Tod auf dem Drahtseil
Von Ann Murdoch
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Buchvorschau
Tod auf dem Drahtseil - Ann Murdoch
Der Tod auf dem Drahtseil
Ann Murdoch
© 2012 M.Schwekendiek
© 2012 Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
Ein CassiopeiaPress E-Book
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173158
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Der Tod auf dem Drahtseil
Der Tod auf dem Drahtseil
„Sei freundlich da oben, Pat, vergiss das Lächeln nicht, rief Trainer Angus McNeill zum Trapez hinauf. „Und zähl mit, sobald Stuart anfängt zu schwingen. Du weißt, dass es auf Sekundenbruchteile ankommt.
Pat Lionheart zog eine Grimasse und streckte Angus die Zunge heraus. „Das weiß ich doch, rief sie hinunter. „Ich bin schließlich oft genug im Netz gelandet.
„Und du wirst da auch wieder landen, wenn du nicht alles richtig machst", konterte McNeill, doch seine Stimme klang versöhnlich und freundlich, als er die junge Artistin betrachtete.
Patricia Lionheart hatte hart gearbeitet, um als eine der wenigen Frauen in der Welt den dreieinhalbfachen Salto in der Luft zu schaffen. Nicht immer war es ohne Tränen und Verletzungen abgegangen, aber mittlerweile klappte der Sprung bei drei von vier Versuchen. Die Sechsundzwanzigjährige kämpfte zäh und verbissen um ihren Erfolg, wie fast alle, die vom Zirkus besessen waren. Und Angus McNeill hatte es nicht bereut, die junge Frau, über deren Herkunft man so gut wie nichts wusste, in die Truppe aufgenommen zu haben.
Die Truppe, das waren die „Flying Generations" mit ihm, Angus McNeill, der lange Jahre selbst am Trapez gearbeitet hatte, seinem Sohn Stuart und dessen Frau Eve und wieder um deren Sohn Nicholas, der allerdings noch Anfänger war. Stuart war der Fänger, und er machte seine Sache seit Jahren wirklich gut. Und doch war jeder neue Akt auf dem Trapez eine Herausforderung und ein Abenteuer zugleich. Vor allem jetzt, da es endlich soweit kam, dass Pat ihren dreieinhalbfachen vor Publikum springen wollte. Denn dies hier war der letzte Tag ihres Aufenthaltes in Stirling, und noch in der Nacht nach der letzten Vorstellung würde der ganze Zirkus weiterfahren nach Dumbarton, kurz vor der Mündung des Flusses Clyde gelegen. Es war eine malerische, alte Stadt mit viel Geschichte und einer modernen Bevölkerung, die hoffentlich empfänglich sein würde für das Programm, das der First National Circus zu bieten hatte.
Der Name des Zirkus war natürlich frei erfunden und reichlich angeberisch, aber bisher hatte niemand Einspruch erhoben. Und so hatte Cedric O'Malley, der Direktor und Besitzer des Zirkus, bisher keine Veranlassung gehabt den Namen zu ändern, auch wenn er ziemlich hochtrabend klang.
Cedric kam jetzt in die Hauptmanege, wo die Flying Generations noch immer probten, und unwillkürlich hielt er den Atem an, als Pat zum dreieinhalbfachen Salto ansetzte. Hände klatschen gegeneinander, Talkum staubte auf, und ein unterdrückter Schrei kam von oben, als die junge Frau vom Fänger nicht richtig aufgefangen werden konnte. Dann ließ sich Pat ins das Netz fallen, wo sie gleich darauf ein wenig zur Ruhe kam. Schließlich rieb sie sich über die Schulter, wo sie augenscheinlich Schmerzen hatte. Trotzdem kam sie auf die übliche Art, mit einem Überschlag über die Netzkante, auf den Erdboden hinab.
„Das ging voll daneben, klagte sie. „Ich habe ein Gefühl, als wäre meine Schulter aus dem Gelenk gerissen.
Trotz der gespannten Aufmerksamkeit, die Cedric dem Sprung der jungen Frau geschenkt hatte, wirkte er ein wenig gehetzt. Der Zeitplan war eng.
„Ich gebe euch noch eine Viertelstunde, sagte er zu Angus McNeill und schaute dann Pat aufmerksam an. „Bist du soweit in Ordnung? Kannst du heute Abend auftreten?
„Natürlich kann ich, schimpfte sie. „Das muss nur ein bisschen massiert werden, und ein wenig von dieser Salbe, die Colin zusammenmixt, muss drauf, dann wird das schon wieder.
Der Blick von Angus war noch skeptisch, doch andererseits wusste er genauso gut wie Pat, dass sie sich mittlerweile zum Zugpferd der Flying Generations entwickelt hatte, und ein Auftritt ohne sie eigentlich gar nicht in Frage kam.
Cedric O’Malley, ein schlanker, älterer Mann undefinierbaren Alters, das irgendwo zwischen fünfzig und siebzig liegen mochte, griff Pat sanft unter das Kinn. „Du machst das schon, mein Kleines, ja?", fragte er freundlich.
Sie nickte, sie war nicht wehleidig, und wegen einer Lappalie würde sie niemals eine Vorstellung schmeißen. Die Zirkusluft lag ihr im Blut, obwohl sie von Hause wirklich keine Verbindung zum Zirkus gehabt hatte. Aber irgendwann war der Tag gekommen, an dem es sie gepackt hatte, und nach mehr als einem heftigen Streit mit ihrem Vater war sie einfach gegangen, hatte ihren Namen geändert und lebte seitdem im und für den Zirkus. Um diese Position zu erreichen, der Star der Flying Generations zu sein, hatte sie mehr als hart arbeiten müssen; war ganz klein angefangen als Tierpflegerin, oder vielmehr Mädchen für alles, hatte Fragen gestellt, gelernt, geübt, bis schließlich der große Tag gekommen war, an dem sie sich einfach in die Trapeztruppe hineindrängte und darauf bestand, dass man ihr zusah und beurteilte, was sie konnte.
Angus McNeill hatte ihr zunächst die Hölle heiß gemacht, dann jedoch seinen Sohn Stuart angewiesen sie zu fangen, wenn sie es denn schaffen sollte, bis dorthin zu fliegen – und zehn Minuten später war er begeistert gewesen. Pat hatte, vom Boden aus, jede Figur, jeden Bruchteil von Sekunden instinktiv erfasst und war in der Lage gewesen, sich selbst in die Springerin hineinzuversetzen.
Angus schaute jetzt Pat hinterher, die mit raschen Schritten dem Ausgang entgegenlief, um sich ein wenig die Schulter massieren zu lassen. Im Grunde war dieses Training vorbei, vor allem, da auch die Zeit drängte, denn die nächsten, die die große Manege zum Training benutzten, waren die Dompteure mit den Raubtieren. Und dafür mussten zunächst einmal die großen Schutzgitter rund um die Manege aufgestellt werden, wie auch der Gitterlaufgang, von den Käfigen in die Arena. Das alles kostete Zeit.
Als Pat hinausging, umgab sie der vertraute Geruch des Zirkus. Sie atmete tief ein, hier fühlte sie sich zuhause, das hier war ihre Welt.
Sie ging zielsicher durch die abgestellten Wohnwagen zu einem bestimmten hin und klopfte an dessen Tür. Colin Frazier, der Weißclown öffnete, schaute Pat an und grinste dann verständnisvoll.
„Ist es wieder einmal soweit?", fragte er.
Pat nickte. „Stuart hat irgendwie den Arm beim Fangen verdreht, glaube ich, und die ganze Schulter tut mir weh."
„Na, komm herein, Kleine. Eigentlich wäre es ja die Aufgabe von Angus, dir die Schulter zu massieren …"
„Aber du machst das doch viel besser", schmeichelte sie.
Colin war ein alter Mann von fast siebzig Jahren, und der Zirkus war sein Leben, er war Weißclown, solange er denken konnte. Aber wie in fast jedem Zirkus war es so, dass außerhalb der Vorstellungen eigentlich jeder jedem half. Und irgendwann hatte Pat festgestellt, dass Colin heilende Hände besitzen musste, denn nach jeder Massage bei ihm fühlte sie sich wie neugeboren. So auch jetzt.
Colin machte keine langen Umstände, setzte Pat in einen Stuhl und begann fachmännisch und sehr wirkungsvoll die Schulter zu massieren, so dass Pat nach kurzer Zeit wie in Kätzchen schnurrte, als die Schmerzen nachließen.
„Du bist ein wahrer Zauberer", lobte sie, umarmte den alten Mann und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Der grinste nur. „Kein Zauberer,