Im Galopp ins Sommerglück
Von Kathrin Siegel
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Über dieses E-Book
Turbulent geht es auch im Tierheim Pfötchenasyl zu, wo Sabrina jobbt. Welch eine Freude, als ihr der wunderschöne Haflinger Filou zugeteilt wird! Nur der Miesepeter Jannik verdirbt ihr die gute Laune. Doch dann fragt sich Sabrina, ob Jannik nicht ein echter Traumtyp sein könnte.
Pferdespaß im Doppelpack! Sommer, Pferde und die erste Liebe für Mädchen ab 10 Jahren. Dieses eBook enthält die beiden Einzelbände "L'amour in Hintergülding" und "Ferien im Pfötchenasyl".
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Sommerträume auf vier Hufen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTraumferien im Sattel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Sommer voller Pferdeträume Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Im Galopp ins Sommerglück - Kathrin Siegel
Inhalt
Cover
Titel
L’amour in Hintergülding
On n’a rien sans rien
Von nichts kommt nichts
C’est le ton qui fait la chanson
Der Ton macht die Musik
Pas de nouvelles, bonnes nouvelles!
Keine Nachrichten, gute Nachrichten!
La nuit tous les chats sont gris
In der Nacht sind alle Katzen grau
Il n’y a que le premier pas qui coûte
Aller Anfang ist schwer
Donnant, donnant!
Gibst du mir, so geb ich dir!
Il faut souffrir pour être belle
Wer schön sein will, muss leiden
L’argent n’a pas d’odeur
Geld stinkt nicht
Chacun est l’artisan de sa fortune
Jeder ist seines Glückes Schmied
Une hirondelle ne fait pas le printemps
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer
Un malheur ne vient jamais seul
Ein Unglück kommt selten allein
Qui bien commence, bien avance!
Frisch gewagt ist halb gewonnen!
La chance sourit aux audacieux!
Das Glück ist mit den Tapferen!
Après la pluie, le beau temps!
Nach Regen kommt Sonnenschein!
Tout est bien qui finit bien!
Ende gut, alles gut!
Ferien im Pfötchenasyl
Ein Zug in den Sommer
Ein Start mit Hindernissen
Ein turbulenter Morgen
Ein interessantes Geständnis
Eine Freundin aus heiterem Himmel
Ein anonymer Anruf
Eine peinliche Sendung
Eine kleine Erkundigungstour
Zoff mit Tante Lucy
Ein Zelt verschwindet
Eine verrückte Nachtwanderung
Eine schlaflose Nacht
Eine seltsame Begegnung
Eine Woche später
Weitere Pferde-Bücher
Über die Autorin
Weitere Infos
Impressum
L’amour in Hintergülding
On n’a rien sans rien
Von nichts kommt nichts
Mein Bruder Martin sagt, man ist nicht ganz richtig im Kopf, wenn man seine Tage mit französischen Sinnsprüchen beginnt. Aber von einem Typen, der sich selbst Turbo nennt und mit seiner Punk-Band in einem alten Kuhstall probt, lasse ich mir so was bestimmt nicht sagen. Außerdem habe ich den Kalender mit den Sprüchen von den Schupkes zu Weihnachten gekriegt, und seit dem ersten Januar reiße ich jeden Morgen ein Blatt davon ab. Jeden Tag ein neuer Spruch. Und ob ihr’s glaubt oder nicht, meistens stimmt er.
„Und?, sagt meine Mama, die den Wecker gehört hat und jetzt den Kopf durch die Tür streckt. „Was spricht Frankreich heute?
„Von nichts kommt nichts!", sage ich und wiederhole es danach auf Französisch. Seit der fünften Klasse lerne ich diese tolle Sprache nun schon – also seit eineinhalb Jahren! Und inzwischen bin ich ein absoluter Frankreich-Fan. Ich glaube, in meinem letzten Leben war ich eine reiche französische Adlige in einer Luxuswohnung mit Blick auf den Eiffelturm. Nur Pech, dass ich in diesem Leben ein sommersprossiges Mädchen in einem unaufgeräumten Zimmer mit Blick auf einen Misthaufen bin.
Mein Zuhause ist nämlich ein kleiner Bauernhof in Hintergülding. Das ist ein winziges Dorf im Nirgendwo. Und unsere Bruchbude mit mehreren Ställen und einem uralten Traktor vor der Tür befindet sich genau im Zentrum.
Im Zentrum von Nirgendwo ist ehrlich gesagt ziemlich wenig los.
Mama lacht. „Von nichts kommt wirklich nichts, also raus aus den Federn, Süße!", sagt sie. Draußen kräht unser Hahn und ein neuer Tag beginnt.
Seit mein Papa vor drei Jahren gestorben ist, kümmert Mama sich ganz allein um die Hühner, die dreißig Ziegen, die Felder und den Obst- und Gemüsegarten. Klar: Mein Bruder Martin und ich helfen ihr, wo es nur geht. Aber vormittags sind wir in der Schule und manchmal sind wir auch nachmittags unterwegs.
Außerdem findet Mama, dass wir unsere Kindheit genießen sollen – sie will nicht, dass wir zu viel arbeiten, und das ist mir eigentlich ganz recht. Ich kümmere mich dafür fast ganz allein um die Bewohner unserer Pferdekoppel: Grisu und Nordstern. Grisu ist ein niedliches Falabella, das gerade mal sechzig Zentimeter misst. Wer ihn sieht, möchte ihn sofort adoptieren!
Mein Papa hat ihn damals von einem Zirkus auf Durchreise gekauft. Denen ist das Geld ausgegangen und Grisu wäre in dem kalten Zelt beinahe erfroren! Als er hier ankam, sah er wirklich jämmerlich aus. Ganz verschreckt und krank. Heute würde dieser rücksichtslose Zirkusbesitzer seinen kleinen Show-Star vermutlich gar nicht mehr wiedererkennen.
Bei uns darf Grisu nämlich machen, was er will. Und muss nicht zu Trommelwirbel und Applaus in einer stickigen Manege durch die Gegend traben. Er ist einfach da und freut sich am Leben – und das sieht man ihm auch deutlich an.
Nordstern ist das genaue Gegenteil von unserem gemütlichen und niedlichen Pony: eine Knabstrupper-Stute, die stolzer und erhabener nicht sein könnte. Sie ist weiß mit dunklen Flecken und sieht genau wie das Pferd von Pippi Langstrumpf aus. Als der Hof des Ender-Bauern vom Nachbardorf versteigert wurde, haben ihm meine Eltern das Pferd abgekauft.
Damals haben sie lange am Küchentisch darüber diskutiert, ob man so viel Geld für ein Tier ausgeben darf – das ganze Ersparte! Aber schließlich haben sie sich dafür entschieden. Mama war der Meinung, dass es mir guttut, wenn ich reite und mich viel an der frischen Luft bewege. Und Papa wollte selbst auch reiten lernen und hat es auch ein paar Monate gemacht. Aber dann ging es ihm langsam immer schlechter und jetzt bin ich die Einzige auf dem Hof, die auf Nordstern unterwegs ist – dafür aber ziemlich oft!
So unterschiedlich Nordstern und Grisu auch sind – sie verstehen sich einfach prächtig. Und ich bin wahnsinnig glücklich, dass ich für die beiden sorgen darf. Mein Papa hat immer gesagt: „Man braucht eine Aufgabe im Leben!" Und ich bin stolz, dass meine Aufgabe die beiden sind!
Immer wenn ich mich darüber ärgere, dass in der Schule etwas schiefläuft, Mama wegen dem Haus und den Schulden jammert oder mein großer Bruder sich wie ein Trottel benimmt, gehe ich schnell in den Pferdestall und die Welt ist wieder in Ordnung.
Grisu und Nordstern geben mir irgendwie das Gefühl, dass alles nur halb so schlimm ist und es für alle Probleme eine Lösung gibt. Die beiden sind meine engsten Vertrauten.
Turbo, also mein Bruder Martin, kann mit Pferden natürlich wenig anfangen, er packt lieber in unserer Käserei mit an. Dort macht Mama alle drei Tage leckeren Ziegenkäse.
Auch die kleine Obstplantage hinter dem Haus, die zwei Felder, auf denen wir das Futter für die Tiere anbauen, und das riesige Gemüsebeet machen jede Menge Arbeit. Das alles wird von Mama und den alten Schupkes erledigt.
Die Schupkes sind ein Rentner-Ehepaar aus dem Dorf, die Mama seit Papas Tod bei allem unterstützen, und das für ganz wenig Geld.
Ich habe also Großeltern, die eigentlich gar keine Großeltern sind. Eine Mama, die den ganzen Tag in Gummistiefeln herumrennt und ackert. Einen Bruder, der im Kuhstall Luftgitarre spielt. Direkten Blick auf den Misthaufen vor meinem Zimmer – und täglich einen neuen französischen Spruch.
Mama stapft die Treppe hinunter und Martin ist offenbar auch schon wach. Ich höre in der Küche das Radio dudeln. Also werfe ich die Bettdecke zur Seite und stehe endlich auf.
„Hallo!", murmle ich, als ich in die Küche schlurfe und mir die Packung mit den Cornflakes aufmache.
„Hi!", grummelt Martin und liest weiter in der Zeitung. Seit er vierzehn geworden ist, tut er unglaublich erwachsen. Das nervt!
Mama kommt aus dem Hühnerstall zurück. Sie legt die Eier in den Korb und zieht die dreckverschmierten Gummistiefel aus. „Der Traktor ist endgültig kaputt!, seufzt sie und klaut was von Martins Zeitung. „Und das, wo ich raus auf die Felder muss. Ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Mir verrottet ja der ganze Rotklee für die Ziegen!
„Wieder das gleiche Problem wie beim letzten Mal?", fragt Martin und klingt dabei ehrlich besorgt. Die zwei reden über unseren Traktor, als wäre er ein Haustier, das mal wieder krank geworden ist!
Mama nickt und blättert gedankenverloren in der Zeitung herum. Auf der Seite mit den Stellenangeboten hält sie inne und ihr Zeigefinger fährt langsam die Anzeigen hinab. „Der Anlasser ist hin. Herr Schupke hat gesagt, die Karre ist reif fürs Museum."
„Dann müssen wir eben einen neuen Traktor kaufen!", sage ich.
Mama sieht mich traurig an. „Weißt du, was ein neuer Traktor kostet, Süße? Das ist unbezahlbar. Wir können uns bestenfalls wieder einen gebrauchten leisten. Aber dafür legt man an die dreitausend Euro hin, und das ist dann noch nicht mal der beste. Dabei habe ich noch nicht mal die Rechnung für die Obstpresse ganz abbezahlt. Ganz zu schweigen von meinen übrigen Schulden."
Dreitausend Euro. Für einen Moment wird mir schwindelig.
„Nette Kassiererin gesucht!, sagt Mama plötzlich – ihr Finger ist in der Mitte der Zeitung angelangt. „Bin ich nett? Was meint ihr?
„Klar bist du nett!, sagt Martin und sieht Mama verdattert an. „Aber du bist keine Kassiererin, oder? Du hast einen Bauernhof, das ist Arbeit genug!
Mama schlägt die Zeitung zu. „Viel Arbeit, die wenig Geld einbringt. Ich brauche dringend irgendeinen gut bezahlten Job. Wir können den Hof sonst auf Dauer nicht halten. Und ein Sommelier wird hier ja leider nirgends gesucht."
Oh, genau. Das habe ich ganz vergessen. Nicht nur, dass ich Bewohnerin eines heruntergekommenen Bauernhofs bin, ohne Papa und ohne Knete. Es ist auch noch so, dass meine Mutter den ungewöhnlichsten Beruf der Welt gelernt hat.
Das war, bevor sie Papa begegnet ist. Damals hat sie nämlich auf einem Weingut gearbeitet und die Kunden beim Weinkauf beraten. „Sommelier, das ist auch so ein schönes französisches Wort. Übersetzt heißt es in etwa „Fachmann für Weine
.
Nach der Hochzeit hat Mama das Weingut verlassen und ist Papa in seine Heimat gefolgt. Als mein Bruder Martin geboren wurde, haben sie den leer stehenden Bauernhof gekauft. Mein Papa hat im großen Anbau seine Tierarztpraxis betrieben und ein paar Jahre waren wir vier so richtig glücklich hier.
Aber dann hat Papa diese schlimme Krankheit gekriegt, und seit er weg ist, ist nichts mehr wie früher.
„Das heißt nicht Sommelier, sondern Sommelière, wenn es eine Frau ist!", korrigiere ich meine Mama.
„Sommelier oder Sommelière, ist doch piepegal!, sagt Mama frustriert. „Tatsache ist, ich habe einen Beruf gelernt, den kein Mensch weit und breit braucht. Vielleicht sollte ich noch mal zur Schule gehen!
Manchmal kommt meine Mama auf die aberwitzigsten Ideen. Sie wollte schon mal das Abitur nachmachen und studieren. Dann wollte sie mit uns ins Ausland gehen. Und einmal eine Umschulung zur Masseurin machen. Aber in Wahrheit will sie natürlich nur eines: sich um ihren geliebten Bauernhof kümmern. Mit Papa zusammen hat das alles wunderbar geklappt. Die Erzeugnisse liefert Mama an einen kleinen Supermarkt in der Stadt. Das Problem ist: Früher hat Papa eben zusätzlich noch als Tierarzt gearbeitet. Dadurch kam regelmäßig Geld herein. Seit wir alleine sind, verdient Mama unser Geld nur noch mit Käse, Eiern, Saft und Gemüse.
Wisst ihr, wie viele Karotten man verkaufen muss, bis man sich einmal Kino leisten kann?
Ich auch nicht, ehrlich gesagt. Jedenfalls nicht genau. Aber es sind ganz schön viele!
„Oje, ihr müsst zur Schule!", sagt Mama plötzlich erschrocken und springt auf.
Und auf einmal haben wir es ziemlich eilig. Wenn wir den einzigen Bus am Tag verpassen, kommen wir nämlich nicht raus aus dem Ort. Und dann muss Mama uns mit dem klapprigen Fiat von Frau Schupke bis in die Stadt fahren – und dafür hat sie eigentlich keine Zeit. Schließlich müssen die Ziegen gemolken werden.
Als Martin und ich uns aus der Haustür zwängen, kommen gerade die Schupkes heranmarschiert. Frau Schupke trägt ihr gewohntes Kopftuch und einen geblümten Rock dazu.
„Kinder, Kinder!, sagt sie und streicht mir durchs Haar. „Wieso denn so in Eile?
„Der Bus kommt in einer Minute!", murmelt Martin und will sich an ihr vorbeidrängen. Aber Frau Schupke hält ihn an der Schulter fest.
„Deine Jeans muss ich mal enger nähen!, sagt sie kopfschüttelnd. „Man kann ja den Bund der Unterhose sehen!
„Das gehört so!", sagt Turbo und wird tatsächlich rot. Er zieht seine Hose ein bisschen nach oben und rennt dann in Richtung Bushaltestelle davon.
Frau Schupke sieht ihm kopfschüttelnd nach, zupft ihr Kopftuch zurecht und Herr Schupke murmelt etwas von „modernen Zeiten".
„Ich muss auch los!, sage ich und renne Martin hinterher. Im Laufen drehe ich mich noch mal um: „On n’a rien sans rien! Von nichts kommt nichts, Frau Schupke!
C’est le ton qui fait la chanson
Der Ton macht die Musik
In meiner Klasse herrscht Krisenstimmung. Bianca ist nicht da und irgendjemand behauptet, sie wäre im Krankenhaus. Wenn ich im Krankenhaus wäre, würde das außer Mama, Turbo und den beiden Pferden niemandem auffallen, so viel steht fest.
Aber die tolle Bianca ist so eine Art Star bei uns. Wir sind eine reine Mädchenschule und letztes Jahr wurde Bianca auf dem Faschingsball zur beliebtesten Schülerin der Jahrgangsstufe gewählt.
Vielleicht liegt es an ihren schönen langen Haaren oder an ihrem hübschen Gesicht. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Eltern einen richtigen Partykeller und sogar ein Schwimmbad im Garten haben und Bianca zu ihrem Geburtstag immer die ganze Klasse einladen darf.
Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ihre Eltern der Schule eine neue Tischtennisplatte spendiert haben.
Auf jeden Fall ist sie heute nicht da, und als ich an Helene Marx vorbeigehe, höre ich sie ganz dramatisch sagen: „Wenn Bianca echt im Krankenhaus ist, wäre das eine Ka-tas-tro-phe!"
Als sie mich bemerkt, schweigt sie und hält sich die Nase zu. „Es stinkt nach Ziegenmist!", flüstert sie ihrer Nachbarin zu und die beiden kichern leise.
Ich hasse Helene Marx. Sie ist im Februar neu in unsere Klasse gekommen. Ich weiß nicht viel über sie, weil sie vom ersten Moment an fies zu mir war. Ich weiß nur, dass sie vor drei Monaten in die Stadt gezogen ist, direkt ins Nachbarhaus von Bianca. Seitdem sind ausgerechnet die beiden Freundinnen.
Als Frau Kramer das Zimmer betritt, wird es schlagartig leise. Frau Kramer ist unsere Französischlehrerin und heute Morgen sieht sie ziemlich aufgelöst aus. Sie fällt direkt mit der Tür ins Haus: „Ihr habt vielleicht schon erfahren, dass Bianca gestern mit dem Fahrrad gestürzt ist. Sie hat sich das Bein gebrochen und muss für mehrere Tage ins Krankenhaus."
Entsetztes Schweigen ringsum. Dann sagt Nadja: „Und was ist mit dem Schüleraustausch?"
Der Austausch, das ist auch so eine Sache. Seit Wochen spricht niemand mehr von etwas anderem. Frau Kramer hat einen Schüleraustausch mit unserer Partnerschule in Paris organisiert. Sechs Mädchen aus meiner Klasse bekommen ab übermorgen Besuch von französischen Schülerinnen und zeigen ihnen eine Woche lang, wie so ein Leben in Deutschland aussieht. Dafür dürfen sie dann in den Sommerferien eine Woche nach Paris und ihre Austauschpartnerinnen besuchen.
Ich habe Mama den gelben Infozettel damals gar nicht gegeben. Klar wäre es mein Traum, nach Paris zu reisen! Aber als ich gesehen habe, was das Ganze kosten soll, wollte ich Mama nicht in Verlegenheit bringen. Wir haben einfach nicht das Geld für das Flugticket und die geplanten Ausflüge in Frankreich. Und ich kann außerdem nicht weg von zu Hause, weil sich ja jemand um Grisu und Nordstern kümmern muss. Außerdem …
„Leonie!", wiederholt Frau Kramer noch mal und schaut mich an. Ich werde rot, weil ich so in Gedanken war. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sie mit mir gesprochen hat.
„Was?", stottere ich und sehe verlegen auf meine Hefte.
„Ich habe dich gefragt, ob du dir vorstellen kannst, dass deine Mutter die Austauschpartnerin von Bianca aufnimmt. Alleine bei Biancas Eltern würde sie sich bestimmt einsam fühlen und die beiden sprechen wohl auch kein Französisch. Ihr habt doch einen großen Bauernhof, ist da nicht noch Platz für eine Besucherin?"
Ich höre Helene zwei Plätze neben mir entsetzt einatmen. Jemand anderes lacht ungläubig auf.
„Man kann doch eine echte Pariserin nicht in Leonies alten Bauernhof setzen!", spricht schließlich Ella aus der ersten Reihe das aus, was sich vermutlich alle denken.
Frau Kramer wirft ihr einen strengen Blick zu, aber ich nicke zerknirscht.
„Das geht wirklich nicht!, bestätige ich. „Wir haben zwar ein Gästezimmer, aber das ist viel zu klein. Außerdem kräht unser Hahn jeden Morgen um sechs Uhr. Und ständig ist irgendeine Arbeit zu erledigen.
Ein Mädchen aus der letzten Reihe gibt ein paar meckernde Ziegenlaute von sich und alle fangen schallend zu lachen an. Auch ich ringe mir ein Lächeln ab – aber innerlich koche ich natürlich!
Frau Kramer sieht mich nachdenklich an. „Du hast so gute Noten in Französisch!, sagt sie bedauernd. „Das wäre eine tolle Gelegenheit für dich. Und es könnte doch auch spannend für das Mädchen sein, einmal auf einem richtigen Bauernhof zu leben!
Frau Kramer ist wirklich von gestern. Für welches dreizehnjährige Mädchen ist es denn spannend, auf einem Bauernhof zu leben? Nein, das wäre die Blamage des Jahrhunderts.
Plötzlich beendet meine Lehrerin die Diskussion. „Wir schreiben ein Diktat!, sagt sie und alle murren. „Und wegen der heimatlosen Austauschschülerin lasse ich mir noch etwas einfallen!
Als ich am Nachmittag nach Hause komme, fegt Frau Schupke gerade den Hof. Herr Schupke füttert die Ziegen und Mama ist mit Martin in der Käserei.
Ich laufe am Nebengebäude vorbei, an dem immer noch das große Messingschild baumelt: „Tierarztpraxis Paradiesgarten, Leo Weiss". Darunter sind ein Esel, ein Huhn und ein Hund eingraviert.
Mama schafft es einfach nicht, Papas Praxisschild abzunehmen. Auch die Räume hat sie nie wirklich leer geräumt. Sie hat eine Zeit lang nach einem Tierarzt gesucht, der die Praxis übernehmen könnte. Aber dann hat ganz in der Nähe eine Tierklinik eröffnet und seitdem sind die schönen Räume abgesperrt.
Wenn ich an all die Schildkröten,