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Kifaru: Endstation Afrika. Eine Aussteigergeschichte
Kifaru: Endstation Afrika. Eine Aussteigergeschichte
Kifaru: Endstation Afrika. Eine Aussteigergeschichte
eBook292 Seiten4 Stunden

Kifaru: Endstation Afrika. Eine Aussteigergeschichte

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Über dieses E-Book

Die Idee, sich in einem andern Land ein neues Leben aufzubauen, kommt Esther und Horst auf ihrem sensationellen 5000 Kilometer langen Ritt quer durch Afrika, auf dem sie gemeinsam gefährliche Situationen meisterten - und der damals von den Medien als "Ritt des Jahrhunderts" gefeiert wurde. Als sich die einmalige Gelegenheit bietet, eine kleine Safari-Lodge in Tansania an den Hängen des Ngorongorokraters zu pachten, interpretieren sie dies als Chance, hier, auf dem Kontinent ihrer Sehnsucht, der Vision von einem wesentlichen, sinnstiftenden Leben näher zu kommen. Mit unermüdlichem Einsatz und jeder Menge Improvisation gelingt es ihnen, die neuen Aufgaben, vor die sie sich nun tagtäglich gestellt sehen, zu meistern. Doch gerade, als sie ihren Traum verwirklicht glauben, holt sie die Vergangenheit ein und lässt sie an sich selbst zerbrechen. Denn eines hatten sie nicht bedacht: An jeden Ort, zu dem er aufbricht, nimmt der Mensch seine Ängste und Hoffnungen mit. Seinem Ich entkommt man nicht, diese Erkenntnis wird für Esther und Horst in Afrika lebensentscheidend.
SpracheDeutsch
HerausgeberSeifert Verlag
Erscheinungsdatum27. Nov. 2017
ISBN9783902924490
Kifaru: Endstation Afrika. Eine Aussteigergeschichte

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    Buchvorschau

    Kifaru - Horst Hausleitner

    Bann …

    Als ich mich selbst zu lieben begann,

    habe ich verstanden, dass ich immer und

    bei jeder Gelegenheit,

    zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin

    und dass alles, was geschieht, richtig ist –

    von da an konnte ich ruhig sein.

    Heute weiß ich: Das nennt man Vertrauen.

    Kapitel 1

    Genau vor einem Jahr hatten wir unsere Siebensachen gepackt und die Heimat verlassen. Der riesige Container war zum Bersten voll mit unserem Hausrat. Ich hatte gerade noch ein Klavier besorgt und den letzten freien Platz damit belegt, bevor das stählerne Paket die Reise über Antwerpen zum Zielhafen nach Tanga in Tansania antrat. Unsere Fahrräder, die Kreissäge, Werkzeuge, kleinere Möbel, Betten, Matratzen und der übliche Hausrat, nicht zu vergessen 12 Flaschen steirischen Kürbiskernöls und meine Saxophone – mit all diesen Dingen und einer gehörigen Portion Enthusiasmus waren wir ausgezogen, um in der neuen Heimat ein neues Leben zu beginnen.

    Es war während unserer Abenteuerreise zu Pferd durch Afrika gewesen²

    , irgendwo im sambischen Urwald, als Esther das erste Mal den Vorschlag zum Auswandern gemacht hatte. Für sie war es immer ein Herzenswunsch gewesen, einmal auf einem anderen Kontinent zu leben, und offensichtlich hatte sie ihre Entscheidung bereits gefällt. Sie war so fasziniert von dem Gedanken, dass sie immer wieder versuchte, mich zu beeinflussen, genauso wie sie mich letztendlich zu diesem 5000 Kilometer langen Ritt überredet hatte. Da alle bisherigen Ideen Esthers immer gut gewesen waren, hatte ich mich nach anfänglichem Zögern schließlich doch durchgerungen, mich damit auseinanderzusetzen. Für Esther lagen die Argumente klar auf der Hand. Als Schauspielerin und Sängerin hatte sie nach ihrem letzten Engagement in Berlin kein neues in Aussicht. Sie hatte genug davon, immer wieder Auditions zu besuchen, um über eine bestimmte Zeit an irgendeinem Ort Theater zu spielen, ohne Aussicht, diesen Kreislauf durchbrechen zu können. Sie war felsenfest davon überzeugt, diesen Schritt zu wagen, während ich hin und her überlegte und meine Entscheidung so lange hinauszögerte, bis wir Udo trafen …

    Neun Monate waren wir bereits unterwegs gewesen, um den afrikanischen Kontinent von Südafrika bis Kenia im Sattel zu bereisen. Probleme mit aufdringlichen Menschenmassen und die Hitze hatten uns so zugesetzt, dass Esther mit den Nerven am Ende war und ich 20 Kilogramm an Körpergewicht verloren hatte. Aber auch unsere fantastischen Reittiere hatten nach den aufreibenden letzten Kilometern dringend Erholung nötig.

    Mit letzter Kraft hatten wir uns nach Karatu geschleppt, einem kleinen Ort am Fuße des Ngorongoro-Kraters, nur noch 200 Kilometer von unserem Ziel entfernt.

    Unsere Hoffnungen waren nicht enttäuscht worden. So wie der Reiseführer uns verraten hatte, begann ab hier das touristisch erschlossene Gebiet Tansanias. Safarihotels, die europäischem Standard entsprachen, wurden angepriesen, und wir hofften, auf einer dieser Lodges unterzukommen.

    Gleich der erste Kontakt, den Esther herstellte, führte zu Udo, den Besitzer der Plantation-Lodge. Spontan lud uns dieser zu sich ein. Eine Woche verköstigten uns er und seine Frau Renate kostenlos in ihrer Nobelherberge. Welch ein Luxus! Sie kümmerten sich rührend um uns, obwohl die Hauptsaison bereits begonnen hatte und das Haus ausgebucht war. Die überschwängliche Gastfreundschaft war Balsam für unsere strapazierten Nerven, nachdem wir einige Tage zuvor, nur knapp 50 Kilometer entfernt, fast gesteinigt und in ein tansanisches Gefängnis gesteckt worden waren. Wir fühlten uns wie im siebten Himmel, berichteten über unsere Reise, aber auch über die Pläne, eventuell in Afrika sesshaft zu werden. Dass die Begegnung mit dem sympathischen Ehepaar der Grundstein für eine Freundschaft und schließlich der Beginn einer Nachbarschaft werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.

    Bevor wir am zweiten Tag im neuen Jahr mit unseren Pferden die letzte Etappe unseres Abenteuers in Angriff nahmen, sprach Udo eine Einladung aus: »Wenn ihr in Kenia seid, eure Reise zu Ende ist und noch Zeit bleibt, müsst ihr uns unbedingt besuchen und berichten. Ich organisiere für euch eine Safari in die Serengeti. Dann könnt ihr euch von den Strapazen eurer Reise so richtig erholen.«

    »Das machen wir sicher, nochmals vielen Dank für alles«, hatte Esther geantwortet, angetan von der Herzlichkeit unserer Gastgeber, dann waren wir weitergezogen. Die letzten 200 Kilometer lagen vor uns. »Der Ritt des Jahrhunderts« – unter diesem Titel sollten später Medien über unsere außergewöhnliche Reise berichten, ging allmählich zu Ende. Das Ziel war zum Greifen nahe, und nach drei Wochen hatten wir es tatsächlich geschafft.

    Es blieben noch weitere drei Wochen, bevor ich meinen Platz als Musiker im Orchestergraben in Wien wieder einnehmen musste. Genug Zeit, Udos Einladung wahrzunehmen und zu unseren reizenden Gastgebern nach Tansania zurückzukehren.

    Es gab ein herzliches Wiedersehen mit dem smarten Lodgebesitzer und seiner Frau. Udo hatte nicht zu viel versprochen. Wie verabredet, spendierte er eine unvergessliche Fotosafari in die Serengeti.

    Abends in der Lodge ließen wir unsere Eindrücke Revue passieren, und dann wurde bis in die frühen Morgenstunden diskutiert – über unseren Ritt, unsere Pläne und über Gott und die Welt.

    Ursprünglich hatten wir vorgehabt, einen kleinen Tourismusbetrieb in Botswana zu eröffnen, irgendwo im fruchtbaren Norden, nahe den atemberaubenden Victoriafällen. Die Frage der Finanzierung war allerdings bei weitem nicht geklärt. Udo erkannte unsere Unschlüssigkeit und meinte beiläufig: »Warum versucht ihr es nicht hier in unserer Gegend. Der Tourismus boomt, vermutlich habe ich sogar etwas für euch!«

    Bei unserem letzten Besuch hatten wir unsere Veränderungswünsche erwähnt, und so wie es schien, hatte Udo während unserer Abwesenheit darüber nachgedacht. Er erzählte uns von der Kifaru-Lodge, einem kleinen Hotelbetrieb nur zwei Kilometer entfernt, den er vor einigen Jahren noch selbst geleitet hatte. Nachdem er den Herbergsbetrieb aufgebaut, nachfolgende Pächter ihn jedoch wieder heruntergewirtschaftet hatten, waren die Besitzer derzeit auf der Suche nach geeigneten Nachfolgern.

    »Ich weiß noch nichts Konkretes, aber da ich die Besitzer sehr gut kenne, könnte ich versuchen, einiges in Erfahrung zu bringen«, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln.

    Sofort begannen meine Augen zu leuchten, und der Mund wurde mir wässrig, allein bei dem Gedanken daran, Gäste kulinarisch verwöhnen zu dürfen – bislang war mir dieses Vergnügen nur im privaten Bereich vergönnt gewesen. Im Geiste kochte ich bereits leckere viergängige Menüs und verfasste abwechslungsreiche Speisekarten. »Wir könnten mit dem Geld, das wir durch die Lodge einnehmen, in Pferde und Ställe investieren«, begann ich großspurig zu planen und trug in meinen Gedanken schon die Chefkochmütze. Udo pflichtete mir bei: »Die Idee ist genial, großartig! In unserer Gegend gibt es so etwas nicht. Es wäre hier sicher ein neuer Impuls für den Safaritourismus.«

    Esther war aufgrund der Vorkommnisse skeptisch. Warum auch sollten wir uns ausgerechnet in einer Gegend niederlassen, in der wir einige Wochen zuvor beinahe unser Leben verloren hätten. Aber Udo winkte ab, denn in Karatu sei alles anders: »Mit den Zuständen im Süden Tansanias haben wir hier nichts zu tun.«

    Esther erbat sich Bedenkzeit. Mich jedoch hatte Udo mit seiner sprühenden, beinahe kindlichen Begeisterung sofort angesteckt.

    Der 53-jährige, grauhaarige Lodgebetreiber war trotz seiner langjährigen Erfahrungen, die er gemeinsam mit seiner Frau Renate erst in Nigeria und dann in Tansania gemacht hatte, kein bisschen müde. Er erzählte munter über ihre Rückschläge, und wie sie es dann wieder geschafft hatten, schwere Zeiten zu meistern. Seit einigen Jahren aber waren die Schwierigkeiten überwunden, die Lodge warf Gewinn ab, und man hatte sich neue Ziele, wie die Errichtung einer eigenen Jagd, gesetzt. Udos und Renates Leben schien perfekt zu sein, geschäftlich wie privat.

    Udos Optimismus verscheuchte in mir auch die letzten Bedenken bezüglich Auswanderung, und Esther fühlte sich dadurch bald ebenso in Hochstimmung versetzt. Plötzlich gab es doch einen neuen Anfang, wir konnten gemeinsam wieder Pläne schmieden, ein gemeinsames Ziel verfolgen. So lenkte sie schließlich ein. Die Weichen für ein neues Abenteuer waren gestellt.

    »Ich mache euch einen Vorschlag …«, sagte Udo und fügte nach einer Gedankenpause hinzu: »Einer meiner Freunde ist gerade dabei, südlich von Daressalam ein Hotel zu errichten. Ich sage ihm, dass ihr kommt, und in der Zwischenzeit versuche ich, in Erfahrung zu bringen, was es mit der Kifaru-Lodge auf sich hat. Ein paar Tage müsst ihr euch allerdings gedulden, aber das wird euch nicht schwerfallen, denn dort findet ihr den wunderschönsten Strand der Welt vor.

    Mit dem Bus reisten wir am nächsten Tag in das 1000 Kilometer entfernte Daressalam zu Udos Freund Wolfgang. Die Fahrt verging wie im Flug, diskutierten wir doch so intensiv über die Möglichkeiten, die uns plötzlich offenstanden, dass die zehn Stunden im Nu vorüber waren.

    Auch diesmal hatte Udo nicht zu viel versprochen. Als wir auf Wolfgangs Anwesen eintrafen, lernten wir wieder eine neue Seite Tansanias kennen. Ein endloser, mit Palmen besetzter, blütenweißer Sandstrand breitete sich vor uns aus, und der Indische Ozean, der tiefblau den wolkenlosen, ungeheuren Himmel spiegelte, raubte uns fast den Atem.

    Udos Freunde waren auch Wolfgangs Freunde, und so wurden wir liebenswürdig aufgenommen. Als seine Privatgäste genossen wir außerdem den Luxus, den schönsten Strand der Welt mit keiner Menschenseele teilen zu müssen.

    Es vergingen drei ausgesprochen erholsame Tage, die wir dazu nutzten, ein Konzept zu erstellen, für den Fall, dass ein Treffen mit den Besitzern der Kifaru-Lodge zustande kommen würde. Dann riss uns ein Anruf Udos aus unserer Strandstimmung: »Kommando retour«, meldete er sich, »ich habe mit Dr. Platt, einem der Besitzer der Kifaru-Lodge gesprochen. Er würde euch gerne kennenlernen. Ich habe ein Treffen für morgen arrangiert.«

    Tags darauf brachte Wolfgang uns zur Busstation, und wieder hieß es, 1000 Kilometer zurückzulegen, vorbei am mächtigen Kilimanjaro, nach Arusha und weiter nach Karatu. Am gleichen Abend saßen Dr. Platt, seine Frau Hilde, Ilse und Raimar, die Manager der angeschlossenen Kaffeefarm, und wir zusammen beim Dinner im Restaurant der Kifaru-Lodge. Udo selbst war nicht dabei, da er und Dr. Platt bzw. Hilde angeblich nicht im besten Einvernehmen standen.

    Ein vorsichtiges Abtasten begann, bald aber kam man zum Kern der Sache. Der pensionierte Apotheker und promovierte Historiker im Fachgebiet Deutsch-Ostafrika war von der Begeisterung, die wir ausstrahlten, angetan. Ilse und Raimar, die Manager der Kaffeefarm, waren vorübergehend mit der Führung des gemütlichen Safarihotels betraut. Dr. Platt erwähnte, dass Raimar ihn darum gebeten hatte, ihn wieder von der Doppelbelastung zu entbinden, damit er sich intensiver um die Farm kümmern konnte, und Raimar selbst gab ihm eifrig recht.

    Schließlich verkündete Dr. Platt, dass wir zu einem weiteren Treffen, zur Klärung von Detailfragen und zur Unterzeichnung eines Vorvertrages ins Norddeutsche Husum kommen sollten. Dabei würden wir auch seinen dänischen Partner Christian Jensen kennenlernen.

    Um es mit des Doktors Familiennamen auszudrücken – wir waren platt. Wie einfach das alles war!

    Gab es einen Haken an der Sache? Wir grübelten, hinterfragten, konnten aber nichts Negatives finden. Alles klang plausibel und ausgesprochen vielversprechend.

    Als wir angekommen waren, war es bereits stockdunkel gewesen. Von der Lodge hatten wir daher kaum etwas gesehen. Umso gespannter waren wir auf den Rundgang, der am nächsten Morgen bei Tageslicht stattfinden sollte. Man hatte uns in der luxuriösen Honeymoon-Suite untergebracht, wo wir vor Aufregung nicht einschlafen konnten. Vielleicht lag es auch an der Höhe, denn wir befanden uns immerhin 1800 Meter über dem Meeresspiegel. Udo hatte schon im Vorfeld von der besonderen Lage geschwärmt, und er hatte betont, dass es wegen der Höhenlage keine Malaria gab.

    Unsere Erwartungen wurden jedoch bei weitem übertroffen. Das Haupthaus diente ursprünglich als Gästehaus der Farm, wurde später aber, während Udos Zeit als Pächter und Teilhaber, zur Lodge umfunktioniert. Vier nette Doppelzimmer mit WC und Dusche, eine Lobby mit Bar und zwei voneinander getrennte Speiseräume im alten kolonialen Landhausstil befanden sich darin, außerdem Küche und Vorratskammer.

    Mein Augenmerk richtete ich natürlich sofort auf die Küche und erkannte auch gleich, dass hier einige Modernisierungen vorgenommen werden mussten. Aber die Grundausstattung schien ganz okay zu sein. Von der Lobby aus gelangte man direkt auf die gemütliche Terrasse. Das Panorama, das sich mir dort bot, verschlug mir die Sprache. Ich stand in einem parkähnlichen, gepflegten Garten mit blühenden Sträuchern, farbenfrohen, exotischen Blumen, und der süßliche Duft, den die in malvenfarbener Blüte stehenden Jacarandabäume verströmten, stieg mir in die Nase. Bunte Vögel zwitscherten ihr Morgenlied. Ich schlenderte ein Stück über den weichen, taufeuchten Rasenteppich, dann schweifte mein Blick über die Kaffeesträucher ins Tal, und in weiter Ferne konnte ich die schneebedeckte Kuppe des Kilimanjaro erkennen. Esther und Dr. Platt befanden sich einige Schritte entfernt. Meine Frau und ich tauschten immer wieder Blicke und gaben einander ohne viel Worte zu verstehen, wie wundervoll es hier war. Hinter einigen Guavenbäumen und Bananenpflanzen, an denen unreife grüne Rispen hingen, versteckten sich der Swimmingpool und dahinter ein eingezäunter Tennisplatz.

    Weiter ging es mit der Besichtigung der beiden Gäste­bungalows unweit des Haupthauses, in denen sich weitere fünf gepflegte Zimmer und die bereits erprobte Honeymoon-Suite befanden. In einem anderen Gebäude, das in einem etwas verwilderten, aber umso verträumteren Garten lag, waren die Unterkünfte der 20 Angestellten untergebracht. Aus einer der Türen trat gerade Elfrieda, die Hausdame der Lodge. Wir kannten sie schon vom Vorabend, da sie das Dinner serviert und in ihrem bunten, afrikanischen Wickelkleid dem Abend eine exotische Note verliehen hatte. Sie reichte uns die Hand, grüßte freundlich aber entschuldigte sich sofort wieder, da die Arbeit rief. Jenseits der Personalquartiere stießen wir auf Dr. Platts bescheidenes Sommerhäuschen, wie er zu sagen pflegte, das allerdings eher einer herrschaftlichen Villa glich und sich, im gleichen Landhausstil wie das Lodgegebäude erbaut, hervorragend in die exotische Umgebung einfügte. Nur ein, höchstens zwei Mal im Jahr bewohnte das Apothekerehepaar diesen feudalen Herrensitz mit grünem Wellblechdach. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Unmittelbar an der Rückseite des Hotelgeländes begann schon der Urwald, den man tunlichst nicht alleine betreten sollte, wie Dr. Platt uns warnte, da es hier von Büffeln und Elefanten nur so wimmelte.

    Platt wusste, wovon er sprach. Vor einigen Jahren hatte ein Elefantenbulle einen Wachmann getötet, weil dieser ihm im Dunkeln zu nahe gekommen war. Auch Hyänen und Leoparden trieben sich seiner Erzählung nach regelmäßig auf dem Gelände herum. Wenn Platt mit seiner Schilderung Eindruck schinden wollte, dann hatte er ins Schwarze getroffen. Mir wurde ganz schwummelig bei dem Gedanken, dass dieses unergründliche Paradies bald schon unser Refugium, der Mittelpunkt unseres neuen Lebens, auf dem schwarzen Kontinent werden sollte. Und »bald« hieß: in genau drei Monaten. Diese Bedingung Dr. Platts mussten wir akzeptieren, da Mitte Juni die Hauptsaison begann und das Haus, nach Raimars Angaben, für diese Zeit bereits sehr gut gebucht war.

    Bei unserem anschließenden Treffen mit Udo schwärmten wir in höchsten Tönen von dem, was wir gesehen hatten. Udo gratulierte, und wir stießen auf eine gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit an. Esther und ich konnten es gar nicht fassen, wie freundlich uns alle hier begegneten. Es schien fast so, als hätte man nur auf uns gewartet – Udo und Renate mit ihrer überschwänglichen Gastfreundlichkeit, der sympathische Dr. Platt, der uns seine Lodge förmlich aufdrängte, sein Manager Raimar, der so froh war, endlich entlastet zu sein. Es mutete wie ein Wink des Schicksals an, und dieses winkte nicht nur mit dem Zaunpfahl, es wedelte gleich mit dem ganzen Zaun. Der neue Weg in eine gemeinsame Zukunft hatte einen Namen erhalten! Kifaru-Lodge.

    Die Kifaru-Lodge befindet sich auf dem Gelände des Shangri-la Estates, einer Kaffeefarm, die zur Zeit der Deutschen Kolonialherrschaft im ehemaligen Gebiet Deutsch-Ostafrikas lag. Die nicht gerade ruhmreiche Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft – damit unterscheidet sie sich kaum von der anderer Kolonialmächte – ist in unserem Bewusstsein kaum mehr, für manche vielleicht gar nicht vorhanden. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr die Spuren bis heute – hundert Jahre danach – immer noch bestehen.

    Die Geschichte Deutsch-Ostafrikas ist auch die Geschichte von Shangri-la und der Kifaru-Lodge.

    In der Zeit von 1885 bis 1918 umfasste das Gebiet Deutsch-Ostafrika, in seiner größten Ausdehnung, die Länder Tanganjika (Tansania ohne Sansibar), Burundi und Ruanda. Es war mit rund 7,75 Millionen Einwohnern (davon 4.000 Deutsche, hauptsächlich Militärs) die bevölkerungsreichste Kolonie des Deutschen Reiches, und mit 995.000 qkm ungefähr doppelt so groß wie das Deutsche Reich. Währung war die Deutsch-Ostafrikanische Rupie. Der höchste Berg und gleichzeitig einzige aktive Vulkan Deutschlands war der 5.895 Meter hohe Kilimanjaro, der Kaiser-Wilhelm-Spitze genannt wurde. Von 1885–1890 befand sich der Verwaltungssitz in Bagamoyo, ab 1890 in Daressalam. Oberhaupt war 1885–1888 Kaiser Wilhelm I., 1888 Kaiser Friedrich III., der nach nur 99 Tagen Regentschaft an einem Krebsleiden starb, und Kaiser Wilhelm II., ein Verfechter der Deutschen Kolonialpolitik, bis zum Verlust der Kolonie 1918.

    Im Zuge der allgemeinen Kolonisation durch die europäischen Großmächte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war auch das Deutsche Reich bemüht, Kolonialpolitik zu betreiben und seinen Einfluss außerhalb Europas zu vergrößern. Neben einigen anderen Schauplätzen geschah dies auch im Osten Afrikas.

    Die treibende Kraft bei der Kolonialisierung Ost-Afrikas war der Pastorensohn Dr. Carl Peters, welcher in der von ihm gegründeten privaten »Gesellschaft für deutsche Kolonisation, DOAG,« von Kaiser Wilhelm I. die Aufgabe erhielt, Gebiete in Afrika in Besitz zu nehmen.

    Häuptlinge oder Sultane unter Alkoholeinfluss dazu zu bewegen, ihre Kreuze unter die in Deutsch verfassten Schutzverträge zu setzen, war Peters Erfolgsrezept. Mit dieser Methode gelang es ihm, binnen kürzester Zeit große Territorien unter die Verwaltung der DOAG zu bringen. Die Regierung von Sansibar (Sultanat unter Britischem Einfluss) richtete eine Protestnote an Kaiser Wilhelm und verstärkte ihre Truppen auf dem Festland. Reichskanzler Bismarck entsandte, trotz großer Bedenken, daraufhin ein Marinegeschwader nach Sansibar und zwang den Sultan so zur Anerkennung der DOAG-Erwerbungen.

    1891 wurde Peters zum Reichskommissar für das Gebiet am Kilimanjaro ernannt, wo er eine Schreckensherrschaft errichtete, die ihm sogar im entfernten Deutschland den Namen »Hänge-Peter« einbrachte. Er wurde angesichts gegen ihn erhobener Vorwürfe wegen seiner Brutalität 1897 unehrenhaft entlassen, später aber von Adolf Hitler rehabilitiert, der ihm rückwirkend eine Rente zubilligte.

    Hans Ulrich Wehler³

    schrieb über ihn: »Es gibt vielleicht kein vernichtenderes Urteil über die deutsche Kolonialbewegung bis 1945, als dass sie einen erfolgsarmen, gerichtsnotorisch kriminellen Psychopathen wie Peters als eine ihrer Leitfiguren verehrt.«

    Obwohl nach dem 2. Weltkrieg viele Straßennamen umbenannt worden waren, kann man heute noch in Kiel, Lüneburg, Bad Hersfeld oder Ludwigsburg durch die Carl Peters Straße spazieren.

    Auf Carl Peters folgte Hermann von Wissmann, der die Kaiserliche Schutztruppe Deutsch-Ostafrika gründete, um die Aufstände, die Peters Besitzansprüche hervorgerufen hatten, niederzuschlagen. Hartnäckigsten Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft leisteten die Hehe (Wahehe), eine Ethnie Tansanias. Dem Offizier und Afrikaforscher Hermann von Wissmann gelang es, mit seiner Schutztruppe, bestehend aus Söldnern von Somali, Zulu und Sudanesen, die Hehe und indigene Gesellschaften des Kilimandscharo, u. a. die Chagga und Maasai, zu unterwerfen und den »Araber­aufstand«

    niederzuschlagen. Den Kopf des Hehe-Führers Mkwawa ließ Wissmann als Siegestrophäe nach Deutschland schicken. Eroberte Ortschaften ließ er plündern, wobei sich mehr als einmal afrikanische Söldner mit deutschen Seeleuten um die Beute stritten. Danach wurden die Dörfer und Städte in Brand gesteckt, die umliegenden Felder verwüstet. Damit gebührt Wissmann der zweifelhafte Ruhm, als Erster in einem von Deutschen geführten Kolonialkrieg die Taktik der »Verbrannten Erde« angewandt zu haben. Hermann von Wissmann wurde geadelt, zum Major befördert und vier Jahre später zum Gouverneur für Deutsch-Ostafrika berufen. Unter seiner Leitung wurde die Hüttensteuer eingeführt. Er hatte sich erhofft, auf diese Weise eine profitable und dauerhafte Einnahmequelle für das Gouvernement zu erwirtschaften, um so die Kolonie zu entwickeln und ihre Wirtschaft auf eine rentable Grundlage stellen zu können. Wer den Steuerbetrag nicht in bar oder natura entrichten konnte, sollte ihn durch Heranziehung zur Lohnarbeit im Dienste des weißen Mannes erbringen. Wer sich dem widersetzte, wurde in Ketten gelegt, ihm wurde das Vieh weggenommen und die Hütte verbrannt.

    Die zunehmende Bedrückung der Bevölkerung durch die eingeführten Steuern waren im Juli 1904 mit ein Grund für den Ausbruch des Maji-Maji-Krieges, der bis zu 300.000 Todesopfer forderte, davon 15 bis 23 Europäer und 345 schwarze Askaris auf deutscher Seite. Der Führer der Afrikaner, der anerkannte Heiler und Prophet Kinjikitile Ngwale, verkündete seinen Kriegern, dass der Ausgang dieses Kampfes siegreich sein werde, vorausgesetzt, sie ließen sich mit der ihm von Kolelo gegebenen Maji-Dawa

    besprengen. Dann seien sie gegen die Wirkung der deutschen Waffen gefeit: »Wie Wassertropfen werden die Kugeln aus den Gewehren und Maschinengewehren der deutschen Kolonialtruppen an den eingefetteten Körpern der askari ya mungo (Gotteskrieger) abprallen.«

    Diesen Aufstand, bei dem Adolf Graf von Götzen, Gouverneur und Befehlshaber der deutschen Truppen mit moderner Kriegsausrüstung tausende Menschen abschlachtete, Hütten und Nahrungsvorräte plünderte und in der Folge eine einjährige Hungersnot hervorrief, die mehr als 150 000 Opfer forderte, sollte Major Hermann von Wissmann allerdings nicht mehr erleben. Er starb 1905.

    Wissmann wird heute noch in manchen Kreisen als größter Afrikaner Deutschlands, Begründer des Wildschutzes in Afrika und Wegbereiter für die Abschaffung des Sklavenhandels bezeichnet. Unzählige Straßennamen, aber auch akademische und studentische Verbindungen tragen Hermann Wissmanns Namen. Zum 100. Todestag von H. Wissmann fand 2005 in Weißenbach/Stmk. (Wissmann hatte sich, bevor er bei einem Jagdunfall ums Leben kam, in der Gemeinde im Ennstal niedergelassen) eine große Gedenkfeier statt.

    Die Tragödie um den Maji-Maji-Aufstand, die in unserem Geschichtsbewusstsein nicht aufscheint, ist fester Bestandteil im Unterricht an tansanischen Schulen.

    Nach den großen Aufständen in Deutsch-Ostafrika setzte auch in Berlin ein Nachdenken über die Fehler in der bisherigen Eingeborenenpolitik ein, und man erkannte, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine positive Fortentwicklung der Schutzgebiete die Rückgewinnung des Vertrauens der Afrikaner durch stärkere Berücksichtigung ihrer Belange war. Mit Hilfe von Staatsanleihen wurde mit dem Ausbau der Infrastruktur der Kolonien begonnen, das Eisenbahn- und Straßennetz wurde erheblich erweitert, Städte und Marktzentren entstanden. Dies alles trug zu einer Verbesserung der Vermarktungsmöglichkeiten für die traditionellen Feldprodukte der afrikanischen Bauern bei. Das Steueraufkommen erhöhte sich, sodass die Kolonialverwaltung mit der Rückzahlung der Staatsanleihen beginnen konnte. Der Verwaltungsapparat der Schutzgebiete

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