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Tod beim Mittelalterfest: Waldviertel-Krimi
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Tod beim Mittelalterfest: Waldviertel-Krimi
eBook241 Seiten2 Stunden

Tod beim Mittelalterfest: Waldviertel-Krimi

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Über dieses E-Book

Annerl Passer und Berta Pitzer stolpern auf dem Eggenbuirger Mittelalterfest über die Leiche von Franziska Huber, neben der eine Anstecknadel in Form eines schwarzen Herzes mit gelbem Tatzenkreuz liegt. Dieses Emblem wird einem alten Geheimbund zugeordnet. Franziska Huber sollte im Rahmen des Festes den Besuchern aus einem Buch über das Mittelalter vorlesen, wird jedoch von Mechthilde Schröcksnagel-Brüller vertreten. Weitere Verbrechen geschehen und Chefinspektor Christian Fuchs und Inspektor Julius Schreiner stehen vor einem schweren Problem. Die ortsansässigen Dorftratschen machen die Sache nicht einfacher und mischen kräfitg mit.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum2. Juni 2023
ISBN9783990742464
Tod beim Mittelalterfest: Waldviertel-Krimi
Autor

Lore Macho

Lore Macho lebt mit ihrem Mann seit 1987 in dem kleinen Weinort Straning, nahe Eggenburg (NÖ), wo Wein- und Waldviertel ineinander übergehen. Nach dem Besuch der Handelsschule und einigen Jahren der Tätigkeit als Sekretärin absolvierte sie 1974 die Sommerakademie für Malerei in Sirmione und ist seit dieser Zeit freischaffende Malerin. Neben dem Malen gilt ihre große Freude dem Schreiben. Bisher wurden von ihr drei Bücher zum Thema Malen veröffentlicht sowie ihre Dorfkrimis im Verlag federfrei.

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    Buchvorschau

    Tod beim Mittelalterfest - Lore Macho

    1

    »Ja, wo bleibt sie denn nur?«

    Friedhilde Burggraf, fünfunddreißig Jahre alt, zierlich, in einem bodenlangen, weinroten Rock aus derbem Wollstoff, einer grobgewebten hellbeigen Rüschenbluse mit Puffärmeln und weißer Haube auf dem Kopf, wirft bereits zum x-ten Mal in weniger als fünfzehn Minuten nervöse Blicke auf ihre Armbanduhr und bekommt neuerlich bestätigt, dass Mechthilde Schröcks­nagel-Brüller aus Hollabrunn längst hier sein müsste.

    Sie macht einen Schritt aus dem Zelt, das auf der Wiese beim Kanzlerturm aufgebaut wurde, blickt nach links, dann nach rechts, kann jedoch außer fröhlichen Menschen in mittelalterlicher Gewandung nichts erkennen. Zumindest nichts, was einer Walküre, als welche man Mechthilde Schröcksnagel-Brüller unbedingt bezeichnen muss, auch nur im Entferntesten ähnlichsieht. Mechthilde Schröcksnagel-Brüller ist so ziemlich das mächtigste Weib, das Friedhilde Burggraf je zu Gesicht bekommen hat, und passt deshalb überhaupt nicht ins Mittelalter. Die Bevölkerung dieser Zeit war wesentlich kleiner und schmächtiger als heutzutage. Ritter und Burgfräulein mit zarten Gestalten sprengten hoch zu Ross durch die Landschaft, wandelten über Zugbrücken ihrer Burgen und schliefen in Bettchen, die heute eher in Kinderzimmern anzutreffen sind. Deshalb ist es auch kaum möglich, einen heutigen Erdbewohner in eine dieser glänzenden Ritterrüstungen zu stopfen, es sei denn, man hat mörderische Absichten.

    Jährlich, am zweiten Septemberwochenende, wird in Eggenburg zu Ehren dieser Zeit ein Fest abgehalten, das sich im Laufe der Jahre zum größten Event der Region entwickelt hat, wenn man von den traditionellen Weintaufen und Weinblütenfesten absieht. Denn auch diese erfreuen sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit, zumal es in der näheren und weiteren Umgebung sehr viele Weinbauern mit großen Rieden gibt, die ihre Produkte an den Mann oder an die Frau bringen wollen. Und diese Weinfeste steigern erheblich den Absatz.

    Jedoch für alle Eggenburger zählt in erster Linie ihr liebgewonnenes Mittelalterfest, genannt »Zeitreise ins Mittelalter«.

    Der Ursprung der mittelalterlichen Stadt Eggenburg geht auf die Herrschaft der Babenberger in Niederösterreich zurück. Eggenburg wurde zur Sicherung gegen Norden zur damaligen kriegerischen Zeit als befestigte Grenzstadt gegründet, was die alten, stets gepflegten und gut erhaltenen Stadtmauern belegen. Sie erzählen von einer längst vergangenen Zeit, die sich nur die wenigsten Menschen, schon aus Hygienegründen, zurückwünschen würden. Der große, fünfeckige Hauptplatz im Zentrum des Ortes drückte damals Wohlstand aus, denn je größer der Hauptplatz einer Stadt im Mittelalter war, umso angesehener war diese. Deshalb legte man auf eine Freifläche im Ortskern besonderen Wert und baute die Häuser weitläufig darum herum. Und daran wurde bis heute nichts geändert. Dieser große Hauptplatz, das sogenannte Grätzel, mit seinen spätgotischen Giebelhäusern bildet den Mittelpunkt der Stadt, welche auch außerhalb der mittelalterlichen Festivität viele Touristen anlockt.

    Die Häuser werden von den Bewohnern während der »Zeitreise ins Mittelalter« liebevoll mit mittelalterlichen Fahnen in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Wappen geschmückt, die im Wind laut flattern. Der Pranger inmitten des Hauptplatzes, an dem seinerzeit zänkische Weiber und trunksüchtige Männer angekettet wurden, dient heute als Kulisse für stattfindende Ritterspiele. Zur Unterhaltung der vielen Schaulustigen posieren Gaukler und Feuerschlucker und malen mit ihren bunten Gewändern Farben in die Straßen der Mittelalterstadt. Auf den Gehwegen lustwandelt man über Stroh anstatt Asphalt, selbst der große Brunnen neben dem Pranger dient der Belustigung. Hier werden nach alter Sitte Buchdruckerlehrlinge so lange unter Wasser getaucht, bis sie fast absaufen, was man früher Gautschen nannte.

    Aufgrund all dieser Historien sind die Eggenburger komplett auf das Mittelalter fixiert und widmen sich keinem anderen Fest so intensiv wie diesem. Die Stadtverwaltung erhofft sich Publicity und touristischen Zustrom, was die Gastronomie im Ort freut, denn essen und trinken muss schließlich jeder. Neben den etablierten Gast- und Kaffeehäusern finden sich während des Festes nicht nur zahlreiche Holzbuden, in denen Würstchen, Döner Kebab, Zuckerwatte und Grillhendln angeboten werden, sondern auch Spanferkel am Spieß, die mitten im Grätzel, gleich neben dem Pranger, auf die Besucher warten.

    Typisch Mittelalter eben!

    Die kleinen Geschäfte bleiben zum Teil am Samstag dieses Wochenendes geschlossen, wenn die Besitzer außerhalb der Stadt wohnen, denn einen Parkplatz zu finden, bedarf eines großen Wunders. Deshalb ist es ratsam, die Stadt an diesem Wochenende eher zu meiden, wenn man sein Auto nicht im Nachbarort abstellen und ellenlange Fußmärsche in Kauf nehmen will. Den zahlreichen Besuchern wird wohl ein großer Parkplatz angeboten, doch ist dieser bereits am frühen Vormittag restlos überfüllt.

    Allem haftet sowohl Positives als auch Negatives an. Des einen Freud, des anderen Leid! Man kann schließlich nicht alles haben!

    Und kaum ist das eine Mittelalterfest ausgeklungen, die Holzbuden abgebaut und die Gehsteige von Stroh befreit, beginnen die eifrigen Bewohner der Stadt bereits, sich auf das nächste im kommenden Jahr vorzubereiten. Dafür wird geplant, getüftelt, besprochen und gearbeitet. Hier lohnt es sich allemal, sämtliche zur Verfügung stehenden Kapazitäten an Energie, sowohl geistig als auch körperlich, einzusetzen, damit auch das nächstjährige Fest ein voller Erfolg wird.

    Friedhilde Burggraf blickt neuerlich auf ihre Armbanduhr und kann nicht fassen, dass sich Mechthilde Schröcksnagel-Brüller, Dichterin des Weinviertels, zu welcher sie sich selbst erkoren hat, diese Gelegenheit, hier aufzutreten, entgehen lässt. Die Stadtverwaltung hat ihr angeblich, aus welchen Gründen auch immer, kurzfristig zugesichert, dass sie Besuchern im Festzelt beim Kanzlerturm aus einem Buch über das Mittelalter vorlesen kann, und nun glänzt sie durch Abwesenheit. Bis dato hat Franziska Huber aus Klein Schiessling, die derzeitige Freundin von Thomas Krügerl, des älteren Sohnes der Wirtsleute des Klein Schiesslinger Dorfwirtshauses, den Besuchern vorgelesen, und ihre Sache sehr gut gemacht. Friedhilde Burggraf war ohnehin noch bis vor einer knappen Stunde der Meinung, dass Franziska Huber zu dem geplanten Termin erscheinen wird, bis sie von Mechthilde Schröcksnagel-Brüller einen Anruf erhielt, in dem diese mitteilte, dass sie anstelle von Franziska Huber lesen wird. Und da Friedhilde Burggraf annimmt, dass das Veranstaltungskomitee die kurzfristige Änderung abgesegnet hat, muss sie die Tatsache, wenn auch widerwillig, zur Kenntnis nehmen.

    »Wo bleibt sie denn nur?«

    »Sie wird schon noch kommen«, meint Elisabeth Grantler tröstend. »Es ist ja erst zwanzig Minuten nach zehn.«

    Die ältere der beiden Frauen, Elisabeth Grantler, begleitet neben Friedhilde Burggraf schon seit einigen Jahren die wenigen kulturellen Veranstaltungen bei diesem Fest und bisher hat immer alles bestens geklappt. Nun ist aber auch ihr die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.

    »Was machen wir, wenn sie nicht auftaucht?« Geistesabwesend greift sie nach dem Buch, aus dem gelesen werden soll.

    »Dann melden wir es dem Veranstaltungskomitee. Vielleicht wird die Lesung abgesagt und wir können Schluss machen.«

    Friedhilde Burggraf geht vor den Zelteingang, streift ihren bodenlangen, weinroten Rock glatt und wendet ihr Gesicht der Sonne zu. Sie will die warmen Strahlen genießen, die vielleicht für heuer schon die letzten sein werden. Nach einer Weile wendet sie sich um und geht zurück ins Zelt.

    »Es sind ja ohnehin nur wenig Leute da. Das Interesse nimmt leider von Jahr zu Jahr ab«, flüstert sie Elisabeth Grantler ins Ohr, die zustimmend nickt.

    »War sowieso eine Schnapsidee«, erwidert sie kurz darauf verärgert, »ausgerechnet im letzten Moment umzudisponieren und die Schröcksnagel-Brüller statt wie gewohnt die nette Franziska Huber zu nehmen.«

    »Weiß man eigentlich, warum?«

    »Freunderlwirtschaft, nehme ich an.«

    Damit hat Elisabeth Grantler wahrscheinlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie legt das Buch zurück auf den kleinen Tisch, verlässt mit Friedhilde Burggraf das Zelt und beide Frauen stellen sich vor dem Eingang in die Sonne. Leise unterhalten sie sich über belanglose Dinge, blicken zum Himmel, freuen sich über das schöne Wetter und beobachten die Besucher, die an ihnen vorbeiflanieren, bis Elisabeth Grantler plötzlich aufschreit und mit dem Finger in die Menschenmenge vor dem Kanzlerturm deutet: »Da vorne auf der Wiese! Ich glaub, da kommt sie.«

    Friedhilde Burggraf schaut in die angegebene Richtung und nickt erleichtert.

    »Na endlich!« Sie winkt der zügig ausschreitenden Gestalt heftig mit beiden Armen zu, die sich energisch Platz schaffend durch den Besucherstrom über die Wiese drängt.

    »Ich habe es leider nicht eher geschafft«, keucht Mechthilde Schröcksnagel-Brüller und streckt den beiden Frauen zur Begrüßung ihre Hand entgegen, die sich glitschig und feucht anfühlt.

    »Schön, dass Sie es überhaupt einrichten konnten, für Franziska Huber so kurzfristig einzuspringen«, meint Elisabeth Grantler süffisant, wischt den feuchten Händedruck an ihrem Rock ab und macht einen Schritt zur Seite, um die mächtige Mechthilde an sich vorbei ins Innere des Zeltes zu lassen.

    »Warum müssen Sie denn so plötzlich einspringen? Ist Franziska Huber krank?«

    »Ja!«

    Mechthilde Schröcksnagel-Brüller ist kurz angebunden, walzt an den Besuchern vorbei und peilt den kleinen Tisch am hinteren Ende des Zeltes an, auf dem ein dicker Wälzer über das Mittelalter liegt. Dort lässt sie sich auf den für sie vorbereiteten Sessel fallen, der unter ihrem Gewicht aufstöhnt, und blättert zum vierten Kapitel vor. Ein kurzes Räuspern, ein kritischer Blick auf die wenigen Besucher, dann setzt sie zum Lesen an. Und das ist Friedhilde Burggraf nun doch zu viel. Forsch unterbricht sie die herrische Stimme, begrüßt zunächst die Anwesenden und heißt sie im Namen der Stadt Eggenburg herzlich willkommen.

    »Leider habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie«, schließt sie an die Begrüßung an. »Franziska Huber aus Klein Schiessling, welche für die Lesung heute vorgesehen war, ist bedauerlicherweise erkrankt. Das war die schlechte Nachricht, die gute ist, dass sich Frau Mechthilde Schröcksnagel-Brüller aus Hollabrunn kurzfristig bereiterklärt hat, für sie einzuspringen und die Lesung zu übernehmen.«

    Zaghaftes Applaudieren, dann setzt die mächtige Stimme der Mechthilde Schröcksnagel-Brüller neuerlich ein und lässt die wenigen Anwesenden verstummen. Und während sie die Besucher dröhnend über das Mittelal­ter informiert, begeben sich die beiden Frauen wieder vor das Zelt.

    »Ist aber schon merkwürdig, dass sich Franziska Huber nicht selbst bei uns abgemeldet hat. So schwer erkrankt wird sie doch nicht sein, dass sie nicht wenigstens den Hörer in die Hand nehmen kann.«

    Elisabeth Grantler nickt. »Sollen wir sie anrufen? Du hast doch ihre Nummer.«

    Friedhilde Burggraf zieht aus ihrer linken Rocktasche ein kleines Notizbuch mit Telefonverzeichnis, holt aus der rechten ihr iPhone und wählt zunächst Franziska Hubers Festnetzanschluss in Klein Schiessling, ein Nachbarort von Eggenburg. Nach mehrmaligem Läuten schaut sie auf.

    »Die hebt nicht ab.«

    »Versuch es auf ihrem Handy.«

    Doch auch das ist vergebens. Franziska Huber meldet sich nicht.

    »Ist schon merkwürdig«, wiederholt Friedhilde Burggraf. »Selbst wenn sie krank wäre, könnte sie doch wenigstes an ihr Handy gehen.«

    Elisabeth Grantler stutzt plötzlich. »Dass Franziska Huber krank ist, wissen wir doch nur von dieser Schröcksnagel-Brüller. Und woher weiß die das?«

    Friedhilde Burggraf zuckt mit den Schultern.

    »Keine Ahnung.«

    »Weißt du was, Friedhilde? Wir rufen jetzt in der Stadtverwaltung an. Irgendjemand muss doch über die Erkrankung von Franziska Huber informiert worden sein und deshalb Schröcksnagel-Brüller hergeschickt haben.«

    »Gute Idee.«

    Friedhilde Burggraf will neuerlich zu ihrem iPhone greifen, da sieht sie den Eggenburger Kulturstadtrat Emmerich Waldmann über die Kanzlerwiese auf sie zukommen.

    »Guten Tag, die Damen! Die Lesung ist schon in vollem Gange, wie ich höre.« Erst dann bemerkt er die betroffenen Gesichter der beiden Frauen. »Was ist los?«, fragt er freundlich. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

    Und nachdem er über die Sachlage informiert wurde, zeigt auch er sich betroffen.

    »Darüber weiß ich nichts.«

    Rasch wirft er einen Blick ins Zelt und wendet sich langsam wieder um.

    »Harzlich wenig Besucher heute«, meint er enttäuscht. »Wir müssen ernsthaft überlegen, ob wir diese Lesung nächstes Jahr noch fortführen sollen.«

    Währenddessen dröhnt Mechthilde Schröcksnagel-Brüllers Stimme bis weit hinaus über die Kanzlerwiese. Kulturstadtrat Emmerich Waldmann, klein, pummelig, ebenfalls mittelalterlich gewandet, langt umständlich in seinen weiten Umhang, zieht ein Mobiltelefon heraus und tippt die Nummer seiner Sekretärin ein, welcher die Organisation für die einzelnen Veranstaltungen übertragen wurde. Mit einer Hand streicht er sanft über sein glatt rasiertes Kinn, während er mit der anderen das Telefon fest ans Ohr presst.

    Nach einem kurzen Gespräch mit mehrmaligem »aha« und »ja« unterbricht er es und blickt besorgt Friedhilde Burggraf und Elisabeth Grantler an.

    »Im Büro wissen sie nichts von einer kurzfristigen Änderung«, meint er geistesabwesend. »Franziska Huber hat sich weder bei uns krankgemeldet noch wurde Schröcksnagel-Brüller für die Lesung einberufen. Man sagte mir jedoch, dass unter Umständen eines der Mitglieder des Vereinskomitees darüber Bescheid wissen könnte.«

    »Und? Warum fragen wir die nicht?«, will Elisabeth Grantler wissen und macht ihrem Namen alle Ehre. Sie ist mehr als grantig über den Vorfall, vor allem aber, weil, wie so oft in der Gemeinde, keiner etwas weiß.

    »Alle zuständigen Funktionäre sind auf dem Festgelände unterwegs und einige davon telefonisch nicht erreichbar.«

    Aha!

    Ratlos stehen sie beisammen, während aus dem Zelt Mechthilde Schröcksnagel-Brüllers Stimme auf die wenigen Zuhörer niederprasselt.

    2

    Berta Pitzer aus Klein Schiessling, mittelalt, mittelgroß, mit kastanienbraun gefärbten mittellangen Haaren und, wie könnte es anders sein, mittelalterlich gewandet, ergattert soeben einen der letzten Parkplätze auf dem Festgelände Eggenburgs. Sie steigt aus ihrem Auto, geht zur Beifahrertür und hilft Annerl Passer, der mittelgroßen, knochigen Dorftratschen von Klein Schiessling, beim Aussteigen. Diese trägt ihre schwarzen, mit wenig Silberfäden durchzogenen Haare streng aufgeknödelt und ist mit einem langen, schwarzen Rock und schwarzem Pullover bekleidet. Wohl nicht ganz so mittelalterlich wie Berta Pitzer, aber bei weniger kritischer Betrachtung könnte es durchaus durchgehen.

    »Zum Glück hast noch einen Parkplatz g’funden, Berta.«

    »Ja! Weil sonst hätten wir ganz schön weit gehen müssen.«

    Annerl Passer verzieht ihr Gesicht.

    »Hätt ich nicht g’macht. Ich latsch doch nicht kilometerweit, damit ich in dem Wirbel da sein kann.«

    Berta Pitzer grinst. Sie weiß genau, dass Annerl Passer den Wirbel um sich genießt. Sie hakt sich bei ihr unter und beide spazieren gemächlich vom Parkgelände weg dem Zentrum der Stadt entgegen. Vor jeder aufgestellten Holzbude machen sie Halt, betrachten die angebotene Ware und geben lautstark Kommentare dazu ab, was den Budenbesitzern nicht immer gefällt. Im Grätzel angekommen, drängt Annerl Passer Richtung Bäckerei.

    »Warum ziehst du denn so? Du willst doch nicht jetzt schon auf einen Kaffee gehen?«

    Verdutzt blickt Annerl Passer auf. »Was denn sonst? Dazu sind wir doch herkommen. Wenn wir im Schanigarten sitzen, können wir alles, was da so passiert, gut sehen ohne herumstiefeln zu müssen.«

    »Geh, Annerl. Lass uns erst einmal ein bisserl durch den Ort spazieren. Es sieht doch alles so viel anders aus als an einem normalen Tag. Außerdem war ich schon lang nicht mehr hinter der Stadtmauer und tät mir gern die alten Burgreste wieder einmal anschauen. Das hat mir schon als Kind immer gefallen.«

    Berta Pitzer machte vor Jahren einmal eine Stadtführung, bei der sie sehr interessante Dinge erfahren hat, die ihr soeben wieder eingefallen sind.

    »Du meinst die Stelle, wo früher die Ritterfrauen ihre vollen Nachttöpfe durchs Fenster geschüttet haben?«

    Nun muss Berta Pitzer lachen.

    »Sei nicht so unromantisch, Annerl. Was hätten sie denn damit machen sollen? Es hat ja damals noch kein Klo gegeben. Da haben sie halt alles durchs Fenster entsorgt. Ist doch ohnehin regelmäßig einer vorbeigekommen und hat den Dreck weggeräumt. Das war im Mittelalter ein sehr wichtiger und angesehener Beruf!«

    Annerl Passer verzieht den Mund und schüttelt sich.

    »Scheißdreckentferner! Pfui, grauslich!«

    Trotzdem trottet sie, wenn auch widerwillig, neben Berta Pitzer her.

    Sie gelangen, nachdem sie das Grätzel überquert haben, durch die Eggenstraße zu einem Kreisverkehr und begeben sich nach links, wo die alte Stadtmauer hinter einer breiten Wiese mit gepflegtem Baumbestand sichtbar wird. Hier ist es etwas ruhiger als im Zentrum.

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