Der besondere Blick auf einen See und das Meer: Sprechende Erinnerungen eines Romantikers
Von Herbert Seibold
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Buchvorschau
Der besondere Blick auf einen See und das Meer - Herbert Seibold
Zum Autor
Geboren 1942 in Landsberg/Lech. Lebt in Stuttgart.
Prof. Dr. Seibold ist Internist, Kardiologe, Pneumologe und Geriater. Er widmet sich seit seinem Ruhestand mit 70 mit Leidenschaft seinem zweiten Hobby, dem Schreiben.
Neben den Kurzgeschichten erscheint in Kürze von ihm ein Krimi.
Herbert Seibold
Der besondere Blick auf einen See und das Meer
Sprechende Erinnerungen eines Romantikers
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto © Pascal Perinelle - Fotolia
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Uno miraculo turbando: Die seltsame Verwandlung eines stillen Bergsees in einen Hundestrand.
Jeden Morgen – jedenfalls im Sommer – stand Dr. med. Leopold Mooshuber oder Poldi, wie ihn seine Freunde nennen, um 5.30 Uhr auf. Heute Nacht erst war er aus Stuttgart angereist. Beim Aufwachen hatte er ein fast vertrautes Gefühl. Er war seinem lago misterioso, wie er seinen Lieblingsort seit fünfzig Jahren nannte, ganz nahe. Er roch ihn nicht, aber er wusste, dass er ganz nahe war. Der Bergsee neben seinem Sommerhaus aus Holz, hatte ihn mit dem ersten Vogelgezwitscher aus dem Bett gelockt. Ein fernes Hundegebell hatte er nicht bewusst wahrgenommen. Er stand immer so früh auf, auch wenn er erst nach Mitternacht ins Bett ging. Es ist nicht eine Form der senilen Bettflucht, wie Leute vom nahen Campingplatz hinter vorgehaltener Hand mehr als einmal hämisch kommentiert hatten. Nach seinem Pass war er schon siebzig, aber jedes Mal freute er sich, wenn Freundinnen ihm schmeichelten, er sähe aus wie fünfundfünfzig. Er hatte als Internist und Geriater bis zu seinem siebzigsten Lebensjahr als Chefarzt gearbeitet. Er war mit einem Schönheitschirurgen aus München, Dr. Jürgen Schönauer, befreundet, der schon mit sechzig in Rente gegangen war. Der hatte ja auch das Doppelte bis Dreifache verdient. Sein Freund zog ihn regelmäßig damit auf, dass seine Zunft am Hungertuch nagen würde, wenn alle so wären wie er. Leopold selbst glaubt, dass die jugendliche Frische in seinem Gesicht nur mit seinem endlich angetretenen Ruhestand zusammenhängt. „Die Freiheit täglich genießen, steht jetzt an, sagt er allen, die ihn aufziehen wollen, dass er als „workaholic man
doch gar nicht aufhören könne. Er lächelt nur darüber und geht jeden Morgen schwimmen, wandern und fährt mit dem Mountainbike auf Pässe, wenn er in einer Bergregion ist. Die Welt der Medizinroutine, der Zahlen und des von außen ihn fordernden Stresses hatte er weit hinter sich gelassen – ohne Bedauern. Zuhause in Stuttgart geht er regelmäßig ins nahegelegene Mineralbad Bad Berg, das schon 120 Jahre nicht nur die Bewegungsbehinderten und die etwas aus der Form geratenen alten, an der Hüfte operierten, Stuttgarter anzieht. Mit dem legendären Entenpaar, das seit Jahren ungeniert im Außenbecken plantscht, spricht er in einer Art Entensprache – wenn er unbeobachtet ist – über seinen anderen Badeort, dem stillen Bergsee im Trentino, unter einem romantischen, steil aufragenden Gebirge. Im Herzen ist er auch ein Kind geblieben. Wenn er im Mineralbad das salzige Prickeln auf der Haut spürt und das Brennen in den Augen wahrnimmt, träumt er auch vom richtigen Meer. Dann denkt er auch an seine Seemannszeit zurück, an die er nur die angenehmen romantischen und die süßen Erinnerungen behalten hatte. Leopold betrachtet Erinnerungen als Schätze. Die Erinnerungen sind nicht seine Feinde, die ihn quälen und einholen. Er ist nicht bloß der große Verdränger, an dem ein Analytiker seine reine Freude hätte. Er hatte auch das Buch des Gedächtnisforschers Markowitsch gelesen. In diesem Buch vertritt der Forscher ja die Ansicht, dass wir uns unsere Erinnerungen selbst schaffen – eine emotionale Verfärbung und Aufarbeitung des Vergangenen. Aber an das Überraschungsgeschenk seines Vaters vor fünfzig Jahren konnte er sich ganz real und unverfälscht erinnern, als ob es erst gestern bekommen hätte: Er muss immer noch schmunzeln und bekommt ganz große wässrige Augen, wenn er daran denkt. Er hatte gerade das Abitur bestanden und ging mit stolz geschwellter Brust einher. Seine Eltern waren ja so was von erleichtert, dass er es geschafft hatte und hatten sich was Besonderes ausgedacht.