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Ein unbedachter Moment
Ein unbedachter Moment
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eBook291 Seiten4 Stunden

Ein unbedachter Moment

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Über dieses E-Book

Susanne lebte in einem festen Rahmen, in dem sie sich sehr wohl fühlte.
Allerdings gab es diesen einen Moment, der alles auseinander brechen
ließ. Es quälte sie nur eine Frage:
Warum habe ich das zugelassen?
Birgit Schrod wurde 1957 in der Nähe von Darmstadt geboren und lebt
weiterhin in der Region. Schon als Jugendliche schrieb sie Geschichten
und Gedichte und verwirklichte jetzt den Traum vom eigenen Buch.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Apr. 2017
ISBN9783837219852
Ein unbedachter Moment

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    Buchvorschau

    Ein unbedachter Moment - Birgit Schrod

    Birgit Schrod

    Ein unbedachter Moment

    Roman

    AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

    FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

    Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit.

    Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

    ©2018 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

    Ein Unternehmen der

    FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

    AKTIENGESELLSCHAFT

    Mainstraße 143

    D-63065 Offenbach

    Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

    E-Mail lektorat@frankfurter-literaturverlag.de

    Medien- und Buchverlage

    DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

    seit 1987

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

    Websites der Verlagshäuser der

    Frankfurter Verlagsgruppe:

    www.frankfurter-verlagsgruppe.de

    www.frankfurter-literaturverlag.de

    www.frankfurter-taschenbuchverlag.de

    www.publicbookmedia.de

    www.august-goethe-von-literaturverlag.de

    www.fouque-literaturverlag.de

    www.weimarer-schiller-presse.de

    www.deutsche-hochschulschriften.de

    www.deutsche-bibliothek-der-wissenschaften.de

    www.haensel-hohenhausen.de

    www.prinz-von-hohenzollern-emden.de

    Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

    Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

    Lektorat: Dr. Andreas Berger

    Titelbild: Jeremy Bishop / unsplash

    ISBN 978-3-8372-1985-2

    Susanne ließ sich auf den Stuhl in der Miniküche hinter ihrem Laden fallen, kickte die Schuhe von sich und rieb ihre schmerzenden Füße. Es war ein verdammt langer Tag. Auf dem kleinen Tisch stand noch eine halb volle Kaffeetasse. Sie nippte daran, um gleich das Gesicht zu verziehen, denn der Kaffee war schon längst kalt.

    Sie massierte ihren schmerzenden Nacken mit der rechten Hand und schaute auf ihre Armbanduhr: Es war 18 Uhr, und sie konnte endlich den Laden schließen. Sie stand auf, lief barfuß zur Tür, schloss ab, löschte das Licht und ließ beim Zurückgehen in die Küche ihren Blick durch den Verkaufsraum schweifen. Sie war stolz, denn sie hatte erreicht, wovon sie lange geträumt hatte: einen eigenen Blumenladen. Seit zwei Jahren war sie die Eigentümerin. Sie schlüpfte wieder in ihre Schuhe, schnappte sich ihre Handtasche, knipste alle Lampen aus und betrat durch die Hintertür den kleinen Hof.

    Ihr Fahrzeug stand direkt am Straßenrand, sie entriegelte schon von Weitem die Autotür und stieg dann ein. Bevor sie losfuhr, betrachtete sie noch einmal die Schaufenster und lächelte zufrieden. „Das Blattwerk" hatte sich etabliert, sodass sie im vergangenen Jahr eine Halbtagskraft, Saskia, 28 Jahre jung, einstellen konnte. Leider war diese zurzeit im Urlaub, sodass sie selbst den ganzen Tag im Laden stehen musste. So schnell kann man sich daran gewöhnen, ein bisschen weniger zu arbeiten, dachte sie seufzend. Sie startete den Wagen und fuhr los.

    In den 20 Minuten Fahrzeit, die sie für den Nachhauseweg brauchte, ging ihr vieles durch den Kopf. Alles in allem war sie zufrieden und glücklich mit ihrem Leben.

    Sie war verheiratet, hatte einen Sohn, ein eigenes Haus und keine finanziellen Sorgen, das war schon eine ganze Menge in der heutigen Zeit, in der nichts mehr sicher schien.

    Sie freute sich jetzt auf eine Badewanne mit wundervoll duftender Schaumkrone, und niemand würde sie davon abhalten. Sie hatte ohnehin das Haus mindestens die nächsten zwei Stunden noch für sich. Das würde reichen, um sich zu entspannen.

    Mittlerweile war sie daheim angekommen. Nachdem sie den Wagen in der großräumigen Garage geparkt hatte, ging sie auf ihr Domizil zu. Vor vielen Jahren hätte sie sich nicht vorstellen können, in einem solchen Haus zu leben. Ihr Traum war es immer, in einem rustikalen Eigenheim zu leben, mit viel Holz und einfach gemütlich sollte es sein.

    Leider hatte sie die Rechnung ohne ihren Mann gemacht. Thomas war mit seinen 45 Jahren zwei Jahre älter als Susanne, und inzwischen waren die beiden 21 Jahre verheiratet. Er war Architekt und auch er hatte eine klare Vorstellung, welche Attribute seine Behausung aufweisen sollten.

    Die beiden hatten sich zu Studienzeiten kennengelernt in einer lauen Nacht, irgendwo in München auf irgendeiner Geburtstagsparty von irgendwem. Er war damals 23 und sie 21 Jahre alt. Er war ihr gleich aufgefallen: groß, dunkelhaarig, dunkle Augen, klare, kräftige Stimme. Das erste Bild von ihm hatte sie immer noch vor Augen.

    Er stand mit einer Flasche Bier inmitten der Menge und hielt einen Vortrag über moderne Architektur. Susanne hatte damit überhaupt nichts am Hut. Sie war nur durch eine Freundin, die sie schon lange kannte, auf dieser Feier gelandet. Sie selbst hatte angefangen, Textildesign zu studieren, allerdings fand sie keinen richtigen Zugang zu ihrem Fach, obwohl sie schon immer eine kreative Ader hatte. Sie war sich damals überhaupt nicht sicher, ob sie wirklich studieren wollte. Ihre Eltern hatten sie darin bestärkt, und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

    An diesem Abend war ihr gar nicht nach Feiern zumute, sie wurde von der Freundin einfach mitgeschleift und da war sie jetzt.

    Sie hatte sich einen Cocktail geschnappt, saß auf der Gartenmauer und hörte diesem Typen, der da über Minimalismus und Baumaterialien wie Glas, Stahl und Beton wild gestikulierend referierte, zu. Irgendwann waren das alles nur noch böhmische Dörfer für sie und gähnend langweilig, sodass sie sich auf den Weg zum Essenfassen machte. Im Inneren des Hauses roch es lecker nach Tomatensauce. Nachdem sie ihren Teller mit Spaghetti und Sauce vollgeladen hatte, zog sie es vor, wieder nach draußen zu gehen, denn drinnen war es ihr viel zu warm. Als sie ihren Fuß über die Schwelle der Terrassentür setzte, blieb sie mit dem Absatz hängen, der Teller entglitt ihren Händen und landete auf einem weißen Herrenhemd, seinem Hemd! Oh Gott, war ihr das peinlich!

    Niemand war zu diesem Zeitpunkt mehr nüchtern, sodass es natürlich lautes Gegröle und Gelächter gab. Susanne wäre am liebsten im Erdboden versunken.

    Thomas jedoch sagte gar nichts, zog einfach ganz leger sein Hemd aus, wischte damit noch den Boden auf und grinste sie unverschämt an, sodass sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Mit einer lässigen Bewegung entsorgte er die Schweinerei in seiner Hand in den nächsten Busch und sagte zu ihr: „Ist doch halb so schlimm, es gibt ja noch genug. Übrigens, mein Name ist Thomas."

    Susanne stotterte irgendetwas vor sich hin. Er aber nahm sie einfach an der Hand, zog sie nach drinnen, belud ihr in Nullkommanichts einen neuen Teller und hielt ihn ihr unter die Nase, was sie noch mehr verlegen machte. Ihm gefiel, was er sah, und für ihn war klar: Er musste wissen, wer sie war.

    So kam es, dass die beiden sich Spaghetti essend – er in einem geliehenen T-Shirt – unterhielten und am Ende des Abends Telefonnummern tauschten.

    All diese Bilder gingen Susanne auf dem Weg ins Badezimmer durch den Kopf. Sie beugte sich über die weiße Designerwanne und drehte das Wasser auf, bevor sie ihre Kleider auf die schwarzen Fliesen fallen ließ. Sie betrachte sich im Spiegel über dem Waschbecken, schnitt eine Grimasse, schminkte sich sorgfältig ab und glitt in die Badewanne. Oh, tat das gut! Sie hatte das Licht gedimmt und musste lächeln. Fast wie im Film, dachte sie.

    Und ja, manchmal kam ihr das Leben mit Thomas wie im Film vor, fast zu schön, um wahr zu sein. Sehr dankbar darüber, dass sie das immer noch wahrnahm und nichts für selbstverständlich hielt, reckte sie sich in der Wanne.

    Letztlich war sie damals vor 22 Jahren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Thomas war schon immer gradlinig und schnörkellos. Sie selbst war oft unentschlossen, es fanden einfach immer zu viele Überlegungen in ihrem hübschen Kopf statt.

    Jedenfalls ließ Thomas nicht viel Zeit verstreichen, nach dieser Tomate-trifft-auf-Hemd-Nummer, Susanne wiederzusehen. Von Anfang an hatten sie sich viel zu erzählen. Amors Pfeil hatte bei beiden einen Volltreffer gelandet. Nach einem halben Jahr beschlossen die beiden zu heiraten. Die Mutter von Susanne war mehr bestürzt als erfreut über diese Eröffnung ihrer Tochter. Es folgten die üblichen Bemerkungen wie: „Du kennst ihn doch noch nicht richtig, oder auch Fragen wie: „Müsst ihr denn heiraten?

    Nein, sie wollten heiraten, basta!

    Susanne lag immer noch träge in der Wanne und grinste vor sich hin. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich und ihren Mann bei der Hochzeit und in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung, die winzig war. Aber das war ihnen egal, sie waren glücklich. Ein gutes Jahr nach der Hochzeit kam ihr gemeinsamer Sohn Adrian zur Welt, das Glück war perfekt.

    In diesem Moment hörte sie die Haustür ins Schloss fallen und schreckte auf. Meine Güte, dachte sie, wie lange liege ich eigentlich jetzt schon hier? Sie schaute auf ihre Hände, die schon sehr schrumpelig waren. Es war wohl Zeit, aus dem Wasser zu steigen, bevor sie sich ganz auflöste, sie hatte sich ganz in ihren Gedanken verloren.

    Gerade als sie sich in ein großes Laken einwickelte, hörte sie die stürmischen Schritte ihres Mannes auf der Treppe.

    Dann hörte sie ihn rufen: „Hallo, jemand zu Hause? Wo bist du?"

    Susanne öffnete die Badezimmertür.

    Er stand vor ihr auf dem Flur. Er sah immer noch gut aus, und sie war stolz auf ihn. „Hey, meine Blumenfee, da bist du ja. Wie war dein Tag?" Er küsste sie auf ihre nackte Schulter.

    „Hallo, antwortete Susanne und strich ihm über den Arm, „anstrengend, aber ein guter Tag. Hast du Hunger? Oder hast du schon gegessen?, fragte sie ihn, denn sie schob mächtig Kohldampf.

    „Nein, keine Zeit. Wollen wir essen gehen? Fragend zog er die Augenbrauen nach oben und sah sie an. Er antwortete aber gleich selbst, als er ihren Gesichtsausdruck sah: „Okay, du bist zu kaputt und zu faul, um noch mal aus dem Haus zu gehen, ich habe verstanden. Wie wärs dann mit Spaghetti und Tomatensauce?

    Wenn er sie ärgern wollte, kam diese Bemerkung schon mal aus seinem Mund. Sie zog die Nase kraus und streckte ihm die Zunge raus.

    Er lachte und meinte: „Ich gehe erst mal duschen, überlege es dir: Entweder ausgehen oder kochen." Er ließ sie stehen, ohne eine Antwort abzuwarten, und lief zur Dusche.

    Susanne stand in ihrer unentschlossenen Art auf dem Flur und überlegte: Kochen, na ja, aber weggehen, nein, dazu hatte sie keine Lust. Also ging sie ins gemeinsame Schlafzimmer, um sich anzuziehen, und anschließend nach unten in die Küche.

    Sie inspizierte den Kühlschrank, kombinierte, was sie aus den vorhandenen Lebensmitteln zaubern konnte, und machte sich ans Werk. Als Thomas 20 Minuten später ebenfalls nach unten kam, wehte schon ein leckerer Duft durch den Raum.

    „Da komme ich ja gerade richtig, um den Wein aufzumachen", ließ er verlauten und tat dies dann auch.

    Als sie etwas später am Tisch gemeinsam ihre Mahlzeit einnahmen, erzählte er ihr von einem neuen spannenden Projekt, für das er eine Anfrage erhalten hatte. Wenn er so über seine Arbeit redete, lagen immer noch ganz viel Begeisterung und Leidenschaft in seiner Stimme. Er liebte es, neue Gebäude zu erschaffen, wie er es selbst formulierte. Er hatte allerdings auch einen absolut steilen Karriereweg hingelegt. Bei ihm kam nach dem Studienende das richtige Angebot zur richtigen Zeit. Verwirklicht hatte er sich beziehungsweise seine Ideen das erste Mal vollständig in ihrem eigenen Haus. Es war sein Baby. Viele Nächte hatten sie durchdiskutiert, da von Susannes Vorstellungen kaum etwas übrig geblieben war. Holz gab es nur noch in Form der Fußböden, ansonsten war er zu keinem Kompromiss bereit. Am Anfang musste sich Susanne auch an die riesengroßen Fenster im Wohnbereich gewöhnen. Aber sie musste zugeben, dass dieses Haus etwas sehr Elegantes und Zeitloses in sich trug. Es war irgendwie ein Teil von Thomas: gradlinig und schnörkellos.

    Auch fanden die beiden einen Kompromiss, Susanne durfte sich dann bei der Einrichtung austoben. Mittlerweile wohnten sie nun schon über zehn Jahre in diesem Haus und fühlten sich wohl. Der gemeinsame Sohn war vor ein paar Monaten ausgezogen in eine Studenten-WG, seitdem war es ruhiger, aber das war der Lauf der Dinge.

    Sie seufzte.

    Thomas interpretierte es falsch und bemerkte: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich übernehme mich schon nicht. Du weißt doch, das ist für mich nur eine neue Herausforderung."

    „Das glaube ich dir aufs Wort, schließlich kenne ich dich lange genug", war ihre Antwort.

    Er hob sein Glas, schaute sie an und lachte. „Auf dein wahres Wort, meine Liebe."

    Ja, sie liebte ihn noch immer, obwohl es nicht immer einfach gewesen war. Sie stand ausnahmslos in seinem Schatten, jedoch musste sie auch zugeben, dass sie keine Frau für die erste Reihe war. Und trotzdem: Es war auch nicht immer leicht, wenn sie auf allen Festen, Veranstaltungen, Präsentationen zusah, wie andere Frauen ihren Thomas anschmachteten. Auf der einen Seite war es ein Kompliment, auf der anderen Seite machte sie dies ein bisschen unruhig. Sie vertraute ihm grundsätzlich und doch war sie sich nicht sicher: Konnte er immer allen Versuchungen widerstehen?

    Die einzige Person, der sie sich je anvertraut hatte, war ihre Freundin Caroline. Sie war ein Jahr älter als Susanne. Die beiden kannten sich schon seit der Schule. Caroline war auch diejenige, die ihre Freundin vor vielen Jahren auf diese Geburtstagsparty mitgenommen hatte und somit daran schuld war, dass Susanne Thomas kennengelernt hatte.

    Caroline war eher das Gegenteil von Susanne: Sie war impulsiv, manchmal ein bisschen zu laut, hatte zu allem etwas zu sagen, von Beruf war sie freie Journalistin.

    Caroline lachte damals die Bedenken von Susanne weg mit der Bemerkung, dass dies doch die Beziehung auch lebendig halten würde.

    „Hey, was sagst du dazu?, hörte sie Thomas in ihre Gedanken hinein fragen. „Hörst du mir überhaupt zu?

    „Entschuldige, ich war grad weit weg."

    „Ja, das habe ich bemerkt. Was sagst du dazu, dass ich mit dir nächstes Wochenende wegfahren möchte?"

    „Oh, ich habe tatsächlich was verpasst eben, als ich in meiner Traumwelt war", lachte sie.

    Das nächste Projekt, das Thomas angeboten bekommen hatte, sollte in Wien realisiert werden. Daher kam seine Idee, mit ihr zusammen dorthin zu fahren, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, ehe er den Auftrag annahm.

    „Oh, schön. Ja, natürlich freue ich mich und ich hoffe, es bleibt ein wenig Zeit für uns beide übrig außer deiner Arbeit."

    „Ja, das ist ja auch die Idee. Ich weiß, dass ich viel Zeit mit meiner Arbeit und gelegentlich zu wenig Zeit mit dir verbringe. Da unser Herr Sohn nicht mehr bei uns wohnt und wir wieder total frei sind, dachte ich, wir müssten uns mal wieder mehr um uns kümmern." Er schaute sie liebevoll an und griff über den Tisch nach ihrer Hand.

    Also, dachte sie, hatte er es auch bemerkt, Gott sei Dank.

    Ihre Beziehung war etwas zu kurz gekommen in letzter Zeit.

    Sie hatte sich viele Gedanken gemacht, ganz bestimmt mehr als er. „Ja, dann machen wir das so, ich würde mich freuen", stimmte sie zu und hielt seine Hand fest.

    Danach räumten sie die Küche gemeinsam auf. Es war schon spät. Sie beschlossen, schlafen zu gehen. Susanne verschwand noch einmal im Bad. Als sie zurückkam, lag er schon gleichmäßig atmend im Bett, er schlief. Leider passierte das in den letzten Wochen viel zu oft. Sie beobachtete ihn eine Weile, drehte sich aber dann um, löschte das Licht und wartete, bis der Schlaf sie einholte.

    Als sie am nächsten Morgen um kurz nach 7 Uhr erwachte, hörte sie schon im Bad nebenan die Dusche rauschen. Just in dem Moment, als sie ihre Beine aus dem Bett schwang, kam er aus dem Badezimmer.

    „Guten Morgen", sagte er und schaute sie an.

    „Na, du Schlafmütze, hast du ausgeschlafen?", gab sie zurück.

    „Ja, ich weiß, ich habe schon geschlafen, tut mir leid, ich war müde." Während er dies sagte, ging er weiter durch den Raum, um den begehbaren Kleiderschrank zu erreichen.

    Susanne ging wortlos nach unten in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Kaum hatte sie angefangen, den Tisch zu decken, hörte sie ihn schon die Treppe herunterzurennen.

    „Für mich nur einen Kaffee, ich habs eilig. Ich muss um 8 Uhr auf der Baustelle sein. Wir müssen da noch etwas klarstellen, bevor die Handwerker weiterarbeiten." Er schnappte sich die Tasse aus ihrer Hand, nahm hastig ein paar Schlucke und gab sie ihr wieder zurück.

    „Oh, ja dann …"

    Bevor Susanne weiterreden konnte, küsste er sie flüchtig auf den Mund und war schon auf dem Weg zur Haustür, von wo aus er ihr noch zurief: „Dann bis heute Abend, viel Spaß mit deinen Blumen."

    Ein dumpfes Geräusch folgte, die Eingangstür war zu, und er war weg.

    Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und blickte in die Tasse. Ja, so war er, nicht immer, aber oft. Sie musste wieder an Caroline denken. Ihre Freundin und Thomas waren vom gleichen Schlag. Sie nahm sich fest vor, Caroline in der Mittagspause anzurufen. Es war schon viel zu lange her, dass sie mit ihr gesprochen hatte.

    Während sie frühstückte und sich später im Bad fertig machte, gingen ihre Gedanken viele Jahre zurück.

    Während damals Susanne und Thomas ein Paar geworden waren, blieb Caroline noch eine Zeitlang Single. Sie war viel unterwegs, sie nahm die Dinge wesentlich leichter als Susanne und hatte es nicht eilig. Sie mochte Männer, hatte aber noch keine Lust, sich zu binden.

    Als Thomas und Susanne ihre winzige Wohnung gegen eine größere tauschten, gab es eine Einweihungsparty. Es waren Arbeitskollegen eingeladen und Freunde, die es in ihrem gemeinsamen Leben gab.

    Und es gab Ben. Ben war ein Kollege von Thomas, ebenfalls Architekt und für Susanne nicht einschätzbar. Er war ein ganz anderes Kaliber Mann als ihr eigener. Alles an ihm war ein bisschen zu viel für ihren Geschmack. Ein Macho, wie er im Buch stand, prahlte zu laut, und sie hatte oft das Gefühl, dass nicht immer alles der Wahrheit entsprach, was er so von sich gab.

    Thomas gab zu, dass Ben auch bei der Arbeit exzentrisch sei, allerdings gerade deshalb bizarre Ideen beisteuern konnte.

    Caroline war sehr angetan von Ben und kommentierte das in der Art, endlich gäbe es mal einen, der nicht so spießig wäre wie alle anderen.

    Jedenfalls kam Caroline eines Tages und erzählte Susanne, dass sie sich mit Ben verabredet hätte.

    Was dann folgte, war eine chaotische On-Off-Beziehung der beiden, was sie keineswegs dramatisch fanden, eher alle anderen um sie herum.

    Trotz der unterschiedlichen Persönlichkeiten oder gerade deshalb entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden Paaren, es gab gemeinsame Unternehmungen, und es folgte eine unbeschwerte Zeit.

    Ben fand das dann alles zu langweilig und wollte Thomas überreden, sich mit ihm selbstständig zu machen. Es gab viele Gespräche und Überlegungen. Aber selbst Thomas wagte diesen Schritt nicht: Ben war ihm nicht zuverlässig genug.

    Jedenfalls entschieden sich Ben und Caroline quasi von einem Tag zum anderen, gemeinsam nach Berlin zu gehen.

    Susanne fand es etwas schade, dass die Freundin so weit weg war. Es kam aber dann genau so, allerdings hatte die Freundschaft der beiden Frauen all die Jahre nicht darunter gelitten, man sah sich eben nur nicht mehr so häufig.

    Susanne wurde dann schwanger und war auch erst einmal sehr mit ihrem Mutter-Dasein beschäftigt. Caroline nannte sie zwar leicht belustigt das Mutter-Schaf und belächelte sie ein wenig, aber Susanne war sich nie sicher, wie viel da Ernst oder Fassade war.

    Als Adrian ungefähr ein Jahr alt war, kamen die beiden zu Besuch aus Berlin und eröffneten völlig überraschend, dass sie eine Woche vorher geheiratet hatten. Susanne konnte das nicht verstehen, aber irgendwie passten die zwei zusammen, so sprunghaft, wie sie waren. Ob das auf Dauer gut gehen würde, war die andere Frage.

    Mittlerweile war es Zeit, in den Blumenladen zu fahren. Susanne griff auf dem Garderobenschrank nach ihrem Autoschlüssel und verließ ebenfalls das Haus.

    Sie freute sich auf ihre Arbeit. Sie liebte es, ihre Kreativität dort auszuleben. Das, was ihr bei ihrem Studium nicht gelungen war, konnte sie mit den Pflanzen durchaus umsetzen. Es war die richtige Entscheidung, nachdem Adrian in den Kindergarten gegangen war, eine Ausbildung zur Floristin zu machen. Thomas konnte das nicht so ganz nachvollziehen, respektierte aber ihren Wunsch und unterstützte sie dabei.

    Sie arbeitete all die Jahre in diesem Laden. Als die Besitzerin aus Altersgründen verkaufen wollte, schlug Susanne zu und verwirklichte ihren Traum.

    Mittlerweile war sie bei ihrem „Blattwerk" angekommen und begann mit ihrer Arbeit. Sie genoss es, inmitten ihrer Blumen zu sein, so viele Farben und Düfte. Niemals hätte sie sich einen Schreibtischjob vorstellen können, das war ihr alles viel zu leblos.

    Kaum hatte sie die Blumen alle versorgt und in dekorativen Gefäßen aufgereiht, öffnete sich schon zum ersten Mal die Ladentür.

    „Guten Morgen, Susanne", rief jemand nach hinten in die Küche, wo Susanne sich gerade einen Kaffee einschenken wollte. Sie streckte den Kopf aus der Tür und schaute in Richtung Verkaufsraum.

    „Guten Morgen, Ella, grüßte sie fröhlich zurück. „Na, was hast du mir denn heute Schönes mitgebracht?

    Ella stellte die große Kiste auf den Verkaufstresen und packte aus. Es kamen Vasen und Übertöpfe zum Vorschein. Wundervolle Exemplare, sehr geschmackvoll und etwas außergewöhnlich in jeder Hinsicht.

    Susanne betrachtete die Gegenstände und war begeistert: „Hey, ich bin jedes Mal so angetan von deinen schönen Sachen. Ella, wie machst du das nur?"

    „Och, Susanne, nichts Besonderes, das ist normal für mich, so, wie wenn du einen schönen Strauß bindest."

    Die beiden Frauen kannten sich schon lange, diese Verbindung kam zustande durch die Kinder. Ella hatte einen Sohn in Adrians Alter. Die beiden Buben trafen sich regelmäßig zum Spielen, und so kamen sich die Mütter dann näher.

    Als Susanne den Blumenladen übernahm, hat es sich so ergeben, dass sie Ellas schöne Töpferarbeiten in ihrem Laden verkaufte, damit war beiden gedient, und bei Susannes Kunden waren die Artikel sehr beliebt.

    „Was gibts Neues zu berichten, meine Liebe?, erkundigte sich Ella. „Wie geht es Thomas?

    Susanne schnaufte einmal tief durch, ehe sie antwortete: „Gut, danke."

    „Oh, Sturm im Paradies?" Ella lachte.

    „Nein, nein. Thomas war und ist mein Traummann. Die Krux an der Sache ist, ich sehe ihn kaum in letzter Zeit. Ich freue mich ja, wenn er so erfolgreich ist mit seiner Arbeit. Aber für mich bleibt immer weniger Zeit übrig. Ich hoffe, das

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