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Mord im Waldviertelexpress: Österreich-Krimi
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Mord im Waldviertelexpress: Österreich-Krimi
eBook253 Seiten3 Stunden

Mord im Waldviertelexpress: Österreich-Krimi

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Über dieses E-Book

Im Waldviertelexpress von Wien über Siegmundsherberg nach Ceske Velenice fällt der Winzer Friedrich Steurermann, kurz bevor er in Klein Schiessling aussteigen soll, tot vom Sitz. Die gerichtliche Untersuchung ergibt, dass er vergiftet wurde. Eine tödliche Mixtur war in einem Fläschchen Hustensaft, aus dem der Weinbauer während der Fahrt getrunken hat. In Klein Schiessling herrscht natürlich wieder große Aufregung, und die Dorftratschen Annerl Passer befeuert jedes noch so absurde Gerücht über die Todesursache.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum27. März 2018
ISBN9783990740187
Mord im Waldviertelexpress: Österreich-Krimi
Autor

Lore Macho

Lore Macho lebt mit ihrem Mann seit 1987 in dem kleinen Weinort Straning, nahe Eggenburg (NÖ), wo Wein- und Waldviertel ineinander übergehen. Nach dem Besuch der Handelsschule und einigen Jahren der Tätigkeit als Sekretärin absolvierte sie 1974 die Sommerakademie für Malerei in Sirmione und ist seit dieser Zeit freischaffende Malerin. Neben dem Malen gilt ihre große Freude dem Schreiben. Bisher wurden von ihr drei Bücher zum Thema Malen veröffentlicht sowie ihre Dorfkrimis im Verlag federfrei.

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    Buchvorschau

    Mord im Waldviertelexpress - Lore Macho

    Kapitel 1

    »Nächster Halt: Klein Schiessling!«

    »Next Stop: Klein Schiessling!«

    Der Waldviertelexpress, mit zweistöckigen Großraumwagen und abgebildeten Wieseln an den Außenseiten der Waggons, deshalb wird er in der Region kurz »Wiesel« genannt, ist unterwegs von Wien über Sigmundsherberg nach Ceske Velenice. Nun nähert er sich langsam der Haltestelle und bremst mit quietschendem Geräusch auf dem menschenleeren Bahnsteig, der von Weinbergen umgeben in der Sommerhitze vor sich hin brütet. Das Bahnwärterhäuschen ist leider schon seit längerer Zeit nicht mehr besetzt. Heutzutage funktioniert alles automatisch. Der Mensch wird fast nicht mehr gebraucht. Nach und nach wird er zwangsweise von der Technik abgelöst, kann sich wieder seines Ursprungs besinnen, auf Bäumen herumklettern und Bananen futtern. Vor der Automatisierung hat ein freundlicher Bahnbediensteter die Schranken rauf- und runtergekurbelt, man hat sich gegrüßt und meist ein paar freundliche Worte gewechselt. Jetzt ist alles anders, vor allem aber unpersönlich. Immer wenn ich den Bahnübergang quere, suche ich vergeblich nach dem netten Bahnbediensteten, obwohl ich ja weiß, dass er nicht mehr da ist.

    Schade!

    Ein einzelner Fahrgast, Thomas Krügerl, der ältere Sohn der Wirtsleute aus Klein Schiessling, will den »Wiesel« Richtung vorderen Ausgang verlassen. Er kommt von seinem Bundesheerdienst aus der Maria-Theresien-Kaserne in Wien nach Hause, schleppt eine große, schwere Reisetasche mit sich und zwängt sich durch den engen Gang des Waggons. Da sieht er von hinten Fritz Steurermann sitzen, Weinbauer aus Klein Schiessling, und haut ihm im Vorbeigehen kräftig auf die Schulter, um ihn ans Aussteigen zu erinnern. Doch dieser fällt vornüber vom Sitz und bleibt liegen.

    »He, Fritz!«, schreit Thomas, »Was hast denn? Ist dir schlecht?«

    Doch Fritz Steurermann gibt keine Antwort. Er rührt sich nicht mehr. Thomas Krügerl beginnt zu frösteln. Obwohl es bereits nach siebzehn Uhr ist, hat es draußen immer noch weit über dreißig Grad im Schatten. Schließlich haben wir Sommer, was aber überhaupt nichts aussagt, denn wir hatten schon Sommer ohne Sonne, dafür mit Dauerregen und maximal zwanzig Grad.

    »He, Fritz!«, schreit er den von der Bank Gerutschten neuerlich an. Doch der rührt sich noch immer nicht. Fritz Steurermann liegt zusammengekrümmt am Boden, seine schwarze Aktentasche belegt den Nebensitz. Der Waggon ist bis auf die beiden leer, nur die schräg stehende Sonne beleuchtet das Innere des Großraumwagens. Thomas beugt sich zu Fritz hinunter und will seinen Puls fühlen, aber der ist nicht vorhanden. Thomas Krügerl steht vor einem Problem. Was soll er machen? Fritz müsste ebenso wie er aussteigen, der Zug fährt gleich wieder ab. Der Aufenthalt in Klein Schiessling beträgt gerade einmal eine halbe Minute. Soll er einfach aussteigen, soll er sich um Fritz kümmern oder die Notbremse ziehen? Was soll er in der Eile machen?

    Er springt aus dem Zug, lässt seine schwere Tasche mitten auf den Bahnsteig fallen und rennt heftig winkend aufs Zugführerhaus zu. Der Zugführer streckt seinen Kopf zum Fenster der E-Lok raus, sieht einen jungen Mann heftig gestikulierend auf ihn zurennen.

    »Was ist denn los?«, schreit er.

    »Bleiben S’ stehn. Da drin liegt einer, ich glaub, der ist tot.«

    Auch das noch, denkt der Zugführer ungehalten. Grad heute wollte er pünktlich zum Abendessen daheim sein.

    Und jetzt das.

    Der Waldviertelexpress steht noch immer an der Haltestelle mitten auf dem Bahnübergang von Klein Schiessling, dessen Schranken schon seit über einer Stunde die Durchfahrt für den Verkehr unmöglich machen. Fußgänger können sich grad einmal zwischen der Absperrung durchzwängen. Die Autofahrer auf beiden Seiten der Schranken sind jedoch gezwungen, zu warten, umzudrehen oder auf Schleichwegen über die Weinberge weiterzufahren. Ein Großaufgebot an Polizei, Bahnaufsicht und Neugierigen drängt sich um die Eisenbahnhaltestelle. Der Amtsarzt Dr. Heribert Weinzierl, ein kleiner untersetzter Mann um die fünfzig, mit angehender Glatze und trotz der Hitze korrekt gekleidet mit Sakko, ein beiges Mascherl um den Hemdkragen gewickelt, hat sich Fritz Steurermann auf den Bahnsteig legen lassen und ist dabei, eine erste Untersuchung vorzunehmen. Er kann keine äußeren Verletzungen feststellen. Aus dem Mund des Toten dringt allerdings ein eigenartiger Geruch.

    »Könnt ein Hitzschlag gewesen sein, könnt aber auch alles andere gewesen sein«, brummt er. »Könnt sogar Gift gewesen sein. Näheres nach der Obduktion.«

    Er streift die Einweghandschuhe ab und verstaut sie in seiner prall gefüllten Arzttasche. Schweiß glänzt auf seiner fliehenden Stirn.

    Der kleine Inspektor Julius Schreiner und der knackige, fesche Polizist Sepp Tauber stehen um den Amtsarzt Dr. Weinzierl herum und sind über dessen Feststellung verwundert.

    »Wie kann denn der in einem voll klimatisierten Waggon einen Hitzschlag kriegen?«, will Inspektor Julius Schreiner von ihm wissen. Dr. Heribert Weinzierl zuckt nur mit den Schultern und dreht sich weg.

    »Und warum sollte der sich grad im Zug vergiftet haben?«, fragt Sepp Tauber. Fährt sich mit den Fingern durch die Haare und bringt dabei seine Kurzhaarfrisur in Unordnung. Das Dienstkapperl hält er in der Hand und wachelt sich damit von Zeit zu Zeit etwas Luft zu.

    »Keine Ahnung. Vielleicht hat er ja nur was Schlechtes gegessen? Bei dieser Affenhitze ist doch alles gleich kaputt, egal, ob Fleisch oder Fisch.«

    Inspektor Schreiner geht auf Thomas Krügerl zu, fragt ihn nach Namen und Adresse und lässt sich von ihm berichten, wie er den Toten entdeckt hat.

    »Ich war grad beim Aussteigen, da seh ich den Fritz ruhig auf der Bank sitzen, obwohl er eigentlich auch aussteigen hätt müssen.«

    »Aha! Und dann?«

    »Dann hab ich ihm von hinten auf die Schulter g’haut, und dabei ist er vornüber vom Sitz kippt. Einfach so. Kippt vom Sitz und bewegt sich nimmer!«

    Mehr als ein neuerliches »Aha« bringt Julius Schreiner nicht heraus. Eine Weile denkt er nach, fixiert Thomas Krügerl streng, dann fragt er weiter: »Und, ist Ihnen was aufgefallen während der Fahrt? Hat sich irgendjemand an den Verstorbenen herangemacht oder mit ihm gesprochen?«

    »Das kann ich nicht sagen, Herr Inspektor. Ich bin weiter hinten gesessen und hab Zeitung gelesen. Fritz muss in Wien schon lang vor mir eingestiegen sein, der Zug steht ja am Franz-Josefs-Bahnhof meistens schon eine halbe Stunde vor Abfahrt auf dem Gleis. Bemerkt hab ich jedenfalls nix.«

    Inspektor Julius Schreiner ist äußerst unzufrieden. Da sitzt einer im selben Waggon, steigt sogar bei den gleichen Stationen ein und aus und bemerkt nichts.

    Wie immer!

    »Haben Sie vielleicht gesehen, wie der Verstorbene … wie heißt er eigentlich?«

    »Steurermann Fritz. Also eigentlich Friedrich. Steurermann Friedrich.«

    »Haben Sie Friedrich Steurermann beim Einsteigen gesehen? Ist vielleicht jemand mit ihm eingestiegen? Wie viele Personen sind überhaupt am Franz-Josefs-Bahnhof eingestiegen?«

    »Ich hab Ihnen doch schon gesagt, Herr Inspektor, so genau kann ich das nicht sagen, weil ich bin erst kurz vor der Abfahrt in den Waggon gesprungen. Ich war knapp dran und hab mich tummelt, den Zug überhaupt noch zu erwischen. Der Waggon war ziemlich voll, und der Fritz muss schon dringesessen sein, weil mit mir ist er, wie ich Ihnen ja grad gesagt hab, nicht eingestiegen.«

    »Haben Sie vielleicht einige der Personen gekannt, die eingestiegen sind oder die schon im Zug waren? Haben Sie überhaupt jemanden gesehen, den Sie kannten? Außer dem Friedrich Steurermann.«

    Thomas Krügerl verdreht verzweifelt die Augen. Wie oft muss man denn diesem Inspektor etwas sagen, bevor es in seinem Hirn ankommt!

    »Nein, leider nicht, wie ich Ihnen ja grad gesagt hab, Herr Inspektor. Viele kenne ich zwar vom Sehen, ich fahr ja öfters um diese Zeit, aber richtig gekannt hab ich niemanden.«

    »Und wo sind die anderen Passagiere alle ausgestiegen?«, will Julius Schreiner wissen.

    Thomas Krügerl runzelt seine jugendliche Stirn, auf der zahlreiche Schweißtropfen, von der Schwerkraft angezogen, nach unten kollern, und denkt angestrengt nach.

    »Die meisten Leute sind in Tulln ausgestiegen, ein paar sind in Absdorf-Hippersdorf ausgestiegen und einige in Groß Weikersdorf. Ja, und noch ein paar in Ziersdorf. Aber so genau aufgepasst hab ich nicht. Ich hab ja gelesen.«

    Wie immer halt, denkt der Inspektor unzufrieden. Keiner sieht was, keiner hört was, und alle miteinander wissen sie nichts. Er dreht sich um und lässt Thomas Krügerl einfach auf dem Bahnsteig stehen.

    »Herr Inspektor! Brauchen S’ mich noch? Ich will endlich heim«, ruft dieser ihm nach. Julius Schreiner dreht sich um.

    »Kann ich Sie später im Gemeindegasthaus erreichen?«

    »Ja!«

    »Dann können S’ von mir aus gehen!«

    Thomas Krügerl hebt seine schwere Reisetasche auf, schreitet zielstrebig durch die vielen Leute am Bahnsteig, zwängt sich unter der geschlossenen Schranke durch und geht schweißtriefend die Kellergasse hinunter und dem Wirtshaus seiner Eltern entgegen.

    In der Zwischenzeit hantiert die Spurensicherung fachmännisch im voll klimatisierten Waggon, welcher bessere Bedingungen bietet als der sonnige und brennend heiße Bahnsteig.

    Zwei Stunden später ist wieder Ruhe eingekehrt. Der Bahnsteig ist leer, die Schranken sind oben, und Autofahrer wie Fußgänger können ungehindert ihre Wege fortsetzen.

    Ich wurde durch einen Zweitwohnbesitzer, der während der Sommermonate oberhalb der Bahnstation in einem modernen ebenerdigen Haus wohnt, über das Unglück informiert. Schrecklich! Ich kann es gar nicht fassen! Friedrich Steurermann war, soweit ich das beurteilen kann, ein angenehmer Zeitgenosse. Er besitzt, besser gesagt, besaß einen großen Winzerhof am Ortsrand von Klein Schiessling, Richtung Grafenberg, und lebt dort mit seiner Frau Theresia und den Zwillingen Matthias und Florian. Die Zwillinge sind dreißig Jahre alt und wohnen noch bei ihren Eltern. Keiner von beiden ist verheiratet. Sie haben Weinbau studiert und wollen einmal gemeinsam das Weingut übernehmen, welches der Urgroßvater Alois Steurermann vor Jahrzehnten aufgebaut und zu dem gemacht hat, was es heute ist.

    »Griaß di, Sandra!«, schreit mir plötzlich Annerl Passer, unsere Dorftratschen, über die Straße zu, wie ich durch die Kellergasse in den Ort hinuntergehe, und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

    »Griaß di, Annerl«, antworte ich etwas geistesabwesend. »Ich wollt nur einmal nachschauen, ob der Bahnübergang schon wieder frei ist.«

    »Ja, der ist wieder frei. Aber, Sandra, was sagst denn zum Tod vom Fritz? Ist doch schrecklich! Fürchterlich ist das! Und grad der Fritz!«

    Dabei sonnt sie sich in ihrer Sensationsgier.

    »Ja, Annerl! Sehr schrecklich«, antworte ich nachdenklich. »Vor allem für die Theres und die beiden Söhne. Weiß man schon, wieso er so plötzlich gestorben ist? Er war doch grad einmal fünfzig Jahre alt und, soviel ich weiß, auch immer gesund.«

    »Nein, man weiß nix Genaues! Eigentlich weiß man überhaupt nix. Nicht einmal was Ungenaues. Der Thomas hat nur erzählt, dass er dem Fritz im Zug auf den Buckel g’haut hat, damit er nicht aufs Aussteigen vergisst, und da ist der glatt vom Sitz g’fallen. Er hat später g’hört, dass der Amtsarzt g’sagt hat, er ist vielleicht vergiftet worden. Stell dir das vor, Sandra. Vergiftet! Nicht zum Glauben! Schrecklich! Und das im Zug. In unserm Waldviertelexpress.«

    »Na ja, so lang wir nichts Genaueres wissen, werd ich mir meinen Kopf darüber nicht zerbrechen, Annerl. Vielleicht war ja diese Affenhitze daran schuld.«

    »Ich überleg die ganze Zeit, Sandra. Wenn der Fritz vielleicht doch vergiftet worden ist, könnt ja sein, gell, wer ihn vergiftet hat, weil selber wird er es ja nicht g’macht haben? Oder? Und im Zug doch schon überhaupt gleich gar nicht.«

    Annerl Passer nimmt eine Schnäuzfahne aus der Tasche ihres schwarzen Rocks und wischt sich damit den Schweiß von der Stirn.

    Man sieht sie immer nur Schwarz tragen. Sie meint, dass das besser zu einer Frau ihres Alters passt, schließlich ist sie bereits weit über siebzig Jahre alt. Und seit ihr Mann vor vielen Jahren gestorben ist, hat sie den Kleiderkasten voller schwarzer Sachen. Da wäre es doch blöd, neue Kleider zu kaufen, wenn die alten noch gut sind.

    »Heiß is. Furchtbar heiß!«, murmelt sie vor sich hin.

    »Ja, Annerl, mir ist auch heiß«, antworte ich, und im selben Moment stürzt Berta Pitzer auf uns zu. Sie ist nach unserer Dorftratschen die zweitgrößte Neugierige und Allwissende in Klein Schiessling.

    »Schrecklich! Schrecklich! Ich hab grad mit der Hedwig tratscht, die ist auch total außer sich!«

    Sie streicht sich ihre kurz geschnittenen braunen, dauergewellten Haare zurück, die ihr immer wieder ins Gesicht fallen und auf der schweißnassen Stirn kleben bleiben.

    »Die Hedwig hat g’meint, dass ein Fluch auf Klein Schiessling liegen muss. Weil so viele Todesfälle wie’s bei uns in den letzten Jahren gegeben hat, sind nimmer normal, hat sie g’sagt.«

    »Und warum glaubt die Hedwig an einen Fluch?«, will Annerl Passer wissen, dabei tropft ihr neuerlich der Schweiß von der Stirn.

    »Was weiß denn ich, wie die auf so was kommt, die Hedwig.«

    Wir sind ratlos.

    »Was ist eigentlich mit der alten Kräuterhexe aus Wartberg? Der Walpurga? Lebt die noch? Von der hat man ja schon lang nix mehr gehört«, frage ich sinnierend und schaue die beiden abwechselnd an.

    »Ja, was soll mit der sein? Hat die uns Klein Schiesslinger vielleicht alle verhext?« Berta Pitzer sieht mich hoffnungsvoll an. So ein Fluch wäre, glaube ich, ganz nach ihrem sensationslüsternen Geschmack.

    »Natürlich! Könnt’s euch nimmer erinnern? Die wollt doch vor ein paar Jahren von der Gemeinde eine Sondergenehmigung, damit sie ihre Kräutermixturen in der Gegend verkaufen darf, und das ist abgelehnt worden. Laut Gesetz dürfen solche Sachen nur noch in Apotheken verkauft werden, hat ihr der Pummerl gesagt.« Nachdenklich wende ich mich von den beiden ab. »Und daraufhin hat sie einen Fluch ausgestoßen«, murmle ich nickend vor mich hin, »über den der Pummerl gelacht hat.«

    Alfons Pummerl ist seit vielen Jahren Bürgermeister von Klein Schiessling, und er verwaltet und betreut seine Gemeinde bestens. Meist bestens für ihn selber! Sein Äußeres passt gut zu seinem Namen, denn so, wie er heißt, schaut er auch aus. Klein, pummelig, rote Nase und Schweinsäuglein im runden Gesicht.

    »Genau«, ergänzt Berta Pitzer, »jetzt erinnere ich mich auch wieder daran. Die hat damals laut geschrien und dabei wild mit den Armen in der Luft herumgefuchtelt. ›Fluch über euch alle‹, hat sie geschrien, und der Pummerl hat noch mehr g’lacht. Und das darf man nicht«, meint sie belehrend. »Über einen Fluch lachen bedeutet großes Unglück!«

    Dabei verdreht sie wissentlich ihre Augen und hebt ihr Kinn.

    »Und des ham ma jetzt davon!«

    Annerl Passer wischt sich mit ihrem bereits schweißnassen Taschentuch neuerlich über ihr faltiges Gesicht.

    »Jetzt fällt’s mir auch wieder ein. Ihr habt’s euch doch damals tagelang über der ihren Fluch lustig g’macht. Nur ich nicht. Weil dieser alten Hex hab ich nie über den Weg traut.«

    »Geh, Annerl«, wendet Berta Pitzer ein, »du hast doch damals genauso g’lacht darüber wie wir alle.«

    »Nein! Hab ich nicht! Über der ihren Fluch hab ich nie g’lacht. Nie! Verstehst? Ganz im Gegenteil, der hat mir sogar Angst g’macht.«

    Wenn Annerl Passer sich einmal was in ihren Kopf gesetzt hat, ist es fast unmöglich, es wieder herauszubringen.

    »Wie hat denn überhaupt die Hedwig so schnell von dem Unglück erfahren?«, will ich wissen und gehe nicht weiter auf ihre sture Behauptung ein. Denn wenn ich mich richtig erinnere, hat sie damals ebenso gelacht wie wir alle.

    »Sie war grad beim Wirten und hat ein paar Flaschen Blauburger geliefert«, erklärt Berta Pitzer, »wie der Thomas von der Bahn kommen ist. Der hat’s dann allen genau erzählt.«

    »Aha«, sage ich und wundere mich wieder einmal darüber, dass schlimme Nachrichten schneller die Runde im Ort machen als gute. Liegt an der Mentalität der Dörfler. Wir sind doch alle sensationsgierig, nicht nur die Medien. Ich verabschiede mich rasch von den beiden Tratschen und gehe heim. Über diesen Fluch muss ich jetzt erst einmal gründlich nachdenken, und das kann ich daheim bei einem Häferl Kaffee viel besser.

    Ein Fluch, der einer Person oder einem Ort Unheil bringen soll, ist die Strafe für ein geschehenes Unrecht. Und wenn diese alte Kräuterhexe sich damals ungerecht behandelt gefühlt hat, war das ihrer Meinung nach die einzige Möglichkeit, Vergeltung zu üben für das Unrecht, das man ihr angetan hat. Fluch ist ja bekanntlich die höchste Strafe und letzte Waffe, nachdem alle anderen Mittel und Gesetze versagen. Und da schwarze Magie, Fluch zählt dazu, von Personen besonders effektiv ausgeübt werden kann, die über geheimes Wissen und außerordentliche Kräfte verfügen, was bei dieser Kräuterhexe sicherlich der Fall ist, kann ich mir ohne Weiteres vorstellen, dass es sich so abgespielt hat.

    Fluch auf unserem Ort!

    Na, bravo!

    Armes Klein Schiessling!

    Kapitel 2

    Sepp Tauber und seine junge Kollegin Angela Bauer, eine emanzipierte, hübsche, energische Person mit dunklen, kurz geschnittenen Haaren und braunen Augen, sitzen Theresia Steurermann, der Ehefrau des im Waldviertelexpress ums Leben gekommenen Winzers, und deren beiden Söhnen Matthias und Florian im Wohn-Ess-Zimmer des riesigen Hauses mit angeschlossener Vinothek gegenüber.

    Theresia Steurermann ist schlank, groß, und ihre rotblonden, halblangen Haare umrahmen mädchenhaft ihr rundes Gesicht. Man kann sagen, sie ist eine gepflegte, schöne Frau in ihrer Lebensmitte.

    Jeder hat ein Glas mit G’spritztem vor sich stehen. Frau Steurermann und ihre beiden Söhne halten sich krampfhaft daran fest. Der Schock über die schreckliche Nachricht ist ihnen deutlich anzusehen. Obwohl Angela Bauer die Steurermanns sehr gefühlvoll und vorsichtig über den Tod informiert hat, herrschen Heulen und Zähneknirschen. Zumindest schaut es

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