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Das Rosefield-Haus
Das Rosefield-Haus
Das Rosefield-Haus
eBook337 Seiten4 Stunden

Das Rosefield-Haus

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Über dieses E-Book

Vier Schwestern, ein gemeinsames Schicksal ... Das Rosefield-Haus.
Um ihr Guesthouse zu eröffnen, kehrt Eve Rosefield nach Tasmanien zurück.
Als ihre Mutter, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, ihrem Leben unverhofft ein Ende setzt, stellt sich Eve ihrer Vergangenheit.
Während Mabel immerzu an die falschen Männer gerät und Bridget bloß Augen für ihren reichen Verlobten hat, kehrt die menschenscheue Tony in das verlassene, heruntergekommene Elternhaus zurück. Doch nicht jedem gefällt, dass sie sich dort aufhält.
Was ist mit ihrem Vater geschehen? Hat er am Ende die Insel doch nicht verlassen?
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum10. März 2017
ISBN9783740793234
Das Rosefield-Haus
Autor

Brina Hope

Brina Hope wurde 1981 in Bern geboren und lebt heute mit ihrem Mann im beschaulichen Zürcher Oberland. In der Nähe des Zürichsees, umgeben von Bergen, wo sie gerne ihre Freizeit verbringt. Ihre vier Romane »Der Tag, an dem du verschwindest«, »Solange sich die Wellen brechen«, »Wie ein Schatten hinter dir« und »Das Rosefield-Haus« sind alle erfolgreich bei TWENTYSIX erschienen.

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    Buchvorschau

    Das Rosefield-Haus - Brina Hope

    Epilog

    Kapitel 1

    Er hielt direkt vor dem rustikalen Guesthouse, um das sich seit gut einem Jahr ihr gesamtes Leben drehte. Er schaltete den Motor ab und musterte seine Frau von der Seite. Die Arme verschränkt starrte sie durch die Frontscheibe. Sie war noch immer wütend. Was hatte er auch anderes erwartet?

    Eve Rosefields Brust hob sich. Sie bemerkte seinen Blick. Im Geiste schüttelte sie den Kopf. Auch jetzt war sie nicht zum Diskutieren bereit. Sie stieß die Beifahrertür auf und stieg aus dem Wagen.

    Eve hatte den Haupteingang im Visier, holte tief Luft, straffte die Schultern und ging die Verandastufen hoch.

    Paul stieg ebenfalls aus. »Eve, ich bitte dich. Ich wollte dir doch nicht in den Rücken fallen«, versicherte er abermals. Er lockerte seine Krawatte.

    Für seine Erklärungsversuche hatte sie jedoch kein Gehör. Er hätte es sich vorher überlegen und sich auf ihre Seite stellen sollen, anstatt auf die Seite der Gegner. Auch wenn diese in der Überzahl waren.

    Warum musste er sich überhaupt einmischen?

    Nur weil sie nach dem Begräbnis ihrer Mutter nicht in ihr Elternhaus zurückkehren wollte, in dem sie schon seit Jahren nicht mehr gewesen war, hatten ihre Schwestern noch lange nicht das Recht, sie deswegen aufzuziehen und zu demütigen.

    Sie entsann sich seiner Worte. »Vielleicht würde es dir ja guttun, etwas Zeit mit deinen Schwestern zu verbringen.« Bestimmt, dachte sie zähneknirschend. Paul wusste ja nicht, wie schrecklich ihre Kindheit für sie gewesen war. Wie sollte er auch? Ihre Vergangenheit hütete sie wie ein Staatsgeheimnis. Sie haderte im Verborgenen.

    Eve passierte die beschauliche Rezeption. Lautes Gelächter zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und brachte sie zum Stehen. Ein paar Gäste hatten sich in der Lounge eingefunden und saßen auf den braunen Ledercouchsesseln beisammen. Ihre Bemühungen, die Lounge ebenso gemütlich zu gestalten wie den Rest der Unterkunft, die sorgfältig in die raue Landschaft am Rande des Cradle Mountain eingebettet worden war, hatten sich gelohnt.

    Ein Magnet für Gäste, dachte Eve, die Lippen gedehnt. Ein Ort, an dem schon so oft über die vermeintlich besten Wanderrouten debattiert wurde. Solche Debatten hatten sie nicht selten zum Schmunzeln gebracht. Die Tatsache, dass Eve’s Mountain Guesthouse zurzeit komplett ausgebucht war und in diesem Moment Touristen aus aller Welt – einschließlich vieler Einheimischer – die Sitzgelegenheiten der Lounge nutzten, ließ sie ihren Zorn beinahe vergessen. Bis sie Paul hineinkommen sah.

    Er hielt inne, als er sie erblickte. Vergiss es, sagte ihr Gesichtsausdruck. Er beabsichtigte auch nicht, seine Privatangelegenheiten vor den Augen der Gäste auszutragen. Er brauchte keine Zuschauer.

    Eve wandte sich ab, Paul blickte ihr hinterher.

    Zitternd vor Zorn betrat sie ihr Büro. Sie schloss hinter sich die Tür und atmete erst einmal tief durch, was sie jedoch nicht zur Ruhe brachte.

    Sie ging zu ihrem Schreibtisch, zog den Stuhl hervor. Sie machte ihrer angestauten Wut Luft, indem sie alles vom Tisch fegte, was sie in die Hände bekam. Ein Stapel Rechnungen flatterte zu Boden, ein Behälter mit Kugelschreiber krachte ebenfalls auf. Erschrocken schüttelte sie den Kopf und sank auf den gepolsterten Sessel. Mein Gott, war sie jetzt völlig übergeschnappt? Wie tief wollte sie eigentlich noch fallen?

    Ihre Gedanken überschlugen sich. Himmel, sie war erwachsen. Vierunddreißig, dachte sie stöhnend. Sie hatte Verantwortung, ein Guesthouse zu führen, und nicht die Zeit, sich mit Selbstvorwürfen zu quälen. Ach, wäre sie doch in Melbourne geblieben und nicht nach Tasmanien zurückgekehrt. Sie seufzte. Insgeheim kannte sie den Grund, der sie zurück auf die Insel getrieben hatte. Das verletzte Kind in ihr, das sich selbst und ihrer kaltherzigen Mutter Elisabeth etwas beweisen wollte.

    Sie öffnete die oberste Schreibtischschublade, holte ein gerahmtes Foto hervor und betrachtete es. Es zeigte sie und ihre Schwestern. Mabel, die zweitjüngste, hielt Bridget, das Nesthäkchen der Familie, an ihren Schultern fest, damit sie nicht herumzappelte. Daneben Tony … So gewöhnlich und dennoch Mutters Liebling. Sie schluckte den Groll, den sie Tony gegenüber empfand, hinunter. »Hör auf, so dümmlich zu grinsen«, sagte sie zu ihrem jüngeren Ich. Das macht dich keineswegs beliebter.

    Sie knallte das Foto auf den Tisch, langte erneut in die Schublade und griff nach ihrem Schminkspiegel. Sie sah so verbissen aus, dachte sie mit Blick auf die Fältchen um ihren Mund. Sie verzog ihre Lippen zu einem Lächeln, klimperte mit den Wimpern. »Erbärmlich, einfach nur erbärmlich.« Sie zupfte ihr braunes Haar zurecht und klappte den Spiegel zu. Kein Wunder, dass sie dich nicht geliebt hat. Sie blinzelte und wischte sich über die Augen. »Nicht«, murmelte sie. »Nicht weinen.« Ihre Lippen zuckten, ehe sie sie zusammenkniff. »Du bist doch keine Heulsuse.«

    Schließlich erhob sie sich und trat ans Fenster. Sie öffnete die Glasschiebetür und betrat die Veranda. Die Hände am Geländer spähte sie gedankenverloren in die Abgeschiedenheit Tasmaniens. Es dämmerte bereits. Bäume und Büsche wiegten sich sanft im Wind. Tiere schlüpften aus ihren Verstecken und trauten sich näher heran. Eve grübelte.

    Ist es nicht das, wovon du immer geträumt hast? Ein Guesthouse in einer atemberaubenden Umgebung zu führen, Gäste zu beherbergen? Sie seufzte. Im Moment war sie sich nicht mehr so sicher.

    Sie dachte an Elisabeth. »Mutter«, knurrte sie verächtlich und blickte zum Himmel. »Das hast du mit Absicht getan, nicht wahr?« Sie senkte den Blick. Sie konnte wohl kaum eine Antwort erwarten. Heute Nachmittag hatten sie ihre Mutter beigesetzt. Eve war mehr wütend als traurig. Sie hatte sich insgeheim gewünscht, ihre Mutter würde eines Tages hier aufkreuzen und sie mit Anerkennung überschütten. Stattdessen hatte sie sich mit einer Überdosis Tabletten umgebracht.

    Jemand betrat ihr Büro.

    »Ich hätte mich nicht einmischen sollen«, sagte Paul mit ruhiger Stimme, als er auf die Veranda trat. Obwohl er fürchtete, dass er bloß seine Zeit verschwendete, hoffte er doch, dass er sich mit Eve versöhnen konnte. Er wollte nicht, dass sie sich noch weiter von ihm distanzierte. Allmählich ging auch ihm die Puste aus. Als hätte sie mit dem Umzug nach Tasmanien für sich entschieden, ihn aus ihrem gemeinsamen Leben zu verbannen. Wenn er nicht aufpasste, würde es bestimmt nicht bloß bei dieser Befürchtung bleiben.

    »Hast du aber«, zischte sie erbost. Die Bitterkeit, die in ihrer Stimme lag, ließ sie ebenfalls schlucken. Dass er darauf nicht reagierte, machte es nur noch schlimmer. Sie wollte, dass er etwas sagte. Etwas, das sie … das sie wütend machte. Sie wollte wütend sein und sich nicht vom schlechten Gewissen übermannen lassen. Sein Schweigen war unerträglich. Sie bekam kaum noch Luft. »Bitte geh«, presste sie hervor.

    Paul schnaufte. »Manchmal denke ich, du legst es richtiggehend darauf an, dass unsere Ehe nicht funktioniert.« Sie starrte ihn ausdruckslos an. Paul war gekränkt und verärgert zugleich. Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede, lag es ihm auf der Zunge. Er verkniff es sich und räumte das Feld – so wie er es in letzter Zeit oft getan hatte. Er musste sich umziehen, die Gäste warteten.

    Kaum hatte Paul die Tür zugeschlagen, brach Eve in Tränen aus. Schluchzend drehte sie sich um und hielt sich die Hand vors Gesicht. Sie schämte sich für ihren Gefühlsausbruch.

    Wie konnte er bloß …? Wie konnte er bloß so etwas sagen? Keineswegs war sie glücklich darüber, in welche Richtung sich ihre Ehe, ihr gesamtes Leben entwickelte. Als wäre sie allein dafür verantwortlich! Würde er doch einmal um sie kämpfen und nicht immer gleich davonlaufen, dann … Sie wusste es selbst nicht so genau.

    Wieso konnte er sie nicht einfach nur in den Arm nehmen? Sie trösten, ihr sagen, dass alles gut wird. Sie stöhnte. Das klang allzu sehr nach einem Märchen.

    Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und wischte die Hand an ihrer Kleidung ab. Ihre Gedanken überschlugen sich. Gerade stellte sie alles infrage: die überstürzte Hochzeit mit Paul, die Rückkehr nach Tasmanien, den Bau der Unterkunft …

    Gleichzeitig erinnerte sie sich an bessere Zeiten; an die Zeit in Melbourne, als die Welt noch in Ordnung war. Ihr wurde wieder bewusst, dass sie die Verwirklichung ihrer Träume im Grunde genommen Paul zu verdanken hatte – zumindest, was die finanziellen Aspekte anbelangte. Genauer gesagt seinem Vater. Der hatte sich dazu bereit erklärt, Paul einen Erbvorschuss zu geben, damit sie ihre Pläne verwirklichen konnten.

    Als sie damals nach Melbourne übersiedelte, um in einem renommierten Hotel an der Rezeption zu arbeiten, das zufällig Pauls Vater gehörte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie sich in den Sohn des Hoteliers verlieben würde. Das schlechte Gewissen plagte sie. Er hatte es nicht verdient, von ihr so schlecht behandelt zu werden, auch wenn sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber im Moment nicht mehr sicher war.

    Da es inzwischen kühl geworden war und es ihr Pflichtgefühl gegenüber den Gästen verlangte, schob sie ihr Gefühlswirrwarr beiseite und ging hinein. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass sie das Familienfoto auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen. Beschämt legte sie es in die Schublade zurück. Niemand durfte wissen, dass sie mit ihrer Vergangenheit haderte. Sie schob die Schublade zu und beseitigte das Chaos auf dem Boden.

    Im Schlafzimmer wechselte sie rasch ihre Kleidung. Sie zog ihre geliebten Jeans an, nahm eine dunkelblaue Bluse vom Kleiderbügel und schlüpfte in ihre braunen Stiefel.

    Die Hand am Türknauf spähte Eve zum Bett. Insgeheim wusste sie, dass sie mit Paul reden, sich mit ihm versöhnen musste, bevor sie zu Bett gingen. Bestimmt würde sie sonst kein Auge zumachen, die ganze Nacht grübelnd neben ihm liegen.

    Sie stieß einen Seufzer aus. Sie würde lieber hierbleiben, statt das Gespräch mit Paul zu suchen und sich um ihre Gäste zu kümmern. »Das wird schon«, ermutigte sie sich. Sie holte noch einmal tief Luft, öffnete die Tür und folgte dem Stimmenwirrwarr.

    Eve traute ihren Augen kaum, als sie die Lounge erreichte und Mabel und Bridget erblickte. Sie unterhielten sich mit Paul und nippten an ihren Weingläsern. Wieso sind sie hier? Ihr Blutdruck schnellte nach oben und ihr Magen verkrampfte sich. Tief durchatmen, nicht aufregen! Leichter gesagt als getan.

    Um ihnen auszuweichen, stieß sie zur Bar vor. Sie griff nach der Weinflasche, schnappte sich ein paar Gläser und füllte sie mit Wein. Gekonnt balancierte sie das Serviertablett zu der Gruppe, die gerade erst dazugestoßen war. »Auch ein Glas?« Mit leerem Tablett kehrte sie zur Theke zurück und gönnte sich selbst einen Schluck, den sie achtlos hinunterkippte.

    »Spaßbremse! Aber das bist du ja schon immer gewesen«, schossen ihr Mabels Worte durch den Kopf. »Spaßbremse«, hatte Bridget sie belustigt nachgeäfft. Und statt ihre Würde zu verteidigen, hatte Paul noch eins draufgesetzt. »Vielleicht würde es dir ja guttun, etwas Zeit mit deinen Schwestern zu verbringen.«

    Und sie hatte geglaubt, dass sich mit den Jahren, in denen sie kaum Kontakt hatten, alles verändern würde. Heute Nachmittag jedoch war ihr schmerzlich bewusst geworden, dass dem nicht so war.

    Als hätte sie es gespürt, dass sie von der Truppe beobachtet wurde, drehte sich Eve um. Na wunderbar, jetzt war sie auch noch die Attraktion des Abends. Sie stellte ihr Glas ab und ging auf sie zu. Ihr Blick wanderte von Mabel zu Bridget, dann zu Paul. »Was ist das hier, eine Art Verschwörung?«

    Paul hob beschwichtigend die Hände. »Damit habe ich nichts zu tun. Sie sind plötzlich hier aufgetaucht.«

    Mabel, die ein elegantes, schwarzes Kleid trug, ihr rotes Haar zu einem Dutt gebunden hatte, verdrehte die Augen und Bridget wickelte eine Haarsträhne um ihren Finger.

    Hörst du wohl damit auf, dachte Eve in Bezug auf Bridget. Himmel, jetzt kämmte sie auch noch ihre blond wallende Mähne zur Seite. Und erst diese knappen Jeansshorts … Mit einem Hauch von Neid musterte Eve Bridgets unverschämt langen Beine, ihre schmale Taille, ihre makellose Haut.

    In Gedanken schor sie Bridget den Schädel. Als sie sich Mabel zuwandte, verebbte ihr Lächeln. »Wieso seid ihr hier und nicht im Rosefield-Haus? Und wo ist Tony?«

    »Sie wollte nicht mitkommen«, rückte Bridget mit der Sprache heraus.

    Ach, dachte Eve und glaubte, vor Zorn gleich explodieren zu müssen. »Wieso seid ihr denn nicht bei ihr geblieben? Ihr wolltet doch unbedingt …«

    »Mal ehrlich, in dieses Haus bringen mich keine zehn Pferde mehr. Dort ist es ganz schön gruselig«, meinte Bridget, während sie ihre Haarspitzen nach Spliss durchsuchte.

    Das war zu viel des Guten. »Und ihr habt mich als Spaßbremse bezeichnet?« Ihre Stimme klang schrill.

    »Eve, die Gäste«, ermahnte sie Paul.

    »Schon gut, ich hatte sowieso vor, zu gehen. Ohne Spaßbremse ist es bestimmt lustiger.«

    Mabel schaute ihr nach. »Dass sie aus allem immer gleich ein Drama machen muss«, sagte sie mehr zu sich selbst.

    Obwohl Paul die Anspielung nicht entgangen war, hielt er den Mund. Schließlich wollte er Eve nicht noch einmal in den Rücken fallen.

    »Sie ist noch immer genauso verbohrt wie damals«, stellte Mabel fest.

    Paul hielt sich weiter zurück.

    Und Bridget? Bridget blickte etwas hilflos drein.

    Wenn sie gewusst hätte, dass es erneut zum Streit kommen würde, wäre sie erst gar nicht hierher, sondern gleich nach Hause gefahren, dachte Mabel. Schließlich gab sie sich einen Ruck. »Ich werde mal nach ihr sehen.«

    »Das ist wohl keine so gute Idee«, brummte Paul in sich hinein, während er Mabel hinterherschaute. Er spähte auf seine Armbanduhr. Allmählich war es an der Zeit, die Gäste zu Tisch zu bitten. Was, wie er feststellte, keine Überredungskünste erforderte. Inzwischen waren die Gäste hungrig genug.

    »Eve, warte.«

    Überrascht, dass Mabel ihr folgte, hielt Eve inne. Sie drehte sich um.

    »Das heute war doch nicht ernst gemeint«, sagte Mabel mit vergnügtem Lächeln.

    Eve verschränkte die Arme. »Ach.« Ihre Augen verengten sich. »Du warst schon immer gut darin, wenn es darum ging, andere an den Pranger zu stellen, Mabel. Offenbar hast du nichts dazugelernt.«

    Mabel?, schnappte Ruby auf und verharrte im Türrahmen ihres Zimmers. Mabel Rosefield? Sie riskierte einen Blick. Tatsächlich. Rubys Kiefer verkrampfte sich. Ihr Puls schlug schneller.

    Mabels Lächeln verebbte. »Und offenbar war es reine Zeitverschwendung zu glauben, dass sich nach dem Tod unserer Mutter zwischen uns etwas ändern würde.«

    Wieder diese Taktik, dachte Eve. »Jetzt bin ich wieder die Böse.«

    »Wenn du meinst.«

    Einen Moment lang schauten sie sich schweigend an.

    »Auf Wiedersehen, Eve.«

    »Oh, das sieht dir mal wieder ähnlich«, rief ihr Eve hinterher, was sie jedoch keineswegs befriedigte.

    »Gemeine Ziege«, meinte Ruby in aufmunterndem Tonfall, als sie sich zu Eve gesellte.

    Eve fuhr zusammen. »Meine Güte, Ruby, ich habe dich gar nicht kommen sehen.« Sie schauten den Flur entlang. Mabel verschwand um die Ecke. »Biest trifft es wohl eher.«

    Selbst das war noch untertrieben, dachte Ruby erbost. In Anbetracht dessen, was Mabel ihr angetan hatte. Aber das würde sie Eve nicht auf die Nase binden. Ruby hakte sich bei der überrumpelten Eve unter. Das hatte sie noch nie getan. »Und jetzt machen wir uns besser nützlich. Die Gäste warten.«

    Sie betraten den Essbereich. Die Gäste saßen bereits an ihren Tischen und unterhielten sich gut gelaunt. Zu ihrer Entrüstung saßen auch Mabel und Bridget an einem der Tische. »Das ist ja wohl nicht ihr Ernst«, zischte Eve.

    Auch Ruby war fassungslos aufgrund der Dreistigkeit, die Mabel an den Tag legte. »Reg dich nicht auf.«

    »Nicht aufregen?« Eve schüttelte den Kopf. »Am Ende kommt sie noch auf die glorreiche Idee, die Nacht über hierzubleiben. Das kann sie sich jedoch gleich aus dem Kopf schlagen. Alle Zimmer sind belegt.«

    »Und die ausziehbare Couch in eurem Schlafzimmer?«, spaßte Ruby.

    Die Anspielung brüskierte Eve. »Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«

    Auf meiner. Ich steh auf meiner Seite. Ruby lächelte gezwungen. Eve war etwas irritiert. Dachte Ruby etwa, dass sie sich albern verhielt? Nein, sie verhielt sich ganz und gar nicht albern. Ihre Schwestern hatten ihre Gastfreundschaft überhaupt nicht verdient. Eve stöhnte und ging in die Küche. Ruby folgte ihr. Eve drehte sich um: »Ich könnte die Couch auch in dein Zimmer stellen.«

    Rubys Lippen zuckten. Wenn du wüsstest …

    Nathan, der junge, attraktive Chefkoch, zog unbewusst die Aufmerksamkeit auf sich, als er den Stabmixer einschaltete. Er war so sehr damit beschäftigt, auf die richtige Konsistenz seiner Spargelsuppe zu achten, dass er die beiden Frauen, die ihn schmachtend beobachteten, gar nicht bemerkte.

    »Deine Schwestern können mein Zimmer haben. Ich bin sicher, dass sich da was machen lässt«, meinte Ruby. Die Vorstellung gefiel ihr. Sie lächelte verschmitzt.

    Eve fiel die Kinnlade runter. Sie hatte sich wohl verhört. Ruby wollte doch nicht etwa mit ihrem Küchenchef anbändeln. Sie musterte Ruby von der Seite. Spontan packte sie Ruby am Arm und zerrte sie in die hinterste Ecke der Küche. »Das ist wohl kaum dein Ernst?«

    Eves Reaktion kränkte und ärgerte Ruby zugleich. Nur weil sie ein paar Jahre älter und bereits verheiratet war … Sie seufzte, die Scheidung stand ihr noch bevor. »Wieso denn nicht?«

    »Ach komm, du und Nathan?«, erwiderte Eve belustigt.

    In Rubys Innerem begann es zu brodeln. Das konnte sie nicht einfach so hinnehmen. Die Wunde, die ihr untreuer Mann ihr zugefügt hatte, war noch nicht verheilt. »Nathan sieht das ein wenig anders«, sprang es ihr über die Lippen.

    »Was? Seit wann?«

    Mist, in was hatte sie sich da bloß hineingeritten? Da sie verhindern wollte, dass Nathan etwas von ihrer Unterhaltung mitbekam, packte sie Eve am Arm und zerrte sie aus der Küche in ihr Büro, was Eve nur ungern mitmachte. Dieser Raum war ihr persönlicher Rückzugsort, ihre Quelle der Ruhe.

    Ruby fuhr mit der Hand über die Tischkante, als sie zum Fenster ging. »Er war perfekt. Ein richtiger Gentleman.« Sie drehte sich um und log Eve mitten ins Gesicht. »Ich konnte doch nicht zulassen, dass mein Selbstwertgefühl weiter verkümmert.«

    Dass Ruby nie etwas davon erwähnt hatte, kränkte Eve. Und die Tatsache, dass Ruby ihren Spaß hatte, während sie und Paul sich nur noch stritten, deprimierte sie. »Dann hast du das alte Kapitel abgeschlossen?«

    »Schätze, ja.« Was jedoch nicht stimmte. Sie haderte noch immer damit, dass ihr Mann sie betrogen hatte.

    Eve verspürte leichte Panik. Insgeheim graute ihr vor dem Tag, an dem Ruby beschließen sollte, ihre Sachen zu packen und nach Launceston zurückzufahren, um ihre Privatangelegenheiten zu klären.

    Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem Ruby unangekündigt hereingeplatzt war und um ein Zimmer gebeten hatte. Seitdem war ein Jahr vergangen. Ruby zählte nun zum Inventar. Eve stöhnte innerlich. Sie wollte nicht, dass Ruby abreiste. Inzwischen war sie ihr eine Freundin geworden. Sie musste unbedingt dafür sorgen, dass Nathan ihr am Ende nicht auch noch das Herz brach. »Vielleicht sollte ich Nathan bei Gelegenheit beiläufig auf die Sache ansprechen.«

    »Wozu denn?«, schoss es aus Ruby heraus.

    »Um ihn wissen zu lassen, dass ich hier keine Spielchen dulde.« Ruby war ganz und gar nicht begeistert. Eve merkte es. »Er ist jung und … Am Ende wird er dich nur verletzen.«

    Ruby holte tief Luft. »Lass es gut sein, Eve. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.«

    Eve seufzte. Die rosarote Brille verschleierte ihr offenbar den Blick auf die Realität. »Das weiß ich doch, aber …«

    Die gute Eve ließ einfach nicht locker. Sie musste wohl deutlicher werden. Sie wollte nicht auffliegen und schon gar nicht, dass Nathan sich am Ende noch darüber amüsierte. »Ich will nicht, dass du Nathan darauf ansprichst. Wenn du das tust, wirst du es bereuen.«

    Im Raum wurde es still. So still, dass Eve ihren Herzschlag hörte.

    »Entschuldige, ich …« Ruby verließ überstürzt das Büro.

    Kapitel 2

    Sie wälzte sich im Bett hin und her. »Aufhören. Bitte.« Der markerschütternde Klang einer Mundharmonika wurde noch lauter. Tony schlug die Augen auf. Sie atmete hektisch, als wäre sie um ihr Leben gerannt. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie glaubte, es würde jeden Moment aus dem Brustkorb springen. Obwohl es stockdunkel war, schaute sie sich ängstlich um. Hatte sie bloß geträumt?

    Sie drehte sich auf die Seite und schaltete das Licht ein. Die Glühbirne flackerte. Tony setzte sich im Bett auf, umfasste ihre Beine und zog sie an ihren Körper. »Nur ein Traum«, flüsterte sie, während sie vor und zurück wippte. »Nur ein Traum.« Sie hielt inne. War es wirklich nur ein Traum gewesen? Unbewusst begann sie wieder zu wippen. Sie hätte nicht herkommen sollen. Was hatte ihr dieses Haus denn schon zu bieten? Vom Rest der Welt abgeschottet, dem Schicksal überlassen, moderte es vor sich hin. Schon damals hatte sich niemand darum gekümmert.

    Sie dachte an die Beerdigung, an der lediglich ihre Schwestern, Eves Mann und der Pfarrer teilgenommen hatten. Und sie dachte an ihre verstorbene Mutter und fragte sich, wie sie inzwischen wohl ausgesehen haben mochte. Seit Jahren hatte sie Elisabeth nicht mehr gesehen. Tony erinnerte sich vage an ihr braunes, kräftiges Haar, ihren üppigen Busen, den aufrechten Gang.

    Kaum hatte Tony die Möglichkeit gesehen, dass sie es schon irgendwie schaffen würde, war sie von Zuhause fortgegangen. Ihre Schwestern hatten wenigstens einander gehabt. Immerhin durften sie sich ein Zimmer teilen, während sie, auf der anderen Seite des Flurs, regelrecht verkümmerte.

    »Du bekommst dein eigenes Zimmer, direkt neben meinem. Damit du immer schön in meiner Nähe bist.« Am Anfang war sie auch sehr stolz darauf gewesen. Bis sie erkannt hatte, dass die Größe ihres Zimmers der einzige Vorteil war.

    Tony seufzte. Diese besondere Behandlung hatte sie nicht gewollt. Sie hatte sehr darunter gelitten. Ihre Kindheit hatte sie mehr oder weniger in ihrem Zimmer abgesessen, während ihre Schwestern draußen spielen durften. »Du bist etwas Besonderes. Anders als deine Schwestern.« Tony hörte auf zu wippen. »Warum? Erklär es mir endlich«, flüsterte sie in die Stille, zur Tür blickend, als fände sie dort eine Antwort.

    Gleich nachdem Mabel und Bridget gegangen waren, hatte sich Tony in ihrem Zimmer verschanzt, die Tür verriegelt und war zu Bett gegangen.

    Sie wurde neugierig, ging zur Tür, öffnete sie und lugte um die Ecke. Im Flur war es dunkel, unheimlich dunkel. Sie drehte den Kopf und rechnete jeden Augenblick damit, dass Elisabeth gleich die Tür aufreißen und Licht aus ihrem Zimmer fallen würde. Was jedoch nicht geschah und auch nicht geschehen würde. Und doch hämmerte ihr Herz gegen ihre Brust. »Sie ist nicht hier«, flüsterte sie. »Niemand ist hier.«

    Sie nahm all ihren Mut zusammen und begab sich ans andere Ende des Flurs. Sie betätigte den Lichtschalter und betrat das Zimmer ihrer Schwestern. Sie atmete auf. Zumindest fühlte sie sich hier etwas wohler als im seelenlosen Flur.

    Auf der linken Seite standen Mabels und Bridgets Betten, die noch immer zu einem Doppelbett zusammengeschoben waren. Selbst jetzt, Jahre später, konnte sie ihr fröhliches Gelächter hören und die Vertrautheit der beiden spüren. Was sie tief in ihrem Herzen etwas schmerzte. Sie wandte den Blick ab.

    Eves Bett stand auf der anderen Seite. Tony trat näher. Sie fühlte sich von der rotgrünkarierten, abgenutzten Matratze, die auf dem alten, dunklen Bettgestell aus Holz lag, regelrecht angezogen. Sie setzte sich an den Rand und fuhr mit ihrer Hand über die staubige Oberfläche. Beinahe glaubte sie, Eves Körperwärme zu spüren, als wäre sie nie entschwunden.

    Sie legte sich hin, drehte sich auf die Seite und zog ihre Beine an, schloss ihre Augen und versank in einen unruhigen Schlaf.

    Kapitel 3

    Um ein Uhr morgens saß Eve noch immer an ihrem Schreibtisch und arbeitete am Computer. Gähnend lehnte sie sich zurück. Sie starrte auf den Stapel Rechnungen und schüttelte den Kopf. »Das ist doch verrückt!« Die Ware wurde erst gestern angeliefert. Sie musste die Rechnungen nicht sofort bezahlen. Jedenfalls nicht um ein Uhr morgens. Und Paul, der eigentliche Grund, weshalb sie überhaupt noch auf war, lag inzwischen längst schlafend im Bett.

    Sie fuhr gerade die Programme herunter, als jemand seinen Wagen startete. Wer ist so spät noch unterwegs?, fragte sich Eve und klappte den Laptop zu.

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