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Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman
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Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman
eBook149 Seiten2 Stunden

Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte: Roman

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Über dieses E-Book

Der größte Teil des Lebens ist gelebt, die Tage sind gekommen, in denen die Lebensernte eingefahren wird. Vieles, was er sich vorgenommen hatte, hat er erreicht, manches, was er erreichen wollte, ist auf der Strecke geblieben. Eine Begebenheit hat in all dem Drunter und Drüber, das seinen Lebensweg so holprig machte, zeitlebens im Unterbewussten rumort. Der Vater, Küfermeister in einer südbadischen Kleinstadt, kehrt bereits im ersten Kriegsjahr schwer verwundet, kriegsuntauglich und desillusioniert zurück nach Hause. Er macht aus seiner Abneigung gegen den NS-Staat keinen Hehl. In der Werkstatt, am Wirtshaustisch sagt er, was er über Adolf Hitler und »seine Bande« denkt: »Die müssen wieder weg.« Der Ortsgruppenleiter verwarnt ihn, aber er lässt sich nicht mundtot machen und bringt mit seiner Renitenz sich und seine Familie in existenzbedrohende Schwierigkeiten und sich schließlich ins Gefängnis. Nach Kriegsende drängen auch jene wieder zur Geltung, die das Leben des Vaters beschädigt haben, der Lehrer zum Beispiel. Damit wird er nicht fertig. Er hält sich nun mehr und mehr im Wirtshaus auf, kommt ins Saufen, zerstört die Familie. Der Sohn, der Ich-Erzähler des Romans, ist ein introvertiertes, leicht versponnenes, überängstliches Kind, das unter der Unbesonnenheit und gelegentlichen Brutalität des Vaters leidet und viele Stunden im Luftschutzkeller verbringt, auch wenn es keinen Fliegeralarm gibt. Die Großmutter tröstet ihn, wenn seine Angst vor dem Vater übermächtig wird. Oben in der Mansarde hört er, wenn der Vater betrunken nach Hause kommt und in der Küche mit Geschirr um sich wirft.
SpracheDeutsch
HerausgeberOsburg Verlag
Erscheinungsdatum22. Feb. 2022
ISBN9783955102845
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    Buchvorschau

    Wie mein Vater Hitler den Krieg erklärte - Felix Schmidt

    1.

    Ich habe diesem Tag gleich beim Aufstehen nicht getraut.

    Der leichte röchelnde Schlaf, die quälenden Gedanken an Krankheit, die Bilder von Corona-Patienten auf den Intensivstationen schrecken mich immer wieder hoch. Um sechs bin ich schon auf den Beinen und versuche die Unruhe der Nacht mit Entspannungsübungen und einer halben Alprazolam zu dimmen. Beim Frühstück stoße ich die Teetasse um, aber das ist nichts Neues.

    Als ich zum Taxistand am Adenauerplatz laufe, muss ich auf halbem Weg zurück, weil ich die Mundschutzmaske vergessen habe. »Ich muss in zwanzig Minuten in der Charité in Mitte sein«, sage ich zum Fahrer, als ich den Matsch vom Aprilschnee am Trittbrett von den Schuhen klopfe. Der Fahrer lässt einen Wortschwall auf mich nieder. Ich verstehe nur, dass ich früher hätte aufstehen sollen. Für ihre ruppige Anschnauzerei sind die Berliner Taxifahrer ja bekannt.

    Dann aber manövriert er mich ortskundig an den verstopften Hauptstraßen vorbei und setzt mich vor einem Zugang der Charité ab, der wegen der Pandemie »aus Sicherheitsgründen« geschlossen ist. Ich laufe, nein ich renne von einem zum anderen Ende des Campus, der die Ausmaße eines mittleren Dorfes hat. Die Arzthelferin schaut streng auf die große Wanduhr vor dem Arztzimmer: »Sie sind aber arg verspätet.«

    In kribbeliger Erwartung betrete ich das Zimmer des Professors. Es ist so weiß wie sein tadelloser Arztkittel und so karg möbliert, dass es ortlos wirkt. Das Gesicht des Arztes, der einen internationalen Ruf genießt, kenne ich nur von Fotos aus dem Internet. Jetzt verbirgt er seine freundlichen Züge hinter einer Maske, die wie ein Schalldämpfer auf seine Stimme wirkt.

    Mit einem süddeutschen Akzent erkundigt er sich nach meinem Befinden. Er lässt die Blätter des Laborberichts ein paar Mal zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her gleiten, bis er die Stelle findet, die er mit einem roten Filzstift gemarkert hat.

    Die Pause empfinde ich als beängstigend. In die Stille hinein empfiehlt er eine Rückenmarkbiopsie und spricht davon, dass die Blutwerte eine monoklonale Gammopathie anzeigen.

    »Was ist das?«, frage ich.

    »Wir müssen ausschließen, dass es sich um etwas Bösartiges handelt.«

    »Krebs?«

    Der Professor deutet ein Nicken an.

    Kaum ist das Wort heraus, wird es dunkel vor meinen Augen. Es ist, als ginge schlagartig das Licht im Arztzimmer aus an diesem düsteren Apriltag. Eine finstere Macht krallt sich um mein Herz. Der Puls klettert bis zum Hals. Die Wörter laufen mir weg, ohne dass ich sie kontrollieren kann, als ich mit der resoluten Arzthelferin einen Termin für die Biopsie vereinbare.

    Da ist es wieder, dieses Gefühl. Es ist so betagt wie ich, es ist mein lebenslanger Begleiter. Ich kenne das alles. Es ist wie das Crescendo in der Musik, steigt langsam an, erreicht einen Höhepunkt und verebbt dann wieder. Es verändert für Wochen und Monate mein Leben, wie damals, als meine Frau mich verlassen hat, oder wie jetzt, wenn das böse Wort Krebs fällt. Es ist ein diffuses Gefühl existenzieller Bedrohung, dem man hilflos ausgeliefert ist. Es ist so, als hechle ein großer bissiger Hund ständig hinter einem her. Es ist Grauen, Lähmung und Panik in einem und kommt von tief unten aus einer Seelenschicht, in die das, was man mit dem Allerweltsbegriff Angst umschreibt, nicht hinabreicht. Es ist ein Seelengefängnis. Wie nur bin ich da hineingeraten?

    Ein paar Tage später nehme ich dieses Gefühl aus dem Arztzimmer mit auf die Reise, dorthin, wo es vermutlich herkommt: in meine Kindheit. Ich will es zuordnen, Licht in die Zeit bringen, als sich der Alb auf meine Brust gesetzt hat. Ich will das Erbgut sequenzieren, um festzustellen, was ich vom Elternhaus mitbekommen habe. Während ich den Koffer packe, keimt die Hoffnung in mir auf, dass es eine Reise werden könnte, die zu mir hinführt.

    2.

    Es ist endlich warm geworden. In der vergangenen Nacht war mit Blitz und Donner ein Wolkenbruch niedergegangen. Jetzt sticht die Sonne wieder vom hohen Himmel, die Straße dampft. Es wird ein schöner Frühlingstag werden. Auf dem Weg zum Bahnhof muss der Taxifahrer immer wieder großen Pfützen ausweichen, die noch vom nächtlichen Guss geblieben sind. Der Großraumwagen im ICE nach Basel ist fast leer. Dennoch mahnt der Schaffner, den Mund-Nasen-Schutz anzulegen. Ich esse das Fischbrötchen zu Ende, das ich am Bahnhof bei »Back und mehr« gekauft habe, bevor ich die Maske aufsetze.

    Ich lehne das Gesicht gegen die kalte Scheibe, blicke auf die schroff aufragenden Fassaden der Stadt. Bald franst die Metropole aus und geht in die flache Graslandschaft über. Nur die aufgeplusterten weißen Frühlingswölkchen reisen mit. Die Nervosität der letzten Tage verfliegt mit jedem Kilometer. Sie weicht den Überlegungen darüber, was ich in meinem Heimatort, der Kleinen Stadt am Rhein, vorhabe.

    Ich kehre in Gedanken in jene Kinder- und Jugendtage zurück, in denen sich etwas Zerstörerisches in das Familienleben eingeschlichen hatte, das seither in meinem Unterbewusstsein weiterlebt. Im Laufe der sieben Jahrzehnte, die seither vergangen sind, hat vieles in der Distanz eine andere Farbe angenommen. Die Erinnerung ist ja oft nur eine Annäherung, treibt seltsame Blüten. So mischen sich in das reale Geschehen Bilder ähnlicher Schicksale, von denen ich nur gehört habe. Doch auch das dient dazu, das Milieu von damals zu erhellen.

    Nach über sieben Stunden Fahrt quer durch Deutschland steige ich in Freiburg im Breisgau aus dem Zug. Ich gehe den Bahnsteig entlang, das Fahrgeräusch dröhnt noch in meinen Ohren. Nach einem prüfenden Blick erkenne ich den Freund aus Jugendtagen sofort, trotz des Barts, der jetzt um sein Kinn gewachsen ist. Er steht, wie verabredet, am Zeitschriftenkiosk, immer noch von gleicher kräftiger Statur und so versonnen wie einst. So selbstversunken habe ich ihn auch in Erinnerung. Ich habe ihn bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte sich angeboten, mich abzuholen und in die Kleine Stadt am Rhein zu bringen, wo ich im »Gasthof zum Engel«, der sich jetzt ein wenig großspurig Hotel nennt, ein Zimmer für vierzehn Tage gebucht habe. Der alte Freund freut sich sichtlich über das Wiedersehen.

    Als wir im Auto sitzen, erzählen wir einander, wie es uns in den letzten Jahrzehnten ergangen ist. Er hatte Karriere gemacht, war Rektor des Gymnasiums in der Kreisstadt geworden, nicht nur weil er den Konkurrenten um die Stelle einen Gedankensprung voraus war, sein Engagement in einer Partei scheint ihm dabei dienlich gewesen zu sein. Nun sei er aber schon einige Jahre im Ruhestand. Er sei lange nicht damit zurechtgekommen, morgens nicht mehr in den Schuldienst zu dürfen. Mit einigem Behagen spricht er davon, dass er aber immer noch als Nachhilfelehrer in Anspruch genommen werde. »Das macht Freude und bringt ein wenig Geld in die Familienkasse.« Er hat seine Jugendfreundin geheiratet und mit ihr zwei Töchter aufgezogen.

    Wir schlängeln uns auf einer serpentinenreichen Straße durch sattgrüne Matten und Weinberge, die schon im Saft stehen und am Horizont in einen dunklen Tannenwald übergehen – Augentrost für einen Menschen, der seit Monaten auf nichts anderes als das Berliner Fassadengrau geblickt hat.

    Mir kommt der immer wiederkehrende Satz des Vaters in den Sinn: »Wer im Garten Eden lebt, braucht keinen Urlaub.« Damit hat er die Bitte der Familie abgewehrt, doch einmal in die Sommerfrische zu fahren, möglichst ans Meer. Er war richtig verärgert gewesen, wenn die Sprache auf das Thema Urlaub kam. Sträubte sich da etwas ihn ihm, das wir nicht kannten und nicht wissen sollten? Ein dunkler Fleck in seinem Leben? Ich habe es nie herausbekommen.

    Als Handwerksbursche war der Vater jahrelang auf Wanderschaft gewesen. »Ich habe die Welt gesehen«, hat er von sich behauptet. In Wahrheit hatte er nur Deutschland und Österreich durchstreift. Die Postkarten mit Grüßen in Frauenhandschrift, die ich nach seinem Tod in einem Schuhkarton verborgen gefunden habe, sind Zeugnisse seines Draufgängertums. Da muss er erstklassig gewesen sein.

    Als er dann sesshaft wurde und eine aus der Postkartensammlung geheiratet hatte, die Mutter, gingen seine Ausflüge über sein Blickfeld tatsächlich nicht mehr hinaus.

    »Daheim ist es am schönsten«, war ein anderer seiner Lebenssprüche gewesen. Er meinte damit den Obstgarten mit dem alles überragenden Kirschbaum hinter dem Haus, in dem die Familie am Sonntagnachmittag Kaffee getrunken und den Marmorkuchen aus Rührteig gegessen hat.

    Das alles wird an diesem hellen Apriltag wieder lebendig, als ich mit dem Freund an den Bauernhöfen mit den herabgezogenen Schindeldächern und dem Blumenschmuck vorbeifahre, der wie ein Garten über dem Fenstersims hängt. Das Abendrot, das uns die letzten Kilometer begleitet hat, ist verblichen, es dämmert, während wir das Ziel erreichen. Der »Gasthof zum Engel« sieht immer noch so aus wie früher, als die Kleine Stadt am Rhein kaum viertausend Einwohner zählte. Mittlerweile haben sich um den alten Stadtkern viele Reihenhäuser gruppiert und mittelständische Industriebetriebe angesiedelt. Die Kleine Stadt hat es so auf über zwölftausend Einwohner gebracht.

    Dort, wo die Landschaft terrassenförmig in die Vorberge des Schwarzwaldes aufsteigt, funkelt nun das Weiß neuer Villen, die sich örtliche Fabrikanten und Professoren aus der nahen Universitätsstadt gebaut haben, wie mir der Freund sagt.

    Er nimmt mir Koffer und Tasche ab und trägt sie in den Gasthof. Er schnauft dabei vor Anstrengung. Ich sehe ihn von der Seite an und bemerke, dass einem Menschen auch die Jahre im gemächlichen Schuldienst zusetzen können.

    »Wenn du mich brauchst, ruf mich an, ich kann in fünfzehn Minuten da sein.«

    Während meine Personalien aufgenommen werden und die Aufenthaltsberechtigung geprüft wird, schaue ich mich in der mit dunklem Holz getäfelten Gaststube um. Sie kommt mir gemütlicher vor als früher, das mag an den mildes Licht spendenden Wandlampen liegen. Der Raum ist fast leer.

    »Die Pandemie«, sagt der Mann an der Rezeption, der meinen Blick verfolgt hat. »Wir dürfen nur Gäste aufnehmen, die nachweisen können, dass sie beruflich im Ort zu tun haben.«

    »Wie ich.«

    Das Zimmer Nummer zwei, das er mir zuweist, ist mit einer heiteren französischen Tapete ausstaffiert, die die Geschichte eines Schäfers und einer Schäferin erzählt, es hat ein eigens Bad, das es vor Jahren, als ich zum letzten Mal hier war, noch nicht gab. Ich packe rasch mein Waschzeug aus, wasche mir zwanzig Sekunden lang die Hände, wie man es in diesen Zeiten tun sollte. Dann mache ich mich auf den Weg zum Elternhaus. Es sind nur zehn Minuten zu Fuß. Ich habe es nicht eilig und gebe den Gedanken und Bildern nach, die sich mir aufdrängen. Es ist eine mir immer noch vertraute Gegend mit Menschen, die genau so aussehen wie vor vielen Jahren, als ich im Gymnasium die Schulbank drückte und an dem ich jetzt vorbeilaufe, nicht ohne Respekt, wie damals. Es sind jetzt nur noch drei Minuten zum Elternhaus. Das weiß ich von früher.

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