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Im Arbeitslosenpark
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eBook167 Seiten2 Stunden

Im Arbeitslosenpark

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Über dieses E-Book

Spider ist einer der bekanntesten Autoren der Lesebühnenszene, Mitbegründer von LSD - Liebe statt Drogen und seit 2000 festes Mitglied bei den Surfpoeten. In seinen Texten seziert er die Umwelt mit messerscharfem Blick, seine Geschichten sind facettenreich, hintergründig und voller Humor. Man wundert sich beim Lesen über originelle Ideen und lacht über treffende
Milieuschilderungen und skurrile Charaktere, die die Geschichten bevölkern. Spider beschreibt mit satirischem Blick das Leben der Underdogs in der "Berliner Republik".
SpracheDeutsch
HerausgeberVoland & Quist
Erscheinungsdatum1. Juni 2010
ISBN9783938424384
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    Buchvorschau

    Im Arbeitslosenpark - Andreas Krenzke

    Machen Sie doch Ihren Beruf zum Hobby

    »Machen Sie doch Ihren Beruf zum Hobby!«, sage ich immer zu den Leuten, aber die hören ja nicht auf mich. Ich bin ja bloß der Trottel vom Amt.

    Früher, in der DDR seinerzeit, war das ja so ein Ideal. Da war es andersherum, da versuchte man, sein Hobby zum Beruf zu machen. Das ist wohl bei Gesellschaften mit Vollbeschäftigung so. Wenn da jemand so etwas schafft, sein Hobby zum Beruf zu machen, dann ist das der ganz, ganz große Wurf. Jeder hatte damals einen Beruf. Aber, und darauf waren sie in der DDR besonders stolz, nicht jeder hatte seinen Beruf. Der eine war vielleicht Rockmusiker, das wurde in der Berufsberatung so festgelegt, da konnte man nichts machen, und der konnte dann seinen eigentlichen Neigungen nur in der Freizeit nachgehen, zum Beispiel Leute bespitzeln. Hätte er sein Hobby zum Beruf machen können, wäre er vielleicht Polizist geworden. Wie gesagt, die Menschen wurden durch staatliche Planung und Lenkung in Berufe gedrängt, die ihnen überhaupt nicht lagen. Ihr eigentliches Potential entfalteten sie in ihren Hobbys. Der ganze Geheimdienst funktionierte so. Wie gesagt, nur einige wenige schafften es, Neigung mit Aufgabe zu paaren und ihr Hobby zum Beruf zu machen. Meist Pionierleiter, Kosmonauten und Altstoffhändler.

    Dann kam die Wende, die Wiedervereinigung und alle wurden arbeitslos. Ich arbeitete damals auf dem Amt, dem Arbeitsamt, ich bin ja der Trottel vom Amt, und versuchte, die Leute in ABM zu stecken, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, oder sie umzuschulen. Aber was willste machen, mit Pionierleitern, Kosmonauten und Altstoffhändlern, oder zu was willste die umschulen?

    Seien wir doch mal ehrlich, Vollbeschäftigung war gestern. Wenn du heute Vollbeschäftigung forderst, das ist doch, als ob du die DDR wiederhaben willst. »Also, ob du in den DGB eintrittst oder in die PDS , ist praktisch dasselbe«, sage ich den Leuten immer und: »Machen Sie doch Ihren Beruf zum Hobby!« Aber die hören ja nicht auf mich. Ich bin ja bloß der Trottel vom Amt.

    Ich meine, wenn die Leute irgendwas unbedingt machen wollen, können sie das doch genauso gut als Hobby machen wie als Beruf, oder? Also jetzt ’ne Straße teeren zum Beispiel. Macht ja Spaß, mit der Walze rumzufahren oder Brötchen zu backen oder Schweineohren, nur als Beispiel. Möglicherweise ist der Hobbykonditor oder der Straßenbauverein dann billiger als es die Professionellen sind, und die Professionellen gehen dann ein, und werden arbeitslos. Na und, dann werden sie eben arbeitslos! Wenn sie die Arbeit gerne gemacht haben, Asphalt und Schweineohren, dann können sie das doch auch als Hobby machen. Oder sie machen etwas ganz anderes, wo sie viel mehr Lust zu haben, Pionierleiter vielleicht, Kosmonaut oder Altstoffhändler.

    Ich sage immer: »Nehmen Sie doch das Arbeitslosengeld und machen Sie, worauf Sie Lust haben.« Je mehr Menschen arbeitslos sind, um so schwerer sollte es doch sein, dieses Geld abzuschaffen. Klar, es ist erst mal weniger, das Arbeitslosengeld, die Sozialhilfe. Aber wenn irgendwann alle arbeitslos sind, weil alle einer billigeren Konkurrenz aus dem Hobbysektor erlegen sind, sind alle wieder gleich. Und dann werden die Preise auch schon längst runtergegangen sein, weil ja alle Waren von arbeitslosen Hobbyproduzenten stammen.

    »Wo soll denn das ganze Arbeitslosengeld herkommen«, werde ich dann immer gefragt, »wer soll das denn erarbeiten, wenn keiner mehr arbeitet?« Fragen stellen die Leute! Das Geld wird natürlich, so wie jetzt auch, gedruckt. Gelddrucken ist doch sicherlich auch ein schönes Hobby. Oder natürlich, das geht auch, man schafft das Geld ganz ab, dann hat man auch keine unnötige Arbeit damit.

    »Nehmen Sie das Geld«, sage ich immer. »Seien Sie froh, dass es dieses Geld noch gibt. Hören Sie auf mich! Machen Sie Ihren Beruf zum Hobby!« Das sage ich immer zu den Leuten, ich habe das auch immer zu meinen Klienten gesagt, wenn die zu mir aufs Arbeitsamt gekommen sind, aber die hören ja nicht auf mich. Ich bin ja bloß der Trottel vom Amt.

    Jetzt heißt es ja nicht mehr Arbeitsamt, Agentur heißt es jetzt. Auf einmal bin ich kein Beamter mehr gewesen, sondern ein Agent. Das hat schon cool geklungen, Agent. Den Frauen hat das mächtig imponiert. Aber geholfen hat es nichts. »Machen Sie Ihren Beruf zum Hobby«, habe ich gesagt, »vertrauen Sie mir, ich bin Agent!« Aber die hörten trotzdem nicht auf mich. Ich war dann eben der Trottel von der Agentur.

    Jetzt haben sie mich entlassen, aus dem Amt, ich meine der Agentur. Begründung: blablabla. Auf so was wie mich können sie verzichten, hat der Chef noch gebrüllt. Der Chefagent – hihihi. Hat mich ehrlich gesagt gar nicht interessiert, die Begründung. Hab gar nicht zugehört. Was glauben Sie, was ich stattdessen gemacht habe? Ich habe meinen Beruf zum Hobby gemacht. Stehe ich eben hier, oder am Tresen, erzähle allen, sie sollen ihren Beruf zum Hobby machen, so wie ich. »Machen Sie doch Ihren Beruf zum Hobby«, sage ich immer zu den Leuten, aber die hören ja nicht auf mich. Ich bin ja bloß der Trottel vom Amt.

    Obwohl, wenn ich’s mir so überlege – vielleicht hat’s ja doch was gebracht. Vielleicht haben ja schon viele ihren Beruf zum Hobby gemacht und suchen gar keinen neuen Beruf, weil ihr Hobby sie ausfüllt. Wäre doch denkbar, dass Deutschland auf dem richtigen Weg ist. Dann bin ich natürlich überflüssig geworden, auf dem Amt, ich meine, in der Agentur. Auf so was wie mich können sie verzichten, jetzt wird mir klar, wie das gemeint war! Natürlich! Und da haben sie mich eben entlassen müssen, unter fadenscheinigen Vorwänden. Also wenn das kein Grund zum Feiern ist!

    Rudolf, die Ich-AG

    Das ist Rudolf – Rudi, wie ihn seine Freunde nennen, und Rudi hat viele Freunde. Rudi verdient sein Geld als eine Ich- AG . Das ist nichts Ungewöhnliches heutzutage. Ungewöhnlich ist die Art der Dienstleistung, die von ihm angeboten wird. Rudis Arbeitsplätze sind Bars, Kneipen und Diskotheken. Wenn er arbeitet, wird dies kaum wahrgenommen und das soll es ja auch nicht. Rudi ist Charmeur.

    »Ich halte Türen auf, gebe Feuer, mache Komplimente und so weiter. Ich bin der, der immer Papiertaschentücher einstecken hat. Sie sind übrigens der Erste, der sich für meine Arbeit interessiert, das finde ich toll.« Rudolf, der sympathische Enddreißiger, plaudert darüber, wie er zu seiner Ich- AG gekommen ist. »Am Anfang haben natürlich alle abgewinkt, ich meine jetzt die Gastwirte. Es sind ja die Gastwirte, die mich bezahlen. Dann habe ich einfach vierzehn Tage umsonst gearbeitet. Von geliehenem Geld gelebt. Ich saß jeden Tag im selben Café und machte den anderen Gästen Komplimente. Dem Personal auch. Ich lobte das Essen, schmeichelte der Bedienung, so was eben. Alles natürlich sehr dezent. So was muss sehr dezent gemacht werden. Die Gäste fühlten sich wohl in dem Café und wussten nicht mal so genau warum. Das Personal war gut gelaunt. Der Laden war ungeheuer beliebt. Dann bin ich nicht mehr hingegangen. Einen Monat lang nicht. Danach war der Laden kaum wiederzuerkennen. Das Geschäft lief total schlecht, der Wirt war verzweifelt. Als ich dann mit ihm geredet habe, wollte er mir immer noch nicht richtig trauen, aber er ließ es auf einen Versuch ankommen. Nach zwei Wochen war das Café wieder voll. Das hat ihn dann überzeugt.«

    Seitdem wird Rudi von Wirten bezahlt und von Kneipe zu Kneipe weitergereicht. Davon kann er leben. Berlin hat eigentlich zu viele Kneipen, zu ähnlich sind sie sich und zu teuer. Das Schlachtfeld Gastronomie. Schlecht gelaunte Wirte, Servicekräfte, die ihre Arbeit nur notgedrungen machen. Unzufriedene Gäste, die nicht ausgehen, um ihre alltäglichen Sorgen zu vergessen, sondern um genau über diese zu reden. Zudem ist Berlin nicht gerade die Gebärmutter der Freundlichkeit. Wäre alles anders, Typen wie Rudi wären überflüssig. Oder anders ausgedrückt, sie wären keine Ausnahme.

    Wie ist das, wenn man dauernd Komplimente macht? Hat Rudi eigentlich überdurchschnittlichen Erfolg bei Frauen? Er winkt ab: »Charme, darauf legen Frauen heute keinen Wert. Sie genießen das, unbewusst, aber wert ist es eben nichts. Außerdem bin ich in festen Händen. Wir haben zwei Kinder und eine Katze. Meine Frau ist auch eine Ich- AG . Sie steht im Supermarkt immer als Letzte in der Schlange. Mit einem riesigen Berg Sachen im Einkaufswagen. Sie wird von dem Supermarkt dafür bezahlt, ständig Leute vorzulassen. Dann haben die immer gute Laune an der Kasse. Kundenbindung. Na ja, wir kommen über die Runden. Unsere Kinder haben gerade auch einen Ferienjob. Beim ADAC . Sie bleiben an jeder roten Ampel stehen, egal ob ein Auto kommt, oder nicht. Aber ich langweile Sie doch sicher. Ein hervorragender Autor wie Sie hat doch bestimmt Besseres zu tun, als sich mit den Profanitäten meines Lebens zu beschäftigen.«

    Natürlich sagt er das nur, weil er jetzt Feierabend hat. Ich mag es trotzdem. Alter Charmeur, der Rudi.

    Ganz hinten

    Ihr könnt eine Firma gründen, viele Arbeitskräfte mit niedrigen Löhnen einstellen, und diese dann teuer an andere Firmen vermieten. Ist alles erlaubt, ist ja ein freies Land. Zeitarbeit heißt das. Wenn ihr so etwas tut, braucht ihr nicht selber zu arbeiten, ihr lasst auch nicht Geld für euch arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten für euer Einkommen. Dann liegt ihr nicht der Allgemeinheit auf der Tasche, wie die ganzen Arbeitsscheuen und seid fit für die Zukunft.

    Ich hab das mal ausprobiert, allerdings von der anderen Seite her. Ich habe mich mal in einer Zeitarbeitsfirma anstellen lassen, arbeitete auf Baustellen und in Fabriken. Ich tat das nicht, wie so viele Werktätige, aus Habgier, sondern weil es sich dabei um ein Experiment handelte. Ich wollte testen, wie das so ist, Geld zu haben und musste dazu erst mal welches verdienen. Es ist so:

    Baustelle Chausseestraße

    Die Strangsanierung eines Altneubaus muss an einem Tag abgeschlossen werden, damit die Mieter abends wieder kacken können. Damit das in zehn bis zwölf Stunden bewältigt werden kann, werden vier Leute engagiert, Schrott und Schutt in Eimern die Treppen runterzutragen. Zwei Gymnasiasten in den Schulferien, ein alter Mann mit steifem Bein und ich. August ist es und der Schweiß rauscht mir niagarafallartig durch die Poritze. »Eine ganz schöne Plackerei«, maulen die Ferienkinder, »für zwölf Mark Stundenlohn.« Was zwölf? Und wieso kriege ich elf? »Was zwölf?«, fragt der alte Mann mit dem steifen Bein. »Und wieso kriege ich neun?«

    Baustelle Mohrenstraße

    Hier war ich schon mal. Vor drei Monaten schleppte ich den Dreck von A nach B , den ich jetzt von B nach A karre. Mir ist das recht.

    In dem Gebäude, das sie hier hinmachen, gibt es einen toten Raum, ohne Türen und Fenster. Nur über

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