Cornelia spielt falsch: Die Klinik am See 45 – Arztroman
Von Britta Winckler
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Über dieses E-Book
Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
Hubert Karner, der Regisseur des Städtischen Schauspielhauses in München, klatschte in die Hände. »Schluß für heute, meine Damen und Herren«, rief er den auf der Bühne befindlichen Schauspielerinnen und Schauspielern zu, erhob sich von seinem Sitz im Zuschauerraum und ging hinauf auf die Bretter, von denen es heißt, daß sie die Welt bedeuten. »Nächste Woche ist Generalprobe«, erinnerte er die beiden weiblichen und die drei männlichen Darsteller. Ein erleichtertes Aufatmen aller war die Reaktion auf seine Worte. Man war froh, daß die Nachmittagsprobe zu Ende war, und mit ein paar Grußworten zogen sich die Bühnenakteure zurück. »Cornelia…« Hubert Karner hielt die junge Frau, die in dieser Inszenierung von Goldonis DIE SCHALKHAFTE WITWE die Rolle der umschwärmten Witwe Rosaura spielte, zurück. »Ja?« Cornelia Behrend drehte sich um. Fragend sah sie den Regisseur an und warf mit einer unnachahmlichen Kopfbewegung ihr fast blauschwarzes, bis zum Nacken fallendes Haar zurück. »Ich möchte Ihnen ein Lob aussprechen«, ergriff der Regisseur wieder das Wort und lächelte. »Sie haben sich in die Rolle der Witwe, die ihre Verehrer testet, gut eingelebt. Ganz im Sinne von Goldoni.« »Danke«, murmelte Cornelia. »Mir ist aber aufgefallen«, sprach der Regisseur weiter, »daß Sie heute irgendwie zerstreut waren.«
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Cornelia spielt falsch - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 45–
Cornelia spielt falsch
… und bringt einen Arzt in einen bösen Verdacht
Britta Winckler
Hubert Karner, der Regisseur des Städtischen Schauspielhauses in München, klatschte in die Hände. »Schluß für heute, meine Damen und Herren«, rief er den auf der Bühne befindlichen Schauspielerinnen und Schauspielern zu, erhob sich von seinem Sitz im Zuschauerraum und ging hinauf auf die Bretter, von denen es heißt, daß sie die Welt bedeuten. »Nächste Woche ist Generalprobe«, erinnerte er die beiden weiblichen und die drei männlichen Darsteller.
Ein erleichtertes Aufatmen aller war die Reaktion auf seine Worte. Man war froh, daß die Nachmittagsprobe zu Ende war, und mit ein paar Grußworten zogen sich die Bühnenakteure zurück.
»Cornelia…« Hubert Karner hielt die junge Frau, die in dieser Inszenierung von Goldonis DIE SCHALKHAFTE WITWE die Rolle der umschwärmten Witwe Rosaura spielte, zurück.
»Ja?« Cornelia Behrend drehte sich um. Fragend sah sie den Regisseur an und warf mit einer unnachahmlichen Kopfbewegung ihr fast blauschwarzes, bis zum Nacken fallendes Haar zurück.
»Ich möchte Ihnen ein Lob aussprechen«, ergriff der Regisseur wieder das Wort und lächelte. »Sie haben sich in die Rolle der Witwe, die ihre Verehrer testet, gut eingelebt. Ganz im Sinne von Goldoni.«
»Danke«, murmelte Cornelia.
»Mir ist aber aufgefallen«, sprach der Regisseur weiter, »daß Sie heute irgendwie zerstreut waren.« Ernst sah er die vor ihm stehende bildhübsche Schauspielerin an. »Was ist los?« fragte er. »Haben Sie Kummer?«
Cornelia Behrend senkte den Blick. »Nein«, erwiderte sie mit verhaltener Stimme. Im gleichen Augenblick aber wußte sie, daß das gelogen war. Sie hatte wirklich Kummer.
»Na? Machen Sie mir nichts vor?« fragte der Regisseur, der sich im Laufe der Jahre – er war immerhin schon fast ein halbes Jahrhundert alt – eine gewisse Erfahrung in den Verhaltensweisen der Menschen angeeignet hatte. Besonders der, die auf der Bühne standen und Rollen zu spielen hatten. »Vielleicht Ärger zu Hause mit Ihrem Mann?« bohrte er weiter. Er wußte natürlich, daß Cornelia verheiratet war.
Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf. »Wie kommen Sie darauf, daß ich Ärger mit meinem Mann haben könnte. Herr Karner?« fragte sie, und es klang ziemlich schroff.
Der Regisseur winkte ab. »Vergessen Sie es!« erwiderte er. »Es war auch nur eine Vermutung, weil Sie heute noch etwas zerstreut agierten. Mir liegt ja nur daran, daß das Stück gute Kritiken bekommt.«
»Daran zweifle ich nicht«, gab Cornelia zurück. »Sonst noch etwas?« fragte sie mit einem schwachen Lächeln. Es drängte sie, endlich nach Hause nach Tegernsee zu fahren und sich hinlegen zu können. Sie fühlte sich nicht ganz wohl. Vorhin bei der Probe hatte sie sich tatsächlich zusammennehmen müssen, um ihren Part richtig zu spielen.
»Nein, das war’s«, erwiderte der Regisseur. Nachdenklich sah er der jungen Frau nach, als diese mit einem gemurmelten Gruß zwischen den Kulissen verschwand.
Cornelia schien die Blicke zu spüren und beeilte sich, aus dem Theater zu kommen.
Minuten später war sie auch schon auf dem Parkplatz, setzte sich in ihr Auto und fuhr davon. Das Ziel war Tegernsee und das in der Nähe des Wassers stehende große Haus, in dem sie zusammen mit ihrem Mann Wolfram Behrend wohnte, der als Anlageberater ein sehr gutes Einkommen hatte. Wolfram war zwar um eine ganze Reihe von Jahren älter als sie – 14 Jahre war der Unterschied – aber sie liebte ihn. Er sie natürlich auch, obwohl es ihm doch sehr oft an der Leidenschaft fehlte, die eine liebende Frau sich verständlicherweise von dem Mann ihres Herzens wünscht. Andererseits aber hatte sie keinen Grund, sich zu beklagen. An Fürsorglichkeit ließ Wolfram es gewiß nicht fehlen. Dankbar war sie ihm, daß er nicht von ihr verlangt hatte, ihren Schauspielerberuf aufzugeben. Sie war zwar keine Besessene, aber sie liebte ihren Beruf und wollte auch so etwas wie eine Karriere machen. Nicht etwa des Geldes wegen. Nein, das hatte sie nicht nötig. Es reizte sie einfach, auf der Bühne zu stehen, andere Menschen darzustellen und dafür den Beifall eines zufriedenen Publikums entgegenzunehmen. Für sie galt tatsächlich der Slogan von den Brettern, die die Welt bedeuten.
Seit 48 Stunden war nun etwas eingetreten, was ihr Herz höher schlagen ließ. Ein Brief, der sie erreicht hatte, brachte sie durcheinander. Das Fernsehen war an ihr interessiert. Eine der Hauptrollen in einer Serien-Produktion war ihr angeboten worden. In drei oder vier Monaten sollte es losgehen.
Neben der Freude darüber meldete sich nun aber das, was der Regisseur des Schauspielhauses am Nachmittag nach der Probe angesprochen hatte – nämlich die Sorge. In drei bis vier Monaten würde man abwinken, denn dann war sie bestimmt nicht mehr die schlanke und attraktive Frau, die sie jetzt war. Dann würde man merken, daß sie rundlicher geworden war – mit anderen Worten: es würde jeder sehen, daß sie im Begriff war, Mutter zu werden. Das aber war nun ihr Kummer. Wer gab schon einer sichtbar schwangeren Frau eine Hauptrolle in einem Serien-Film?
In Cornelia begann sich ein Zwiespalt abzuzeichnen. Natürlich wollte sie ein Kind von Wolfram. Aber nicht jetzt. Später, ja, sogar sehr gern. Sie wußte, daß Wolfram sich auch Nachwuchs wünschte. Noch wußte er nicht, daß er auf dem besten Wege war, Vater zu werden. Cornelia wußte es ja auch erst seit etlichen Wochen. Irgend etwas hatte sie davon abgehalten, ihr süßes Geheimnis zu lüften. War es etwa eine Art Vorahnung auf den Brief mit dem Filmangebot gewesen?
»Mein Gott, was soll ich denn nur tun?« fragte sich Cornelia flüsternd, während sie ihr Fahrzeug auf die Schnellstraße lenkte, die an der Ostseite des Tegernsees entlang führte. In ihren Schläfen pochte es, und vor ihren Augen tanzten Kreise. Cornelia fühlte sich plötzlich schwach. Eine Art von Unwohlsein machte sich bemerkbar, wie sie es in den vergangenen Tagen schon ab und zu gespürt hatte. Einmal war ihr sogar richtig schwarz vor Augen geworden, und sie hatte sich hinlegen müssen.
Ich muß schnellstens nach Hause, bevor mir übel wird, dachte sie. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad. Sie hatte einige Mühe, den Mittelstreifen auf der Straße zu erkennen. Es war ein Glück für sie, daß kaum Gegenverkehr war.
»Zehn Minuten noch mußt du durchhalten«, redete sie sich zu. Aber von einer Minute auf die andere kam der Schwächeanfall. Cornelia stöhnte laut auf. Ihr Kopf sank nach vorn. In letzter Sekunde riß sie das Steuer herum, als sie sah, daß der Wagen bereits die Straßenmitte erreicht hatte. Noch einmal raffte sie sich hoch und brachte das Fahrzeug wieder in die Spur. Doch Sekunden später verließen sie die Kräfte. Erneut fiel ihr Kopf nach vorn. Ihr Kinn berührte fast die Brust, und dann wurde ihr schwarz vor Augen.
*
Leise eine Melodie vor sich hin pfeifend fuhr Dr. Bernau die Schnellstraße entlang. Er kam aus München von einer Besprechung in der Universitätsklinik, in die eine Patientin der Klinik am See am nächsten Tag verlegt werden sollte. Ihretwegen war er in München gewesen und hatte mit dem zuständigen Arztkollegen der Uni-Klinik den Fall dieser Patientin besprochen und von der Operation berichtet, die an ihr in der Klinik vor wenigen Tagen vorgenommen worden war, um die Weiterbehandlung darauf abzustimmen.
Plötzlich stutzte Dr. Bernau. Der Wagen vor ihm, dem er nun bis auf etwa 50 Meter nähergekommen war, schlingerte einige Male. »Na, hat da einer etwa zuviel getrunken?« stieß er hervor, und es klang mißbilligend. Er mochte alkoholisierte Autofahrer nicht. Sie gefährdeten nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer. Entschlossen setzte er zum Überholen an, als er dicht hinter dem vor ihm fahrenden Wagen war, und scherte nach links aus.
In diesem Augenblick aber sah er etwas, was ihn in Alarmstimmung versetzte. Der Fahrer des schlingernden Wagens war eine dunkelhaarige Frau. Betroffen aber machte ihn, daß der Kopf dieser Frau nach vorn gesunken war, daß sie in dieser Stellung gar nicht auf die Straße sehen konnte.
»Himmel noch mal, hat sie etwa das Bewußtsein verloren?« stieß er erschrocken hervor. Sehen konnte er das im Vorbeifahren nicht richtig. Er bemerkt nur, daß die eine Hand der Fahrerin schlaff auf dem Lenkrad lag, während der andere Arm nach unten hing.
Hinter Dr. Bernaus Stirn überschlugen sich die Gedanken. Zweimal drückte er auf die Autohupe, doch die Frau im anderen Wagen reagierte nicht darauf. Ihr Kopf blieb weiter auf die Brust gesenkt. Nur der Sicherheitsgurt verhinderte, daß sie mit dem ganzen Oberkörper nach vorn sank.
Dr. Bernau reagierte sofort. »Ich muß sie stoppen«, stieß er hervor und er wußte auch schon, wie der das anzustellen hatte. Das Gaspedal bis zum Anschlag durchtretend, raste er an dem roten Wagen