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Die junge Garde Band 2
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eBook342 Seiten4 Stunden

Die junge Garde Band 2

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Über dieses E-Book

Die Hitler-Armeen besetzen das Donezbecken. Doch plötzlich tauchen Flugblätter gegen die Terrorherrschaft auf - von der Jungen Garde, der kommunistischen Jugendorganisation. Der Widerstand setzt ein.
Der Roman die junge Garde basiert auf der wirklichen Geschichte des bewaffneten Widerstands der sowjetischen Jugend gegen die faschistischen Besatzer in der Stadt Krasnodon, die im Donez-Becken liegt. Am 20. Juli 1942 besetzen die deutschen Faschisten die Stadt und die Gräueltaten nehmen ihren Anfang. Im August werden von den deutschen Henkern 58 Menschen lebendig im Stadtpark begraben. Die Stimmung, die unter der nicht mehr aus der Stadt entkommenen Sowjetjugend herrscht, wird durch die Worte des sechzehnjährigen Komsomolzen Oleg Koschewoi charakterisiert: "Nein, das kann man nicht länger ertragen!"
Er organisiert im September 1942 die illegale Gruppe "Junge Garde", die im Oktober schon 103 Mitglieder zählt. Wichtig ist auch, dass die Widerstandstätigkeit der "Jungen Garde" von der illegalen bolschewistischen Partei angeleitet wird. Ihnen wird von erfahrenen Kämpfern geholfen, organisiert, mit Ausdauer und Standhaftigkeit zu arbeiten, um sich in den ständig wechselnden Verhältnissen der Illegalität zurechtzufinden und bewähren zu können.Vier Monate arbeitet die "Jugend Garde". Sie tötet deutsche Soldaten und Polizisten und sammelt Waffen, um beim Herannahen der Roten Armee einen Aufstand organisieren zu können.
Die junge Garde ist ein bewegender Roman besonders für Jugendliche. Er hilft, Klarheit über den Kampf für eine bessere Zukunft zu bekommen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Neuer Weg
Erscheinungsdatum26. Juli 2018
ISBN9783880215207
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    Buchvorschau

    Die junge Garde Band 2 - A. Fadejew

    BAND

    Dem Morgenrot entgegen,

    Ihr Kampfgenossen all! ...

    Des Kampfes sei kein Ende,

    Eh nicht im weiten Rund

    Der Arbeit freies Volk gesiegt

    Und jeder Feind am Boden liegt.

    Vorwärts, du junge Garde

    Des Proletariats!

    Lied der Jugend

    32

    „Ich, Oleg Koschewoi, trete der Jungen Garde‘ bei und lege vor meinen Waffengefährten, vor meiner vielgeprüften Heimat, vor meinem ganzen Volke den feierlichen Schwur ab, jeden Auftrag der Organisation bedingungslos auszuführen und alles, was meine Arbeit in der ,Jungen Garde‘ betrifft, streng geheimzuhalten. Ich schwöre, rücksichtslos Rache zu nehmen für die eingeäscherten, zerstörten Städte und Dörfer, für das vergossene Blut unserer Brüder, für den Märtyrertod unserer heldenhaften Bergarbeiter. Und wenn diese Rache verlangt, daß ich mein Leben opfere, so will ich es hingeben, ohne einen Augenblick zu zaudern. Sollte ich aber diesen heiligen Schwur unter Foltern oder aus Feigheit brechen, so sei mein Name, meine Familie auf ewig verdammt, und mich selbst treffe die strafende Hand meiner Kameraden. Blut für Blut, Tod für Tod! ..."

    „Ich, Ulja Gromowa, trete der Jungen Garde‘ bei und lege vor meinen Waffengefährten, vor meiner vielgeprüften Heimat, vor meinem ganzen Volke den feierlichen Schwur ab ..."

    „Ich, Iwan Turkenitsch, lege vor meinen Waffengefährten, vor meiner vielgeprüften Heimat, vor meinem ganzen Volke den feierlichen Schwur ab ..."

    „Ich, Iwan Semnuchow, lege vor meinen Waffengefährten, vor meiner vielgeprüften Heimat, vor meinem ganzen Volke den feierlichen Schwur ab ..."

    „Ich, Sergej Tjulenin, lege den feierlichen Schwur ab ..."

    „Ich, Lubow Schewzowa, lege den feierlichen Schwur ab ..."

    Es schien, als habe dieser Sergej Lewaschow sie gar nicht verstanden, als er damals zum erstenmal zu ihr kam. Er hatte ans Fenster geklopft, sie war zu ihm hinausgelaufen, und sie hatten dann den ganzen Rest der Nacht miteinander geredet — wer mochte wissen, was der sich seit damals eigentlich einbildete!

    Immerhin entstand die erste Schwierigkeit dieser Reise noch hier, durch Sergej Lewaschow. Sie waren natürlich alte Kameraden, und Lubka konnte nicht wegfahren, ohne ihm Bescheid zu sagen. Sergej Lewaschow war, als Onkel Andrej sich noch in Freiheit befand, auf seinen Rat hin als Fahrer in die Garage der Direktion eingetreten und fuhr einen Lastkraftwagen. Lubka schickte einen Burschen zu ihm, die ganze Schar der Gassenjungen tat ihr gern einen Gefallen, weil sie ihnen im Wesen so ähnlich war.

    Sergej kam spätabends direkt von der Arbeit zu ihr, er trug dieselbe Berufskleidung, in der er aus Stalino gekommen war — unter den Deutschen hatten nicht einmal Grubenarbeiter Berufskleidung zu beanspruchen. Er war sehr schmutzig, müde und mürrisch.

    In sie zu dringen, wohin sie fahre, und zu welchem Zweck, das lag nicht in seiner Art, aber offensichtlich konnte er den ganzen Abend an nichts anderes denken, und er brachte Lubka durch sein brütendes Schweigen ganz aus dem Häuschen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und schrie ihn an. Was sie denn eigentlich sei — seine Frau oder wohl gar seine Liebste. Sie könne jetzt nicht an Liebe denken, wo doch noch so viel im Leben ihrer warte — was er sich denn eigentlich einbilde, sie so zu quälen. Er sei für sie einfach ein Genosse, und sie sei nicht verpflichtet, ihm Rede und Antwort zu stehen. Sie fahre, wohin sie eben fahren müsse — in Familienangelegenheiten.

    Sie sah aber, daß er ihr nicht so recht glaubte und einfach eifersüchtig war, und das machte ihr ein gewisses Vergnügen.

    Sie mußte sich gut ausschlafen, aber er saß da und ging nicht fort. Er war ja so dickfellig, die ganze Nacht hätte er so dasitzen können. Schließlich warf Lubka ihn einfach hinaus. Doch hätte es ihr leid getan, wenn er während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit so bedrückt herumgelaufen wäre, deshalb begleitete sie ihn ins Vorgärtchen, faßte ihn dicht bei der Gartentür unter und preßte sich einen Augenblick an ihn, dann lief sie ins Haus zurück, zog sich sogleich aus und kroch zur Mutter ins Bett.

    Natürlich hatte sie es mit der Mutter auch nicht leicht. Lubka wußte, wie schwer es der alten Frau fiel, allein zu bleiben, sie war der Unbill des Lebens gegenüber sehr hilflos, aber Mutter war ziemlich leicht hinters Licht zu führen, und Lubka herzte und küßte sie und plapperte ihr so viel vor, daß diese auch wirklich alles glaubte, und sie schlief dann gleich hier in Mutters Bett ein.

    Lubka erwachte, als es kaum tagte, und begann, ein Liedchen summend, sich reisefertig zu machen. Sie beschloß, sich möglichst einfach anzuziehen, um ihr bestes Kleid zu schonen, aber immerhin doch möglichst grell, um aufzufallen; ihr bestes Kleid aber aus feinem Crepe de Chine, die blauen Schuhe und die Spitzenwäsche und Seidenstrümpfe packte sie ins Köfferchen. Sie brannte ihr Haar zwischen zwei einfachen kleinen Spiegeln, in denen man kaum den ganzen Kopf sehen konnte, das dauerte fast zwei Stunden, und sie saß dabei in Hemd und Schlüpfer da, drehte den Kopf hin und her, sang und verlegte ihr Körpergewicht vor Anspannung bald auf das eine, bald auf das andere, schräg auf den Boden gestemmte, kräftige nackte, milchweiße Bein mit den kleinen, ebenfalls kräftigen Zehen. Dann band sie den Strumpfbandgürtel um, wischte die rosigen Füße mit der Hand ab, zog fleischfarbene Florstrümpfe und beigefarbene Schuhe an und warf dann das kühle, raschelnde Kleid mit den Tupfen, Kirschen und bunten Kringeln über. Sie aß bereits im Gehen und hörte nicht auf, vor sich hinzusummen.

    Es war ein kalter Tag, die Wolken hingen tief am Himmel und jagten über die Steppe, aber Lubka spürte die Kälte nicht; rotwangig vom Wind, der den Rock ihres grellen Kleides flattern ließ, stand sie auf der Woroschilowgrader Chaussee, mit dem Köfferchen in der Hand und einem leichten Sommermantel über dem Arm.

    Deutsche Soldaten und Gefreite in Lastkraftwagen, die ratternd an ihr vorüberfuhren, luden sie zum Mitkommen ein, sie lachten laut und machten manchmal zynische Gebärden, Lubka aber kniff nur verächtlich die Augen zusammen und nahm gar keine Notiz von ihnen. Dann sah sie einen langgestreckten, niedrigen, hellen Personenwagen herankommen und erkannte einen deutschen Offizier neben dem Fahrer. Da hob sie lässig die Hand.

    Der Offizier drehte sich im Wagen rasch um und ließ seinen von der Sonne ausgeblichenen Uniformrücken sehen — den Rücksitz mußte wohl ein Vorgesetzter einnehmen —, dann hielt der Wagen mit kreischenden Bremsen.

    „Steigen Sie ein, rasch!" sagte der Offizier, öffnete den Schlag und lächelte Lubka zu, wobei sich nur sein Mund verzog. Er schloß den Schlag wieder und machte den Durchgang zum Rücksitz frei.

    Lubka bückte sich, schlüpfte, das Köfferchen und den Mantel in den ausgestreckten Händen, hinein, und der Wagenschlag klappte hinter ihr zu.

    Der Wagen fuhr an und sauste mit dem Winde davon.

    Neben Lubka saß ein steifer, dürrer Oberst mit unfrischem, glattrasiertem Gesicht, Hängelippen und hoher, von der Sonne ausgeblichener Mütze. Der deutsche Oberst und Lubka sahen sich an. In den Blicken beider lag Unverfrorenheit. Der Oberst war unverfroren, weil er die Macht, Lubka dagegen, weil sie eine Heidenangst hatte. Der junge Offizier vorn hatte sich umgedreht und musterte Lubka ebenfalls.

    „Wohin befehlen Sie zu fahren?" fragte der glattrasierte Oberst mit dem Lächeln eines Buschmanns.

    „Verstehe keine Silbe! zwitscherte Lubka, „reden Sie russisch oder halten Sie sonst lieber ganz den Mund ...

    „Wohin, wohin? ..." fragte der Oberst russisch und zeigte mit der Hand unbestimmt ins Weite.

    „Nun endlich begreifst du, Gott sei Dank! antwortete Lubka. „Woroschilowgrad oder richtiger Lugansk ... Verstehst? Na, also! ...

    Kaum hatte sie zu sprechen begonnen, da war all ihre Angst verflogen, und sie gewann gleich ihre natürlichen und ungezwungenen Umgangsformen wieder, die jeden, auch den deutschen Obersten, zwang, alles, was Lubka sagte und tat, als selbstverständlich hinzunehmen.

    „Sagen Sie, wie spät ist es? ... Wieviel Uhr, Uhr — na, so ein Dummkopf!" sagte Lubka und tippte sich mit dem Finger aufs Handgelenk.

    Der Oberst streckte seinen langen Arm aus, um das Handgelenk vom Ärmel freizumachen, bog mechanisch den Ellbogen ein und hielt ihr eine quadratische Uhr an seinem knochigen, von schütterem aschgrauem Haar bewachsenen Arm vors Gesicht.

    Schließlich brauchte man nicht unbedingt Sprachen zu kennen. Wenn man nur wollte, konnte man sich auch so verständigen.

    Wer sie sei? Eine Schauspielerin. Nein, sie spiele nicht Theater, sie singe und tanze. Natürlich, in Woroschilowgrad gäbe es sehr viele Wohnungen, wo sie absteigen könne, viele anständige Leute kenne sie da, sie sei ja die Tochter eines bekannten Industriellen, eines Grubenbesitzers aus Gorlowka. Leider habe ihm die Sowjetmacht alles weggenommen, und der Unglückliche sei in Sibirien gestorben und habe Frau und vier Kinder hinterlassen — lauter Mädchen, und alle sehr hübsch. Ja, sie sei die Jüngste. Nein, sein gastfreundliches Angebot könne sie nicht annehmen, das könnte ein schlechtes Licht auf sie werfen, sie sei ja nicht so eine. Ihre Adresse? Die würde sie ihm bestimmt geben, sie wisse nur noch nicht genau, wo sie absteigen werde. Wenn der Herr Oberst erlaube, so wolle sie seinem Leutnant Bescheid sagen, wie sie sich treffen könnten.

    „Es scheint, Sie haben mehr Chancen als ich, Rudolf!"

    „Wenn das der Fall sein sollte, dann werde ich mir für Sie die größte Mühe geben, Herr Oberst!"

    Ob es noch weit sei bis zur Front? An der Front stehe es so, daß ein so hübsches Mädchen wie sie sich nicht mehr dafür zu interessieren brauche. Jedenfalls könne sie ganz ruhig schlafen. In ein paar Tagen würden sie Stalingrad nehmen. Sie wären schon in den Kaukasus eingedrungen — ob sie das befriedige? ... Wer ihr gesagt habe, daß am oberen Don die Front nicht gar so weit fort sei? ... Oh, diese deutschen Offiziere! Da sehe man ja, daß nicht er allein so redselig sei ... Man sage, alle hübschen russischen Mädchen seien Spioninnen, ob das wahr sei ... Gut: das war deshalb geschehen, weil an diesem Frontabschnitt Ungarn standen. Die seien natürlich besser als diese stinkigen Rumänen oder die Makkaronifresser, aber auf die ganze Bande sei kein Verlaß ... Die Front sei schrecklich ausgedehnt, Stalingrad verschlinge ungeheuer viele Menschen. Sollte mal einer versuchen, das alles zu versorgen! Er würde ihr das an den Linien ihrer Hand erklären, sie solle mal ihr Patschhändchen geben ... Diese große Linie da führe nach Stalingrad, diese unterbrochene hier nach Mosdok — sie habe übrigens einen sehr unbeständigen Charakter! ... Jetzt solle sie das alles um das Millionenfache vergrößern, dann würde sie verstehen, daß ein Intendant des deutschen Heeres eiserne Nerven haben müsse. O nein, sie solle nur nicht glauben, er habe es nur mit Soldatenhosen zu tun, es würde auch etwas für ein hübsches Mädchen abfallen, reizende Sächelchen, hier, für die Beinchen, und hier — sie verstehe doch, was er sage? Vielleicht hätte sie nichts gegen Schokolade einzuwenden? Auch ein Schluck Wein wäre nicht übel bei dem ekelhaften Staub! ... Na, das sei ja ganz natürlich, wenn ein Mädchen nicht trinke, aber immerhin, französischer Wein! „Rudolf, laß mal halten ..."

    Sie hielten etwa zweihundert Meter vor einem großen Vorwerk, das sich zu beiden Seiten der Chaussee hinzog, und stiegen aus. Vor ihnen lag der staubige Abstieg zu einem Feldweg, der an den Rand einer Schlucht führte, auf deren Grund Weiden standen und deren Hang von dichtem, an der windgeschützten Seite schon ganz welkem Gras bewachsen war. Der Leutnant wies den Fahrer an, den Feldweg zur Schlucht hinunterzufahren. Der Wind fing sich in Lubkas Kleid, sie hielt es mit den Händen fest und lief hinter dem Wagen her den Offizieren voraus. Ihre Füße versanken in der zerstampften, trockenen Erde und sie hatte sofort die Schuhe voll Sand.

    Der Leutnant, dessen Gesicht, Lubka bisher fast nicht gesehen hatte, da er ihr immer seinen ausgeblichenen Rücken zukehrte, sowie der uniformierte Fahrer holten einen weichen Lederkoffer und einen weißlichgelben, feingeflochtenen schweren Korb aus dem Wagen.

    Sie ließen sich an der windgeschützten Seite am Abhang der Schlucht im dichten trockenen Grase nieder. Lubka trank, wie sehr man auch in sie drang, keinen Wein. Aber hier auf dem Tischtuch gab es so viele gute Sachen, daß es dumm gewesen wäre, darauf zu verzichten, um so mehr, als man ja eine Schauspielerin, die Tochter eines Industriellen war, und so langte sie denn tüchtig zu.

    Der Sand in den Schuhen war ihr furchtbar lästig, und sie löste die Gewissensfrage, ob eine Industriellentochter so gehandelt hätte oder nicht, kurzerhand damit, daß sie ihre beigefarbenen Schuhe abstreifte, den Sand ausschüttete, die kleinen, beflorstrumpften Füße mit der Hand abwischte und dann so in Strümpfen sitzenblieb, damit die Füße Luft bekamen, solange sie saß. Es schien alles in bester Ordnung — wenigstens nahmen die deutschen Offiziere alles hin, als ob sich das ganz so gehöre.

    Sie hätte aber gar zu gern gewußt, ob an dem Frontabschnitt, der Krasnodon am nächsten lag und der sich durch den nördlichen Teil des Rostower Gebiets zog, viele Divisionen standen. Lubka wußte schon von den deutschen Offizieren, die bei ihnen einquartiert gewesen waren, daß die Rote Armee sich in einem Teil des Rostower Gebiets nach wie vor behauptete. Zum Mißvergnügen des Obersten, der mehr lyrisch als sachlich gestimmt war, sprach sie andauernd von ihrer Angst, die Front könne an dieser Stelle durchbrochen werden, und sie würde dann wieder in bolschewistische Sklaverei geraten.

    Schließlich kränkte den Obersten dieses Mißtrauen gegen die deutsche Waffe, und er befriedigte — „Verdammt noch einmal!" — ihre Neugierde.

    Wahrend sie so saßen, hörte man vom Vorwerk her das immer lauter werdende ungleichmäßige Getrappel von Füßen auf der Chaussee. Zuerst achteten sie nicht darauf, aber es schwoll immer mehr an und füllte die ganze Gegend, als zöge eine endlos lange Kolonne vorbei. Selbst von hier, vom Hang der Schlucht aus, sah man Staubwolken, die der Wind von der Chaussee seitlich hochwirbelte. Man hörte einzelne Stimmen und Schreie, männliche grobe und weibliche klagende, als beweine man einen Verstorbenen.

    Der deutsche Oberst, der Leutnant und Lubka standen auf und reckten sich über den Rand der Schlucht. Die Chaussee entlang kam eine endlose, von rumänischen Soldaten und Offizieren bewachte Kolonne kriegsgefangener Rotarmisten aus dem Vorwerk heran. An der Kolonne entlang, und manchmal durch die Kette rumänischer Soldaten in sie einbrechend, liefen alte und junge Kosakenfrauen und Mädchen, sie schrien und wehklagten und warfen bald der einen, bald der andern sich ihnen aus der Kolonne entgegenstreckenden dürren, schwarzen Hand Brotkanten, Tomaten, Eier, manchmal einen Laib Brot oder gar ein geknüpftes Bündel zu.

    Die Kriegsgefangenen waren halbnackt, in zerschlissenen, geschwärzten, verstaubten Fetzen von Militärhosen und Feldblusen, die meisten barfuß oder mit grauenhaften schuhähnlichen Gebilden oder ausgetretenen Bastschuhen an den Füßen. Sie gingen dahin, bärtig und so mager, daß es schien, ihre Kleidung verhülle nur Gerippe. Und erschütternd war es, wenn auf diesen Gesichtern ein Lächeln aufleuchtete, mit dem sie sich den die Kolonne entlanglaufenden und schreienden Frauen, die von den Soldaten mit Faust- und Kolbenschlägen fortgetrieben wurden, zuwandten.

    Lubka lugte aus der Schlucht hervor, aber schon im nächsten Augenblick lief sie, nachdem sie mechanisch weiße Brötchen und noch irgendwelche Eßwaren vom Tischtuch zusammengerafft hatte, wie sie war, in Florstrümpfen über die zerstampfte, trockene Erde des Feldwegs, kletterte zur Chaussee hinauf und brach in die Kolonne ein. Sie steckte die Brötchen und andere Eßwaren in eine, eine zweite, eine dritte entgegengestreckte schwarze Hand. Ein rumänischer Soldat wollte sie packen, sie aber entwand sich ihm, Faustschläge regneten auf sie herab, sie aber zog nur den Kopf ein, schützte ihn bald mit dem einen, bald mit dem andern vorgehaltenen Arm und schrie: „Hau nur, hau, du Hund! Au, nicht auf den Kopf!"

    Starke Hände zogen sie aus der Kolonne. Sie fand sich am Straßenrand wieder und sah, wie der deutsche Leutnant dem rumänischen Soldaten tüchtige Ohrfeigen verabreichte; vor dem rasenden Obersten aber, der einem zähnefletschenden Hund glich, stand, die Hände an der Hosennaht, ein rumänischer Offizier in salatgrüner Uniform und stammelte etwas Zusammenhangloses in der Sprache der alten Römer.

    Endgültig kam sie aber erst zu sich, als sie die beigefarbenen Schuhe wieder an den Füßen hatte und der Wagen mit den deutschen Offizieren und ihr nach Woroschilowgrad davonsauste. Das Erstaunlichste war, daß auch diese Tat Lubkas von den Deutschen als selbstverständlich hingenommen wurde.

    Ungehindert passierten sie den deutschen Kontrollpunkt und fuhren in die Stadt ein.

    Der Leutnant drehte sich um und fragte Lubka, wohin man sie bringen solle. Lubka hatte sich wieder ganz in der Gewalt, sie zeigte mit der Hand geradeaus die Straße entlang. Vor einem Haus, das ihr für die Tochter eines Grubenbesitzers gut genug erschien, bat sie zu halten.

    In Begleitung des Leutnants, der ihr den Koffer trug, ging Lubka mit über den Arm geworfenem Mantel in das unbekannte Haus. Im Flur schwankte sie einen Augenblick, ob sie versuchen sollte, den Leutnant schon hier loszuwerden, oder ob es ratsamer wäre, in seiner Anwesenheit an irgendeine Wohnungstür anzuklopfen. Sie sah ihn unentschlossen an, er verstand ihren Blick aber ganz anders und zog sie mit dem freien Arm an sich. Im selben Augenblick versetzte sie ihm ohne besondere Wut eine ziemlich tüchtige Ohrfeige und lief die Treppe hinauf. Der Leutnant nahm auch dies als zur Sache gehörig hin und trug Lubka mit einem Lächeln, das man in altmodischen Romanen als ein sauersüßes bezeichnet, demütig den Koffer nach.

    Sie erreichte den ersten Stock und klopfte mit dem Fäustchen so energisch an die erste beste Tür, als kehre sie nach langer Abwesenheit heim. Eine große, hagere Dame öffnete mit gekränkter und hochmütiger Miene. Ihr Gesicht zeigte noch die Spuren wenn nicht einstiger Schönheit, so doch einstiger Schönheitspflege — nein, Lubka hatte wirklich Glück!

    „Danke sehr, Herr Leutnant", sagte Lubka sehr mutig und in fürchterlichem Deutsch, wobei sie ihren ganzen Wortschatz zu Hilfe ziehen mußte, und streckte die Hand nach dem Koffer aus.

    Die Dame, die die Tür geöffnet hatte, blickte den deutschen Leutnant und diese Deutsche in dem grellbunten Kleid mit unverhohlenem Entsetzen an.

    „Moment mal! ..." Der Leutnant stellte den Koffer hin, entnahm mit rascher Bewegung seiner Feldtasche, die ihm an einem Riemen über der Schulter hing, einen Notizblock, schrieb mit einem dicken, unlackierten Bleistift etwas hinein und übergab Lubka das Blatt.

    Es war eine Adresse. Lubka hatte keine Zeit, sie zu lesen noch zu überlegen, wie die Tochter eines Grubenbesitzers an ihrer Stelle handeln würde. Sie schob den Zettel schnell in die Bluse, nickte dem salutierenden Leutnant achtlos zu und betrat das Vorzimmer. Lubka hörte, wie die Dame hinter ihr eine Unzahl von Schlössern, Riegeln und Ketten vorlegte.

    „Mama! Wer war da?" rief ein kleines Mädchen aus dem Zimmer.

    „Still! Ich komme sofort!" sagte die Dame.

    Lubka betrat das Zimmer mit dem Koffer in der Hand und dem Mantel über dem Arm.

    „Man hat mich bei Ihnen einquartiert ... Ich störe doch nicht?" fragte sie und sah die Kleine freundlich an. Sie überflog mit einem Blick die große, gutmöblierte, aber vernachlässigte Wohnung: hier mochte ein Arzt oder ein Ingenieur oder ein Professor wohnen, aber man merkte, der Mensch, für den man sie einst so schön eingerichtet hatte, war jetzt nicht da.

    „Ich möchte wissen, wer Sie eigentlich hergeschickt hat, fragte das Mädchen mit ruhiger Verwunderung. „Die Deutschen oder wer sonst?

    Die Kleine war anscheinend eben erst nach Hause gekommen, sie trug noch eine braune Baskenmütze auf dem Kopf und war vom Wind ganz rot. Sie war rundlich, kräftig und zählte etwa vierzehn Jahre, sie hatte einen stämmigen Hals und runde Backen, und glich im übrigen einem Fliegenpilz, dem man zwei lebhafte Braunaugen eingesetzt hatte.

    „Tamotschka! sagte die Dame streng. „Das geht uns gar nichts an ...

    „Warum geht uns das nichts an, Mama, wo man sie doch bei uns einquartiert hat? Es interessiert mich nur ..."

    „Entschuldigen Sie, sind Sie eine Deutsche?" fragte die Dame verwirrt.

    „Nein, ich bin eine Russin ... Ich bin Schauspielerin", entgegnete Lubka nicht ganz selbstsicher.

    Es entstand eine kurze Pause, in der sich die Kleine ganz über Lubka klar zu werden suchte.

    „Die russischen Schauspielerinnen sind doch alle evakuiert worden! ..."

    Und der Fliegenpilz rauschte, rot vor Entrüstung, hoheitsvoll aus dem Zimmer.

    Und so stand es Lubka denn bevor, die ganze Bitternis bis zur Neige auszukosten, die einem Sieger im besetzten Gebiet die Freude am Leben vergällt. Doch sah sie ein, daß es vorteilhaft für sie war, sich an diese Wohnung zu halten und das zu bleiben, wofür man sie hielt.

    „Ich bleibe nicht lange, ich werde mir eine ständige Wohnung suchen, sagte sie. Und doch hätte sie gar zu gern gesehen, wenn man in diesem Hause netter zu ihr gewesen wäre, und sie fügte hinzu: „Wirklich und wahrhaftig, ich werde bald etwas anderes finden! Wo kann ich mich umziehen?

    Nach einer halben Stunde stieg die russische Schauspielerin in blauem Seidenkleid, in blauen Schuhen, den Mantel über dem Arm, zum Eisenbahnübergang in der Niederung hinab, die die Stadt in zwei Teile teilt, und stieg dann auf einer ungepflasterten Straße wieder in die Höhe zum Kamenny Brod. Sie war auf einer Gastspielreise in die Stadt gekommen und suchte eine feste Wohnung.

    33

    Als vorsichtiger Mensch glaubte Iwan Fjodorowitsch, keinem der Treffpunkte trauen zu dürfen, die man ihm in Woroschilowgrad angegeben hatte. Als beherzter Mann aber riskierte er es, eine alte Bekanntschaft auszunutzen — er wollte zu einer Freundin seiner Frau gehen, einer einsamen, stillen Frau, die im Leben viele Enttäuschungen erlitten hatte. Sie hieß Mascha Schubina, arbeitete als technische Zeichnerin in einer Lokomotivenfabrik und hatte weder bei der ersten noch bei der zweiten Evakuierung des Werks Woroschilowgrad verlassen, einfach, weil sie an ihrer Heimatstadt hing. Trotz allem, was geschah, war sie überzeugt, daß sich die Stadt niemals ergeben würde und daß sie sich noch nützlich machen könnte.

    Iwan Fjodorowitsch beschloß also auf den Rat seiner Frau, zu Mascha Schubina zu gehen, er entschloß sich dazu noch in derselben Nacht, als er mit seiner Frau in Marfa Kornienkos Keller saß. Da sein Entschluß feststand, verlor er keinen einzigen Tag.

    Er schickte den alten Nareshni nach Hause, nach Makarow Jar — im Heimatdorf Kornej Tichonowitschs wußte niemand, daß er und sein Enkel einer Partisanenabteilung angehört hatten —, und er trug ihm und Marfa Kornienko auf, die am Leben gebliebenen Kämpfer der Abteilung zu suchen, sie für die Sache zu gewinnen, unter den Bauern und Kosaken des Dorfes sowie unter den ehemaligen Rotarmisten, die eingekesselt worden waren und sich in den nahen Dörfern niedergelassen hatten, neue Leute zu werben.

    Iwan Fjodorowitsch aber beschloß, sich außer dem alten Nareshni und Marfa Kornienko noch einen persönlichen Stützpunkt im Dorf zu sichern. Er ließ seine Frau Katja als Marfas Verwandte bei ihr, damit man sich an sie gewöhne und damit sie die Behörden des Bezirks kennenlerne. Sie konnte dann irgendwo in einem großen Dorf oder in einer Kosakensiedlung ihre Lehrtätigkeit wieder aufnehmen.

    Während Marfa Iwan Fjodorowitsch zu essen gab, durchbrach ein Alter, ein entfernter Verwandter Marfas, doch den Kordon der Kinder und kam gerade zum Frühstück zurecht. Der wißbegierige Iwan Fjodorowitsch horchte den Alten nach allen Regeln der Kunst aus, er wollte wissen, wie ein einfacher alter Dörfler die Lage einschätzte. Es war derselbe schlaue Alte, der Koschewoi und seine Verwandten gefahren hatte, und dem vorbeiziehende deutsche Intendanten wirklich, seinen Falben weggenommen hatten, weshalb er auch in sein Heimatdorf zu seinen Angehörigen zurückgekehrt war. Der Alte begriff sofort, daß er es nicht mit einem einfachen Menschen zu tun hatte, und gab anfangs ausweichende Antworten.

    „Ja, sieh mal an, die Sache ist nämlich so ... über drei Wochen lang sind ihre Truppen durchgezogen. Eine große Macht ist durchmarschiert! Die Roten kommen jetzt nicht wieder, nein ... Ja, was ist da noch viel zu reden, wo doch schon hinter der Wolga vor Kubyschew gekämpft wird, Moskau ist umzingelt, Leningrad

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