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EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt: Roman
EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt: Roman
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eBook271 Seiten3 Stunden

EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt: Roman

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Über dieses E-Book

Alle fünfzig Jahre finden sich die verbliebenen Vampire Englands zu einem geheimen Treffen zusammen. Gäste sind dabei nicht unbedingt gern gesehen, außer jenen, die handverlesen zu dem Jubiläum mitgebracht werden. Denn die Zusammenkunft soll ja auch ein kulinarisches Highlight werden. Von all dem hat Sebastian Crockett natürlich keine Ahnung, denn er folgt nur deshalb der Einladung der sexy Vanessa, weil er auf ein erotisches Abenteuer in der ländlichen Abgeschiedenheit hofft. Aber als plötzlich auch noch eine Spezialeinheit von Vampirkillern das Anwesen umstellt, wird allen klar, dass das ein ganz besonderer Abend werden wird … und für manche leider der letzte.

Nach seinem Überraschungshit DAS HAUS DER MONSTER ist EAT LOCAL(S) der zweite Roman, der im Luzifer Verlag erstmals in deutscher Sprache erscheint. Very british ... wer das mag, sollte einen Blick riskieren.
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum31. Mai 2018
ISBN9783958353084
EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt: Roman

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    Buchvorschau

    EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt - Danny King

    (1830-86)

    Kapitel 1

    Der Fuchs war hungrig.

    Er hatte seit drei Nächten nichts gefressen und das leere Loch in seinem Bauch zwang ihn, heute Nacht weiter als sonst umherzustreifen, weg von der Sicherheit seines Baus und in die Schatten des Winters hinein.

    Eine anhaltende Kälte hatte seine Nahrungsauswahl drastisch reduziert. All die Waldmäuse, Wühlmäuse und Frösche, die er normalerweise fraß, waren verschwunden. Während einige im Erdboden verkrochen auf das Ende des Frostes warteten, hatten andere weniger Glück gehabt. Aber der Fuchs konnte nicht warten bis zum Frühjahr. Er war jetzt hungrig. Er musste fressen.

    Außergewöhnliche Umstände erforderten außergewöhnliche Maßnahmen, und deshalb fand sich der Fuchs schließlich an der Umzäunung eines Gehöfts wieder. Auf der anderen Seite des Drahtes, den er so ruhelos abschritt, in den großen Holzställen hinter dem Farmhaus, saßen hunderte fetter, saftiger Hühner im warmen Stroh. Der Fuchs war nicht gierig. Er wollte bloß ein einziges. Nur eins von den vielen hundert Hühnern, welche die Thatchers ganz für sich allein hatten, und danach würde er seiner Wege ziehen. Wäre das so schlimm? Wenn er ganz still war, wenn er nur diese eine winzige Störung verursachte, hinein- und herausschlich, sich ein Huhn beim Hals schnappte und es mit sich in die Nacht zerrte, wie sollten sie überhaupt wissen, dass er dagewesen war?

    Der Stall war vollgestopft mit Geflügel; die Thatchers konnten unmöglich wissen, wie viele Hühner sie überhaupt besaßen. Welchen Unterschied würde da eins weniger machen?

    Der Fuchs war ein lautloser Killer. Er jagte mit Heimlichkeit und List. Und er nahm nur, was er brauchte. Er beanspruchte nichts außer seinem Recht auf Leben, genau wie jene, mit denen er sein Revier teilte.

    Und dennoch verabscheuten ihn seine Nachbarn. Sie legten Fallen, um ihn zu fangen, durchsuchten die Hügel, um ihn mit Gas aus seinem Bau zu treiben, hetzten ihn mit Hundemeuten, die ihn zerfetzen sollten, und schossen mit Gewehren auf ihn, sobald sie seiner ansichtig wurden. Wie viele seiner Verwandten hatte er so schon verloren, ihr Blut verschmiert im Gesicht ihrer triumphierenden Mörder?

    Nun, das würde diesem Fuchs nicht passieren. Er war umsichtiger als die meisten; leichtfüßiger. Er würde erst zur Tat schreiten, wenn er sicher war, dass ihn niemand sehen konnte. Und sobald er zugeschlagen hatte, würde er samt seinem Abendessen schon wieder mit den Schatten verschmelzen.

    So wartete der Fuchs. Er wartete, bis Mrs. Thatcher in der Scheune nicht mehr ihr Hackebeil schwang. Er wartete, bis Mr. Thatcher im Hof mit dem Graben fertig war. Und er wartete, bis die Hühner im Stall ihre Augen schlossen und einschliefen. Er wachte und wartete und bereitete sich vor. Aber gerade als die Thatchers sich für die Nacht zur Ruhe begeben wollten, erhellte ein Paar Autoscheinwerfer die Zufahrt der Farm und scheuchte den Fuchs zurück in die Schatten.

    Das Auto hielt vor dem Haus an und Mr. Thatcher erschien in der Tür. Er fragte den Besucher, was er wolle, und der Besucher teilte ihm kurz und knapp mit, dass er diese Farm für die Nacht benötige. Er erwarte einige Freunde und man habe sich geeinigt, sich hier zu treffen. Die meisten Menschen hätten es wohl als befremdlich empfunden, von einem wortkargen Eindringling mit einem solchen Anliegen vom Zubettgehen abgehalten zu werden, doch Mr. Thatcher wirkte nicht übermäßig verärgert. Tatsächlich schien ihn die Aussicht auf späte Besucher – noch dazu völlig Fremde – eher munter zu machen.

    Mr. Thatcher fragte den Besucher, wer seine Freunde denn seien, aber der zuckte nur mit den Schultern und versprach, es werde sich alles klären, sobald die Zeit gekommen sei.

    In diesem Moment erschien Mrs. Thatcher hinter ihrem Ehemann, halb in seinem Rücken und halb hinter der Tür lauernd. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf ihr Mann mit einem faltigen Lächeln sein Einverständnis signalisierte.

    Die Thatchers gingen beiseite, um den Besucher über ihre Schwelle treten zu lassen. Der nahm die freundliche Einladung an und quetschte sich zwischen den beiden hindurch. Die Tür wurde geschlossen. Kurz darauf gingen die Lichter aus.

    Der Fuchs wachte und wartete weiter. Er hörte ein paar seltsame Geräusche, aber schnell wurde es wieder still. Das war seine Chance. Seine Zeit war gekommen.

    Der Fuchs huschte aus dem Gebüsch und rannte über das offene Gelände. Unter dem sternenklaren Himmel und im silbernen Mondlicht jagte sein langer Schatten hinter ihm über das Feld. Er verschwand im selben Moment wie der Fuchs unter dem Bretterboden des Stalls; so plötzlich, als wäre er nie dagewesen. Der Fuchs konnte seine Beute auf der anderen Seite der Dielen riechen. Er konnte sie riechen, aber sie konnten ihn nicht wahrnehmen. Der Hühnerstall war zu voll, zu geschäftig. Sie hatten andere Dinge im Sinn. Von der Gefahr, die unter ihnen lauerte, hatten sie keine Ahnung.

    Alles, was er brauchte, war eine Lücke in den Bodenbrettern, oder eine verrottete Stelle, durch die er sich durchgraben könnte, aber er fand nichts von beidem. Der Stall war sicher. Und für den Moment auch seine Bewohner.

    Wieder stellten die Ohren des Fuchses sich auf.

    Die Haustür des Wohnhauses war geöffnet worden und jemand trat heraus. Der Fuchs hörte Schritte über den Kies im Hof knirschen, die dem Versteck, in dem er kauerte, bedrohlich nahekamen. Neben dem Stall verstummten die Schritte. Der Fuchs hielt den Atem an. Langsam bewegten sich die Schritte an der Längsseite des Stalls hin und her, bis der Fuchs ein Geräusch vernahm, das ihn in Panik versetzte: das Spannen einer Flinte.

    Er ließ sein Abendessen im Stich, wuselte unter dem Stallboden hervor, hetzte über die freie Fläche und rannte um sein Leben.

    Er bereitete sich auf den glühenden, reißenden Schmerz der Schrotkugeln vor und verfluchte das kalte Wetter, das ihn gezwungen hatte, solch verzweifelte Maßnahmen zu ergreifen, aber zu seiner Überraschung und großen Erleichterung blieb der Schuss aus.

    Der Fuchs wusste nicht, wie er es bis an den Waldrand geschafft hatte. Schließlich wagte er aus dem Unterholz einen Blick zurück und sah nicht, wie erwartet, die Thatchers, sondern den geheimnisvollen Gast, der sie heute aufgesucht hatte.

    Dessen Augen konnte der Fuchs nicht erkennen, da sie sich hinter dunklen Gläsern verbargen, doch er hatte das Gefühl, dass sie auf ihn gerichtet waren, obwohl er hier in der Dunkelheit kauerte.

    Der Mann schwang sich die Flinte der Thatchers über die Schulter und begann am Zaun entlangzugehen, wobei er ab und zu einen Blick in die Richtung des Fuchses warf. Dann schwenkte ein zweites Paar Autoscheinwerfer über die Farm.

    Den Fuchs beschlich langsam das Gefühl, dass er heute Nacht kein Glück haben würde. Er zog sich weiter in den Schatten zurück, schlüpfte durch einen Stacheldrahtzaun und beschloss, etwas anderes zu versuchen. Er mochte zwar leer ausgegangen und nach wie vor hungrig sein, doch wenigstens lebte er noch, um sein Jagdglück später erneut zu probieren. Und das war mehr, als man heute Nacht von den meisten anderen ungeladenen Gästen der Thatchers behaupten konnte.

    ***

    Einige Augenblicke später erschrak der Fuchs über das Geräusch von Stiefeln, die durchs Unterholz rannten. Hier draußen gab es noch jemand anderen als den Besucher der Thatchers, und wie es sich anhörte, hatte er mehr Angst als der Fuchs.

    »Kontrollstützpunkt, bitte kommen, over«, wiederholte der Mann immer wieder, obwohl niemand bei ihm war, der es hätte hören können. »Kontrollstützpunkt, ich brauche sofortige Unterstützung, over.«

    Immer noch kam keine Antwort, worauf der Mann einen Schwall von Kraftausdrücken ausstieß, dass es dem Fuchs fast die Ohren versengte.

    »Kontrollstützpunkt, Herrgott noch mal, ist da irgendwer? Over.«

    Endlich meldete sich eine blecherne Stimme im Ohr des rennenden Mannes.

    »Hier Kontrollstützpunkt, identifizieren Sie sich, over.«

    »Hier ist 18.« Der Mann verzichtete auf jegliche Höflichkeitsfloskeln. »Ich habe es gesehen. Ich habe das Ziel gesichtet, over.«

    Auch wenn der es nicht wusste, bezog sich 18 damit nicht auf den Fuchs. Mit seinem schwarzen Sondereinsatzkommando-Overall, schallgedämpfter Maschinenpistole, Nachtsichtbrille, Kevlar-Körperpanzerung und Kampfmesser erschien er ohnehin etwas übertrieben ausgerüstet, um es nur auf einen Fuchs abgesehen zu haben. Andererseits:

    Konnte man das von vierzig Vollblütern, sechzig Rassehunden und so vielen Sprösslingen aristokratischer Inzucht, wie seine Lordschaft auftreiben konnte, nicht auch behaupten? Und das hatte schließlich noch nie jemanden abgehalten.

    Also ging der Fuchs kein Risiko ein. Er hielt den Kopf unten, die Augen offen und die Nase im Wind, während er beobachtete, wie 18 vorbeirannte.

    »Verfolgt er Sie jetzt?«, fragte die blecherne Stimme in 18’s Ohr.

    »Ich weiß nicht. Vielleicht. Wahrscheinlich. Ich muss hier weg«, antwortete 18, der sich weiter blindlings in unbestimmter Richtung durch das Blattwerk schlug.

    »Atmen Sie tief ein, beruhigen Sie sich«, wies die Stimme ihn an. »Bleiben Sie stehen und zählen Sie bis fünf.«

    »Das würde ich lieber nicht, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« 18 ließ das strenge Militärprotokoll zugunsten schierer Unverschämtheit fahren.

    »Tun Sie es, 18! Jetzt!« Die Stimme ließ ein Nein offensichtlich nicht gelten, besonders nicht von Neulingen in der Truppe.

    »Negativ, Sir. Er ist bestimmt direkt hinter mir«, beharrte 18.

    »Tun Sie es jetzt, Soldat! Das ist ein Befehl. Bleiben Sie stehen und zählen Sie bis fünf.«

    Äußerst widerstrebend hörte 18 auf zu rennen und fing an zu zählen.

    »Eins … zwei … drei …«

    »Im Kopf, 18«, erinnerte ihn die Stimme. 18 verstummte und ergänzte die letzten beiden Zahlen lautlos, wenn auch begleitet von Lippenbewegungen.

    »18? Sind Sie noch da?«, wollte die Stimme wissen.

    18 kniff sich in den Arm, um sicherzugehen, und bestätigte: »Ja, Sir, sieht so aus.«

    »Dann verfolgt er Sie nicht«, informierte ihn die Stimme.

    »Woher wollen Sie das wissen? Woran merkt man das?«, fragte 18.

    »Sie sind doch bis fünf gekommen, oder nicht?«

    Obwohl es fast völlig dunkel war, konnte der Fuchs sehen, wie die Farbe aus 18’s Wangen wich. Dass die Stimme am anderen Ende so sorglos mit seinem Leben umgegangen war, würde der erfahrene Soldat ihr nicht vergessen. Er war ein Militär durch und durch; er hatte der britischen Armee in drei verschiedenen Einsatzgebieten gedient, aber dies war etwas anderes. Dies waren keine gewöhnlichen Kampfhandlungen. Es war etwas Unmenschliches. Das personifizierte Böse. Er hatte dem Colonel seine Loyalität geschworen, als er dessen Truppe beigetreten war. Aber das hatte er nicht getan, um den Kanarienvogel im Bergwerk für ihn zu spielen. Irgendwann kommt der Tod zu jedem, doch für 18 sollte er sich schon mehr anstrengen als üblich.

    »Ich sage Ihnen, was Sie jetzt tun, 18. Ich will, dass Sie wieder dorthin zurückkehren, wo Sie das Ziel gesichtet haben, und ein Signal geben. Wir sind so schnell wie möglich bei Ihnen. Nehmen Sie den Sichtkontakt wieder auf und lassen Sie das Ziel diesmal nicht aus den Augen. Haben Sie das verstanden? Over.«

    »Negativ, Sir, ich kann an der Straße zu Ihnen stoßen und Sie querfeldein zurück zum Standort des Ziels führen. Für die Annäherung an das Ziel brauche ich Verstärkung. Over.«

    »Sie verstärken gerade meinen Ärger, 18. Falls uns diese Gelegenheit entgehen sollte, bekommen Sie es mit mir zu tun. Und ich bin niemand, der eine Enttäuschung einfach so schluckt. Jetzt zeigen Sie endlich Eier und erledigen Sie Ihre Aufgabe.«

    18 versuchte das Bild von seinen eigenen Eiern in Verbindung mit dem schluckenden Colonel aus dem Kopf zu kriegen, während er die Alternativen abwägte.

    Sich unter feindlichem Beschuss zurückzuziehen, war eine Sache, sich dem Gefecht gar nicht erst zu stellen, war eine ganz andere.

    18 atmete tief durch und bestätigte: »Verstanden, Colonel. Over and out.«

    Kaum hatte er sich auf dem Trampelpfad, den er gerade heruntergerannt war, umgedreht, kam direkt vor ihm etwas aus dem Unterholz geschossen. 18 hob seine Maschinenpistole und wollte gerade abdrücken, als er erkannte, was es war.

    Ein Fuchs. Es war nur ein ganz normaler Rotfuchs. Im Licht des Ziellasers erstarrt, blickte das Tier direkt in die Mündung der Waffe.

    18 senkte seine Maschinenpistole und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Der Fuchs schien das Gleiche zu tun. Einen Augenblick später war er verschwunden. Der Fuchs ging seines Weges und 18 ging in die andere Richtung, beide erschrocken und aufgewühlt, aber beide noch im Spiel. Fürs Erste.

    Kapitel 2

    Wie Sebastian wusste, fingen alle großen Abenteuer mit einer Reise an, und das Abenteuer dieses Wochenendes hatte da keine Ausnahme gebildet.

    Er hatte am Freitagabend den Pendlerzug ab London Bridge genommen, war zuerst in East Croydon umgestiegen, danach in Three Bridges und dann noch einmal in Horsham, bevor er sich eingestehen musste, dass er keine Ahnung hatte, wo er sich befand.

    An der vereinbarten Stelle stieg er aus dem Zug und nahm sich kurz Zeit, das Schild zu betrachten. Christ’s Hospital stand darauf. Sebastian hatte nie von diesem Ort gehört, aber es musste schon ein ziemlich gutes Hospital sein, wenn sie es geschafft hatten, Jesus wieder auf die Beine zu bringen, nach allem, was er durchgemacht hatte. Außer ihm waren keine Passagiere aus dem überfüllten Pendlerzug ausgestiegen – ein sicheres Anzeichen für eine blühende Metropole – und nach dem schrillen Pfiff des Bahnhofsvorstehers sowie dem Biep-biep-biep der Türen rollte der Zug langsam aus dem Bahnhof und ließ Sebastian im tiefsten, dunkelsten Sussex zurück.

    »Kann man hier irgendwo was zu trinken bekommen?«, fragte Sebastian den Stationsvorsteher.

    »Nur ich«, antwortete der und nahm einen Schluck aus seinem Flachmann, bevor er sich wieder in sein warmes Kontrollhäuschen zurückzog.

    Genau, wie er befürchtet hatte. Sebastian war kein Fan ländlicher Gegenden. Auf Postkarten störten sie ihn nicht weiter, aber in natura war man auf dem Land immer etwas zu weit vom nächsten Wetherspoons-Pub entfernt.

    Glücklicherweise war Sebastian ein vorausschauender Mensch. Er hatte in London Bridge ein Viererpack Dosenbier gekauft und mit einer Weitsicht, die Churchills würdig war, die letzte Dose für genau diese Art Notfall aufgehoben. Beim Verlassen des Bahnhofs entdeckte er eine gemütliche Bordsteinkante, auf der er sich niederlassen und seine Tasche durchwühlen konnte. Die Dose war noch da, zwischen seinen Wechselsocken und der Ersatzunterhose, und ihre laue Temperatur lag noch im genießbaren Bereich.

    Er riss die Dose auf, bespritzte seine Hand mit Schaum und gab ihr einen liebevollen Kuss. So. Das wäre geschafft.

    Sebastian warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr. Kurz vor neun. Bald würde sie hier sein. Und er konnte es kaum abwarten.

    Vanessa war eine tolle Frau, daran gab es keinen Zweifel. Was sie allerdings ihrerseits in einem schmächtigen Kerl wie Sebastian sah, konnte er nur mutmaßen. Späte Dreißiger, geschieden, attraktiv und offensichtlich reich, war Vanessa die personifizierte Femme fatale oder, wie die Jungs in Sebastians Putzkolonne zu sagen pflegten, eine »echt heiße Milf«.

    Da er eine Waise war, hatte Sebastian keine Mutter, mit der er sie hätte vergleichen können, sei es inzestuös oder auf welche Art auch immer, also hatten die Jungs vielleicht im Grunde recht, wenn sie behaupteten, Vanessa würde ihn im freudschen Sinne interessieren, weil sie eine Leere füllte, die er seit seiner Kindheit in sich trug. Oder vielleicht war es auch nur, weil sie reich war. Hm, je mehr Sebastian darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass das wohl die Antwort sein musste.

    Sebastian hatte sein ganzes verflixtes Leben lang nur Not und Elend gekannt. Aufgewachsen in einem Waisenhaus, mit niemandem, der sich um ihn gekümmert hätte, waren seine gelegentlichen Weihnachtsgeschenke freundlicherweise von diversen Wohltätigkeitsorganisationen gekommen (wenn die es sich leisten konnten) und nun lag eine Zukunft vor ihm, die darin bestand, die Toiletten einer Maklerfirma in der City zu reinigen. Sebastian hatte daher nichts gegen die Aussicht auf einen Wochenendurlaub mit einer Sugarmama einzuwenden. Und niemand sollte behaupten, er habe das nicht verdient. Sogar den Niedrigsten in Londons Unterschicht stand ab und an eine Erholungspause zu.

    Sebastian arbeitete in der Nachtschicht. Wenn sich die Börsenhändler zu den Champagnerbars von Bishopsgate aufgemacht hatten, kamen Sebastian und seine Mitbeauftragten, um den »Champagner« aufzuwischen, den sie über die Fußböden der Vorstandstoiletten verspritzt hatten. Es war eine Drecksarbeit, aber irgendjemand musste sie schließlich machen – und das, wie es aussah, unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Doch wie Sebastian und seine Kollegen nur zu oft von ihrem Vorarbeiter zu hören bekamen: »Wenn ihr den Job nicht wollt, dann weiß ich zehn Kerle, die heute Nacht in Dover ankommen und ihn sofort nehmen würden.« Mr. Kelseys Motivationsmethoden mochten einiges zu wünschen übrig lassen, aber er hatte nicht ganz unrecht. Bettler können nicht wählerisch sein, jedenfalls nicht in diesem Leben, und Sebastian machte sich keine Illusionen über seine zukünftigen Karriereaussichten. Mit sechzehn war er aus der Schule geflogen (verdammte Grammatik), mit achtzehn aus der Army (verdammte Tauglichkeitsuntersuchung), mit einundzwanzig aus dem Prince’s Trust (verdammtes Nulltoleranzprinzip Drogen gegenüber) und mit dreiundzwanzig aus der Musikszene (verdammte Talentfreiheit).

    Inzwischen war Sebastian sechsundzwanzig. Die meisten Typen in seinem Alter hinterließen längst ihre Spuren in der Geschäftswelt – und offensichtlich an den Wänden und Klobrillen, damit Sebastian sie wegwischen konnte – nur er selbst ging nirgendwohin. Und er wusste es.

    Dabei war Sebastian das Arbeiten in einer Maklerfirma zuerst tatsächlich reizvoll erschienen. Er hatte gedacht, er könnte ein paar nützliche Kenntnisse aufschnappen, aber bis jetzt hatte er bloß die Erkenntnis gewonnen, dass sein Leben sogar noch beschissener war, als er vermutet hatte. Das Geld, das die Typen in den Anzügen verdienten, trieb einem die Tränen in die Augen; es waren unanständige, geradezu ekelhafte Summen, und doch fand nichts davon seinen Weg zu Sebastian. Man sollte meinen, ein Manager mit einem Monatsgehalt von 25.000 Pfund plus einem halbjährlichen Bonus von 250.000 Pfund könnte dem Kerl, der jeden Abend seine Pisse wegwischt, vielleicht mal einen Zwanziger Trinkgeld für seine Mühe dalassen, aber nein: Alles, was die jemals daließen, war noch mehr Pisse. Und Scheiße. Und mit Klopapier verstopfte Abflüsse. Es konnte selbst den Besonnensten dazu treiben, Jeremy

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