Ida kennt alle und gilt als obercool. Für diese Idioten wäre sie die perfekte Dealerin. Sie haben nur nicht damit gerechnet, dass sie so einen Kack nicht machen wird.«

    Ausnahmsweise verzichtete Jörg darauf, Jonas wegen seiner Ausdrucksweise zurechtzuweisen. »Wenn ich das richtig verstehe, hat er dich schon öfter gefragt und du hast abgelehnt. Wo ist das Problem?«

    Nun hielt Jonas Jörg sein Smartphone hin. »Ida hat die Nachrichten gelöscht. Aber ich habe sie, weil sie mir die weitergeleitet hat. Dieser Wichser hat eine Kamera in der Mädchenumkleide installiert – und ausgerechnet Ida erwischt.«

    Jörg verzichtete darauf, sich das Video anzusehen, um das Mädchen nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen. »Wie schlimm ist es?«

    »Sehr schlimm. Ich hatte nur einen Slip an. Er droht, es auf YouTube hochzuladen, inklusive meinen Namen. Es sei denn, ich verkaufe seine beschissenen Joints in den großen Pausen und nach Schulschluss.«

    Wenigstens klang sie nun wütend und nicht mehr verzweifelt.

    »Hat Carsten außer ›Arschloch‹ noch einen anderen Namen?«

    »Sievers«, antwortete Jonas wie aus der Pistole geschossen. »Was machen wir jetzt? Kannst du ihn nicht erschießen? Verdient hätte er es. Aber so was von!«

    »Tja, leider ist das hier die reale Welt und kein Computerspiel, in dem sämtliche Probleme mit einer Schrotflinte gelöst werden. Ich sehe mal, was ich über den Typen in Erfahrung bringen kann. Vor Montag wird sich ja wahrscheinlich nichts tun. Und wenn er sich doch meldet, dann versucht, ihn zu einem Treffen zu überreden.«

    »Und da gehst du dann hin?«, fragte Ida.

    »Ganz bestimmt. Vielleicht nehme ich auch noch Jan mit. Glaubst du ernsthaft, dass er gegen uns beide eine Chance hat?«

    »Nö.« Ida atmete tief durch. »Puh, jetzt geht’s mir besser. Darf ich nach dem Schock einen Schluck von der Bowle?«

    »Vergiss es. Aber sag mal, Kleines, wie lange schleppst du den Mist schon mit dir rum?«

    »Seit gestern. Da habe ich das Video bekommen.«

    »Um vierzehn Uhr eins!«, erklärte Jonas so ernsthaft, dass Jörg beinahe geschmunzelt hätte.

    »In Zukunft kommst du gleich zu mir und quälst dich nicht so lange allein. Okay?«

    »Okay.«

    »Noch eine Frage: Sind diese Joints im Moment tatsächlich angesagt?«

    Beide Teenager antworteten wie aus einem Mund: »Aber so was von.«

    Jonas zuckte mit der Schulter. »Die Dinger sind fertig gedreht, kosten nur fünf Euro und machen richtig Spaß.« Er räusperte sich. »Also sie sollen Spaß machen. Ich weiß das natürlich nicht.«

    »Natürlich nicht«, wiederholte Jörg spöttisch und verkniff sich jeden weiteren Kommentar.

    Allerdings galt das nur für den Augenblick. Er musste dringend mit Jan reden. Und mit Jonas’ Vater. Hasch und härtere Drogen hatte es immer gegeben, aber seit wann war in Kappeln so ein Mist dermaßen verbreitet, dass schon Achtklässler darüber bestens Bescheid wussten?

    Kapitel 3

    Jan legte die Füße auf einen Hocker, der sonst auch als Sitzgelegenheit diente, und genoss den ruhigen Abend. Genauso hatte er sich sein Leben in dem Haus vorgestellt: der Blick auf die Ostsee, die noch ausreichend warmen Sonnenstrahlen und ein kühles Bier.

    Nachdem er morgens fünf Kilometer Richtung Damp gejoggt und nachmittags mit dem Motorrad – seiner geliebten Ninja, einer schwarzgrauen Kawasaki ZX10R – über die Landstraßen gerast war, fühlte er sich angenehm ausgepowert. Zum Glück war Lena mit dem Kochen dran und nichts sprach dagegen, die letzten Stunden des Wochenendes zu genießen.

    Sein Handy vibrierte.

    Fluchend griff Jan danach und hoffte, dass es kein akuter Notfall war. Schon die Nummer ließ ihn aufstöhnen. Elvira, die Witwe seines Vorgängers.

    »Entschuldige die Störung, Jan. Sophie geht es sehr schlecht und ich komme alleine nicht weiter. Sie …«

    »Ich bin unterwegs«, unterbrach Jan die aufgeregte Frau.

    So viel zum Thema ruhiger Abend auf der Terrasse.

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