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Adorno wohnt hier nicht mehr: Erzählungen
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eBook194 Seiten2 Stunden

Adorno wohnt hier nicht mehr: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Vor 50 Jahren, im August 1969, starb Adorno – und Jochen Schimmang übt sich in Abwesenheitspflege. In melancholischen bis heiteren, zum Teil autobiografisch gefärbten Geschichten erzählt er von Formen und Figuren des Verschwindens. Von Menschen, Gebäuden, ganzen Vierteln; von Techniken, Gesten, Sprechweisen.
Ein Jubilar versteckt sich mit seiner Frau auf dem Dachboden vor seinen Freunden, die zum 70. Geburtstag aus allen Himmelsrichtungen auf ihn einstürmen, obwohl er viel lieber nur mit zweien von ihnen essen gegangen wäre. Rothermund macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Maler Guthermuth. Ein Spaziergang durch Frankfurt zeigt, wer, außer Adorno, noch alles nicht mehr dort wohnt. Aber Spaziergänge sind ohnehin sterbende Institutionen, ein Sich-Verirren in der Welt kann zum Verwirren der Welt werden. Milieus, die sich nicht mehr erreichen, Nomaden in Monaden. Nur Gott ist nicht verschwunden, er taucht pünktlich um halb sieben in der Kirche auf – im Fischgrätmantel.
Jochen Schimmangs feinsinnige Erzählungen gehen auf Spurensuche nach Lücken und Verlusten und zeigen zugleich, dass "Identität" eine höchst fragile Konstruktion ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Nautilus
Erscheinungsdatum29. Juli 2019
ISBN9783960542018
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    Buchvorschau

    Adorno wohnt hier nicht mehr - Jochen Schimmang

    Dialektik

    Gutermuth und Rothermund

    I

    Die Augen einen Spaltweit geöffnet, vorsichtig tastender Blick, der zuerst kaum mehr erfasst als eine unbestimmte Morgendämmerung. Ein Streifen milchigen Lichts, der durch die nicht ganz geschlossene Jalousie fällt. Im Bad nebenan das helle Geräusch fließenden Wassers, jetzt zum Stillstand gebracht, dann der bellende Raucherhusten eines älteren Mannes. Eines älteren als ich. Zielsicherer Griff zur Nachttischlampe, vor dem Einschlafen eingeübt. Ihr Licht klar und hell, aber sanft beschirmt. Du bist auf vertrautem Gelände, sagt es, das ist dein Stück Welt an diesem Morgen. Du bist in der Welt, du bist nicht herausgefallen. Nichts Heimatlicheres, nichts Intimeres als ein Hotelzimmer kurz nach sieben Uhr früh, endlich allein.

    Die ganze Zeit seit meiner Ankunft gestern Nachmittag war ich betreut worden. Als könne man einen Philosophen nicht allein durch die Welt laufen lassen; als würde er sein Hotel nicht finden, nicht die Universität und nicht den Hörsaal, in dem er seinen Gastvortrag halten soll. Als sei der Philosoph dadurch gekennzeichnet, dass er ein gestörtes, weil zu vergrübeltes Weltverhältnis habe.

    Also wurde ich am Hauptbahnhof abgeholt und in mein Hotel gefahren, das nur wenige Straßen vom Bahnhof entfernt lag. Also wurde ich nach einer Stunde zu einem »kleinen Imbiss« mit meinem Gastgeber abgeholt, also wurde ich nach dem Vortrag in größerer Runde zu einem Essen ausgeführt, das immer lärmender wurde, je länger es dauerte. Nicht einmal den Weg zurück in mein Hotel ließ man mich allein machen, zu Fuß oder in einem Taxi, sondern eine tapfere wissenschaftliche Hilfskraft, die den ganzen Abend nüchtern geblieben war, fuhr mich dorthin. Ein Wunder, dass man mich wenigstens allein ins Hotel und in mein Zimmer ließ.

    Nun aber der vollkommene Frieden eines Hotelzimmers in der Frühe eines gewöhnlichen Märztages, eines Freitags. Der ältere Mann nebenan verließ schon sein Zimmer. Ich hörte schwach, wie er die Tür zuzog, die von außen nicht mehr abgeschlossen werden musste. Man kam nur mit einer dieser gelochten Chipkarten ins Zimmer, die in den Hotels mehr und mehr die alten klobigen Schlüssel ablösen.

    Ich griff nach dem Buch auf meinem Nachttisch, einem abgewetzten Taschenbuch mit rotem Einband, dessen orange Titelschrift auf dem Buchrücken schon beinahe verblasst war. Die Jefferson Street ist eine stille Straße in Providence, las ich. Ich hatte dieses Buch schon vier- oder fünfmal gelesen, es war seit mehr als vierzig Jahren in meinem Besitz. Als ich darin bis zu der Stelle gekommen war, wo der Erzähler einen Greyhound-Bus besteigt, legte ich es beiseite, ging unter die Dusche und dehnte den letzten ganz und gar geschützten Moment des Tages ins beinahe Unendliche, bis meine Haut vom Wasser fast aufgeweicht war.

    Als ich nach dem Frühstück das Hotel verließ, sah ich mich zuerst nach allen Seiten um wie einer, der sich verstecken muss. Nicht ganz ohne Grund. Ich hatte meine Gastgeber von der Universität nur davon abbringen können, mich auch noch an diesem Tag zu betreuen, indem ich vorgegeben hatte, schon den allerersten Zug um sechs Uhr elf nehmen zu müssen. Es wäre nicht angenehm gewesen, wenn ich der wissenschaftlichen Hilfskraft oder gar Professor Herbach selbst begegnet und meine Lüge aufgeflogen wäre.

    Ich blieb also einen kurzen Moment auf der Schwelle zwischen innen und außen, bevor ich auf den Bürgersteig trat und mich ein böiger Windstoß endgültig in den Tag zerrte. Eben noch hätte ich umkehren und die vor fünf Minuten besiegelte Verlängerung meines Aufenthaltes im Hotel rückgängig machen, hätte meine Sachen packen und zum Bahnhof gehen können. Nun war ich draußen und sah Mülleimer säuberlich vor den Häusern aufgestellt, sah einen Transporter, der versuchte, sich aus der Einkeilung durch zwei Autos zu befreien, sah und hörte, wie auf der anderen Straßenseite rasselnd die Jalousie vor einem feinen Schmuckgeschäft hochgezogen wurde. Zwei Frauen in leichten dunklen Wollmänteln gingen an mir vorüber, sicher auf ihrem Weg ins Büro, die Taschen jeweils über der rechten Schulter. Aus der Gegenrichtung kam – schleppender Schritt, bei dem er das linke Bein leicht nachzog – ein alter Mann mit einem beinahe überquellenden Einkaufstrolley. Im ersten Stock des Hauses neben dem Schmuckgeschäft stieß jemand das Fenster auf, und man hörte in Straßenlautstärke ein Streichorchester spielen. Aus einem Hauseingang kam schnüffelnd ein Hund ohne Begleitung. Und wie so die Welt langsam aufging in dieser Stadt, brach plötzlich hinter den eher milchig weißen als grauen Wolken auch die Sonne hervor.

    Nie zuvor war ich in dieser Stadt gewesen. In gewisser Weise war sie die vollkommene Stadt. Sie war nicht klein und nicht riesengroß. Man verband mit ihr nicht irgendeine Bedeutung, das war das Freundliche an ihr. Sie war keine Hauptstadt, nicht die Stadt des Rattenfängers, des Lügenbarons oder des Dichterfürsten. Sie war auch nicht die Stadt des Tangos oder eines besonderen Gebäcks. Sie war keine Textilmetropole und keine Chemiestadt. Sie war nicht die Hauptstadt der Mode oder der Banken. Sie war eine Industrie- und Handelsstadt, aber eine zweitrangige, sie hatte eine Universität, aber eine mittelmäßige, sie hatte einige Museen, deren Ruf blass blieb. Ein Fluss zerschnitt sie in zwei ungleiche Teile, aber über den Fluss gab es keine herzbewegenden Lieder oder preisgekrönten Dokumentarfilme. Die Straßen waren breit und zumeist gerade, viele kreuzten sich und bildeten im Zentrum ein Schachbrettmuster. Die beiden größten, die sich im Zentrum schnitten, waren von Platanen gesäumt, so dass ich mich einen Augenblick lang in einer französischen Stadt wähnte.

    An einer Ecke entdeckte ich ein Museum, das einem einheimischen Maler gewidmet war, 1931 gestorben. Es gab also doch so etwas wie einen Sohn der Stadt, einen berühmten zwar nicht, aber wenigstens einen bekannten – für die Eingeweihten. Es reicht sicher für den Eintrag unter Söhne und Töchter der Stadt im Wikipedia-Artikel, dachte ich. Er hieß Robert Gutermuth, und ich hatte noch nie von ihm gehört. Aber die von ihm gemalte Stadtansicht, die ich auf einem Plakat am Eingang sah, gefiel mir: ein Blick von einer Brücke auf eine sich ausfransende Vorstadtlandschaft, mit Fabriken, Schuppen, Schrottplätzen und Schrebergärten, im Hintergrund das Zentrum. Ich ging hinein und war der einzige Besucher. Die Bewohner der Stadt hatten zu tun.

    Vier Räume hatte das Museum. Die Stadtlandschaften, wie ich draußen eine gesehen hatte, füllten den ersten Raum, von sehr kleinen bis zu großen Formaten. Ein Teil der Bilder zeigte die Stadt, in der ich mich gerade befand, der andere das Berlin der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das waren die beiden Lebensstationen von Robert Gutermuth gewesen. Drei Jahre vor seinem Tod war er wieder in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Im zweiten Raum fanden sich Portraits, oft von Kaufleuten, Industriellen und Funktionsträgern der Stadt. Ich entdeckte aber auch ein Portrait von Franz Hessel, dem Gutermuth in Berlin begegnet sein musste. Der dritte Raum hieß Die Reise nach Cornwall. In dem Büchlein, das ich mir zusammen mit der Eintrittskarte gekauft hatte, wurde erzählt, dass Gutermuth auf Kosten eines Mäzens im Jahr 1911 zwei Monate in Cornwall gewesen war. Der Ertrag der Reise hing jetzt in diesem Raum. Es handelte sich weniger um Bilder von schroffen Steilküsten, vom Meer und von malerischen Orten an der Küste, obwohl auch das dabei war. Die Mehrzahl der Bilder zeigte die Zinn- und Erzminen, die damals noch arbeiteten, zeigte Fördertürme und Maschinenhäuser. Auf zwei Bildern waren auch Bergleute zu sehen, die abends im Pub zusammen ihr Bier tranken.

    Im vierten Raum, dem kleinsten, hing nur ein einziges Bild in einem sehr großen Format. Es zeigte die Stadtlandschaft, die auf dem Plakat am Eingang des Museums zu sehen war. Auf dem Plakat war jedoch nicht zu ahnen gewesen, wie groß das Bild war. Ich führte die übliche Schrittfolge eines Museumsbesuchers aus, der vor einem monumentalen Bild steht, nah heran und dann wieder drei Schritte zurück, nach links, nach rechts und so weiter. Schließlich setzte ich mich auf einen Stuhl, der in angemessener Entfernung vom Bild stand. Menschen sah man auf ihm nur von oben, von der Brücke: unscharfe Figuren in einer gegenständlichen Welt, die ihrerseits in überdeutlichen Konturen gemalt worden war, so scharf abgegrenzt, wie sie sich dem natürlichen Blick niemals darbietet. Über der Stadt hing eine fahle Sonne. Endlich ging ich zu dem Schildchen links neben dem Bild und las: Märzlicht, Öl auf Leinwand, 250 x 250 cm, 1930.

    An der Kasse erklärte man mir den Weg zu der Brücke. Draußen überflog ich noch einmal das Büchlein und begriff zum ersten Mal, dass Gutermuth 1931 nicht verstorben, sondern verschwunden war. Er war eines Vormittags aus dem Haus gegangen und nicht dorthin zurückgekehrt, auch sonst nirgendwo gesehen worden. »Aus dem Haus gegangen« war hier keine Metapher. Eine Nachbarin hatte ihn wirklich aus dem Haus gehen sehen, um elf Uhr morgens. Er war damals vierundvierzig Jahre alt. Obwohl Gutermuth allein gelebt hatte, dauerte es nicht lange, bis man ihn vermisste, weil er Termine wegen eines großen Auftrags nicht wahrnahm, den er von einem ortsansässigen Kaufmann erhalten hatte. Alle Nachforschungen blieben ergebnislos; Gutermuth blieb verschwunden.

    Geschichten dieser Art sammle ich seit vielen Jahren. Das Schönste an der Welt wird für mich mehr und mehr, dass man noch immer in ihr verschwinden kann, auch wenn es von Jahr zu Jahr schwieriger wird. Das ist meine Art der Weltfrömmigkeit. Von allen Seinsweisen der Welt ist diejenige als Versteck für mich die faszinierendste. Ich las alle Bücher über Verschollene, egal, ob fiktiv oder real. Gutermuths Geschichte kannte ich noch nicht, und das erstaunte mich etwas. Aber ich hatte ja zuvor auch von Gutermuth noch nichts gehört.

    Ich ging jetzt über die Brücke in die Vorstadtlandschaft hinein, auf die ärmliche Seite des Flusses. Das Märzlicht machte die Umrisse der Dinge in der Tat sehr klar und scharf, wenn die Konturen auch nicht so hart umrissen waren wie auf dem Bild. Es war ein Uhr mittags, und zu meiner Überraschung wärmte die Märzsonne tatsächlich. Beinahe war es der erste warme Tag des Jahres. Ein Tag für einen Aufbruch, dachte ich, und wanderte jetzt durch die Landschaft, die Gutermuth gemalt hatte. Manches hatte sich naturgemäß geändert, das ehemalige Industriequartier hatte sich in ein Gewerbegebiet verwandelt, und die hohen Backsteinbauten von damals beherbergten heute Firmen, die Namen wie Meinders Personal Consulting, New Line Software oder WestLogistik trugen. Manche der alten Bauten waren ganz abgerissen worden und hatten containerähnlichen Flachbauten Platz gemacht, auf denen sich Schilder mit ähnlich kryptischen Namen fanden. Je weiter ich mich vom Fluss entfernte, desto mehr franste das Gelände aus. Zuerst kamen noch einige Straßen mit Wohnhäusern, dann folgten die Schrebergärten, die noch kaum belebten Gärten im März. Vereinzelte Krokusse leuchteten, gleichsam noch etwas misstrauisch und vorsichtig.

    Kurz verschwand die Sonne hinter einer großen grauen Wolke, ein Wind kam auf und blies fünf Minuten heftig, dann legte er sich, die Sonne kehrte zurück. Zwischen zwei Gärten saß ein Maler vor seiner Staffelei, dick vermummt in einer winterlichen Jacke, um deren Kragen ein Schal geschlungen war. Er trug Handschuhe. Ich blieb in einiger Entfernung stehen und sah ihm beim Malen der Gärten zu, sah zu, wie langsam ein Bild in der Art Gutermuths entstand. Vielleicht hatte die durch das Museum gepflegte Erinnerung an den Maler zur Herausbildung einer Art Gutermuth-Schule in den nachfolgenden Generationen beigetragen.

    Ich zog das Büchlein aus meiner Manteltasche und verglich die wenigen Abbildungen darin mit dem, was ich auf der Staffelei entstehen sah. Die Parallelen waren verblüffend. Zögernd ging ich auf den Maler zu, das Büchlein noch immer in der Hand. Er warf einen Blick darauf und sagte:

    »Ja? Möchten Sie mich etwas fragen?«

    Wir waren lange durch die Stadt gegangen, hatten schließlich in einem Restaurant gegessen, doch die eigentliche Geschichte wollte mir Rothermund nur in meinem Hotelzimmer erzählen. Vom Restaurant zum Hotel waren es zehn Minuten Fußweg in der fortgeschrittenen Dämmerung, in der plötzlich in den Straßen die Laternen aufflammten und um sich dieses tröstliche, vielversprechende Zwielicht schufen, das ich so liebe. Bevor wir das Hotel betraten, ließ Rothermund sich noch einmal von mir versichern, dass ich niemandem diese Geschichte weitererzählen würde, die er mir auch nur deshalb anvertraute, weil ich ortsfremd war und zur Stadt keine weiteren Beziehungen hatte. Ich hatte noch immer keine Ahnung, worum es gehen mochte, bis er oben in meinem Zimmer sagte:

    »Also, ich bin Gutermuth.«

    Im ersten Moment verstand ich gar nicht, was er sagte, und dann schüttelte ich den Kopf.

    »Gutermuth wäre heute gute hundertdreißig Jahre alt, wenn er noch lebte, und so sehen Sie mir wirklich nicht aus.«

    Rothermund, der Gutermuth zu sein behauptete, antwortete:

    »Gutermuth ist immer so alt, wie ich bin, und keinen Tag älter.«

    Ich begann nun zu begreifen und unterbrach ihn nicht mehr, als er mir zügig und ohne Schnörkel die ganze Geschichte erzählte.

    Die Stadt, in der ich am Morgen erwacht war, hatte immer darunter gelitten, dass sie, außer im unternehmerischen Bereich, niemals einen großen Sohn oder eine große Tochter hervorgebracht hatte. Besonders der Kulturdezernent litt darunter, aber auch der Oberbürgermeister und die anderen maßgeblichen Herren und Damen in der Stadt. Als Rothermund eines Tages erkannt hatte, dass er ein zwar guter, aber nicht überragender Maler werden würde, führte er ein sehr geheimes Gespräch mit dem Kulturdezernenten, dem eine ganze Reihe von Gesprächen mit anderen Funktionsträgern folgte. Über keines davon gibt es schriftliche Zeugnisse, nicht die geringste Aktennotiz. Auch der Vertrag, den die Stadt mit Rothermund schloss, damit er Gutermuths Bilder malte und seine Biografie erfand (die dann ein arbeitsloser Kunsthistoriker schrieb, der später die Leitung des Museums übernahm), war nur mündlich geschlossen worden und galt weiterhin per jährlichem Handschlag.

    »Ich soll nun noch eine kleine Serie Schrebergärten malen, die der Stadt aus dem privaten Vermächtnis eines in Amerika gestorbenen Millionärs übereignet werden, dann ist meine Mission beendet. Wenn noch zu viele alte Gutermuths entdeckt werden, wird das unglaubwürdig.«

    »Und was wird dann aus Ihnen? Wie verdienen Sie dann Ihr Geld?«

    »Nun, die Stadt hat mir bisher meine Arbeit vergütet. Danach wird sie mir mein Schweigen vergüten. Ich fordere keine unbilligen Summen. Ich möchte nur mein Auskommen haben und reisen können. Ich bin offiziell im Übrigen Angestellter des Kulturamts, für besondere Aufgaben. Meine Bank muss ja auch wissen, woher regelmäßig das Geld kommt und dass alles seine Ordnung hat.«

    Die Konstruktion der Biografie war das schwierigste Stück Arbeit gewesen. Die Zeitzeugen und Familienangehörigen, die etwas zu Gutermuth gesagt hatten, mussten selbstverständlich alle verstorben sein – auch jene Frau, die ihn

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