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Erleuchtung für Zweifler: Eine spirituelle Reise nach Thailand, Laos und Kambodscha
Erleuchtung für Zweifler: Eine spirituelle Reise nach Thailand, Laos und Kambodscha
Erleuchtung für Zweifler: Eine spirituelle Reise nach Thailand, Laos und Kambodscha
eBook465 Seiten6 Stunden

Erleuchtung für Zweifler: Eine spirituelle Reise nach Thailand, Laos und Kambodscha

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Über dieses E-Book

Unglücklich und ausgebrannt von ihrem Job, bricht die Berlinerin Astrid Müller aus dem Alltag aus und macht sich auf den Weg nach Südostasien. Sie beginnt ihre Reise mit einem Meditations-Marathon in einem buddhistischen Kloster und erkundet dann die Länder Thailand, Laos und Kambodscha.

Aus dem Inhalt:

Die Autorin ist Anfang vierzig und schon viel zu lange Single. Die Suche nach Sinn und innerer Einkehr lockt sie in die Ferne. Sie zieht in ein Kloster und erlebt mit „Vipassana, Kunst des Lebens“ zehn Tage Meditation nonstop. Danach geht die Reise weiter: In Thailand kommt sie einem Mystiker auf die Spur, in Laos verläuft sie sich im Präsidentenpalast und im bettelarmen Kambodscha entgeht sie nur knapp einem Auffahrunfall mit einem Elefanten. Ihr lang ersehntes Rendezvous mit einem amerikanischen Filmstar nimmt am Ende der Reise eine vollkommen unerwartete Wendung und stellt sie auf die Probe …

Astrid zeichnet mit ihren Beschreibungen ein eindrucksvolles Bild der Länder und Menschen, gibt ihre persönlichen Einsichten preis. Das Wiedersehen mit ihrem Star, Mister X, zeigt ihr, dass die Dinge oft ganz anders sind, als sie erscheinen. Das ist die Botschaft des Buddhismus und auch die gelebte Geschichte der abenteuerlustigen Großstädterin.

Erleuchtung für Zweifler: Die Einladung steht!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Mai 2017
ISBN9783942617260
Erleuchtung für Zweifler: Eine spirituelle Reise nach Thailand, Laos und Kambodscha

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    Buchvorschau

    Erleuchtung für Zweifler - Astrid Müller

    Flugzeug.

    1. Kapitel

    Reisebeginn − hochprozentig und heiß

    Die Begrüßung der Flugbegleiterinnen an Bord ist kühl. Kein Lächeln entgleitet ihnen, ihre Gesichter sind verriegelt. Es gibt schönere Beschäftigungen, als ein ganzes Flugzeug Volltrunkener den langen Weg bis Bangkok zu verpflegen. Doch Buddha prüft uns alle, auch mich. Eingezwängt zwischen zwei komatös benebelte Männer kauere ich mich in den Sitz. Mit verschwitzten Händen fuchteln die beiden übergewichtigen Herren in der Luft herum, scheitern lange beim Schließen ihrer Sicherheitsgurte. Eine Stewardess langt zu, hilft mit steinerner Miene nach. Die Maschine stinkt erbärmlich. Den kollektiven Entgiftungsbemühungen der Passagiere vermag die Klimaanlage an Bord nur wenig entgegen zu setzen. Aufgeheizte Gemüter verlangen lautstark nach Service, die Unterhaltungen werden gebrüllt. Erstmals kann ich während eines Fluges nicht lesen. Auch meditieren ist undenkbar. Ich schließe die Augen und lasse mich einhüllen von Lärm und Gestank.

    Die Geräuschkulisse beschwört lebhafte Bilder meines ersten Arbeitstages im Brandenburger Großraumbüro herauf. Er liegt inzwischen gut zweieinhalb Jahre zurück, doch die Erinnerung ist so deutlich, als wäre es gestern gewesen. Der Betrieb, ein Callcenter, hatte erst vor wenigen Wochen im obersten Geschoß eines schicken Neubaus seine Arbeit aufgenommen und war noch im Aufbau begriffen. Die ersten Kolleginnen telefonierten schon. Es waren Krankenschwestern, die kranke Menschen medizinisch beraten haben. Für die alten Gewohnheiten der kranken Menschen und die Anregung von neuen Impulsen sollte ich ins Spiel kommen und mein Beratungsfeld die Gesundheitsförderung mit Verhaltensänderung sein. Das hilft besonders, wenn man chronisch krank ist.

    Das Callcenter überraschte mit seiner Geräumigkeit und stilvollen Einrichtung. In allen Arbeitsbereichen waren die Wände pastellgelb getüncht und harmonierten mit beruhigendem Blau am Boden. Üppige Grünpflanzen erfreuten sich an den großzügigen Fenstern, die viel Tageslicht spendeten. Es fiel von allen Seiten ein – wie auch der Lärm. Es war laut, sehr laut sogar. Lediglich von dünnen Pinnwänden getrennt, sprachen die Kolleginnen gegeneinander an. Binnen weniger Wochen sollten hundertdreißig Kolleginnen die Beratung aufnehmen und ohne Lärmschutz würden sie ihr eigenes Wort wohl kaum noch verstehen.

    ‚Jeder, der sich in diesem Krach auf eine Beratung zu konzentrieren versucht, wird selbst erkranken!‘, dachte ich bei meinem ersten Rundgang durch das Callcenter. Dann streckte sich mir eine große Hand entgegen und ein hemdsärmeliger Mitarbeiter hieß mich mit festen Griff willkommen. Die Worte des Mannes erschlossen sich mir nur zum Teil und das war weniger dem enormen Geräuschpegel hier geschuldet. Ich bin wirklich nicht schwer von Begriff, aber ich musste drei Mal hinhören und hegte den leisen Verdacht, dem Haushandwerker vorgestellt zu werden. Doch die Dinge sind häufig anders als sie scheinen. Der wenig wortgewandte Altenpfleger war mein Chef.

    An diesem ersten Arbeitstag kamen bereits Zweifel auf, ob ich mich in diesem Betrieb würde verorten können. Am Ende der ersten Woche fühlte ich mich schon fehlplatziert und irgendwie verloren. Doch das Schlimmste kam noch: Die Aufgabe, wofür ich hier laut Arbeitsvertrag antrat, gab es nicht. Stattdessen sollte ich Klinken putzen und im Minutentakt Menschen anrufen, um sie zu überreden, sich beraten zu lassen. Ich war fassungslos. Acht Stunden am Tag sprach ich eine kleine Handvoll Worte in einer Endlosschleife, wieder und wieder. Als Gesundheitswissenschaftlerin und Sozialarbeiterin helfe und berate ich gerne − allerdings Menschen, die aus freien Stücken zu mir kommen. Ich wollte nichts verkaufen, oder irgendwem etwas andrehen. Die Anstellung von Callcenter-Agenten wäre für das Unternehmen sicher billiger gewesen und auch professioneller als meine ungelenken Mitwirkungsversuche.

    Im Betrieb hatte das Chaos Methode. Eine staatliche geprüfte Hauswirtschafterin wurde die rechte Hand des Geschäftsführers und zu seiner Assistentin gekürt. Vor lauter kreativer Eingebungen und Freude beim Einrichten des Callcenters ging ihr der Lärmschutz durch die Lappen − wie auch das Ablegen der Teilnahmeerklärungen von etwa vierzehntausend Kunden. Da es in dem Laden sonst niemanden gab, der die Ablage machte, sortierte ich schließlich auch noch die Teilnahmeerklärungen, was für mich mindestens so geistlos war, wie die Klinkenputzerei. Erstmals erfuhr ich am eigenen Leib, was es heißt, geistig unterfordert zu sein. Zuerst war ich fassungslos und verzweifelt. Knapp vier Wochen brauchte es, die Unabänderlichkeiten im Betrieb zu begreifen, dann begann ich, mich wieder zu bewerben.

    Eine Pflegefachkraft nach der anderen wurde meine Chefin. Irgendwann waren wir bei Nummer sechs angelangt, und ich war nicht mehr offen für neue Persönlichkeiten. Es gab keine Personalabteilung, aber ohnmächtige Führungskräfte, die nach Großgutsherrenart regierten, und es bis heute tun. Von Anfang an fiel mir der Austausch schwer. Eigentlich ist er unmöglich, denn keine der Chefinnen ist von meinem Fach oder hat den Erfahrungshintergrund, den ich mitbringe. Das Management beschließt irgendwann, sich selbst eine Gehaltserhöhung zu gönnen – die Kollegen an der Basis gehen leer aus. Der Betrieb ist miserabel geführt und bleibt es, auch wenn der Geschäftsführer ausgetauscht wird – kluge Köpfe begegnen mir kaum. Inzwischen berate ich immer häufiger ratsuchende Kollegen, denn viele von ihnen sind krank, sehr krank sogar.

    An Bord ist es still geworden. Beharrlich schwebt der Akoholnebel über allen Reisenden. Doch die Durstigen schlafen endlich. Eine Berührung reißt mich aus den Gedanken. Im ersten Moment denke ich, es ist die Hand von meinem Prominenten. Mr. X hat schöne Hände mit langen feinen Gliedern. Jetzt wünsche ich mir, diese Hände würden mich zärtlich berühren. Doch an meinem Ellenbogen rüttelt eine ungeduldige Pranke. Der Dicke rechts am Fenster muss aufs Klo. Es scheint dringend zu sein. Er haucht mir die Nachricht so russisch ins Gesicht, dass es mir den Atem verschlägt. Der Sitznachbar links am Gang schläft. Mein vorsichtiges Antippen soll verhindern, dass er aufschreckt, gefährlich mit den Armen rudert und dabei unkontrollierte Schläge verteilt. Doch das geht dem Dicken rechts zu langsam. Rigoros langt er über mich hinweg, wälzt seine mächtige Wampe auf mich und versucht den Schlafenden wachzurütteln. Ich möchte aber keinen Russen auf meinem Schoß haben! Es bleibt nur, ihn lautstark und handgreiflich wieder zurückzudrängen.

    Aber wer pinkeln muss, muss pinkeln. Ich klettere über den Linken am Gang hinweg. Es ist fraglich, welche Reflexe des Dicken noch funktionstüchtig sind, wie lange die Blase noch ihren Job macht, noch machen kann. Der Dicke von rechts kneift den Linken jetzt ganz ungeniert − ohne Erfolg: Er schlummert selig weiter.

    Dann versucht der Dicke ebenfalls über die Armlehnen zu steigen. Doch er ist viel zu schwergewichtig und zu betrunken. Ich springe zur Seite und es kommt, was kommen muss: Der Mann verheddert sich mit einem Fuß und fällt der Länge nach vornüber. Schwer stürzt er, schlägt mit dem Kopf auf und sinkt stöhnend zu Boden. Aus einer kleinen Wunde am Kopf sickert ein Faden Blut. Offenbar ist auch die Kontrolle über die Blase futsch. Schnell breitet sich ein großer dunkler Fleck auf seiner Jeans aus.

    Die ernsten Flugbegleiterinnen sind in der Bordküche zu finden. Sie handeln wortlos und rasch, pressen Verbandmull auf die Wunde. Mit erstaunlicher Leichtigkeit zerren sie das Schwergewicht auf seine Beine und bugsieren den Mann routiniert zu den Toiletten. Wenig später rüsselt der dicke Unglücksrabe in einer blauen Jogginghose auf seinem Fensterplatz. Bangkok ist noch dreieinhalb Flugstunden weit in der Ferne.

    Meine Gedanken wandern zurück nach Brandenburg. Der tägliche Weg in den Betrieb ist zwanzig Kilometer lang und verschlingt jede Woche fünfzehn Stunden − unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel. Das sind mindestens drei Stunden Lebenszeit pro Tag. Fliegen die jahrelangen Verfehlungen der Berliner S-Bahn auf, ihre Züge zu warten − so jüngst geschehen – verbringe ich sogar vier Stunden im Schienenersatzverkehr. Oder mehr. Mich treibt die leidige Pendelei auf das Fahrrad, mit dem ich in Berlin immer unterwegs bin.

    Tatsächlich sind die Radtouren die schönsten Momente des Tages. In der ausdauernden Bewegung werde ich weich und vermag den Frust loszuwerden, der sich täglich neu formiert. Dabei bin ich weite Strecken in der Natur, treffe neben Füchsen, Kaninchen und Rehen sogar auf Uhus – ein großes Geschenk für eine Berlinerin, die im Zentrum lebt. Der Weg führt von Charlottenburg in der westlichen Innenstadt entlang an vielen bunten Schrebergärten und den alten Backsteinbauten von Siemens in Spandau, immer weiter Richtung Norden. Über die hölzerne Havelbrücke, wo morgens regelmäßig Kormorane ihre Flügel spreizen, um sich nach dem Frühstückstauchgang zu trocknen. Die schönsten Teile der Strecke jedoch liegen im Spandauer Forst, einem Waldstück am Stadtrand Berlins. Besonders im Morgengrauen duftet es dort herrlich frisch. Der Wald lässt meine großstädtischen Ohren unbekannten Vogelstimmen lauschen und mich nochmal tief durchatmen, bevor ich wieder ins Tollhaus muss.

    Eines Morgens steht mitten auf dem Waldweg eine Bache – eine leibhaftige Wildsau. Mein Fahrrad kommt keine drei Meter vor ihr mit einer abrupten Vollbremsung zum Stehen. Ich halte den Atem an. Das imposante Tier wedelt mit seinem borstigen Schwänzchen und nimmt meine Witterung auf. Aus der Deckung des Unterholzes heraus lösen sich elf Frischlinge, die um die Bache herumwuseln. Langsam und nichtsahnend kommen die Kleinen auf mich zu. Das zwischen mich und die Meute gebrachte Fahrrad ist ein lächerlicher Schutz. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen und ein Mobiltelefon besitze ich nicht. Die Straße im Wald ist früh im Morgengrauen kaum befahren. Doch bevor die Frischlinge bei mir angelangt sind, macht die Bache eine resolute Bewegung mit ihrem großen Körper. Sie treibt ihre Jungen weg von mir, weg von der Gefahr und zurück in den Wald. Zögernd folgt sie ihnen, dreht sich immer wieder um. Gebannt warte ich, dann ist auch sie im Unterholz verschwunden. Einige Minuten stehe ich reglos da und warte, bis mein Puls sich normalisiert, dann steige ich auf und fahre weiter.

    Bislang dachte ich, die neue Arbeit gefährde meine geistige Gesundheit. Offenbar steht auch meine körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel. Ich brauche ein Mobiltelefon. So bei einem Zusammenstoß mit wilden Tieren die Zeit bliebe, könnte ich Hilfe rufen. Beinahe zehn Jahre widerstehe ich nun dem Handy-Trend. Dass meine gesamte Mitwelt bereits ein Handy zu besitzen scheint, macht mich ja eher skeptisch. Es war bedeutend ruhiger und die Menschen aufmerksamer, als noch nicht unaufhörlich in Mobiltelefone gequasselt und getippt wurde.

    Es widerstrebt mir, stets erreichbar zu sein. Bis heute, da die mobilfunklose Ära zu Ende geht und ich abends das Handy einer Freundin borge. Doch es bleiben Zweifel. In meiner mädchenhaften Wunschvorstellung sollte es eine romantische Liebe sein, für die ich irgendwann ein Mobiltelefon anschaffe. Ein Mann, dessen Nachrichten mir den Tag versüßen, mit dem ich stets in Verbindung sein möchte. Keine mich zu Notrufen nötigenden wilden Schweine. Doch ich bin vernünftig: Safety first – auch während der Asienreise ist das Handy im Handgepäck – für den Notfall. Jetzt ist es sogar mein eigenes.

    Am Suvarnabhumi-Airport in Bangkok lasse ich die Erinnerungen an Deutschland hinter mir und komme an. Und da ist es, das Glücksgefühl in meinem Bauch, das mich bei jeder Reise überkommt. Ich kann es kaum erwarten, den ersten Fuß in die große heiße Stadt zu setzen. Im Flughafen ist es noch kühl und geschäftig, wie in einem unterirdischen Ameisenhaufen. Meine sturztrunkenen Mitreisenden und ihr unverwechselbarer Geruch verflüchtigen sich rasch, mischen sich mit Menschen aus aller Herren Länder, die in Richtung der Einreiseschalter strömen. In endlosen Schlangen kommen sie vorerst zum Stehen. Nur wenige Schalter sind von Thaibeamten besetzt und geöffnet. Etwa achtzig Reisende harren vor mir in der Schlange. An jeden einzelnen wird die Aufforderung gehen, direkt in die kleine Kamera zu schauen, die ein Foto für das Visum macht.

    Eine Gruppe betagter Engländerinnen in bunten Sommerkleidern wartet vor mir. Ich lausche der Melodie ihres unverwechselbar britischen Dialektes. Die Ladies sind ohne männliche Begleitung unterwegs und beglückwünschen sich dafür. Mit ihren großen Strohhüten auf den Köpfen und um die Hälse baumelnden Sonnenbrillen sind sie bestens gerüstet für die Tropensonne – und für das Warten in Schlangen. Die breiten Krempen der Hüte sorgen dort für gebührenden Abstand, wo Ungeduldige zu dicht aufrücken oder ausscheren. Es sei denn, man steht hinter Passagieren aus Moskau, wie es bei den Ladies scheinbar der Fall ist. Der dicke Unglücksrabe aus dem Flugzeug ist mir unbemerkt zuvorgekommen. Kein bisschen nüchterner schwankt er vor den Engländerinnen. Er trägt noch immer die provisorische Jogginghose von Aeroflot. Die Ladies halten Sicherheitsabstand. Eine drückt sich ein Taschentuch vor die Nase und wendet sich ab. „Bloody hell, this is disgusting!" Ja, es ist wirklich widerlich. Nach gut neun Stunden Flugzeit wird der Mann kaum angenehmere Düfte ausströmen als an Bord. Vielleicht musste er sich zwischenzeitlich auch übergeben oder hat er gerade ausgelassen gerülpst, wie auch im Flugzeug so oft?

    Eine weitere Begegnung mit dem Dicken ist im Kloster eher unwahrscheinlich. Dort herrscht stricktes Alkoholverbot. Jetzt muss der Dicke wieder aufs Klo und hier hat er Platz. Er bricht aus der Warteschlange aus und torkelt in Richtung Toiletten. Es kommt zu Kollisionen, denn sein Weg kreuzt mehrmals die benachbarten Warteschlangen. Allerlei internationale Worte des Unmuts löst er damit aus und verursacht bei Vollkontakten kleine Massenfluchten. Das letzte, was ich von ihm sehe, ist die blaue Jogginghose, dann ist er verschwunden.

    Suvarnabhumi Airport, Bangkok

    Bangkok

    Die Warterei ist eine wunderbare Gelegenheit, um das Meditieren zu üben. Erste Bekanntschaft damit habe ich in einem buddhistischen Zentrum der Tibeter gemacht. In einem alten roten Backsteinhaus, kaum zehn Minuten von meinem Berliner Zuhause entfernt, tauchte ich in die Stille ein. Nach einem Arbeitstag im Getöse waren die Abende dort pure Entspannung. Anfangs saß ich nur da und schnupperte den Duft der Räucherstäbchen, blinzelte dem großen goldenen Buddha zu und atmete tief. Es dauerte ein wenig, bis die Konzentration auf die Anleitung zur Meditation gelang. Nach einigen Wochen sickerten die Worte immer tiefer ein und langsam lernte ich zu meditieren. Bis heute empfinde ich Freude, sobald ich das alte rote Backsteinhaus betrete. Im kalten Winter empfängt die große Meditationshalle mich mit molliger Wärme. Klettert das Thermometer im Berliner Sommer auf über fünfunddreißig Grad, bleibt es dort dennoch kühl. Ganz anders als hier in Thailand.

    Bangkok ist heiß und laut wie immer. Es ist gleichgültig, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man ankommt – die Stadt ist immer wach, ihr feuchtwarmer Atem steht niemals still. Nachts wird das Brummen der zahllosen Mopeds, Klimaanlagen und Autos nur etwas leiser und schwillt lange vor Sonnenaufgang bereits wieder an. Es ist Nachmittag, und ich versuche unversehrt die Straßenseite zu wechseln. Müde von der Reise stehe ich am Straßenrand. Die tropische Sonne schwebt grell am Himmel. Der rasante Linksverkehr Bangkoks ist herausfordernd und verlangt nach jenem Koordinationsvermögen, mit dem andere gesegnet sind. Eine wie ich kann in der Hauptstadt Thailands leicht unter die Räder geraten. Dann endlich, nach einigen Adrenalinschüben, wird ein Plätzchen im Gehirn frei und lässt mich die neuen Verkehrsregeln begreifen: Den Kopf in die ungewohnte Richtung rechts drehen und augenblicklich dem Impuls Losgehen folgen. Denn bliebe ich stehen, führe kein Fahrzeug langsamer. Tue ich bei einer Lücke in der Blechschlange jedoch so, als hätte ich keines gesehen und marschiere los, lassen mich die motorisierten Bangkokians großzügig queren, wenn auch mit Hup-Konzerten.

    Auch auf den Fußwegen – so überhaupt vorhanden – muss auf jeden Schritt achtgegeben werden. Große tiefe Löcher lauern in Gehwegplatten sowie Müll und Bordsteine von extremer Höhe. Letztere verhindern das Fahren von Mopeds auf Bürgersteigen, lassen Fußgänger jedoch oft ins Stolpern geraten. Hier in der Hauptstadt Thailands spüre ich, wie ich mit dem Leben davonkomme, sei es nur auf dem kurzen Weg zum Bahnhof.

    Mein erstes Ziel ist die Hua Lamphong Central Trainstation, ein alter Bahnhof, der im Zentrum Bangkoks liegt. Wie Bienen schwärmen die Thais dort umher. Sie eilen vom Gleis in die große Wartehalle, schleppen große Pakete mit sich und viele Kinder – manche einen Karton mit lebenden Hühnern. Am Schalter lausche ich den fremden Worten und beobachte das emsige Treiben. Morgen schon soll es in Richtung Kloster gehen, mit einer alten koksbetriebenen Zuckelbahn in die Provinz Isaan im Nordosten des Landes. Es braucht eine kleine Diskussion, bis der freundliche Mann in Uniform meinem Wunsch entspricht. Eine weiße alleinreisende Frau ist hier in Thailand etwas Exotisches: Sie braucht doch Aircondition und einen weichen Sitz, besser noch eine Liege, weil die Fahrt so lang ist. Die Fürsorglichkeit des Beamten rührt mich. Er möchte mir ein 1. Klasse-Ticket verkaufen. Der Mann weiß nicht, dass ich zahllose Stunden in der Berliner S-Bahn abgesessen habe. Mir erscheint eine Tagesreise frei von Sitzkomfort und kalter Kunstluft wie Luxus. Sie bedeutet für mich unverfälschtes Erleben. Bestimmt lächle ich zurück und der Mann überreicht mir die 3. Klasse-Fahrkarte.

    Hua Lamphong Trainstation

    Beschwingt schlendere ich durch die mir noch vage bekannte Gegend rund um den alten Bahnhof. Die Metropole Bangkok wird bei jedem Besuch vertrauter und bleibt doch beharrlich fremd. Entweder lauert der Gestank von kompostierendem Abfall an der nächsten Ecke oder der köstliche Duft einer mobilen Straßenküche oder beides. Die Abgase der endlosen Blechlawinen schweben über der Stadt. Am Ende einer Gasse trotzt ein kleiner Stand mit frisch gepressten Fruchtsäften der gnadenlosen Sonne. Mit großem Durst steuere ich darauf zu. Zwei junge Straßenhunde tollen hechelnd umher. Sie haben offenbar verlässliche Futterstellen und sichere Schlafplätze, sehen noch unbeschadet aus. Eine Katze beobachtet das bunte Treiben aus einem sicheren Hauseingang im Schatten. Frische Mangos, Ananas, Papayas und Zitrusfrüchte schmücken die kleine Saftbar. Ein alter Mann deutet zahnlos lächelnd auf seine Schätze. Heute soll es für mich Orangensaft sein. Der landestypische Orangensaft wird in Thailand gesalzen. Erst ganz hinten auf der Zunge wird dieser scheinbare Widerspruch merkbar und möchte dann an Deutlichkeit nicht mehr nachlassen. Bei jedem weiteren Schluck drängt er sich mehr auf und breitet sich aus, wie so vieles im Leben.

    Die Schritte werden größer, ich laufe schneller. Es ist kurz vor Sonnenuntergang und die Plagegeister Thailands, die Moskitos, sind da. Wie eine Heimsuchung fallen sie in den Stunden der Dämmerung über alles her, was Nahrung verspricht – so auch über meine nackten Arme und Beine. Freundliche alte Menschen sitzen in den Gassen vor ihren Häusern. Sie lächeln mich an und wollen helfen. Einfach so. Denken, die blasse Fremde hat sich verirrt. Im Grunde stimmt das ja, bin ich doch hierhergekommen, suche in Thailand nach etwas, was ich in Deutschland verloren glaube und bislang nicht wieder finden konnte. Doch heute Abend möchte ich nur umherstreunen, bis es Zeit zum Schlafen wird. Die Alten sprechen kein Englisch und ich kein Thai. Unser Lächeln reicht für einige stille Dialoge auf dem Rückweg zum Guesthouse. In einer Straßenküche schlürfe ich eine Suppe. Dann falle ich ins Bett.

    Die zehn Stunden Schlaf in der letzten Nacht sind rekordverdächtig. Ich habe tief geschlafen und fühle mich erfrischt. Der Tag kann kommen – ich bin bereit für das Kloster. Um 8 Uhr früh zuckelt die alte Koksbahn gemütlich ihre vierhundertfünfzig Kilometer gen Norden. In allen Waggons der 3. Klasse sind die Deckenventilatoren im Eimer. Es ist bereits so warm, als hätte jemand einen Fön eingeschaltet. Einige Fensterklappen lassen sich noch öffnen, verschaffen jedoch kaum Luftzug. Mit kleinen bunten Fächern bewedeln Frauen und Männer ihre Kinder und sich selbst. Die Fahrt wird rußig. Zahllose kleine Kokspartikel flirren durch die Luft, kleben auf der schweißnassen Haut, nisten sich im Gewebe der Kleidung ein.

    Draußen zieht Bangkok vorbei, das reiche und das arme. Fast direkt an die Gleise drängen sich Wellblechhütten und andere armselige Behausungen, bunte Wäschestücke wehen im Wind, während kleine Kinder im Dreck spielen. Dann wieder die Moderne: Schicke Autos auf glatten Straßen, postmoderne Architektur. Immer wieder Müll und kleine Straßenküchen. Auf jedem Kilometer weht ein anderer Geruch hinein.

    Hinter den Außenbezirken der Metropole breitet sich grüne Sumpflandschaft aus. Erste Reisfelder werden sichtbar. Nah bei den Gleisen waten Störche und weiße Reiher im Lotus und Schilf umher. Sie wissen, dass der Zug nicht ausschert, heben erst ab, wenn er fast neben ihnen fährt.

    Bei jedem Halt schwärmen Obstverkäuferinnen von beiden Seiten der Waggons hinein und bieten Mango, Papaya und Ananas als Fingerfood feil. Ich kaufe einige Früchte und würze sie mit süßem Chilisalz. Diese Nahrung hält wach und vital in den Tropen, verschafft dem Körper die Mineralien und Nährstoffe, die er so rasch bei anhaltendem Schwitzen verliert. Bis mittags gegen 13 Uhr ist die Hitze im Zug betäubend. Sie vernebelt mein Gehirn. Unablässig läuft der Schweiß von der Stirn in die Augen und den Nacken hinab, sorgt für ein permanentes Gekribbel auf der Haut. Mein als Fächer genutztes Meditations-Buch habe ich bereits durchgeschwitzt – es zerfällt in seine Einzelteile. Das mechanische Klappern und Ruckeln ist derart einschläfernd, dass nur Dösen und Schlafen bleibt.

    Ob es im Kloster Deckenventilatoren gibt, die die Hitze des Mittags mildern? Es werden ähnliche Temperaturen herrschen wie hier. Was, wenn ich im Kloster auch einfach wegnicke und umkippe? Auch gibt es im Schneidersitz keine Rückenlehne, wie im Zug. Dafür bleibt dann mein nassgeschwitztes Kreuz nicht daran kleben, wie an diesem beinharten Sitz, überlege ich trotzig.

    Ich mache mir Sorgen. Habe plötzlich Angst, es nicht zu schaffen. Noch bevor es überhaupt angefangen hat, sehe ich mein Vorhaben bereits im Geiste scheitern. Wegen Hitze, Jetlag und Erschöpfung. Da sind sie also, die ersten Zweifel. Sie schleichen sich an, versuchen meine Freude auf das Vorhaben zu verdrängen und übernehmen das Regiment. Dabei kann ich noch nicht wissen, wie es werden wird. Ich muss es erleben, denn die Situation liegt noch in der Zukunft. Und genau das möchte Vipassana ja vermitteln: Die Erfahrung am eigenen Leib und am eigenen Geist. Heute ist heute und Kloster ist morgen! Ich schicke die bösen Vorahnungen zurück in die Wüste, schließe erneut die Augen und schlafe wieder. Offenbar ist es den Zweifeln auch zu warm. Sie bleiben vorerst auf Abstand.

    Am späten Nachmittag wird es endlich kühler. Vermutlich nur ein oder zwei Grad, doch die fühlen sich an wie zehn. Bangkok liegt weit hinter uns. Die Koksbahn zuckelt durch den Nordosten Thailands und ist fast leer. Die wenigen Menschen, die zusteigen, sind ärmlich gekleidet und haben eine dunkle Hautfarbe. Sie mustern mich neugierig. Irgendwann bin ich die einzige Weiße im Zug.

    Rund elf Stunden Fahrt sind vergangen. Aus dem Spiegel des Hotelzimmers starrt mir ein Geist entgegen. Mein Gesicht ist vollkommen schwarz, die hellblonden Haare zu stumpfem Grau-Schwarz mutiert. Surreal tritt das Blau und Weiß meiner Augen hervor, die rosa Bluse ist bleifarben. Ich dusche lange, schrubbe den hartnäckigen Ruß von meiner Haut und versuche vergeblich, die verkoksten Kleidungsstücke zu waschen. Mittlerweile erkenne ich die Vorteile eines 1. Klasse-Tickets.

    Es geht auf 23 Uhr zu, als ich hungrig in die Innenstadt wandere. Nach dem endlosen Sitzen ist der Bewegungsdrang da, auch wenn es bereits viel zu spät ist, um als Frau die unbekannte Stadt zu erkunden. Es ist der letzte Abend, an dem ich laufen kann, laufen darf – die letzte Nacht, bevor es ins Kloster geht. Die Straßen Khon Kaens sind spärlich beleuchtet und der Verkehr gefährlich. Niemand ist bereit, vom Gas zu gehen, wie in Bangkok, wo man Reisende meist mit Fassung und viel Geduld passieren lässt. Um ein Haar werde ich beim Überqueren der Straße angefahren. Der Schreck ist groß, mein Herz rast. Und da ist es wieder, das Gefühl der eigenen Verwundbarkeit. Trotz Müdigkeit muss ich achtsamer sein, wenn ich nicht unter die Räder kommen will.

    Die Straßenküchen sind bereits geschlossen, doch auf einem großen Platz in der Nähe findet Open-Air-Kino statt. Buddha ist mit mir, es läuft ein Musical oder Musikfilm, die Töne klingen indisch und sind ohrenbetäubend laut. Die aufgestellten Verstärker hätten gut und gerne die Berliner Loveparade beschallen können. Es ist tatsächlich ein indischer Streifen aus der Traumfabrik Bollywood. Auf der Leinwand wird gerade getanzt. Die Frauen tragen farbenfrohe Saris und sind atemberaubend schön. Vater und Sohn fechten einen Streit aus und bringen die rauschende Choreografie zu einem vorzeitigen Ende. Die Frauen beginnen bitterlich zu weinen. Sie versuchen, die sich nunmehr an den Kragen gehenden Männer zu trennen. Der Film hat keine Untertitel. Gebannt sitzen die Thais im Schneidersitz auf dem Boden und folgen dem Treiben auf Hindi.

    Ich stehe einfach da und lasse die Szene einsinken. Im anhaltenden Getöse merke ich plötzlich, wieviel Aufmerksamkeit ich hier errege. Viele Augenpaare von Zuschauern sind auf mich gerichtet, ohne ein Lächeln. Keine einzige weibliche Thai ist hier anwesend – geschweige denn eine Weiße. Das Kino ist ein Männerhappening und meine Anwesenheit nicht erwünscht. Für einen kurzen Moment kriecht nackte Angst in mir hoch. Ich wende mich ab, trolle mich zurück ins Hotel und gehe hungrig schlafen.

    Am Morgen beginnt die Suche nach der Busstation. Ein Mini-Van wird mich dort auflesen und die verbleibenden dreißig Kilometer in das Kloster Dhamma Suvanna fahren. Im Hotel spricht niemand Englisch und einen Stadtplan scheint es nicht zu geben. So suche ich auf der Straße nach Tuk-Tuk-Fahrern, jenen Akrobaten, die sich, motorisiert auf drei Rädern, allen Herausforderungen im asiatischen Straßenverkehr stellen. Sie kennen sich aus, haben auf jede unverstandene Frage eine Antwort. Binnen weniger Minuten sehe ich mich umringt von zahlreichen Fahrern. Die Männer verstehen das Wort „Bus" und zeigen in alle Himmelsrichtungen. Ich habe ein Luxus-Problem und erfreue mich vieler verschiedener Wegbeschreibungen. Keiner versteht mich, ebenso wenig, wie ich die Männer verstehe.

    Eigentlich wird das Reisen in einem solchen Moment besonders interessant: Ich bin angewiesen auf die Mitmenschlichkeit und Intuition meines Gegenübers, gezwungen, zu vertrauen, ja mich anzuvertrauen, weil mir eine eigene Einschätzung der Lage – der örtlichen Lage der Busstation – nicht möglich ist. Doch das fällt mir schwer in Gegenwart so vieler Männer, die sich beinahe überschlagen, um bei mir das Rennen zu machen. Und weil einige bereits nach dem Rucksack auf meinem Rücken und dem Handgepäck greifen. Und vermutlich gleich nach mir. Wie sehr ich diese körperlichen Übergriffe hasse. Ich zerre mein Gepäck zurück zu mir und fletsche im Geiste bereits die Zähne, bin nur noch Angehörige einer Industrienation, nur noch Weiße und will den gewohnten Radius wahren. Und bleibe dennoch höflich. Der Grad des freundlichen Umgangs ist erstaunlich schmal hier für eine Frau: Wie breit darf ein Lächeln gelächelt werden?

    Immer mehr Männer kommen heran und beraten lautstark über das Fahrziel. Plötzlich drängt ein Beschlipster durch das Männermeer. Er spricht feinstes US-amerikanisches Englisch und entschuldigt sich galant für den Mangel nötiger Sprachkenntnis seiner Landsleute. Als wäre nicht ich diejenige, die hier versäumt hat, sich mit der Landessprache zu rüsten. Der Mann verkündet, er werde an einem Bildungskongress teilnehmen, der heute im Hotel stattfindet. Das mag ich mindestens genauso wenig: von gut situierten Männern gerettet werden. Dennoch lasse ich mir eine Zeichnung von ihm machen. Beschriftet in Thai kann ich sie den Fahrern zeigen. Die Busstation ist natürlich jedem Fahrer ein Begriff, alle lachen nun, fragen den feinen Herrn nach meinem Reiseziel. Mein Wunsch, hier zu meditieren, lässt sie staunen: Mit einem Wai, jenem respekterweisenden Nicken, für das hier die Handflächen vor dem Herzen aneinander gelegt werden und der Kopf sich neigt, danken sie mir diese Antwort.

    Es ist noch Zeit bis zur Abfahrt und so streune ich von der Busstation zum nahegelegenen Einkaufszentrum. Die letzten Stunden vor der Klosterstille werden gefüllt mit Kitsch und Krach. Grelles Neonlicht schreit mich an, blendet mich fast mehr als die tropische Sonne draußen. Der Rucksack bleibt in der Obhut der schönen jungen Thai-Frauen am Informationsschalter. Sie sehen aus wie Models und tragen Make-up auf einem ohnehin makellosen Teint. Sofort werde ich mir meiner inzwischen zu Beulen ausgewachsenen Insektenstiche der ersten Reisenacht gewahr. Dabei ist für Dünnhäuter jeder Abdeckungsversuch sinnlos. Auch bin ich auf dem Weg in die Reizlosigkeit für die nächsten zehn Tage. Und Mr. X, mein Promi, weilt gerade in Europa, also tausende Kilometer weit weg. Nur ich muss mein ungeschminktes und verbeultes Gesicht im Spiegel ertragen, so es im Kloster überhaupt welche gibt.

    Der Krach treibt mich in das Untergeschoß der Shoppingmall, doch leiser ist es hier unten keineswegs. Thais haben in ihren Ohren augenscheinlich keine Abstufung für Dezibel. Sie sind schmerzfrei, was Lärm betrifft. Eine ganze Hand voll Lärmquellen können gleichzeitig tröten und flöten, kreischen und quietschen – weder Alte noch Kinder, Frauen oder Männer zeigen kleinste Anzeichen von Überlärmung. Ein Fernseher in Bangkok kann ein ganzes Dorf beschallen. Auf den Inseln oder in der Provinz ist es genauso. Nur wir Gestressten aus dem Westen leiden – die Thais aber lieben es laut. Auch die kleinen Damenboutiquen hier unten werden mit Musik beschallt – jede einzelne mit einer anderen. Wenigstens entkomme ich dem Geballer der Gameboys im Erdgeschoß, an denen die Kinder der shoppenden Mütter sitzen. Ich lächle in mich hinein, tanke den Krach, wohlwissend, dass mich in wenigen Stunden die absolute Stille im Kloster erwartet.

    Thailands Mode für Frauen erinnert an die Mädchenkleidung in heimatlichen Kinderabteilungen. Der wunderbare Kitsch, den es hier für Frauen gibt, lullt mich ein. Meine Hände greifen hinein, fassen alles an, saugen auf, ganz in Erwartung des vollständigen Entzugs vertrauter Sinneseindrücke. Vor den herrlichen Rüschen, Herzchen und zahllosen Volants, die die Garderobe der Thailänderinnen zieren, bin ich anatomisch wegen westeuropäischer Grobschlächtigkeit geschützt. Was in den USA die Konfektionsgröße XXS hat, lautet hier XXL. Das ist beruhigend. Kein Shoppen, nur Schauen. Dann ein schwacher Moment: Smaragdgrüne Flip-Flops mit Blüten aus glitzernden Glasperlen und Garn bestickt, in meiner Schuhgröße, die man sonst in Thailand vergeblich sucht – Hilfe! Das Garn ist gewachst und die Blümchen lassen sich herrlich modellieren wie eine Skulptur. Ganz sicher werde ich nie wieder die Möglichkeit haben, solche Latschen zu ergattern, außer im Hier und Jetzt, in Khon Kaen, in Thailand. Keine dreißig Minuten bevor es in den Totalentzug, in die Isolation geht, gebe ich mich hin und kaufe.

    Eine junge Verkäuferin spricht mich an. Sie versucht es ehrgeizig, bemüht sich um Englisch und mischt es mit Thai. Ganz und gar schief stehen ihre Zähne in dem hübschen Gesicht. Sie weiß es und hält immer wieder die Hand vor ihren Mund. Es ist gerade diese Unvollkommenheit, die sie zur Schönheit kürt. Ich lächle nur. Ein ums andere Mal wandert ihr Blick von meinen Augen zu meinem Haar. Nach vier Haarwäschen ist es wieder hellblond. Sie zeigt darauf und kichert verschmitzt, wird immer aufgeregter. Das macht mich neugierig, doch ihre Worte bleiben noch immer unverstanden. Schüchtern holt sie schließlich ein abgegriffenes Büchlein unter dem Ladentisch hervor. Es ist vollkommen zerlesen. Auf dem Cover ist Jesus Christus abgebildet, in einem weiß wallenden Gewand und mit langem gelbem Haar. Seine Augen leuchten hellblau. Stolz berichtet die junge Frau, sie sei 2010 zu den Zeugen Jehovas konvertiert. In mir vermutet sie eine nahe Verwandte. „Sister! – „Sister!!! Mit einem strahlenden Lächeln werde ich für die Schwester von Jesus Christus gehalten. Es ist es kaum auszuhalten, wie ehrfürchtig sie mich ansieht. Ich bin wohl die erste blonde Europäerin, die die junge Frau zu Gesicht bekommt. Ich versuche ihr zu erklären, aus welchem Grund ich hier bin. Das ist schwer. Doch das Wort Buddha versteht sie. Wir lachen beide. Ich sehe sie denken, ihre Zweifel an meinen Worten. „You Buddha? No, you Sister Jesus!" Mit verklärtem Blick verabschiedet sie mich, als wäre ich ein Wunder. Wie gerne möchte ich es zerstören. Ich sehe Religion kritisch und eine religiöse Autorität möchte ich noch weniger sein.

    Auf den Stufen vor der Shoppingmall gönne ich mir noch einen letzten leiblichen Genuss, bevor der Speiseplan des Klosters das Regiment übernimmt: Limetten-Hühnchen mit Koriander und Chili. Es wird einfaches vegetarisches Essen geben und mir bereitet das bei der Anmeldung genannte Wort „basic" irgendwie Unbehagen. Um mich herum futtern Thais und mustern neugierig das, was ich esse. Dann stehen Männer wie Frauen auf und bringen mir dunkelroten Sticky Rice – süßen Klebereis und verschiedene Gemüse, Fisch, gesalzenen Orangensaft und Servietten. Sie lächeln und nicken, schenken mir ihre Gastfreundschaft. Mir wird ganz warm ums Herz. Kleine Kinder zeigen mir, wie mit den Händen der Reis in das Curry gedippt und zum Mund geführt wird. Sie lachen, weil ich mir ständig etwas aus den Fingern flutscht. Schließlich bringt ein kleiner alter Mann mir eine Plastikgabel. Wir schmatzen und lächeln, doch geben darf ich keinen einzigen Baht-Schein, die Thai-Währung, für das köstliche Essen. Man scheucht mich resolut zurück in den Schatten. Den Mund halten soll ich und aufessen. So leicht geht Teilen hier in Thailand. Mit vollem Bauch und schwerem Rucksack auf dem Rücken danke ich den freundlichen Menschen mit einem Wai und wanke zur Busstation.

    2. Kapitel

    Es wird ernst - es geht ins Kloster

    Vier ältere Thai-Ladies begrüßen mich an der Busstation mit einem Wai. „Sind Sie Astrid Müller? − Wie können Sie wissen, dass ich es bin? „How did you know, I am Astrid? Verwundert setze ich mich zu den Frauen. In der Wartehalle befinden sich noch andere weiße Reisende und meine Anmeldung für das Seminar enthielt kein Foto „I thought you searching for something, while carry heavy. This is looked German!" Wie eine Suchende sehe ich aus und ich trage schwer, das sehe deutsch aus. Selbst hier in der thailändischen Provinz bin ich als Deutsche erkennbar. Vorbei der Traum, in Thailand, wo so viele meiner Landsleute unterwegs sind, unerkannt als Skandinavierin oder Amerikanerin unterzutauchen. Wie gerne hätte ich meine Herkunft für wenige Wochen abgestreift, doch offenbar brauche ich nicht einmal zu sprechen. Man muss mich nur sehen. Shalini ist eine der Dhamma-Helferinnen und wird während des Kurses für mein und das Wohl der anderen Teilnehmer sorgen. Sie lächelt mich aufmunternd an. Ihre Worte wollen verdaut werden.

    Nach und nach treffen andere Teilnehmer ein, weitere Verrückte, die, wie ich, freiwillig in den Knast auf Innenschau gehen. Neugierig mustere ich sie – noch darf ich das ja. Eine schwarze Üppige drängelt vorbei, um ihre Ankunft zu melden. Resolut, sauberstes Weststaaten-Englisch. Die Wimpern von einer ungeschminkten Pracht, die jede Bollywood-Schönheit in den Wahnsinn treiben könnte und das krause Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Ihr Rucksack wirkt federleicht und beneidenswert austariert. Ganz sicher bringt er satte acht Kilogramm weniger auf die Waage als meiner. Freundlich lächelnd erwidert sie meinen Gruß.

    Das Paar, das nun erscheint, begrüßt alle mit Handschlag. Die junge asiatische Frau zappelt wie verrückt. In dem Moment, da sie

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