Sehnsucht nach der großen Liebe: Erika Roman 5 – Liebesroman
Von Helga Winter
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Die beiden alten Leute standen lange auf der Straße und schauten andächtig auf die vielen blanken Messingschilder. Man hätte fast meinen können, sie suchten einen bestimmten Namen auf den vielen Tafeln, die am Eingang des Hochhauses angebracht waren, aber bei näherer Betrachtung bemerkte man, daß dieser Eindruck täuschte.
Das alte, einfach gekleidete Ehepaar sah nur auf die eine Tafel, die den eigenen Familiennamen, aber den Vornamen ihrer Tochter trug. »Dr. Eira Althoff«, las Vater Gregor mit etwas zitternder Stimme.
»Jetzt hat sie es endlich geschafft«, sagte die Frau leise und schob ihren Arm unter den des Mannes. »Ob sie böse ist, wenn wir sie jetzt stören? Sie hat doch sicher viel zu tun, hat sie doch ihr Examen mit ›sehr gut‹ bestanden.«
Sie zögerten, die Drehtür zu durchschreiten, und es störte sie nicht, daß der Pförtner sie aus einer Loge heraus spöttisch unter emporgezogenen Brauen betrachtete. Man sah auf den ersten Blick, daß sie vom Lande kamen. Die Kleidung verriet es ebenso wie die linkische und unbeholfene Art, in der sie auf dem sonnenheißen Pflaster standen.
Der Mann machte keine Anstalten, sein Schiebefenster zu öffnen, als die beiden sich einen Ruck gaben und eintraten. Nur sein Grinsen wurde breiter, als er sah, daß sie zögernd auf den Paternoster schauten. Die haben solch einen Aufzug bestimmt noch nicht gesehen, dachte er verächtlich.
Vater Gregor verzog den Mund, dann ging er mit seiner Frau die zahllosen Stufen der Treppe hinauf. Er war zu alt, um noch solche Abenteuer wie das Betreten einer so modernen Einrichtung zu wagen.
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Sehnsucht nach der großen Liebe - Helga Winter
Erika Roman
– 5–
Sehnsucht nach der großen Liebe
Helga Winter
Die beiden alten Leute standen lange auf der Straße und schauten andächtig auf die vielen blanken Messingschilder. Man hätte fast meinen können, sie suchten einen bestimmten Namen auf den vielen Tafeln, die am Eingang des Hochhauses angebracht waren, aber bei näherer Betrachtung bemerkte man, daß dieser Eindruck täuschte.
Das alte, einfach gekleidete Ehepaar sah nur auf die eine Tafel, die den eigenen Familiennamen, aber den Vornamen ihrer Tochter trug. »Dr. Eira Althoff«, las Vater Gregor mit etwas zitternder Stimme.
»Jetzt hat sie es endlich geschafft«, sagte die Frau leise und schob ihren Arm unter den des Mannes. »Ob sie böse ist, wenn wir sie jetzt stören? Sie hat doch sicher viel zu tun, hat sie doch ihr Examen mit ›sehr gut‹ bestanden.«
Sie zögerten, die Drehtür zu durchschreiten, und es störte sie nicht, daß der Pförtner sie aus einer Loge heraus spöttisch unter emporgezogenen Brauen betrachtete. Man sah auf den ersten Blick, daß sie vom Lande kamen. Die Kleidung verriet es ebenso wie die linkische und unbeholfene Art, in der sie auf dem sonnenheißen Pflaster standen.
Der Mann machte keine Anstalten, sein Schiebefenster zu öffnen, als die beiden sich einen Ruck gaben und eintraten. Nur sein Grinsen wurde breiter, als er sah, daß sie zögernd auf den Paternoster schauten. Die haben solch einen Aufzug bestimmt noch nicht gesehen, dachte er verächtlich.
Vater Gregor verzog den Mund, dann ging er mit seiner Frau die zahllosen Stufen der Treppe hinauf. Er war zu alt, um noch solche Abenteuer wie das Betreten einer so modernen Einrichtung zu wagen.
Im sechsten Stockwerk waren sie völlig außer Atem, aber das Strahlen ihrer Augen war nicht erloschen, denn auch hier wies ihnen eine Tafel mit einem Pfeil den Weg zum neuen Büro der Tochter.
Der alte Schlossermeister war sehr stolz auf Eira, die sich ihr Studium hart und schwer erarbeitet hatte und nun endlich am Ziel ihrer Wünsche war.
Das Wartezimmer war leer, eine Minute später schon öffnete sich die Tür zum Büro, und Eira, ihre Tochter, trat heraus. Sie trug ein strenges Schneiderkostüm, das sie älter und fast ein wenig fremd erscheinen ließ.
»Mutter, Vater!« Einen Augenblick nur stand sie erstaunt da, dann flog sie ihrer Mutter in die Arme, küßte das alte, runzelige Gesicht und schmiegte ihre Wange dann an die des Vaters. Ihre Augen waren feucht geworden, und auch die alten Leute spürten, daß Rührung sie überfiel.
»Stören wir nicht?« fragte Vater Gregor nach kräftigem Räuspern und ließ seinen Blick voller Stolz auf die schlanke Gestalt seiner Tochter fallen.
Ihre Wangen waren rosig, ihr Haar kurz geschnitten, es gab ihr ein ernstes Aussehen, ließ sie aber keineswegs männlich erscheinen, sondern betonte ihre Weiblichkeit gerade durch den Gegensatz, den es zu ihrem weichen, fraulichen Gesicht bildete.
»Kommt nur herein, ihr stört bestimmt nicht, leider…«, sagte sie noch etwas leiser, und ihr Tonfall ließ Frau Hedda mißtrauisch den Kopf heben.
Das Büro war sehr modern und geschmackvoll eingerichtet, die alten Leute waren mit ihm vollkommen zufrieden. Sie sahen nicht, was weltkundigeren Menschen bestimmt aufgefallen wäre – die völlige Leere des großen Schreibtisches.
Nur eine Zeitschrift lag aufgeschlagen dort, die kleine Reiseschreibmaschine stand unter einer Wachstuchhülle auf einem Seitentischchen, die Rollschränke waren verschlossen.
»Schön hast du es hier, Eira. Wir wollen auch gleich wieder gehen, du mußt ja bestimmt arbeiten, aber Mutter hat gesagt, daß wir doch unbedingt einmal in die Stadt fahren müßten, um zu sehen, wie du hier so lebst. Ein schönes Büro hast du«, wiederholte Vater Gregor.
Frau Hedda beobachtete aus den Augenwinkeln heraus das Gesicht ihrer Tochter, und sie begann zu begreifen, daß ein schönes Büro und ein mit »sehr gut« bestandenes Examen vielleicht noch nicht ganz ausreichten.
»Ich werde Kaffee holen lassen«, bot Eira an, telefonierte ein in der Nähe gelegenes Lokal an und gab entsprechenden Auftrag. »Wie sieht es zu Hause aus?« fragte sie dann und versuchte, recht unbefangen zu erscheinen, denn sie wollte auf gar keinen Fall, daß ihre Eltern ahnten, wie es hier bei ihr in Wirklichkeit aussah.
Ihr Büro war eine schöne Fassade, aber es steckte eigentlich nichts dahinter, denn das Wichtigste fehlte ihr: Klienten!
Wer ging schon zu einer Rechtsanwältin, die man nicht kannte, die keinen Namen hatte? Manchmal war Eira verzweifelt, wenn sie den ganzen Tag im Büro gearbeitet hatte, ohne daß außer dem Briefträger, der die üblichen Mahnbriefe brachte, niemand gekommen war.
Die Alten erzählten von den unbedeutenden Ereignissen des Dorfes, von Geburten und Todesfällen, von Hochzeiten und Taufen. Wie weit lag das alles für Eira zurück – eine ganz andere Welt, in der der Lebenskampf nicht so hart und unbarmherzig geführt wurde wie hier in der fremden, großen, feindlichen Stadt.
Niemand kannte sie hier, sie hatte keine Freunde, keine Kollegen, niemanden als sich selbst.
Frau Hedda sah die Einsamkeit in ihrem Gesicht, während ihr Mann behäbig und recht umständlich erzählte.
»Und dann war da noch eins«, brachte der alte Mann schließlich zögernd hervor und warf seiner Frau einen bittenden Blick zu, ihm jetzt das Wort abzunehmen.
Frau Hedda nickte ihm lächelnd zu. »Es handelt sich um folgendes, Eira«, begann sie und faltete ihre Hände fest im Schoß zusammen, denn das Sprechen strengte sie an. »Herr Schlüter, du kennst ihn doch auch, der Sohn des alten Tischlers, ist ja damals auch zur Stadt gezogen und hat hier eine Werkstatt eröffnet und auch gut zu tun gehabt.«
Eira krauste nachdenklich die Stirn, denn an den jungen Schlüter konnte sie sich nicht erinnern, während ihr der alte ein Begriff war. Sie hatte als Kind gern in seiner Werkstatt gespielt.
»Er ist in Schwierigkeiten«, fuhr Frau Hedda fort. »Er hatte einen großen Auftrag für einen Bau und nicht unerhebliche Vorschüsse bekommen, und dann… seine Frau ist plötzlich gestorben, im Kindbett, und ihr Tod… Der Jakob hat sehr an ihr gehangen. Er ist völlig durcheinander gewesen, sagt der Alte, und das Geld hat er für Ellens Begräbnis ausgegeben. Ellen war seine Frau, weißt du, und nun…«
»Sie haben ihn angeklagt. Betrug, sagt der alte Otto, und Jakob kann das Geld nicht aufbringen. Sie haben ihm schon die Werkstatt geschlossen, und wahrscheinlich muß er ins Gefängnis. Und da habe ich gedacht, Eira, weil du dich ja in den Paragraphen auskennst und nun mal hier bist, und Otto Schlüter ist doch so etwas wie mein Freund, da meinte ich natürlich nur, wenn du nicht zu viel zu tun hast…«
»Vater hat Schlüter versprochen, daß du Jakobs Verteidigung übernimmst«, erklärte seine Frau knapp, denn aus dem Stammeln ihres Mannes würde Eira bestimmt nicht klug werden.
Vater Gregor atmete befreit auf und nickte seiner Tochter ein paarmal zu. »Du kennst den alten Schlüter ja auch«, begann er wieder, als ob das eine zureichende Erklärung für sein gutmütiges Versprechen sei.
»Ich werde mich der Sache annehmen.« Eira strich über die welke Hand ihres Vaters, die verloren auf der Schreibtischplatte lag. Ihr Lächeln verriet dem alten Herrn, daß sie ihm nicht böse war, wie er befürchtet hatte.
»Dann wollen wir dich nicht länger stören.« Ganz plötzlich hatte es der alte Gregor sehr eilig, wieder fortzukommen, denn er war ein Mensch, der stets fürchtete, anderen lästig zu fallen.
Es bedurfte vieler Worte seiner Tochter, um ihn zum Bleiben zu bewegen, sie tranken den bestellten Kaffee und gingen dann etwas später zusammen zum Essen.
Ihr Zug brachte sie schon am Abend wieder in ihr Dorf zurück, denn Eira hatte keine Möglichkeit, sie in ihrem möblierten Zimmer unterzubringen, und ihre alten Eltern hatten fast entsetzt abgewehrt, als sie vorschlug, daß sie in einem Hotel übernachten sollten.
Eira kannte die verschlungenen Gänge und Korridore des Gerichtsgbäudes gut, obwohl sie bisher noch kein einziges Mal Gelegenheit gehabt hatte, einen Menschen in diesem grauen, düsteren Gebäude zu vertreten.
Ihr Gesicht war vor Eifer gerötet, in ihren Augen ein froher Schein, als sie ein paar Tage nach dem Besuch ihrer Eltern leicht und beschwingt über die ausgetretenen Dielen ging und sich bei Dr. Wendland melden ließ.
Dr. Torsten Wendland war der zuständige Richter für den Fall Schlüter, den sie unentgeltlich übernommen hatte, und er genoß den Ruf, sehr zurückhaltend, aber gleichzeitig auch von unbestechlicher Ehrlichkeit zu sein.
Aus Gesprächen wußte Eira, daß man ihn im Kollegenkreis nicht schätzte, man nannte ihn hinter seinem Rücken arrogant und eingebildet.
Wendland hatte als Richter ein Vorzimmer mit einer Sekretärin, und Eira wurde von einem gewissen Neidgefühl gepackt, als sie die Aktenstöße sah, die sich auf dem Tisch der eifrigen Dame türmten und teilweise sogar neben ihr auf dem Boden lagen, weil der Platz einfach nicht ausreichte.
»Der Herr Doktor«, wisperte Fräulein Franken, die Sekretärin, und beugte ihren Kopf hastig über die Maschine. Als Torsten Wendland eintrat, hämmerten ihre Finger hurtig auf den Tasten, sie bot ihm das gewohnte Bild eifriger Arbeit.
Er nickte ihr kurz, aber nicht unfreundlich zu und ging schnell durch sein Vorzimmer, ohne Eira, die an der linken Wand auf einem Stuhl saß, wahrzunehmen.
»Ich möchte Sie sprechen«, meldete sich die junge Dame.
Wendland schnellte herum, über seiner kräftigen Nase entstanden zwei tiefe Falten, die ihm einen finsteren und abweisenden Ausdruck gaben.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, stellte er in einem Ton fest, der jede weitere Diskussion ausschloß.
»Die Dame ist Rechtsanwältin«, hauchte Fräulein Franken, ohne die Augen von ihrer Maschine hochzunehmen.
»So, schon wieder eine neue Rechtsanwältin«, stellte Torsten knurrend fest und öffnete die Tür, um Eira in sein Zimmer zu lassen. Seine Geste war alles andere als einladend, genauso unfreundlich wie seine Worte.
»Es tut mir leid, daß mein Dasein ein Ärgernis für Sie bedeutet«, stellte Eira fest. »Hätte ich vorher gewußt, daß Sie etwas gegen weibliche Kollegen haben, hätte ich mich bestimmt für das Medizinstudium entschieden.«
Torsten schaute sie groß an, offenbar war er es nicht gewohnt, daß man seiner Grobheit in gleicher Art begegnete.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, lud Torsten ein, ohne auf ihre Worte einzugehen.
»Ich komme im Fall Schlüter. Sie werden bei der Verhandlung den Vorsitz führen, ich möchte mich mit Ihnen über die Vorgeschichte des Prozesses unterhalten. Zur richtigen Beurteilung eines Falles gehört unbedingt die Kenntnis der menschlichen Hintergründe.«
»Ich danke für die Belehrung.« Torsten verbeugte sich ironisch, und jetzt war das fatale Lächeln auf seinem Gesicht unverkennbar. »Es freut mich immer, wenn ich noch etwas hinzulernen kann. Ich bin nämlich noch sehr unerfahren in meinem Beruf, liebe Kollegin, aber das nur nebenbei.«
Jetzt war es an Eira, verlegen zu werden, denn sie begriff sofort, daß sie einen schweren taktischen Fehler begangen hatte, als sie ihre Einleitung in die Form einer Belehrung kleidete.
»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte sie mit Grimm im Herzen, denn seine ironische Zurechtweisung ließ ihre Antipathie nur noch stärker werden. Dann begann sie: »Jakob Schlüter ist durch den plötzlichen Tod seiner Frau aus der Bahn geschleudert worden. Schlüter genießt