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Der Sohn der Welfin: Historischer Roman
Der Sohn der Welfin: Historischer Roman
Der Sohn der Welfin: Historischer Roman
eBook350 Seiten4 Stunden

Der Sohn der Welfin: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Der junge Friedrich von Schwaben muss miterleben, wie sein Vater, der Herzog, um die Königskrone gebracht wird. Der Herzog wird geächtet, während die Familie der Mutter von den neuen Zeiten profitiert. Friedrich wird hineingezogen in den Hass, mit dem sich Staufer und Welfen im Kampf um die Macht zu zerfleischen drohen. Halt findet er erst, als zwei Burgunderkinder an den Hof kommen, er erlebt Freundschaft, fasst Vertrauen. Der Junge ahnt nicht, dass ihn auch diese beiden in eine tödliche Spirale aus Hass, Verrat und Liebe verstricken werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum5. Juli 2017
ISBN9783839254721
Der Sohn der Welfin: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Der Sohn der Welfin - Petra Gabriel

    Impressum

    Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

    Der Ketzer und das Mädchen (2014)

    Besuchen Sie uns im Internet:

    www.gmeiner-verlag.de

    © 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    1. Auflage 2017

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich-barbarossa-und-soehne-welfenchronik_1-1000x1540.jpg

    und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich_I._Barbarossa.jpg

    ISBN 978-3-8392-5472-1

    Zitat

    Otto von Freising um 1150 in »Das Leben Friedrichs«: Im römischen Reich gab es in den Grenzen Galliens und Germaniens bis auf diesen Tag zwei berühmte Familien. Die eine ist die der Heinriche von Waiblingen (das sind die Staufer, Anm. der Autorin), die andere die der Welfen von Altdorf (heute Weingarten, Anm. der Autorin). Die eine pflegte Kaiser, die andere große Herzöge hervorzubringen.

    Die wichtigsten der handelnden Personen

    Friedrich III. von Waiblingen, später genannt Barbarossa, ab 1147 Herzog von Schwaben, ab 1152 deutscher König

    Beatrice, seine erste große Liebe *

    Adela von Vohburg, seine erste Frau

    Beatrix von Burgund, seine zweite Frau

    Friedrich II., Herzog von Schwaben, genannt Einaug,

    Barbarossas Vater

    Judith aus der Familie der Welfen, Einaugs erste Frau, die Mutter Barbarossas

    Konrad von Waiblingen, der jüngere Bruder von

    Barbarossas Vater, Barbarossas Onkel, deutscher König

    Heinrich der Stolze, Herzog von Bayern, Barbarossas

    welfischer Onkel

    Welf VI. von Memmingen, Barbarossas Onkel, Bruder von Heinrich und Judith

    Wilhelm, der Bruder von Beatrice *

    Burckhard von Lorch, Erzieher *

    Romuald von Buchhorn, Erzieher *

    Bernhard von Clairvaux, Abt

    Hugo von Wildeneck *

    Lothar von Supplingenburg, deutscher König und Kaiser.

    Die mit einem * gekennzeichneten Personen sind fiktiv.

    Teil eins,

    1127 – 1134,

    Judith

    Kapitel eins,

    1159, recordatio

    Sie lachte, hob die Arme und drehte sich. Ihre langen blonden Locken flogen und glänzten im flackernden Schein der Kerzen. Unter dem dünnen Stoff des Hemdes konnte er ihren geschmeidigen Körper erahnen: Die festen kleinen Brüste einer jungen Frau, fast ein Mädchen noch, die ausladenden Hüften, das stramme Hinterteil, die schlanken Schenkel, der kleine Bauch über dem dunkel-verheißungsvollen Dreieck ihrer Scham – ein Schatten nur und deshalb so begehrenswert wie das Land der Sehnsucht, das, kaum erreicht, dem Menschen immer wieder entgleitet. Sie legte die Hand auf den Unterleib und verbeugte sich, aus ihren Augen blitzte der Schalk. »Mein Herr Friedrich, Kaiser des römisch-deutschen Reiches, ich kann ihn schon spüren, er bewegt sich! Bald, bald haben wir einen Sohn, einen Erben. Die Hebamme sagt, es wird ein Junge. Ich hoffe, er bekommt Eure Augen und Eure Haare. Und als Mann einen so dichten roten Bart, wie Ihr ihn habt. Und …« Ihr Blick glitt über seinen nackten, von Narben gezeichneten Körper. Sie errötete tief, »… und Eure Manneskraft«, fuhr sie leise fort.

    Er schlug die Bettdecke zur Seite und legte sich nieder. »Kommt her, meine Schöne, meine Königin«, erwiderte er sanft, dann lachte er laut auf vor Glück. »Kommt zu mir, lasst mich unseren Sohn spüren. Ich hoffe sehr, er sieht einmal aus wie Ihr. Manchmal wünsche ich mir sogar, es möge ein Mädchen werden, eines, wie Ihr eines wart. Nur, um Euch zweimal zu haben. Da seht Ihr, wie töricht ich werde, sobald es um Euch geht.«

    Beatrix von Burgund drehte sich noch einmal. Dann glitt sie an seine Seite in das prachtvolle Bett mit den vielen Kissen, den bestickten Brokatvorhängen. »Seid sanft, mein Gemahl«, murmelte sie, während sie sich in seine Arme schmiegte und den Kopf auf seine behaarte Brust legte. »Aber bitte nicht allzu sehr.«

    Er roch den Duft ihres Körpers, überlagert von einem Hauch Rosenwasser. Er streichelte über ihre Haut, samten wie die eines Pfirsichs, und versenkte die Nase in ihrem nach Sommer, Sonne, Wiesenblumen und Apfelbäumen duftenden Haar. »Meint Ihr nicht, wir sollten vorsichtig sein? Das Kind, das Ihr tragt …«

    Der Kaiser bekam keine Antwort. Er hob den Kopf und sah, dass sie bereits schlief. So war sie, sein Weib Beatrix, seine Kindfrau. Im einen Moment noch völlig im Hier und Jetzt, voller Leben, voller Lachen. Und im nächsten ihm entglitten. Manchmal war er sogar auf Morpheus eifersüchtig. Er spürte, wie sich ihre Brust im Rhythmus des Atmens hob und senkte. Das dämmte sein Begehren, er glitt hinüber in eine Art Traum, in eine Zeit, in der es noch diese andere gegeben hatte. Seine erste große Liebe. Beatrice.

    Durch sie, die jetzt sein Weib war, durch diese Burgunderprinzessin, war sie auf eine gewisse Weise zu ihm zurückgekehrt. Er hatte nicht viel von dieser Kindfrau erwartet, außer einem ausgeglichenen Gemüt und einem noch unverdorbenen Geist in einem gebärfreudigen Körper, als er sie sich zur Frau erwählt hatte. Sie sollte ihm den lang ersehnten Erben schenken. Und natürlich die Vergrößerung seines Einflusses. Sie war der Garant für die Stärkung seiner Macht in Burgund, für höhere Einnahmen, die es ihm erlaubten, weitere Söldner anzuwerben, sowie – fast das Wichtigste von allem – für die Kontrolle über einen der bedeutendsten Zugänge nach Italien.

    Dann war sie vor ihm gestanden – und er hatte unwillkürlich die Luft angehalten, so ähnlich war sie ihr, seiner großen Liebe. Sie hatte ihn angelächelt und sofort sein Herz berührt. Die seit der Kindheit so vertrauten Gefühle des Getrenntseins, der Schwermut und der Einsamkeit, die ihn inzwischen fast wie Freunde durch die Tage begleiteten, durch die dunklen, aber, etwas abgemildert, auch durch die hellen, waren einen magischen Moment lang verschwunden gewesen.

    Er hatte ihr nie von dieser ersten Beatrice erzählt, obwohl er oft in Versuchung gewesen war. Jetzt war er froh darüber. Denn so hatte er sie kennenlernen können. Inzwischen war sie seinem Herzen nah, aber auf ihre ganz eigene Weise. Durch sie hatte er Frieden schließen können mit dem Schmerz.

    Friedrich strich ihr sanft die Strähne zur Seite, die ihr ins Gesicht gefallen war und lächelte. Er hatte es geschafft, war dort angekommen, wo der Enkel der Kaisertochter Agnes von Waiblingen hingehörte: an die Spitze des Reiches. Und an seiner Seite ging wieder eine Königin.

    Doch er hatte auch viel verloren auf diesem Weg. Unter anderem diese eine, die ihm mehr bedeutet hatte als sein Leben. Seit damals, seit sie gestorben war, einsam, ohne Aussicht auf Rettung, während ihr Blut den Wüstensand rot färbte, trug er dieses dunkle Loch mit sich herum, das machte, dass er fast immer innerlich fror. Diesen Abgrund, den nichts und niemand zu überbrücken imstande gewesen war. Keine der vielen Frauen, die er seit damals in den Armen gehalten hatte. Keiner der Erfolge, die ihn bis auf den Kaiserthron des römisch-deutschen Reiches geführt hatten. Erst ihr, dieser anderen Beatrix, die jetzt in seinen Armen lag, die sein erstes legitimes Kind in sich trug, war es gelungen, die Mauer aus Eis aufzutauen, hinter der sein Herz fast erfroren war.

    Angst um die zarte junge Frau an seiner Seite stieg in ihm auf, während er an die Vergangenheit dachte, die schreckliche Furcht, auch sie zu verlieren. Er spürte, wie seine Kehle eng wurde und wie seine Gedanken erneut zurückflogen. Wie Erinnerungen an eine Zeit in ihm aufstiegen, als er noch kein König, kein Kaiser gewesen war, sondern einfach ein kleiner Junge mit wildem rotblondem Haarschopf und einem unbändigen Willen. Das Kommen und Gehen von Bildern und Gefühlen überflutete ihn, trieb und wirbelte seine Gefühle hin und her wie Meereswellen einen Kiesel am Strand: die schiere Freude zu leben, Geborgenheit im Sonnenschein, der Geruch von Wiesen und Wald, Eiseskälte, die gefrorenen Pfützen auf seinem Weg. Auch Gefühle, in denen er zu versinken drohte und die ihn immer noch weiter zurück in die Kindheit führten, hin zur Unbeschwertheit in Zeiten, als die gestohlenen Äpfel noch besser geschmeckt hatten als das edelste Backwerk. Erinnerungen an Vertrauen und Freundschaft am Lagerfeuer nach einem siegreich bestandenen Kampf, an den ersten Frauenkörper in seinen Armen. An die Zeugung neuen Lebens, ebenso an den Tod, an innere Unsicherheit, lähmende Furcht und Ohnmacht, an Gefühle von Grauen und Verlust.

    Und an die Zeit, als die schwarzhaarige Judith, die schöne Herzogin von Schwaben, als die Mutter noch an seiner Seite gewesen war, um ihn mit ihrer Liebe zu wärmen und mit ihren Träumen anzuspornen. Träumen von Frieden und Eintracht zwischen ihrer und der Familie des Gatten, des Schwabenherzogs Friedrich. Träume, die zu ihren Lebzeiten niemals wahr geworden waren, an denen deshalb ihr Herz zerbrochen war. Auch wenn viele sie für hochfahrend gehalten hatten, so wie alle aus dem Geschlecht der Welfen eben, in ihrem Inneren war die Tochter Heinrichs des Schwarzen und der Billungerin Wulfhild zart und verletzlich gewesen. Und treu. Sie hatte selbst im Tod noch an ihn gedacht, hatte versucht, wenigstens dem Herzen ihres Sohnes eine Heimat zu geben, das Gift des Ehrgeizes und des Hasses so lange wie möglich von ihm fernzuhalten. Der Sohn hatte sie dafür geliebt. Und den Vater gehasst. Für dessen Gefühllosigkeit der Mutter gegenüber, die er hinter dem Mantel der Leutseligkeit verbarg. Für dessen Schwäche.

    Kapitel zwei

    An diesem Tag schwiegen die Waffen. Denn Gertrud, die Tochter König Lothars, hielt zu Pfingsten des Jahres 1127 auf dem Günzele Hochzeit mit Heinrich, Herzog von Bayern, den sie den Stolzen nannten. Mit viel Prunk und einer großen Gesandtschaft hatte der Welfenfürst sie aus Sachsen zu sich geholt. Der Ort der Eheschließung, ein Hügel am Ostufer des Lechs unweit der Stadt Augsburg, war mit Bedacht gewählt. Nahe diesem Versammlungsplatz an der Grenze zwischen Bayern und Schwaben hatte einst die Schlacht getobt, in der das Reichsheer die Ungarn besiegte. Nun stand statt Mann neben Mann auf dem weiten Lechfeld unterhalb der Erhebung Zelt an Zelt, eines prunkvoller als das andere. Über den Kuppeldächern wehten die Wimpel mit den Wappen der größten Geschlechter der deutschen Lande in der Maibrise. Nur ein Wappen fehlte: das mit den drei schwarzen, übereinander stehenden Löwen auf goldenem Grund des mächtigen Herzogs von Schwaben, Friedrich des Geächteten. Des Königs Feind.

    Judith von Schwaben, seine Herzogin, war jedoch gekommen. Die Schwester des Bräutigams hatte es sich trotz der tödlichen Fehde zwischen ihrem Gemahl und ihrem Bruder nicht nehmen lassen, zu dessen Hochzeit zu erscheinen. Noch vor zwei Jahren hätte der Onkel ihres Gatten, Kaiser Heinrich V., dort gesessen, wo jetzt ein König namens Lothar thronte, der aus Sachsen stammte. Neben ihm hielt seine Königin Richenza Hof, eine mütterlich wirkenden Frau.

    Hin und wieder warf Richenza einen Blick hinüber zur schönen Herzogin von Schwaben, verbunden mit einem verstohlenen Lächeln. Diese gab das Lächeln ebenso zurück. Ihre Männer waren Feinde, doch die Frauen waren es nicht. Das konnte jeder sehen, der die beiden beobachtete. Allerdings tat das niemand, denn aller Augen hingen an der erst zwölfjährigen neuen Bayernherzogin, einem scheuen, blassen Mädchen. Neben dem blutvollen, als anmaßend bekannten Heinrich wirkte sie noch unscheinbarer. Daran konnten auch die prachtvollen, mit Perlen und Edelsteinen geschmückten Gewänder und der reiche Schmuck nichts ändern. Mit gesenkten Lidern saß sie schüchtern und verloren zwischen ihrem Vater und ihrem Gatten.

    Heinrich von Bayern beachtete seine Braut kaum, lachte dröhnend, unterhielt sich mit seinem neuen Schwiegervater oder prostete einem seiner Getreuen zu. Gertrud hingegen wandte sich immer wieder mit einem um Hilfe heischenden Blick an ihre Schwiegermutter, die ihr dann freundlich zunickte.

    Würde der Salierkaiser Heinrich V. noch leben, hätte diese Hochzeit vielleicht niemals stattgefunden, das wusste jeder, der hier feierte. Doch Heinrich war ohne direkte Nachkommen gestorben. Wäre danach alles nach dynastischem Recht gelaufen, dann herrschte jetzt Friedrich von Schwaben, der zweite Herzog dieses Namens, der Sohn der Kaisertochter Agnes von Waiblingen, im Reich. Und die stolze Judith wäre seine Königin. Nun saß ein Mann auf dem Thron, mit dem niemand gerechnet hatte. Weil die Kirchenfürsten es so wollten. Sie hatten bei der Wahl den schwächeren Lothar von Supplingenburg auf den Thron gehoben. Lothar würde leicht zu führen sein, sich bei der Vergabe von geistlichen Ämtern und Pfründen nicht mehr einmischen. Das hatte er versprochen. Das war der Preis gewesen.

    Judiths Vater und Bruder hatten den Supplingenburger ebenfalls teuer für ihre Unterstützung bei der Königswahl bezahlen lassen: mit der Hand von dessen Tochter und einer ansehnlichen Mitgift, darunter die Grafschaft Tuszien. Heinrich der Stolze hatte gewusst, er würde bekommen, was er verlangte. Der neue König Lothar war, was Allodien und Unterstützer betraf, im Vergleich zu den Herzögen von Bayern ein Nichts. Deshalb brauchte er machtvolle Verbündete. Und wer weiß, vielleicht starb der Supplingenburger bald, das konnte schnell geschehen in kriegerischen Zeiten wie diesen. Dann könnten die Welfen womöglich den Thron erobern, die Nachkommen der Agnes von Waiblingen würden endlich ins zweite Glied verwiesen.

    Denn darum ging es in diesem wütenden Bürgerkrieg. Und um das Erbe der Salier, um die Reichtümer, die Heinrich der V. hinterlassen hatte. Königsgut, sagte die eine Seite. Hausgut der Waiblinger, der Nachkommen der Kaisertochter Agnes, und deshalb zu Unrecht eingefordert, sagte der derzeitige Herzog von Schwaben, Judiths Gatte Friedrich II., Enkelsohn des Salierkaisers und ältester Spross der Verbindung der Kaisertochter Agnes von Waiblingen mit Friedrich I. Der Mann, der die herrschaftliche Burg Hohenstaufen auf dem markanten Berg bei Göppingen gebaut hatte. Ein Berg, der aussah wie ein umgekehrter Kelch und deshalb allenthalben auch der »Stauf« genannt wurde.

    Niemand sprach an diesem Tag offen über die Feindseligkeiten. Doch unter der so fröhlichen wirkenden Oberfläche brodelten die Gerüchte. Viele zerrissen sich darüber die Mäuler, dass Judith es überhaupt gewagt hatte zu erscheinen. Andererseits: Ihr Gatte war reich und mächtig. Und sie war trotz ihrer Eheschließung schließlich immer noch Judith aus dem Geschlecht der Welfen und Enkelin des einst so machtvollen Stamms der sächsischen Billunger.

    Dennoch, diese ganze Hochzeit, war sie nicht sehr überstürzt? Immerhin waren die Eltern des Bräutigams, Heinrich der Schwarze und seine Gattin Wulfhild, erst im letzten Dezember kurz nacheinander verstorben. Nun ruhten sie in der welfischen Grablege im Kloster Weingarten. Fürs Erste hätte eine Verlobung doch genügt. Oder vielleicht doch nicht? Heinrich galt als überaus ehrgeizig. Und dieses Mädchen konnte ihm womöglich die Königskrone bescheren, wenn der Vater starb. Hatte er vielleicht die Hochzeitsnacht schon vorgezogen, um ganz sicher zu gehen? Die Braut zeigte jedoch keinerlei körperliche Anzeichen, die den kühnen Gerüchten Nahrung gaben. Sie wirkte ganz wie eine sittsame Jungfrau.

    Judith, die stolze Herzogin von Schwaben, lachte, parlierte, als befinde sie sich auf einer ganz gewöhnlichen Hochzeitsgesellschaft des Hochadels, als bemerke sie die Aufmerksamkeit nicht, die sie allenthalben erregte. Ihr schönes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den großen dunklen Augen unter den fein geschwungenen Brauen blieb freundlich. Die Welfin zeigte allen unmissverständlich, dass sie sich ihrer Herkunft bewusst war. Dass es ihr zustand, bei der Hochzeit des Bruders zugegen zu sein. Und dass sie sich einen Teufel um all den Klatsch und die Selbstgerechten scherte.

    Die Blicke des fünfjährigen Friedrich wanderten immer wieder anbetend zu seiner Mutter, die durch ihre Haltung und das prunkvolle Übergewand mit der geschnürten Taille alle überstrahlte. Sie hielt sich, wie es ihrem edlen Blut geziemte, stolz und doch mit vollendeter Grazie, funkelnd in der Pracht ihrer Juwelen und Perlen, mit einem kunstvoll bestickten Gebände und dem kronenähnlichen Reif über dem rabenschwarzen Haar, das ihr bis zur Taille in Locken über den Rücken floss. Judith war keine schüchterne graue Maus wie die Königstochter Gertrud. Aufrecht, mit geradem Rücken und erhobenem Kopf thronte sie im Kreis der Mächtigen. Der Fünfjährige fand, dass seine Mutter die wunderbarste aller Frauen auf diesem Fest war. Überhaupt die Schönste und Edelste unter allen Weibern. Sie lachte, sprühte vor Geist und Witz und schäkerte sogar mit dem Erzbischof Adalbert von Mainz, als wäre er nicht der erbitterte Widersacher ihres Gatten.

    Friedrich wusste, Adalbert von Mainz hasste die Waiblinger, war der Anführer jener Männer, die den Vater um die Krone betrogen hatten. »Hüte dich vor den Kirchenfürsten, mein Sohn«, hatte die Mutter einmal gesagt. »Vorne herum predigen sie Langmut, hinten herum schicken sie ihre Schergen los. Die meisten sind Heuchler, einige Verbrecher, alle sprechen mit gespaltener Zunge.«

    Friedrich verstand nicht, warum die Mutter jetzt mit dem Erzbischof lachte. Aber er war weit davon entfernt, ihr Verhalten in Zweifel zu ziehen. Die Mutter wusste immer, was sie tat.

    Der Junge schaute sich um. Burckhard von Lorch war nirgends zu sehen. Auch Romuald von Buchhorn nicht. Er grinste. Er war seinen Erziehern und deren ständigen Ermahnungen wieder einmal entwischt. Burckhard, dem Mönch aus dem Kloster Lorch, gelang es nicht, den ungestümen Waiblingerspross zu bändigen. Das Stillsitzen, Zuhören, das Malen von Buchstaben und das stundenlange Beichten und Beten waren Friedrichs Sache nicht. Romuald von Buchhorn tat sich da schon leichter. Der junge Ritter war von der Mutter gerufen worden, um ihn in der Kampfkunst zu unterweisen. Romuald stammte zwar aus dem Welfenland, doch der Vater hatte es stillschweigend geduldet, denn Romuald verstand sich aufs Kämpfen wie wenige.

    Ohnehin achtete an diesem Tag auf dem Günzele niemand auf den fünfjährigen Knirps mit dem wachen Blick oder vermutete in dem rothaarigen Bengel mit der Rotznase den Enkel einer Kaisertochter. Friedrich hatte sich unters Volk gemischt. Zwischen den einfachen Menschen zu sein, das gefiel ihm. Hier war er frei, konnte tun und lassen, was er wollte, konnte hören, was die Leute sagten. Denn das war wichtig, das hatte ihm seine Mutter immer wieder eingebläut. »Ein rechter Fürst muss lernen zuzuhören und sich erst dann ein Urteil zu bilden. Das sind die Hochgeborenen, die es besser wissen, jenen schuldig, die tiefer stehen als sie. Vergiss nie, mein Sohn, in deinen Adern fließt kaiserliches Blut. Das Zuhören, die rechte und gemessene Wahl der Worte sind eine höhere Kunst als das plumpe Daherreden. Und das Draufhauen«, hatte sie nach einer kurzen Pause angefügt. Die Mutter sagte viele solche Sachen. Er verstand nicht immer, was sie damit meinte. Aber er merkte sie sich gut. Denn eines Tages würde er sie verstehen, da war er sich sicher.

    Friedrich musterte einmal mehr die Umstehenden. Hier unter den Bauern und Bürgern würden ihn Romuald und Burckhard bestimmt nicht suchen. Bald war es mit der Freiheit ohnehin vorbei. Morgen sollten sie aufbrechen, die Kindbraut des Onkels heimgeleiten. Heinrich bestand darauf, dass sein junges Weib im Schussengau residierte, dass sein Sohn, den er ihr in der Hochzeitsnacht zu schenken gedachte, in der Region zur Welt kommen sollte, die zum Kernland der Welfen in Schwaben gehörte. Friedrich fand diesen Gedanken nicht sonderlich angenehm. Denn auf dem Martinsberg in Weingarten wurde gebaut. Sein Großvater Heinrich der Schwarze hatte noch vor seinem Tod dafür gesorgt, dass dort anstelle des alten ein neues, viel prächtigeres Kloster entstand, würdig der Reliquien, die seine Vorfahrin, die ebenfalls den Namen Judith trug, dem Kloster bei der Welfenpfalz gespendet hatte. Darunter eine mit dem heiligen Blut des Erlösers. Wie er sie kannte, würde er dann zudem wenig von der Mutter haben. Sie würde es genießen, die Bauarbeiten zu beaufsichtigen, und wohl bei den Handwerkern zu finden sein statt auf der Ravensburg. Die Frauen der Welfen waren selbstbewusst, waren es gewohnt, ein strenges Regiment zu führen.

    Er hoffte sehr, dass sie ihn zu den Handwerkern mitkommen ließ. Gut, eine Baustelle bedeutete Staub, Lärm, Geschäftigkeit, Trubel. Andererseits – so eine Baustelle, an der es wieselte und wuselte, konnte einem unternehmungslustigen Knaben schon gut als abenteuerlicher Aufenthaltsort dienen. Vielleicht musste er sich dann nicht ständig gesittet benehmen, sondern konnte hin und wieder seine eigenen Wege gehen.

    »Die schwarze Hexe dud so, als könne sie kein Wässerchen trüben. Es heißt, sie fliegt nachts mit den Raben. Herzog Heinrich sollte das Weib fortschicken«, hörte der Junge da neben sich. Er wandte sich um und erblickte einen jungen Laffen, der hämisch auf die Mutter deutete.

    »Lass gud sein, Enzo. Nicht mehr lang, und dieses Nadderngezücht hammer vom Erdboden gedilgt. Wir werdn die Waiblinger schon in die Schrangn weisn. Is Konrad von Schwaben nich davongelaufen wie ein Feigling, angeblich auf Pilgerreise? Und dessen Bruder Friedrich – wir werdn den Waiblingern schon noch zeign, was denen geschieht, die … Auuu! Wer bist ’n du? Frecher Bengel! Na, dir werd ich zeign, was es heißt, einen Edlen der Sachsen zu gneifn.«

    Friedrich fühlte sich am Kragen seines Gewandes gepackt und nach oben gehoben. Er trat um sich. »Euch werd ich’s zeigen. Mein Vater macht euch alle tot. Und mein Onkel Konrad ist kein Feigling, er is wirklich auf Pilgerreise. Wartet nur, bald kommt er zurück und dann seid ihr tot, er haut euch in Stücke. Und meine Mutter is keine Hexe …«

    Der, der Enzo hieß, lachte. »Ach nee. Un meine Mudder is die Königin von Konstantinopl. Dir verdresch ich den Hintern, du kleiner Giftzwerg. Geifert und gibt sich wie das Feuer auf seinem Kopf. Aber das werdn wir schon löschn. Hanno, hilf mir, ihn festzuhalten, damit ich ihn übers Knie legen kann.«

    »Was macht Ihr da mit meinem Neffen?«

    Enzo ließ den Jungen fallen, der unsanft auf dem Hintern landete, sich aber sofort aufrappelte und sich anschickte, seinen beiden Widersachern erneut gegen die Schienbeine zu treten. Dieses Mal wurde er von seinem Onkel Welf festgehalten, mit seinen zwölf Jahren kaum älter als er selbst. Friedrich machte sich schnellstens los. Welf grinste dem Jungen kurz zu, dann verdüsterte sich seine Miene wieder. Er wandte sich den beiden Sachsen zu und musterte sie wütend. Wieder einmal bewunderte Friedrich den Mut des jüngeren Bruders der Mutter. Der Onkel wusste sich zu wehren. So wollte er einmal werden. Welf hatte bereits sein eigenes, gut geschmiedetes Schwert und er konnte damit umgehen. Es hing in einer wertvollen Scheide am Gürtel.

    Friedrich spürte das kleinere Kinderschwert an seiner Seite. »Leicht, für einen Knirps wie dich besser zu handhaben«, hatte der Vater ihm gesagt, als er mit dem Geschenk angekommen war. Pah, nicht mehr lange, und er war stark genug für eine richtige Waffe. Er konnte den Bogen schon wie ein Großer spannen. Und dann war er wie Welf. Dessen Körper wies bereits die Scharten eines bewährten Kämpfers auf. Es waren einige, das wusste Friedrich. Er hatte Welf gestern nackt im Badzuber gesehen. Sein sehniger schlanker Körper war mit Muskeln bepackt und an Armen und Beinen voller Narben. Er hatte sogar schon an zahlreichen Buhurts teilgenommen, die er dem kleinen Neffen beredt schilderte. Der hörte jedes Mal mit leuchtenden Augen zu, beseelt von einem Gedanken: Er würde der Welt schon noch zeigen, wer er war. Die Menschen würden sich seinen Namen merken! Und ihn fürchten. Jawohl.

    Die beiden Laffen machten ein erschrockenes Gesicht und verneigten sich tief. »Verzeiht, Herr, wir wussten ja nicht …«

    Welf warf sich in die Brust. »Gleich, ob dieser Junge mein Neffe ist oder nicht. Was seid Ihr für Kämpfer! Legen sich mit einem Kind an! Wahrlich heldenhaft.«

    »Sie haben Mutter eine schwarzhaarige Hexe genannt!«, krähte Friedrich voller Empörung. In seinen Augen standen Tränen der Wut.

    »Ihr wagt es, meine Schwester zu beleidigen?«

    Der Sachse schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Herr, das war nich unsere Absicht. Wir meindn auch nich Eure Schwester.«

    »Gewisslich nich! Wir würdn es niemals wagen, die hohe Frau eine Hexe zu heißn«, beeilte sich Enzo zu ergänzen.

    Friedrich konnte die Angst im Blick der Männer erkennen. Voller Stolz schaute er zu seinem Onkel hoch. Der stand neben ihm wie ein angriffslustiger junger Rabe, der kurz davor war, seinem Gegner ein Auge auszuhacken. Welfs Gesicht zeigte keine Furcht. Seine Hand fuhr zum Schwertgürtel. Dann aber kämpfte er seinen Unwillen nieder. Friedrich konnte sehen, welche Mühe ihn das kostete.

    »Ihr habt Glück. Heute ist das Fest der Hochzeit meines Bruders und Ihr seid Gäste. Es gilt, Frieden zu halten. Aber es ist besser, Ihr trollt Euch, ehe ich es mir anders überlege«, grollte er.

    Friedrichs Peiniger verneigten sich stumm und gaben schnellstens Fersengeld.

    »Wenn ich einmal König bin«, sagte Friedrich, »dann lasse ich sie vierteilen.«

    Welf grinste erneut, doch in seiner Stimme schwang ein warnender Unterton mit. »Mäßige dich, du Kindskopf. Wir haben einen anderen König. Und es gibt Männer, die haben ein ebenso großes Anrecht auf den Thron wie der Supplingenburger. Könntest übrigens wenigstens danke sagen.«

    »Puh, ich brauch keinen Retter.« Friedrich richtete sich auf. »Und ich bin kein Kindskopf. Tu nicht so herablassend. Mein Vater hätte dort sitzen sollen. Ich werd schaffen, was ihm nicht gelungen is. Ich werd nich nur König. Ich werd Kaiser. Nur, dass du’s weißt«, erklärte der Fünfjährige, und seine braunen Augen mit den gelben Sprenkeln blitzten.

    Welf, der sechste dieses Namens in seinem Geschlecht und deshalb auch der Unterscheidung wegen meist Welf von Memmingen genannt, betrachtete den hitzköpfigen Sohn seiner Schwester Judith. Dessen rötlich-blonder Schopf war dicht und ungekämmt, die Wangen noch immer gerötet vor Zorn. »Hast ein teuflisches Temperament, schlägst wohl eher den Welfen nach als den Waiblingern.«

    Friedrich nickte. Er betrachtete das als ein Lob. Auch wenn jetzt schon abzusehen war, dass er äußerlich einmal eher seinem Vater gleichen würde. Er war zwar noch lange nicht so groß wie dieser, hatte aber wie dieser breite Schultern und stämmige Schenkel.

    »Komm jetzt, wir müssen zu den anderen zurück.« Welf strich sich durch sein rabenschwarzes, eher borstiges Haar, das ebenso dicht und widerspenstig war wie das des Neffen. Die Welfen wurden nicht umsonst auch Raben genannt. Ein

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