Die Leiden der Lehrer: Und-: Wie diesen abzuhelfen ist
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Über dieses E-Book
Ja, ja, wenn das so einfach wäre. Nebenbei betreiben die Lehrer auch den Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen und müssen alle Ideen umsetzen, die ausnahmslos von ausgewiesenen Fachleuten erarbeitet werden: In der Schule waren schließlich alle.
Dass das nicht ohne Einfluss auf die Lehrergesundheit bleiben kann, dürfte niemand ernsthaft wundern.
Die Leiden der Lehrer
• analysiert Gesundheitsrisiken,
• schlägt konkrete Handlungsmöglichkeiten vor,
• liefert Hinweise auf notwendige Reformen des Bildungswesens aus psychologischer, medizinischer und pädagogischer Sicht.
Für Lehrer, Schulleiter, Kultusbürokraten.
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Buchvorschau
Die Leiden der Lehrer - Eckehard Einsiedel
Eckehard Einsiedel
Die Leiden der Lehrer
Und -:
Wie diesen abzuhelfen ist
Die Leiden der Lehrer
Autor:
Eckehard Einsiedel
Mainz
Unter Mitarbeit von:
Dr. med. Brigitte Bolte, Offenburg
Susanne Emmerich, M.A., Düsseldorf
Patrick Herboldsheimer, cand. M.Sc., Mainz
Dipl. Psych. Paul Keller, Bayreuth
Clemens Köstner, M.Sc. Psych., Mainz
Dipl. Psych. Petra Nagel, Bad Kreuznach
Dipl. Psych. Götz Schönefuß, Mainz
Sonderschullehrerin C. Stadie, München
Dipl. Päd. Silke Stark, Alzey
Doris van der Wal, M.A., Leiden, NL
Dipl. Päd. Andreas Weick, Alzey
Wir widmen dieses Buch Frau Elisabeth Franziska Gottwald,
22. Juli 1924 - 10. April 2011
1944/45 in Prag „drittreichig-schnell" seminarisierte Volksschullehrerin
Ende 1945 in der „Tschechei" inhaftiert
1946 in die deutsche US-Zone abgeschoben, dort Grundschullehrerin
Später Fortbildung zur Realschullehrerin
Dann: Zusatzstudium zur Sonderschullehrerin
Dann: Diplomstudium Psychologie
Danach: Schulpsychologin
Wegen der „68-iger-Unruhen" eine Universitätslaufbahn nicht begonnen
Später: Schul-Ober-Psychologin
Nach Pensionierung: Psychotherapeutin in eigener Praxis
Frau Gottwald hat alleinerziehend drei Kinder großgezogen, fünf Häuser gebaut, drei Staatsexamina absolviert, sich psychotherapeutisch fortgebildet.
Sie war uns viele Jahre Mentorin, Helferin, kritische Fürsprecherin, Lebensfreundin. Sie starb, herzschwach aber geistesstark, am 10. 04. 2011.
Sie wird uns ideell weiter begleiten. Sie ist ein Beispiel für das „Geworfensein" des Menschen und seine weitere Emanzipation. Wir danken ihr.
Für die Verfasser Eckehard Einsiedel
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© Lehmanns Media GmbH, Berlin 2017
Helmholtzstr. 2-9
10587 Berlin
Umschlag: Bernhard Bönisch
Satz & Layout: LATEX(Zapf Palatino) Volker Thurner, Berlin
ISBN 978-3-86541-143-3 www.lehmanns.de
1
Zur Methode
Zu psychosomatisch bedingten körperlichen Schmerzen kann es dann kommen, wenn Erlebnisbelastungen zu groß werden oder auch, wenn spezifische Erwartungen und Hoffnungen nicht erfüllt werden.
Diese Diskrepanz-Probleme sind natürlich nicht die einzigen Risikobereiche für Leiden und Erkrankungen von Lehrern.
„Über die Leiden der Lehrer hat schon Melanchthon (De miseriis paedagogorum, 1553) berichtet und diese auf ein Fachleiden des Unterrichtsstandes reduziert. Ansätze über den gesamten
Lehrbetriebßind dagegen derart „vergessenswert", dass wir sie einleitend tatsächlich vergessen wollen.
Auf dem Weg zur zentralen Problematik unserer Arbeit analogisieren wir die Polarität „Tausend Gefühlchen, aber kein Gefühl mit der Rede: Im Bildungsbetrieb erleben wir derzeit „tausend Reförmchen, aber keine Reform
. Für die Diskrepanzen zwischen eigentlichen Bildungsmöglichkeiten und den oft traurigen Schul-Alltags-Realitäten gibt es noch keinen Leitbegriff.
Oft fehlen uns einfach die richtigen Worte. Konkret haben wir zunächst Angst und Zorn. Unsere Arbeit will Alltagsverhältnisse für Lehrer, für deren Schüler, für uns und unsere Gesellschaft erkunden, benennen, zu erklären versuchen. Wir wollen danach Machbarkeiten für konkrete Hilfen vorschlagen.
Kritik hat mit der Reflexion eigener Vorstellungen zu beginnen. Da wollen wir einräumen, dass manche Menschen in ihrem Reformeifer so viel reden, dass von ihnen die Rede geht: „Wenn der einmal stirbt, muss man sein Maul extra totschlagen."
Gehobenere Lebenslagen trifft der Starkspruch Goethes: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide".
Ja, manchmal „ … verschlägt es uns die Sprache, oder wir „ … verstummen vor Leid
.
Im Versuch, weithin bekannte Lehrerleid-Sachverhalte kurz zu kennzeichnen, haben wir gelegentlich den Hinweis:
„Ja, ja, die Lehrer" …
nachgestellt.
Nach unserem jeweiligen Denkanstoß, wollen dann Sie, liebe Leser*in, zum angesprochenen Problem weiter assoziieren, wenn Sie dies denn wollen.
Bei unseren „Leiden der Lehrer" geht es zudem über die Möglichkeiten einer Linienlehrer*in hinaus. Wir halten da den Clausewitz-Hinweis „Der Krieg ist zu ernst, um ihn den Generalen zu überlassen", durchaus für übertragbar.
Wenn wir andererseits den Faktenwust gesellschaftlicher Mitbedingungen „der Lehrerei" ebenfalls nicht detailliert aufführen können, schreiben wir noch kürzer:
„Ja, ja" ...
Schließlich meinte schon der römische Satiriker Juvenal, dass es bei bestimmten Vorkommnissen „schwierig sei, „eine Satire nicht zu schreiben
. Wir können einige – manchmal tatsächlich nur mit Humor zu ertragende – Widersinnigkeiten unserer Bildungssysteme zumeist nicht so hintersinnig gestalten, wie es eigentlich angebracht wäre. Neben Talent fehlen uns dazu auch Zeit und Raum. Unser Schmunzeln kürzen wir dann auf ein:
„Ha, ha" ...
Mit unseren Anfangsseufzern wollen wir
an Bekanntes erinnern,
übliche Vorurteile ansprechen,
Ihre Lese- und Lernlust triggern,
Gedankenverbindungen anregen.
Diese Stilelemente, wie auch einige prägnante Thesen sollen Etappen auf dem Weg zu unseren Reformvorschlägen des Bildungssystems kennzeichnen.
Mit dem Reizwort die „Leiden der Lehrer" signieren wir zunächst Missverhältnisse unserer Bildungs- und Schulsysteme. Unsere Vorschläge, diesen Leiden abzuhelfen, führen in eine neue Welt des Lernens, in eine neue Welt des Lehrens und in eine neue Welt menschlicherer Zukunftshoffnungen.
Viele unserer Vorschläge hast Du latent bereits „drauf. Du hast sie in Dir. Wir bitten Dich deshalb, liebe Leser*in, „da
nicht nur mitzudenken, sondern auch mitzuwirken. Teilen Sie uns Ihre Überlegungen, auch Ihre spezifischen Verbesserungsvorschläge mit.
1.1
Ausgangslage
Corinna Stadie hat in einer Untersuchung zu beispielsweise Arbeitszufriedenheit, Arbeitsmotivation, zu spezifischen Belastungen in der Schule, zu „Burnout" und psychosomatischen Erkrankungen bei Sonderschullehrern aufgewiesen, dass ein Großteil dieser Berufsgruppe durch ihre Alltagsberufstätigkeit erheblich gestresst und oft auch therapiebedürftig wird.
Zunächst ist für einleitende Übersichtszwecke zu dieser Stadie-Studie festzuhalten, dass auch zusätzlich und speziell ausgebildete Lehrer in kleinen Klassen in ihrer normalen Alltagsberufsarbeit oft zu stark belastet und sogar krank werden können.
Ein ganzer Berufsstand wird insofern nicht nur „schicksalhaft", beispielsweise altersbedingt, sondern arbeitsstellenbedingt krank.
Pressenotiz vom 07.12.2011: „Rund 19.600 verbeamtete Lehrer wurden 2010 in Deutschland in den Ruhestand versetzt, 5,6% mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Lehrer, die wegen Dienstunfähigkeit in Pension gingen, sank 2010 leicht auf rund 21%. Das Durchschnittsalter lag hier bei 58,2 Jahren, die Pensionsgrenze beträgt 65 Jahre" (Statistisches Bundesamt).
Besonders erschreckend ist der Umstand, dass sich in der krankmachenden Musterverteilung keine Altersabhängigkeiten ergeben. Schon viele junge, beruflich noch nicht desillusionierte Lehrer zeigen „bereits gleich hohe Risikoanteile wie die Älteren."
Fürs erste bleibt der resignative Hinweis:
Ja, ja, die Lehrer ...
1.2
Weitere Provokationen
Nicht nur die Schüler, auch die Lehrer sind demnach bei der Untersuchung der Missstände unseres Schul- und Ausbildungswesens relevante Zielgruppen.
Herabsetzende Bemerkungen, wie beispielsweise:
Lehrer sind ja eigentlich nur Halbtagsbeschäftigte,
Lehrer haben morgens Recht und nachmittags frei,
Lehrer fliehen ihre Fach-Arbeit,
Lehrer stellen die größte Berufsgruppe der Parlamentsmandatsträger,
kennzeichnen wohl auch gegenaggressive Tendenzen. Die Alltagswirklichkeit der Lehrer ist anders. Viele Lehrer werden selbst auffällig. Viele sind ungeeignet, jedoch größtenteils nicht in dem Sinne, wie ihre Kritiker meinen. Viele resignieren, viele werden krank.
Aber: wird „da nicht zu einseitig nach Gründen gesucht? „Wer bei bestimmten Problemen den Verstand nicht verliert, hat keinen zu verlieren
(Lessing). Wir fragen einfach mal frech: Sind „da" die Lehrer wirklich die Hauptbetroffenen? Oder kennt der (Bildungs-) Wind auch noch andere (Wetter-) Löcher?
Unter anderem sind „da beispielsweise Arbeitsüberlastungen, ein übertriebener Bildungsföderalismus, Überbetonung von nur so genannten, jedoch eigentlich nie gegebenen Chancengleichheiten, Inklusion, Druckmachereien, bürokratische Einengungen, Fachaufsichtsüberheblichkeiten und so weiter einzubeziehen. Zur Kennzeichnung unseres skandalös organisierten Bildungssystems erinnern wir hier im Weiteren nur an das noch weit verbreitete „Kommunikationsverbot
zwischen den ja „riesigen" Länder-Kultusministerien unseres kleinen Landes.
Ha, ha …
Das Volk der Dichter und Denker muss (wieder einmal) mit dem ABC der Bildung anfangen.
Denken wir nur mal an das „M" im ABC. Und nennen wir da: Miesmacher, Migrantenproblematik, Missbrauchssymptomatiken, Mobbing, Modephilosophen, Monsterlehrer, Multitasking …
Das sagen wir hier einfach mal „in den Wind". Mehr können wir uns alle dann ja noch denken …
Ja, ja, die Lehrer …
1.3
Einige Symptomatiken
Bei diesen „Leiden der Lehrer" meinen wir im Übrigen nicht nur Alltags-Belastungen, wie z. B. Nervosität, Unlust, Stimmungskrisen, Fahrigkeit, Vergesslichkeit, zwischenzeitliche Erschöpfungen, akute Stress- und Versagensängste.
Nein, beispielsweise fördern krankmachende Diskrepanzen, wie berufliche Fehlplatzierung, Selbstausbeutung, Unterrichts-, Verwaltungs-, Anweisungs-Stressoren die persönliche Resignation. Die erhöhte Anfälligkeit für Burnout, für depressive Verstimmungen, für psychosomatische Erkrankungen, für das hochanteilig vorzeitige berufliche Verstummen der Lehrer, hat diagnostisch nicht immer linearkausal erfassbare Gründe. Überdauernde schulsystemspezifische Diskrepanzen und Missstände sind oft akut nicht erkennbar, jedoch relevant. Vorab sagen wir frei nach Brecht: „Selbst wenn alle Lehrer gut wären, sind es doch unsere Schulverhältnisse nicht."
Die auf die Schule und ihre Lehrer zentrierenden Aspekte der öffentlichen Bildung, beispielsweise deren „staatshoheitsrechtliche Burgenmentalität", sind abzuklären; zunächst für die Bildungsmacher, die Lehrer. Darüber hinaus müsste die Institution Schule vor allem:
entwicklungsdynamische,
persönliche,
familiäre,
soziale,
gruppendynamische,
jeweils im Unterricht konkret situative
Verhältnisse ihrer Schüler und eben auch ihrer Lehrer endlich angemessen berücksichtigen und hilfswissenschaftlich untersuchen lassen.
Das Bildungssystem ist derzeit fachintern zu überreguliert.
Die Regelungsgewohnheiten, irgendwelche „Standards schulisch anzubieten und den Adressaten gegenüber nach dem Motto zu verfahren: „Friss es, Schüler, oder bleib sitzen
und/oder: „Friss es, oder geh in eine andere, niveauniedrigere Schule und/oder: „Friss es, oder ergreife einen Beruf
, ist eigentlich ungeheuerlich.
Wie reformbedürftig diese derzeitige schulische Alltagspraxis ist, verdeutlichen wir vorerst mit dem ärztlichen Grundsatz: „Keine Therapie ohne Diagnose! Der Linienlehrer macht fast nie eine ernsthaft so zu bezeichnende Diagnostik. Er hat einen „Lehrplan
, und er hat natürlich einen „Eindruck". Darauf verlässt er sich dann, oder muss er sich verlassen, dieser eigentlich insofern von vielen guten Geistern Verlassene.
Beispielsweise ist der Fakt, das weitere Schulniveau eines auffälligen Kindes in der Regel sehr spät „sonderpädagogisch abklären zu lassen, ein bezeichnender Hinweis für diesen Skandal. Ein Kind muss erst im Alltagsbetrieb scheitern. Vor einer Verschulungsänderung haben ja auch Lehrer oft erhebliche Hemmungen. Sie müssten dann ja auch das Scheitern eines Kindes persönlichkeitsspezifisch, familiär, sozial, schulleistungsmäßig beschreiben und nachprüfbar machen. Das können sie aber nicht. Sie warten auch deshalb zu oft ab, bis die Lage des Kindes tatsächlich unerträglich geworden ist. Auch die seit einigen Jahren propagierte, jedoch noch immer nicht hinreichend realisierte, „Inklusion
Behinderter bietet noch keine hinreichende Lösung für alle Beteiligten. „Inklusion in Regelschulen wird gefordert und seither (meist unzureichend) versucht, aber das „Regelschulsystem
selbst bleibt (föderalistisch, leistungsdifferentiell) übertrieben überspezialisiert.
Eine Pressenotiz (volksfreund.de, 2009):
„Eltern hadern mit dem Bildungssystem. […] Zu diesen Ergebnissen kommt eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Zeitschrift „Eltern". […]
Was hat für die Eltern politisch Priorität? Das Thema Bildung ist für deutsche Eltern wichtiger als alles andere. 81 Prozent wünschen sich von der Politik eine Verbesserung des Schulsystems. […]
Was stört die Eltern am föderalen Bildungssystem? Die heillose Zersplitterung. Eltern halten es für unerträglich, sich etwa beim Umzug von einem Bundesland ins andere auf neue Schulformen und Lehrpläne für ihre Sprösslinge einstellen zu müssen. 91 Prozent, also fast alle, stimmen der These zu, das Bildungssystem bundesweit zu vereinheitlichen und gleiche Anforderungen für die Kinder zu schaffen. Im Klartext: Das föderale System muss weg. 64 Prozent meinen, die Kinder müssten länger zusammen lernen anstatt frühzeitig in verschiedene Schulformen aufgeteilt zu werden.
Was wünschen sich Eltern zur Entlastung? Statt direkter Zahlungen an die einzelnen Familien sollte das Geld nach dem Willen von 66 Prozent der Befragten lieber in Bildung und Betreuung investiert werden. Von den Anhängern der SPD sagen das sogar 73 Prozent. Bei der Union sind es dagegen nur 62 Prozent und bei der Linkspartei 60 Prozent. Geht es um den eigenen Geldbeutel, wünschen sich 35 Prozent eine Kindergrundsicherung von 300 bis 400 Euro. 25 Prozent favorisieren höhere steuerliche Freibeträge."
Ja, ja ...
Ha, ha...
2
Warum werden Lehrer Lehrer?
Aus dem frühen, vorberuflichen Motivationsbündel der späteren Berufsentscheidung, Lehrer zu werden, zunächst ein paar lernpsychologische Gesetzmäßigkeiten: Wir kommen vor allem auf solche Lebenssituationen zurück, die unerledigt blieben oder die als besonders herausgehoben, als „prägend" erlebt wurden. Wir können auf solche Erlebnisse festgelegt werden, weil wir beispielsweise entweder besondere Misserfolge, merkliche Verhaltenskorrekturen, beeindruckende Beschämungen, oder weil wir nach (subjektiv) eindrucksvollen Spitzenleistungen ein besonderes Lob, besondere Auszeichnungen erfuhren.
Auf die spätere Lehrer-Rolle bezogen, bedeutet dieser Befund, dass der übliche Lehrer zunächst nicht der „Dumme" ist. Er ist es eigentlich nicht, aber dann irgendwie doch. Er ist zunächst in aller Regel kein Fachwissenschaftler.
Siegfried Lenz, hier als Beispiel für eine Vielzahl von Betroffenen, war ein Lehrer. Er wird jedoch inzwischen längst geistesgeschichtlich und gesellschaftlich als Schriftsteller definiert. Heidemarie Wieczorek-Zeul fing ebenfalls als Lehrerin an. Sie war inzwischen als Politikerin, als Expertin für die Probleme der „Dritten Welt" ausgewiesen. Sigmar Gabriel, der nach für die SPD sehr verlustreichen Bundestagswahlen zum Vorsitzenden der SPD gewählt wurde, war früher ja auch Lehrer.
2.1
Standespolitische Verengungen
Vorstehende Hinweise entspringen Momenteinfällen. Sie könnten mit vielen weiteren Beispielen seitenfüllend fortgesetzt werden. Wir tun dies nicht. Wir wollen damit lediglich verdeutlichen, dass seither keinerlei definierte oder gar wissenschaftlich begründete Koordinationsmaßnahmen bestehen. Der häufige persönliche Motivationswildwuchs zur Entscheidung, Lehrer zu werden, wurde in unserem Land nie repräsentativ erforscht. Er konnte schon deshalb für das gesamtgesellschaftliche Ökosystem nicht nutzbar gemacht werden.
Vergleichsweise beginnt Psychotherapie mit der Therapie der zukünftigen Therapeuten. Und: für fast jeden Ausbildungsberuf gibt es heute Eignungsuntersuchungen, Anforderungsprofile, Assessmentcenter, Einstellungsvoraussetzungen. Dagegen haben Gymnasiallehrer in der Regel einfach mal mit einem Fachstudium angefangen. Später satteln dann viele „auf Lehrer" um.
Auch für Grundschul- oder Realschullehrer gibt es in Deutschland kein wissenschaftlich reflektiertes Auswahlverfahren. Es besteht nicht einmal ein Plan dafür. Aber aus dem Unterrichtsstress beurlaubte Standesvertreter, also eigentlich Fachflüchtige, die haben die Zeit, uns mit alten Standesdünkeln zu überschütten. Die Gesellschaft wird derart desinformiert, auf Standesfragen, Schuldifferenzierungen, Bildungsstandards sozusagen „festgeschrieben". Auch von daher werden fachinterne und wissenschaftlich begründete Reformen des Bildungsgeschehens behindert.
Wir sehen hier den Einfluss starker Berufsverbände auf unsere Lebensabläufe. Philologen sind beispielsweise berufspolitisch wenig daran interessiert, neben dem Gymnasial-Abschluss-Zugang zum Universitätsstudium auch weitere Wege zu erproben.
Wir enthalten uns einer langen Kommentierung dieser (Über-) Betonung von Standesprivilegien.
2.2
Überakzentuierungen
Die Krankheit des Systems wird nicht kuriert. Aber an den Symptomen wird eifrig herumdoziert. So lehren Fachlehrer an Gymnasien beispielsweise entsprechende schuldidaktisch modifizierte Spezialwissenschaften. Sie sind jedoch beispielsweise keine Anglisten, Biologen, Chemiker, Geologen, Germanisten, Mathematiker, Physiker, Politologen, Romanisten, Sozialwissenschaftler.
Wie Lehrer in der Grundschule das ABC und das Schreiben lehren, jedoch nicht die Schrift erfunden haben, so lehren alle Lehrer in ihren Schulen durchgängig Jüngeren, Abhängigen, zumeist nicht primär am Lehrstoff Interessierten, was lehrplanmäßig vorgegeben ist. Bei diesen Vorgaben sind weniger fachwissenschaftliche Inhalte als entsprechende „Curricula" entscheidend.
Diese Beschreibung stellt zwar eine verkürzte Herleitung dar. Sie überzeichnet auch einige Gedanken. Und ein bisschen gemein ist die These von der „Mittelmäßigkeit des mittleren Lehrers" auch. Aber diese Überzeichnung haben wir beabsichtigt. Wir wollen insofern auch emotionalisieren, damit endlich ein Handlungsbedürfnis für etwas Besseres entsteht.
Sagen wir es deutlich: Die Physiklehrer*in braucht ja keine Spitzenphysiker*in zu sein. Sie sollte diesen Umstand in ihrem Berufsalltag jedoch konkret umsetzen und sich darauf konzentrieren, Spitzenleistungen bei der Vermittlung physikalischer Probleme für Schüler unterschiedlicher Entwicklungs- und Ausbildungsniveaus zu erzielen. Ihren (ja, auch ihren Besoldungs-)