Jean-Léon Gérôme
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Buchvorschau
Jean-Léon Gérôme - Charles Moreau-Vauthier
Selbstbildnis, 1886. Öl auf Leinwand, 32,7 x 26 cm. Aberdeen Art Gallery & Museums, Aberdeen.
Vorwort
Jean-Léon Gérôme führte ein ebenso rastloses wie bewegtes Leben, seine Stimme war mächtig wie ein Flügelhorn. Zehn Tage vor seinem Tod am 10. Januar 1904 besuchten ihn Schüler, um ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen, und staunten angesichts der Fülle und Vielfalt seiner orientalischen Gemälde. „Ich habe so viele Entwürfe im Schrank, behauptete der Meister, „dass ich noch fünfundzwanzig Jahre daran arbeiten könnte.
Gérôme war zu diesem Zeitpunkt neunundsiebzig Jahre alt.
Er sagte diese Worte mit einer so durchdringenden Stimme, mit einem Wesen so voller Tatendrang, mit einem so energischen Ausdruck auf seinem jung gebliebenen Gesicht, als seien sie eine Herausforderung an den Tod selbst. Traf man ihn in der Öffentlichkeit, bei offiziellen Anlässen, so nahmen einen seine Lebhaftigkeit und sein vornehmes Wesen unmittelbar für ihn ein. Ein Mann, geboren, um zu faszinieren. Er gemahnte an jene stolzen Spanier, die lange seine Heimat, die Franche-Comté, beherrscht hatten.
Es ist wohl seinem konservativen Weltbild zuzuschreiben, dass der Meister – als Stammgast in Compiègne und den Tuilerien, der mit seinem kantigen, energischen Gesicht an ein fröhliches Abbild Napoleon Bonapartes erinnerte – sich den Umwälzungen des Zweiten Kaiserreichs, der Epoche seines Heranreifens und seiner größten Erfolge, bereitwillig fügte.
Mehr noch als an den abenteuerlustigen Hernán Cortés oder an den brillanten Charles de Morny hat Gérôme mich immer an die Künstler der Renaissance erinnert. An die Goldschmiede, die zu Malern und dann zu Bildhauern wurden; an die Künstler des 15. Jahrhunderts, geschickt, erfinderisch und hochmütig, verliebt in schöne Formen, reiche Stoffe, wilde Tiere und das Leben in all seinen malerischen Ausprägungen.
Als Sohn eines Goldschmieds ließ Gérôme diese Lebensart wieder aufleben. Und falls er einmal über die Einfachheit seines vulgären Jahrhunderts urteilte, dann immer in unbewusster Sehnsucht nach einem vergangenen Zeitalter.
Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, er hätte sich verloren gefühlt unter seinen Zeitgenossen. Im Gegenteil: Sein so wacher Geist begriff die wesentlich historische Kunst des 19. Jahrhunderts mit großem Scharfblick. Auf den Spuren seines Meisters Delaroche praktizierte Gérôme seine Kunst als Chronist und gewissenhafter Reisender. Sein Talent stellte er in den Dienst einer neuen Auffassung von der Studie des alltäglichen Lebens, er brach mit der würdevollen Feierlichkeit eines David und aller romantischen Fantasterei und setzte an ihre Stelle das Anliegen der Exaktheit und der Wahrheit.
Mit sechzig Jahren, in einem Alter, in dem andere sich in den Ruhestand zurückziehen, begann er eine neue Karriere und erweckte eine vergessene Kunstform zu neuem Leben – die polychrome Bildhauerei. Dieser Schaffensdrang, der ihn sein Leben lang begleitete, war ein eigentümliches Schauspiel, bei dem ein höchst ungeduldiges Temperament von einem sehr methodischen Geist bezwungen wurde. In seiner Arbeit, seinem Privatleben, seinen Beziehungen zeigte sich stets diese Doppelnatur des Meisters. Man darf sich gewiss sein, dass Gérôme nicht eine Minute seines langen Lebens in Saumseligkeit verbrachte.
Arbeiten! Das war der Sinn seines Lebens und sein Glück. In aller Ehrlichkeit arbeiten, mit der Leidenschaft, seinen Gedanken und Visionen ungetrübt Ausdruck zu verleihen.
Sein Schwiegersohn Guillaume Breton erzählte mir von den Mahlzeiten in seinem Haus in Bougival, als der Meister aus seinem Atelier mit der Miene eines überreizten Reisenden in den Saal gestürmt kam, sich setzte und alle zu sich rief. Dann verlangte er, alle Gänge gleichzeitig serviert zu bekommen, und drängte die Dienerschaft zur Eile, um anschließend zu essen und zu trinken, ohne auch nur Luft zu holen. Im Laufschritt verschwand er danach wieder ins Atelier. Gerade so, als erwarteten Palette und Leinwand ihn zu einer verabredeten Zeit und reisten ohne ihn ab, käme er zu spät zum Rendezvous.
Kurz vor seinem Tod war dieser Schaffenseifer noch immer derselbe. Ich wollte mir immer die Erinnerung daran bewahren, wie er einmal seinen Studenten zurief: „Lasst uns alle Schüler sein!" Er blieb Schüler bis zur letzten Stunde seines Lebens, in seinem Fleiß, seiner jugendlichen Frische, seinem Elan, seinem Lebens- und Wissensdrang, seinem Forschergeist und seiner Wahrheitsliebe. Über seinem Bett hing ein Gemälde, das eine Allegorie der Wahrheit zeigte, und als man ihn schlussendlich bewegungslos fand, der Körper kalt und starr, da war sein Gesicht ebenjenem Bild zugewandt und der Arm zum ehrfurchtsvollen Abschiedsgruß erhoben.
Ansicht von Paestum, Skizze, 1847. Öl auf Leinwand, 18,5 x 27 cm. Privatsammlung.
Interieur einer Moschee, 1890-1899. Öl auf Leinwand, 59,4 x 89,9 cm. Memorial Art Gallery of the University of Rochester, Rochester (New York).
Schlank, beweglich, lebhaft, von militärischer Erscheinung und heiterem Gemüt, mit bebender Stimme und dem Akzent seiner Heimat Franche-Comté – so soll Gérôme in diesen Erzählungen erscheinen. Jedes Mal, wenn eine Unterhaltung wiedergegeben wird, muss man sich, um den besonderen Reiz zu verstehen, den sonoren und scharfen Klang seiner Worte und seine Physiognomie vorstellen; die weit geöffneten Augen, die gehobenen Brauen, die ausdrucksvoll in Richtung seines Gesprächspartners erhobene Hand.
Schreibt man seine Worte nieder, verlieren sie an Gehalt: Die Musik und die Mimik fehlen. Man musste ihn sehen und hören. Seine Schüler und Freunde wussten darum. Wie viele von ihnen konnten seine Worte nicht wiederholen, ohne ungewollt seine Gestik und Intonation zu imitieren. In seinen Gesprächen streifte er Themen oft nur, sprang ohne Überleitung von einem Gedanken zum nächsten. Hatte er über einen Gegenstand genug in Erfahrung gebracht, wechselte er mit einer kurzen Nachfrage urplötzlich zu einem anderen Thema. Wer ihn nicht kannte, der stutzte nicht selten im ersten Moment.
An jene, die ihm sympathisch waren, wandte er sich mit ruhigem, gefasstem und freundlichem Ton; hegte er gegen jemanden jedoch Abscheu, hielt er nichts zurück. Diese gelegentlich entfesselte Wut überraschte viele in jenen Zeiten der übertriebenen Zurückhaltung. Seine Launen waren berüchtigt, zeugten aber am Ende immer mehr von Heiterkeit als von echter Böswilligkeit.
Er liebte es, Witze zu machen. Nichts war ihm angenehmer, als wenn man ihm die neuesten Witze erzählte, manchmal unschuldige, die in den Ateliers umgingen. Er lachte herzlich und erzählte sie überall herum. Sein Ruf als guter Erzähler war sein ganzer Stolz.
Seine Begrüßung blieb immer bescheiden und im Einklang mit seinem von Grund auf angenehmen Wesen, seiner hohen Stellung zum Trotz. Klopfte man an seine Tür, konnte man sicher sein, mit ausgestreckten Armen empfangen zu werden. Wir alle bemerkten im Übrigen die Feinsinnigkeit und Sensibilität, die sein grobes Auftreten oft überdeckte. Gérôme verdrängte die Traurigkeit, die schwach und hilflos macht: „An so etwas darf man nicht denken! Selbst in der Malerei lehnte er zu traurige Sujets ab: „Solche Dinge malt man nicht.
Er ging sparsam mit seinen Gemütsbewegungen um. Und er respektierte das Gefühl, die Emotion. Er besaß jene höchste Blüte des stolzen Herzens: die Neigung zur schamvollen Rührung.
Hahnenkampf, 1846. Öl auf Leinwand, 143 x 204 cm. Musée d’Orsay, Paris.
Kopf einer Italienierin, 1843. Öl auf Stoff, 44,5 x 36 cm. The Cleveland Museum of Art, Cleveland (Ohio).
Jugend und Ausbildung
Die frühen Jahre
Jean-Léon Gérômes Großvater sollte gerade die Priesterweihe erhalten, als die Revolution ausbrach. Da er sich nun gezwungen sah, aus der Kirche auszutreten, heiratete er stattdessen. Sein Sohn, der Uhrmacher und Goldschmied von Vesoul, war Léon Gérômes Vater. Dass seine Geburt unter so unvorhersehbaren und außergewöhnlichen Umständen zustande kam, gefiel dem Meister. Aber wenn die Geschichte seines Großvaters ihn auch etwas über die Ironie und den Gang des Lebens lehrte, so hat Gérôme doch weder seinen zögerlichen Charakter geerbt noch das Feuer einer mystischen Seele: „Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte. Aber es hat ganz einfach nicht sein sollen."
Der junge Léon war von schlanker, sogar zierlicher Gestalt, aber voller Energie, offenbar bereits ein kleiner Arbeiter, ungeduldig, endlich ans Werk zu gehen. Von mit Kritzeleien überzogenen Heften und Zukunftsträumereien des jungen Gérôme wird man hier nicht lesen. Der Schüler besaß bereits einen strengen Charakter und den klaren, pragmatischen Geist, der ihn auch später auszeichnete. Als er am Collège mit dem Können eines Jungen zeichnete, der zwischen den Stiften und Werkzeugen eines Goldschmieds aufgewachsen war, wuchs allmählich der Wunsch in ihm, später einmal Maler zu werden. Der Beruf des Künstlers war ein angenehmer, für den er in seiner Person sowohl das nötige Interesse als auch die Veranlagung entdeckte. Aber in Vesoul, weit entfernt von Paris, in einem provinziellen Umfeld und in einer Zeit, in der die Medien es noch nicht ohne Weiteres vermochten, Berühmtheiten zu schaffen, hatte die Kunst keinerlei Prestige, ganz im Gegenteil. Gérôme genügte ein Blick auf das Leben seines Zeichenlehrers, um zu erkennen, dass die Malerei nicht zwangsläufig zu Ruhm führt. Siebzig Jahre später sagte Gérôme:
Ich hatte keine Ahnung vom Leben eines Künstlers. Ich dachte, es sei ein Beruf wie jeder