Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tod eines Whistleblowers: Der Fall Willi Lang
Tod eines Whistleblowers: Der Fall Willi Lang
Tod eines Whistleblowers: Der Fall Willi Lang
eBook187 Seiten2 Stunden

Tod eines Whistleblowers: Der Fall Willi Lang

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

«Tod eines Whistleblowers» schildert unterschiedliche Fälle von Whistleblowing. Sie basieren auf realen Fällen, wurden jedoch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verfälscht. Der berühmte Fall im Zürcher Sozialamt lief anders ab, verratene Bankdirektoren gibt es viele und für gewisse Nachbarn ist Whistleblowing ein mit Passion gepflegtes Hobby. Beliebt sind Anzeigen wegen möglicherweise nicht bewilligten Bauten oder vermuteter Finanz- oder Steuerdelikte. Der Neid ist überall.
Anonymes Whistleblowing hat jedoch auch eine andere, unter Umständen tragische Seite, dann nämlich, wenn Betroffene sich nicht damit abfinden, dass jemand ihr Leben so im Vorbeigehen zerstört, und zum Gegenangriff übergehen – und genau darum geht es in dieser spannenden Geschichte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Jan. 2024
ISBN9783907339770
Tod eines Whistleblowers: Der Fall Willi Lang

Ähnlich wie Tod eines Whistleblowers

Ähnliche E-Books

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Tod eines Whistleblowers

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tod eines Whistleblowers - Heidi Affolter-Eijsten

    Kapitel 1 Verrat ist kurz, die Reue lang

    Rosmarie Kunz ärgert sich an diesem noch kühlen Junimorgen über ihren zweijährigen Beagle, der ungestüm immer wieder ins Dickicht rennt und auf ihr Rufen hin nicht zurückkommen will. Der morgendliche Spaziergang im Zürichberg Wald wird daher heute wohl wieder länger dauern und dabei hätte Rosmarie Kunz an diesem Tag noch einiges zu tun. Schon das dritte Mal ist Billy jetzt verschwunden, kam die ersten zwei Male nach längerem Rufen schliesslich zurück. Doch dieses Mal kommt er gar nicht zurück. Er bellt in der Ferne mitten im dunklen Dickicht. Rosmarie Kunz schimpft und weiss, dass sie sich jetzt in die unwegsame Tiefe des Waldes begeben muss, um den Hund zu holen. Es ist nicht das erste Mal. Wahrscheinlich hat er wieder ein totes Reh gefunden. Was sie allerdings erstaunt, ist sein mit Heulen durchsetztes, heftiges Bellen. Das tut er doch eigentlich sonst nicht. Mühsam kämpft sie sich in den Wald hinein und erkennt schliesslich von weitem das weiss-rotbraune Fell ihres Hundes. Auf ihr Rufen hin kommt er wiederum nicht, obwohl er sie jetzt eigentlich sehen müsste. Sie geht schimpfend hin, bleibt jedoch völlig erstarrt stehen, als sie sieht, was Billy so in Aufregung versetzt hat. Auf dem Boden liegt ein Mann. Er liegt auf dem Bauch und ist offensichtlich tot. Rosmarie Kunz bleibt auf Abstand, packt ihren Hund, der mittlerweile am Hosenbein des Toten zieht und zerrt ihn zurück auf den Weg. Mitten im Wald hat sie keinen Mobileempfang auf ihrem Smartphone, sodass sie sich einen Ort suchen muss, wo sie die Polizei anrufen kann. Die Fragen der Polizistin, die abnimmt, kann sie kaum beantworten. Sie sei nicht nahe ran gegangen, es sei aber klar ein Mann und er sei tot. Nein, sie habe nicht den Puls gefühlt, sie habe ihn ganz sicher nicht angefasst, aber dass er tot war, sei erkennbar gewesen. Über sein Alter könne sie nichts Genaues sagen, es müsse aber ein Mann in mittleren Jahren sein. Sie habe nur auf dem Hinterkopf sein schütteres, leicht ergrautes Haar gesehen. Sie beschreibt der Polizistin genau ihren Standort und nach einer halben Stunde sieht sie, wie ein Polizeifahrzeug den Waldweg hinauffährt. Rosmarie Kunz fragt sich, wie man sich in einer solchen Situation zu verhalten hat. Schliesslich hat sie in ihren 51 Jahren noch nie einen Toten gefunden, weder im Wald noch sonst wo.

    Sie beschreibt dem aussteigenden Polizisten, der sich als Wachtmeister Jon Sobic vorstellt, den Fundort. Dieser fragt sie, ob sie den Toten kenne. «Nein», meint Rosmarie Kunz, «ich habe ja sein Gesicht nicht gesehen, und überhaupt, ich habe ihn nicht berührt.» Warum sie denn so gefasst sei, fragt Sobic. Dumme Frage, denkt Rosmarie Kunz. «Ja, wie sollte ich denn sonst sein? Mein Beagle war in heller Aufregung, wenn ich auch noch durchdrehe, hilft das niemandem.» «Führen Sie mich bitte zum Fundort», fordert sie Sobic auf. Rosmarie Kunz seufzt und geht den unwegsamen Weg das dritte Mal, schürft sich wiederum ihre Arme an Ästen und dornigen Büschen auf und gelangt schliesslich an den Fundort, wo sich nichts geändert hat. Wachtmeister Sobic und seine Kollegin, die Gefreite Rosa Morger, ziehen sich Handschuhe an und unterziehen den Toten einer ersten Untersuchung. „Da muss der kriminalistische Dienst kommen», meint Sobic schliesslich: «Rufen Sie dort an, Rosa, und benachrichtigen Sie auch die Rechtsmedizin. Was ich sehe, sind mindestens vier Einstiche im Rücken, wohl von einem Messer. Der Mann wird somit nicht mitten im Wald an einem Herzinfarkt gestorben sein. Ich frage mich, ob er hier ermordet worden ist. Drehen wir ihn mal um.» Frau Kunz, die noch immer danebensteht und sich fühlt wie in einem Dienstagabend-Krimi im Fernsehen, wird unruhig und fragt, ob sie gehen könne. «Natürlich», meint Sobic, «gehen Sie nur, geben Sie aber vorher dem Aspiranten Huber – er fährt das Polizeiauto – ihre Personalien. Wir werden wahrscheinlich noch einige Fragen haben.»

    Nachdem Rosmarie Kunz gegangen ist, drehen Sobic und Rosa Morger den Toten um. Beide schrecken zurück. Das Gesicht des Toten hat Blutflecken und er scheint irgendetwas im seltsam aufgerissenen Mund zu haben. Sobic ist ein erfahrener Ermittler, aber ein solches Bild hat sich ihm noch nie geboten. Vorsichtig öffnet er den Mund des Toten und holt etwas in ein Stofftuch gewickeltes heraus. Er öffnet es und bemerkt mit Ekel, dass es die abgeschnittene Hälfte einer Zunge ist. Rosa Morger wird grün im Gesicht und muss sich kurz ins Dickicht zurückziehen. Sobic schaut sich das Tuch genauer an und erkennt eine Schrift. Mit Mühe entziffert er «Verrat ist kurz, die Reue lang». Er kann sich darauf keinen Reim machen.

    Kapitel 2 Willi Lang

    Die Zürichbergstrasse, benannt nach eben diesem Zürichberg, ist eine edle Adresse in Zürich. Es ist das Quartier, in dem Wilhelm und Thea Lang wohnen. Ein schönes Quartier mit hübschen Einfamilienhäusern und herrschaftlichen Villen älteren Datums, die heute alle kaum mehr bezahlbar sind. Die Bewohner sind sich ihrer Privilegien bewusst und hüten und pflegen ihre Strasse und die daran anstossenden Gärten mit viel Sorgfalt. Man kennt sich. Die meisten Bewohner wohnen schon seit vielen Jahren dort.

    Das Haus der Langs gehört Thea Lang. Es ist das Erbe ihres Vaters und sie hat es vor etwas mehr als zwei Jahren in die Ehe eingebracht. Das väterliche Erbe bestand jedoch nicht nur aus diesem Zürichberg-Haus, sondern zusätzlich auch aus einem beachtlichen Vermögen. Davon profitierte nach der Eheschliessung auch Wilhelm, im Quartier nur Willi genannt. Aber anstatt sich darüber zu freuen, entwickelte Willi einen Riesenkomplex: Alles gehörte Thea. Obwohl Thea, eine bescheidene und liebenswürdige Frau, ihn das nicht spüren liess, hatte er immer das Gefühl, er müsse Thea fragen, wenn er sich etwas Aussergewöhnliches anschaffen wollte. Theas Vermögen war für Willi Liebe auf den ersten Blick gewesen. Thea, die damals noch Loher hiess, war vor drei Jahren – im Sommer 2018, als er sie im Sozialamt, wo sie beide arbeiteten, das erste Mal sah – das gewesen, was man früher uncharmant eine alte Jungfer genannt hatte. Ehen werden am Arbeitsplatz geschlossen, dachte sich Willi, und verstärkte seine Bemühungen, nachdem er genaueres über Thea, besonders über Theas Steuervermögen – man hat ja so seine Beziehungen – erfahren hatte.

    Thea hätte sich wohl besser auch über Willis Vorleben erkundigt. Aber als Mittvierzigerin war sie des Alleinseins müde und Einsamkeit ist ein schlechter Ratgeber. Bisher hatte es keine valablen Kandidaten gegeben und Willi konnte charmant sein, war es wenigstens bis nach der Eheschliessung. Dabei war Thea ein Juwel: Liebenswürdig, intelligent, fleissig und hilfsbereit, kurzum ein Engel der sozialen Dienste der Stadt Zürich – und so wurde sie auch überall genannt. Doch das interessierte Willi herzlich wenig. Er hatte in seinen bald 52 Jahren schon viele Beziehungen gehabt und lebte von den Frauen. Wenn sie ihn langweilten, verliess er sie von einem Tag auf den anderen, allerdings erst, wenn er eine bessere Partie in Aussicht hatte. Und Thea war wahrlich eine gute Partie. Willi hingegen war ein Ausbund an Rücksichtlosigkeit, der Empathie wohl vortäuschen konnte, aber nie welche empfand. Freunde hatte er kaum und eine Familie schien er auch keine zu haben.

    Das alles wusste Thea nicht, wollte es gar nicht wissen, denn sie glaubte sich sehr verliebt. Nur ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen heirateten sie und alle mochten Thea ihr spätes Glück gönnen – wenn es denn ein Glück geworden wäre. Schon kurz nach der Eheschliessung wurde Willi ein missgelaunter Ehemann, der, als ihm ein Jahr nach Eheschliessung eine halbe Invalidenrente (IV-Rente) zugesprochen worden war, viel zu oft zu Hause sass und sich langweilte. Willi war jahrelang Sachbearbeiter im Sozialamt gewesen. Thea hatte nie ganz herausgefunden, was denn der Grund für die halbe IV-Rente und die damit verbundene Reduktion auf eine 50- prozentige Stelle gewesen war. Er hatte die IV-Rente schon weit vor ihrer Beziehung beantragt. Theas Nachfragen blieben unbeantwortet. Es schien ein sensibles Thema zu sein. Willi war offensichtlich gesund und fit. Nur an Manneskraft fehlte es ihm – diesbezüglich führte Thea enttäuscht ihr jungfräuliches Leben weiter. Doch immerhin war sie nicht mehr allein in ihrem grossen Haus, und da die Eheleute Lang eigentlich nicht auf ein Einkommen von Willi angewiesen waren, fand sich Thea mit dem Minderverdienst ab. Dass Willi seit der Reduktion seines Arbeitspensums meistens zu Hause war, störte Thea deutlich mehr.

    Hobbys hatte Willi keine, ausser einem: Im Estrich hatte er ein Fernrohr aufgestellt und beobachtet zu allen Tages- und Nachtzeiten die Nachbarn, entweder mit dem starken Fernrohr oder mit diversen anderen, handlicheren Ferngläsern. Das hatte zwischen Thea und Willi schon mehrmals zu Streit geführt. Thea befürchtete, nicht zu Unrecht, dass irgendein Nachbar das mal bemerken und sich daran stören könnte.

    Es dauerte, bis die Nachbarn auf Willis Hobby aufmerksam wurden. Die Langs, besonders Thea, waren im Quartier beliebt. Gegen aussen war Willi sehr freundlich und hilfsbereit, hatte schon zweimal das sommerliche Quartierfest organisiert – so weit war nachbarschaftlich vorerst alles in Ordnung – bis eines Tages der Nachbar zur linken, Hans Schuppisser, einen Anruf von Willi erhielt, mit dem Hinweis, er habe eine tote Katze auf der Terrasse. Nun, Schuppissers hatten tatsächlich eine tote Katze auf der hinteren Terrasse, aber die Terrasse war eigentlich von nirgendwo her einsehbar. Von der Terrasse beziehungsweise vom Fundort der Katze her schaute Hans Schuppisser hinauf zu Willis und Theas Haus. Eigentlich konnten die Langs die Katze nur sehen, wenn sie sich aus der Lukarne im obersten Stock ihres Hauses hinausbeugten. Hans Schuppisser war irritiert. Am nächsten Tag traf er Thea Lang auf der Strasse und fragte sie freundlich, ob sie denn die tote Katze auch gesehen habe. «Nein», antwortete Thea ebenso freundlich, aber sie sei auch nicht so aufmerksam wie Willi. Von wo aus Willi denn die Katze entdeckt habe, wollte Hans Schuppisser wissen. «Keine Ahnung», meinte Thea, nun doch etwas besorgt, vielleicht vom obersten Stockwerk aus, sie werde Willi fragen.

    Die Geschichte versandete und schliesslich dachte Hans Schuppisser nicht mehr daran, bis er drei Monate später Carolina Denoth auf der Quartierstrasse traf. Die Denoths sind die VIPs dieses gehobenen Zürichbergquartiers. Marc Anton Denoth ist CEO der Turicum Bank, die in letzter Zeit des Öfteren positiv in den Medien erwähnt worden war, als erfreuliches Ausnahmebeispiel für die Schweizer Bankenwelt. Das Haus der Denoths liegt direkt gegenüber dem Hause der Langs. Es ist das grösste und schönste Haus an der Strasse, eine richtige Villa mit parkähnlichem Garten. Ein hoher Zaun schirmt das Denoth’sche Grundstück ab und der Garten ist von der Strasse aus nicht einsehbar.

    Carolina Denoth erzählte also Hans Schuppisser, dass sie schon zwei Mal, als sie in ihrem Bad im ersten Stock gewesen sei, direkt in einen Feldstecher geschaut habe, der auf gleicher Höhe aus dem Fenster hinter dem Badezimmervorhang der Langs hervorgeguckt habe. Ganz sicher sei sie sich nicht, aber jetzt hätten sie ein blickdichtes Rouleau vor das Badezimmerfenster montiert. Ohnehin, seit Willi Lang so oft zu Hause sei, habe sie schon mehrmals das Gefühl gehabt, dass er eigentlich nicht viel mache, und sie fühle sich auch immer mal wieder beobachtet.

    Während Carolina Denoth und Hans Schuppisser miteinander redeten, kam Kevin Minder hinzu – er wohnt im Haus rechts von den Langs – und Hans Schuppisser und Carolina Denoth erzählten ihm die ganze Geschichte. Schuppisser erinnert sich auch wieder an die tote Katze auf der nicht einsehbaren hinteren Terrasse seines Hauses. «Das ist aber unangenehm», meinte Kevin Minder, «was soll das? Sollen wir mal mit ihm reden?» «Nun», meinte Carolina Denoth, «beweisen kann ich es nicht und verboten ist es ja eigentlich auch nicht, er kann ja behaupten, dass er, was weiss ich, die Landschaft beobachte. Aber behalten wir ihn im Auge.» Die Geschichte machte schliesslich im Quartier die Runde und in der Folge erhielt Willi Lang den Übernahmen «Peeping Willi». Das realisierte Willi allerdings nicht. Thea bemerkte jedoch, dass die Nachbarn zurückhaltender und weniger kontaktfreudig geworden waren. Ein Sommerfest sollte dieses auch Jahr nicht stattfinden, obwohl die Covidvorschriften im Juli 2021 Gartenfeste draussen im kleineren Rahmen erlaubt hätten. Das stimmte Thea nachdenklich. Sie sprach Willi darauf an:

    «Willi, falls du es nicht gemerkt haben solltest, unsere Nachbarn gehen immer mehr auf Distanz zu uns. Sie haben realisiert, dass du sie mit Fernrohr und Feldstecher beobachtest.» «Das stimmt doch gar nicht», warf Willi ein. «Lass mich ausreden Willi. Du hast Fernrohre und du hast Feldstecher. Das haben sie nun mal bemerkt und Caroline Denoth fühlt sich beobachtet.» «Diese Bonzengöre sollte besser auf ihren Mann aufpassen …» Thea unterbrach ihn wieder. «Diese Bonzengöre hat aber auf der Höhe ihres Badezimmers einen Feldstecher bemerkt, der aus einem Fenster unseres Hauses hinter dem Vorhang hervorschaute. Zudem hast du gewusst, als du mich geheiratet hast, dass du in ein, wie nennst du es, «Bonzenquartier» einziehst, und du hast das damals sehr gewollt, so besehen, hast auch du eine Bonzengöre geheiratet. Meinst du, die Nachbarn bemerken deine Einstellung nicht, meinst du, sie spüren nicht, dass du sie beobachtest?» «Ich beobachte sie nicht!» «Doch, das tust du Willi, oder mindestens muss es für die Nachbarn so aussehen. Weisst du, wie sie dich mittlerweile im Quartier nennen?

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1