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Wie ein Schatten hinter dir
Wie ein Schatten hinter dir
Wie ein Schatten hinter dir
eBook353 Seiten4 Stunden

Wie ein Schatten hinter dir

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Über dieses E-Book

Wenn Warnzeichen dich auffordern, dein Leben zu ändern ...
Wenn dein siebter Sinn dich schützen könnte ...
Aber was, wenn du die Signale nicht erkennst?

David ist schon seit seiner Teenagerzeit ein Außenseiter. Mit dem Fotoapparat spioniert er Mädchen nach. Besonders von der hübschen Amy ist er besessen. Als sein Onkel deren Fotos bei ihm findet und ihn als Stalker entlarvt, bringt David ihn im Affekt um.
Weder die lange Haft noch eine Therapie können ihn von seiner Obsession für Amy erlösen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis kennt er nur noch ein Ziel - Amy, mittlerweile eine junge Frau, aufzuspüren und für sich zu beanspruchen.
Da stört nur, dass sich Sheila, die arglose Tochter seines Arbeitgebers, in ihn verliebt. Er sieht sich gezwungen, sie aus dem Weg zu räumen.
Lauren, Amys ältere Schwester und eine dreifache Mutter, kämpft darum, Familie, Ehe und Berufsleben unter einen Hut zu bringen.
Als sie nach ihrer Krebserkrankung beschließt, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, und es scheint, als würde es wieder aufwärtsgehen, schlägt das Schicksal noch härter zu.

Ein packender Roman, der für Gänsehautmomente sorgt.
Psychokrimi und Lovestory in einem.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum21. Feb. 2018
ISBN9783740774615
Wie ein Schatten hinter dir
Autor

Brina Hope

Brina Hope wurde 1981 in Bern geboren und lebt heute mit ihrem Mann im beschaulichen Zürcher Oberland. In der Nähe des Zürichsees, umgeben von Bergen, wo sie gerne ihre Freizeit verbringt. Ihre vier Romane »Der Tag, an dem du verschwindest«, »Solange sich die Wellen brechen«, »Wie ein Schatten hinter dir« und »Das Rosefield-Haus« sind alle erfolgreich bei TWENTYSIX erschienen.

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    Buchvorschau

    Wie ein Schatten hinter dir - Brina Hope

    Polizei.

    Kapitel 1

    Portland, Maine, Dezember 2010

    Lauren joggte durch die vom Schnee geräumten Straßen ihrer Wohngegend. Heute Morgen war es deutlich kühler als gestern. Sie spürte es beißend in ihrer Lunge und an ihren verspannten Muskeln. Sie wurden nicht richtig warm.

    Sie schaute prüfend auf ihre Laufuhr. Sie lag gut in der Zeit. Trotzdem legte sie noch einen Zahn zu.

    Fast! Fast am Ziel!, dachte sie, als sie um die Ecke bog.

    »Bei diesen eisigen Temperaturen werden Sie sich noch eine Lungenentzündung einfangen«, warnte Mrs Pickman, Laurens Nachbarin, die durch den Spalt ihres Küchenfensters lugte.

    Was Sie nicht sagen!, sagte sich Lauren und ignorierte sie.

    Sie erreichte die Zufahrt zu ihrem Haus. Es war kurz vor halb sieben. Die Hände in der Taille, keuchte sie sich die Anstrengung aus der Lunge.

    Auf geht’s! Der Wahnsinn kann beginnen!

    Sie ging ins Haus, lief die Treppe hinauf, in Madisons Zimmer. »Es ist Zeit, aufzustehen. Die Schule wartet.«

    Lauren streichelte Madison an der Schulter. Aber diese gab keinen Ton von sich. Ihre siebenjährige Tochter stellte sie, einmal mehr, auf die Probe.

    »Du bist ein großes Mädchen. Ich verlass mich auf dich.« Sie knipste die Nachttischlampe an.

    Madisons Wimpern zuckten.

    Wie eine Elfe, dachte Lauren. Wie eine Elfe … bis sie wach ist!

    Sie stöhnte. Sie war eine unfähige Mutter. Und Madison ein nervenaufreibendes Kind. Kein Trick hatte bisher wirklich funktioniert, um Madison dazu zu bewegen, selbstständig aufzustehen und ihnen beiden das morgendliche Ritual zu erleichtern. Es half weder, wenn sich das Mädchen am Vorabend seine Kleidung selbst aussuchen durfte, noch wenn sie ihr gut zuredete, Versprechungen machte oder gar drohte. Letztendlich war es immerzu darauf hinausgelaufen, dass sie Madison regelrecht aus dem Bett zerren musste.

    Bis Garry sich einmischte.

    »Sie testet dich. Weck sie zeitig und dann lass sie einfach mal machen.«

    Mit dem Hintergedanken, es Garry später unter die Nase zu reiben, dass auch das nicht funktionierte, wenn sie Madison einfach mal machen ließ, hatte sie seinen Rat beherzigt. Wer hätte gedacht, dass es von da an, zumindest eine Zeit lang, klappen würde?

    Während ihre Tochter sich räkelte, ging Lauren ins Badezimmer und sprang unter die Dusche. Trotz des Laufs und der Erfrischung hatte sie nicht das Gefühl, so richtig in Schwung zu kommen. Und das seit Wochen. »Lauf zweimal die Woche weniger«, hörte sie Garry in Gedanken sagen. Unvorstellbar. Sport war ihr Antrieb. Ohne ihre tägliche Dosis körperliche Bewegung funktionierte sie nicht.

    Sie drehte den Wasserhahn zu, stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Sie hängte das Badetuch auf und fixierte ihr feuchtes Haar mit einer Haarklammer.

    Als sie aus dem Badezimmer kam, hörte sie in der Küche Lärm. Madison!

    Wenigstens ist sie aufgestanden!

    Wie zu erwarten war, stand Madison auf einem Stuhl vor dem geöffneten Vorratsschrank. »Komm da runter, Madison!« Lauren blickte in ein trotziges Gesicht. »Du weißt, dass du das nicht darfst.« Sie bugsierte Madison vom Stuhl.

    »Aber Daddy …«

    Die Quittung, dachte Lauren. Jetzt hatte sie die Quittung dafür, dass sie samstagmorgens die Kinder Garry und seiner Auffassung von Erziehung überließ.

    »Geh ins Wohnzimmer und setz dich an den Tisch! Ich mache dir Frühstück.«

    »Nein!«

    Lauren füllte Müsli in eine Schale und nahm die Milchflasche aus dem Kühlschrank.

    »Ich will aber kein Müsli«, protestierte Madison.

    »Morgens isst du doch immer Müsli«, warb Lauren. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein, stellte ihre Tasse unter den Auslauf und drückte die Espressotaste.

    Hinter ihrem Rücken stieg Madison erneut auf den Stuhl.

    »Geh runter vom Stuhl! Ich sage es nicht noch einmal!«

    »Ich will aber Pfannkuchen!«

    »Nein! Heute gibt es keine Pfannkuchen!«

    Mit einer Flasche in der Hand kraxelte Madison vom Stuhl.

    Lauren streckte die Hand aus. »Gib mir die Flasche.«

    Madison huschte ins Wohnzimmer und stellte den Sirup auf den Esstisch, an dem sie sich täglich zum Frühstück versammelten. Lauren eilte ihr hinterher.

    Als sie durch den Flur zurückging, kam Garry gutgelaunt die Treppe herunter. Rechts und links die Zwillinge im Arm. »Guten Morgen, Mommy«, sagte er stellvertretend für die Zwillinge.

    Stöhnend musterte sie Ben und Cory. »Wie seht ihr denn aus? Wieso seid ihr so herausgeputzt? Heute ist kein Feiertag!«

    Garry drückte Lauren einen Kuss auf die Stirn, ging mit den Zwillingen zum Esstisch im Wohnzimmer und setzte die fast Zweijährigen in ihre Hochstühle. »Keine Sorge, Jungs, ihr seht klasse aus!« Er zwinkerte seinen Söhnen zu. Ben und Cory strahlten um die Wette. »Euch gefällt’s, was?« Zu Lauren sagte er: »Schicke Kleidung macht eben glücklich.«

    »Und wer wäscht und bügelt die Hemden?« Sie ging in die Küche und stellte den Sirup zurück in den Schrank.

    »Das erledigen wir am Wochenende mit links, nicht wahr, Madison?«, prahlte Garry im Nebenzimmer, der die Funktionen einer Waschmaschine nur aus der Werbung kannte.

    »Ich will Pfannkuchen«, forderte Madison erneut von ihrem Platz aus.

    »Nein!«, rief Lauren durch die Durchreiche der Küche.

    »Mommy macht dir leckeres Müsli«, beschwichtigte Garry. Er gesellte sich zu Lauren in die Küche und trank den Espresso, den sie vergessen hatte.

    »Hey, das ist meiner!«

    »Zu spät.« Er stellte die mit wenigen Zügen geleerte Tasse ins Spülbecken.

    Seufzend überreichte sie ihm die Frühstücksschalen. »Bitte sehr. Dein Part!«

    Ein Kinderspiel, sagte sein Gesichtsausdruck. Er ging ins Wohnzimmer und servierte Madison ihr Frühstück. »Bitte sehr, Käfermaus.« Das Essen der Jungs stellte er in der Mitte des Esstischs ab. »Mommy kommt gleich.«

    Lauren begann in der Küche die Einkaufsliste zusammenzustellen.

    »Ich will aber Pfannkuchen«, hörte sie Madison schmollen.

    »Am Samstag, Käfermaus. Extragroß, mit einem riesigen Berg Ahornsirup. Bis dein Bauch platzt.«

    Jetzt kicherte Madison. Lauren verdrehte in der Küche die Augen.

    Als Madison begann, brav ihr Müsli zu essen, kommentierte Garry: »Ende gut, alles gut.« Er kam zu Lauren in die Küche.

    »Warum musstest du dieses Teufelszeug überhaupt mitbringen? Noch dazu eine ganze Kiste voll.«

    »Ein Kunde …«

    »Ein Kunde … Es ist immer das Gleiche.« Natürlich war es beruhigend, dass das Unternehmen ihres Mannes florierte. Garry und sein Geschäftspartner, Mickey, gehörten zu den gefragtesten Webmastern weit und breit, soweit sie das beurteilen konnte. Trotzdem, ihr Schrank quoll förmlich über vor lauter Dankesgaben.

    Lauren konzentrierte sich auf ihre Einkaufsliste. Garry spähte über ihre Schulter. »Was gibt’s Leckeres zum Abendessen?« Er knabberte an ihrem Ohr. »Dich zum Nachtisch?«

    »Lass das! Ich muss mich konzentrieren! Oder schreibst du die Einkaufsliste?«

    Im Wohnzimmer fiel offensichtlich eine Frühstücksschale vom Tisch.

    Garry und Lauren eilten zu den Kindern. Lauren schnaubte. »Wieso hast du den Zwillingen das Frühstück vor die Nase gestellt?«

    »Du beschuldigst den Falschen.«

    Sie musterten Madison. Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht und verriet sich damit selbst.

    Lauren holte einen Wischlappen aus der Küche, ging ins Wohnzimmer und nahm Madison ihr Frühstück weg. »Für heute hast du genug!« Sie stellte die Schale beiseite und wischte den Boden sauber.

    »Lass mich das machen«, drängte sich Garry auf.

    »Ich hab aber noch Hunger«, beschwerte sich Madison.

    »Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«

    Madison stand von ihrem Platz auf, stampfte auf den Boden und ging wütend davon. Garry machte einen Schritt zurück und trat Lauren versehentlich auf die Hand.

    »Autsch!«, schrie Lauren. »Jetzt reicht’s aber!«

    »Hol deine Jacke, Käfermaus, wir beide werden heute unterwegs frühstücken«, versprach Garry seiner Tochter, die in einer Flurecke schmollte.

    »Jaaa!«, jubelte Madison.

    »Viel Glück, Jungs!« Ben und Cory glucksten. »Von jetzt an seid ihr auf euch allein gestellt.«

    Die Haustür fiel ins Schloss. Lauren atmete einmal tief durch. Der Tag hat noch nicht einmal richtig begonnen!

    Die Zwillinge schauten sie erwartungsvoll an. »Ihr habt Hunger, was?«

    »Unge«, echoten Ben und Cory.

    Lächelnd musterte sie Ben. Der pflaumenfarbige Joghurt aus der hinuntergefallenen Schale war überall. Als hätte Ben darin gebadet.

    Sie setzte sich zu den Zwillingen an den Tisch und verteilte brüderlich Corys Frühstück. »Das schmeckt euch, was?« Das Strahlen ihrer Söhne war unbezahlbar. »Wollt ihr noch eine Banane? Nein?«

    Sie setzte Cory ins Laufgitter und nahm Ben zum Umziehen mit nach oben. Unten quengelte Cory. Lauren beeilte sich. »Da hast du deinen Bruder wieder«, sagte sie wenig später und setzte Ben neben Cory ab. »Keinen Streit, ja?« Sie meinte, sie nicken zu sehen.

    Die Zwillinge waren mit Spielen beschäftigt, so dass Lauren die Schmutzwäsche in die Waschküche, die sich im Keller befand, bringen konnte. Sie sortierte die Wäsche. Wie kann eine Familie so viel Wäsche produzieren!

    Sie befüllte gerade die erste Maschine, als es am Eingang klingelte.

    Sie hastete hinauf. Ihre Nachbarin stand vor der Tür.

    »Morgen, Mrs Pickman.«

    »Guten Morgen. Ist Ihr Mann zu Hause?«

    »Nein, er ist zur Arbeit gefahren.« Sie haben ihn eben bestimmt wegfahren sehen!

    »Schade, ich wollte ihn bitten, sich meinen Computer anzusehen, da geht gar nichts mehr.«

    »Das ist ärgerlich. Aber Garry wird erst zum Abendessen zurück sein.«

    »Wenn er vielleicht später kurz bei mir vorbeischauen könnte? Ich habe eine Freundin in Florida. Wir haben uns zum Skypen verabredet. Sie hat mit zweiundsiebzig noch einmal geheiratet.« Sie unterbrach sich. »Früher hat sich ja mein Sohn darum gekümmert. Aber seit er in Chicago lebt …«

    »Ich werde es Garry ausrichten.« Es würde nicht das erste Mal sein, dass er seinen Feierabend für diesen Gefallen opfern müsste. »In Zukunft sollten Sie vielleicht besser jemand anderes damit beauftragen. Abends ist bei uns immer viel los. Es wäre bestimmt auch besser, wenn Sie nicht immer bis zum Abend warten müssten.«

    »Es macht mir nichts aus, zu warten.«

    »Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass er heute Abend Zeit hat.«

    »Morgen ist ja auch noch ein Tag.«

    Im Hintergrund jauchzten die Zwillinge. Mrs Pickmans Gesicht erhellte sich. »Sie sind ganz schön groß geworden.« Das hatte sie am Samstag festgestellt, als Garry und die Kinder den Müll hinausbrachten.

    »Ja, man kann ihnen beinahe beim Wachsen zusehen.« Lauren musterte ihre Nachbarin. Auf einmal hatte sie Mitleid mit ihr. Jetzt, wo Gladys, Garrys Mutter, nicht mehr bei ihnen, sondern im Altenheim lebte, war Mrs Pickman bestimmt oft allein. Trotzdem konnte sie sich nicht überwinden, ihre Nachbarin auf einen Kaffee einzuladen. Sie hatte keine Lust, Gladys’ Ersatz zu spielen. So wie es aussah, musste sie das auch nicht.

    »So … ich habe später noch einen Arzttermin … und die Hausarbeit erledigt sich nicht von selbst.«

    »Wem sagen Sie das, ich habe selbst noch eine Menge zu tun«, beklagte sich Lauren.

    »Ach, das erledigen Sie doch mit links. Sie sind ja noch jung.« Sie musterte Lauren, ihre getrimmte Figur.

    Lauren wusste genau, was sie dachte. Und ja, sie wusste es selbst. Sie war egoistisch. Sie machte zu viel Sport. In der Waschküche herrschte das Chaos. Die Böden mussten gesaugt werden. Und das Gästebad hatte sie schon beim letzten Putzen ausgelassen.

    »Ihrem Sohn gefällt es in Chicago, soweit ich weiß?«, fragte Lauren, weil es ihr eine gewisse Genugtuung verschaffte.

    »Leider Gottes.«

    »Dafür genießen Sie es umso mehr, wenn er wieder einmal zu Besuch kommt«, tröstete Lauren. Was dieses Jahr nicht der Fall war.

    »Ich will Sie nicht länger aufhalten«, meinte Mrs Pickman. Sie spähte ins Haus, bekam die Zwillinge jedoch nicht zu Gesicht. »Die Kinder wollen sicher bald ihr Mittagessen.«

    Es war kurz vor neun. Lauren sagte dazu nichts. Sie wünschte ihrer Nachbarin lediglich einen schönen Tag, verabschiedete sich und ging in die Küche. Doch die Bemerkung der alten Schrulle ärgerte sie jetzt noch. Das erledigen Sie mit links! Sie sind ja noch jung! Lauren nippte an einem Espresso, nahm ihn mit ins Wohnzimmer und beobachtete die Zwillinge. Wenn alles doch so einfach wäre.

    So süß die beiden auch waren. Sie fühlte sich überfordert und um kostbare Lebenszeit beraubt.

    Die unerwartete zweite Schwangerschaft hatte ihre beruflichen Pläne erneut auf den Kopf gestellt. Sie hätte den Arbeitsvertrag nur noch unterzeichnen müssen, um wieder als Anwältin zu arbeiten. Doch die Angst, dass sie nach der Geburt erneut in eine tiefe Krise stürzen könnte, war so groß, dass sie sich gegen die Berufstätigkeit entschied.

    Nach Madisons Geburt war sie an einer postnatalen Depression erkrankt. Die Symptome hatten sie so sehr beeinträchtigt, dass sie unmöglich arbeiten konnte. Deshalb hatte sie ihren Job gekündigt.

    »Da«, sagte Cory und deutete zum Fenster.

    »Ja, hässliche Gardinen«, murmelte Lauren in Bezug auf die altmodischen Vorhänge, die sie schon längst hätten ausrangieren sollen. Sei es nur, um Gladys zu ärgern.

    Sie hätten erst gar nicht in Garrys Elternhaus einziehen sollen. Aber damals war sie mit den Zwillingen im achten Monat schwanger. Die Hormone hatten ihr einen Streich gespielt. Die Aussicht, die Stadtwohnung gegen ein idyllisch gelegenes Haus zu tauschen, hatte so verlockend geklungen.

    »Da«, machte Cory erneut und riss Lauren aus ihren Gedanken.

    Erst jetzt bemerkte sie, dass er gar nicht aufs Fenster, geschweige denn auf die Gardinen gedeutet hatte, sondern auf den Schaumstoffball, den Ben aus dem Laufgitter geworfen hatte.

    Sie hob den Ball auf und gab ihn Cory. »Mommy muss noch rasch etwas essen, dann gehen wir einkaufen.«

    »Enaufe.«

    »Ja, einkaufen.«

    Sie aß einen Apfel und vervollständigte die Einkaufsliste. Das erledigen Sie mit links! Sie sind ja noch jung!

    Kurz bevor ihr die Decke auf den Kopf fiel, steckte Lauren die Einkaufsliste ein, und zehn Minuten später saßen sie alle drei angeschnallt im Auto. Sie sah in den Rückspiegel. »Kann es losgehen?«

    Beide hatten von dem kurzen Weg vom Haus zum Auto Schneeflocken auf ihren Mützen. Schmunzelnd startete sie den Motor und fuhr los.

    Sie erreichten das pittoreske Hafenviertel, das mit roten Backsteingebäuden, Industriebauten, Restaurants und aufpolierten Kneipen aufwartete.

    Lauren hob die Zwillinge aus ihren Kindersitzen. Mit ihren zappelnden Söhnen unterm Arm huschte sie über die Straße und steuerte direkt auf Barbara’s Café zu. Ein ausrangiertes Schiff, das hier seinen letzten Ankerplatz gefunden hatte und das Barbara aufwändig hatte umbauen lassen.

    Schon von Weitem schlug ihr der Duft nach geröstetem Kaffee entgegen, genüsslich atmete sie ihn ein.

    Als die drei eintraten, wurden sie sofort von Amy, Laurens jüngerer Schwester, entdeckt, die seit zwei Monaten im Café arbeitete. »Na, wen haben wir denn da? Wie süß ihr beiden ausschaut!« Amy ging in die Hocke, knuddelte die Zwillinge, befreite sie von ihren Mützen und knöpfte ihnen die Jacken auf. Sie nahm sie auf den Arm: »Wollt ihr das Schiffssteuerrad sehen?«

    Und weg sind sie, dachte Lauren, als sie ihren Anorak in die Garderobe hängte.

    Sie ging an die Theke und begrüßte Barbara. Die Inhaberin des Cafés war Laurens Freundin. Obwohl die beiden Frauen fünfzehn Jahre Altersunterschied trennten. Barbaras Kinder waren bereits erwachsen.

    Kennengelernt hatten sie sich bei einem Backkurs. Ein Jahr nach Madisons Geburt. Damals, als es mit ihr wieder aufwärtsging. Barbara war die Kursleiterin. Lauren hatte mit der Teilnahme an dem Kurs widerwillig ihren Gutschein eingelöst, den sie zum Abschied von den Kollegen der Anwaltskanzlei geschenkt bekommen hatte.

    »Bist du wieder einmal zu streng mit dir?«, fragte Barbara, da Lauren einen geräderten Eindruck machte.

    »Nein, wieso?«

    Barbara griff nach dem Tablett. »Du hast dich heute Morgen bestimmt durch die Kälte gejagt?«

    »Ich bin eine Runde gelaufen … ja, aber das hat mit Jagen nichts zu tun.«

    Sie beobachtete Barbara beim Bedienen der zu dieser Stunde noch nicht sehr zahlreichen Gäste. Sie servierte Kaffee und ihre stadtbekannten appetitlichen Cupcakes. »Bitte sehr, meine Damen. Hier noch etwas fürs Gemüt. Lassen Sie es sich schmecken. Sollte es das nicht, bitte nicht weitersagen.« Die Tischrunde brach in schallendes Gelächter aus.

    Lauren schaute sich nach den Kindern um. Auf dem Arm von Amy drehten die beiden noch immer am Steuerrad des alten Schiffs.

    Barbara kehrte zur Theke zurück.

    »Morgens ist es wohl meistens eher ruhig?«, fragte Lauren.

    »In gut einer Stunde wird hier die Hölle los sein«, seufzte Barbara. »Ich hoffe, Tess trudelt bald ein. Ohne sie schaffen wir das nicht.« Sie folgte Laurens Blick. »Es liegt nicht an Amy. Sie macht ihre Sache gut.«

    »Gut? Muss ich mir Vorwürfe machen, dass ich dir Amy aufgeschwatzt habe?«

    »Nein, im Gegenteil. Sie ist sehr engagiert.«

    »Da bin ich aber erleichtert. Wird allmählich Zeit, dass sie etwas auf die Reihe kriegt.« Auf Barbaras Stirnrunzeln hin sagte sie: »Mit neunundzwanzig war ich schon längst verheiratet.«

    Die Tür ging auf und mit einem Schwung kalter Luft kam Tess gutgelaunt hereinspaziert. »Sorry, ich bin spät dran.«

    »Wohl wahr. Aber der Grund dafür scheint dir gut zu bekommen«, erwiderte Barbara.

    »Ein Meter neunundachtzig groß und … er ist Sexualtherapeut.« Tess verschwand pfeifend in der Küche.

    »Sexualtherapeuten sollten doch glücklich verheiratet sein«, munkelte Lauren.

    »Wahrscheinlich ist er das auch. Mit Tess absolviert er wohl so eine Art Fortbildung.«

    Lauren musste sich das Lachen verkneifen.

    »Sein Wissen zu erweitern kann nicht schaden. Das sehe ich auch an meinen Kursteilnehmern«, meinte Barbara.

    »Du gibst immer noch Backkurse?«

    »Fortbildung ist Fortbildung.« Barbara grinste. »Möchtest du einen Espresso?«

    »Ja, gerne.«

    Die Kaffeemaschine nahm geräuschvoll ihren Dienst auf. »Hier, bitte sehr.« Sie stellte die binnen Kurzem gefüllte Tasse vor Lauren auf die Theke.

    »Danke.«

    »Was verschafft mir heute eigentlich die Ehre? Für Spontanbesuche hast du doch sonst keine Zeit.«

    »Das habe ich auch jetzt nicht. Ich muss noch einkaufen, Wäsche waschen, staubsaugen …«

    »Eins nach dem anderen.« Barbara nahm einen Pekannuss-Cupcake mit Ahornsirup aus der Anrichte und stellte ihn Lauren vor die Nase. »Fürs Gemüt.«

    »Jetzt kommst du mir auch noch damit. Dieses Teufelszeug verfolgt mich regelrecht.«

    Barbara zog fragend die Augenbrauen hoch.

    »Ahornsirup. Garry hat eine ganze Kiste mitgebracht und seither gibt es jeden Morgen einen großen Aufstand. Madison liebt diesen Naschkram. Aber ich will nicht, dass sie so viel Zucker isst.« Laurens Blick fiel auf die Anrichte. »Du nimmst mir diese Plempe bestimmt ab. Den Ahornsirup kannst du sicher gut gebrauchen.«

    »Aber nur, wenn es Topqualität ist. Etwas anderes kommt mir nicht ins Haus.«

    »Qualität vom Feinsten«, versicherte Lauren.

    »Hast du ihn denn gekostet?«

    »Nein. Aber es steht auf der Verpackung.«

    »Dann bring die Kiste her. Ich werde mich selbst überzeugen und bei euch zu Hause herrscht wieder Frieden.«

    »Frieden? Da wird erst einmal die Hölle los sein, wenn Madison mitkriegt, dass die Kiste weg ist.«

    »Aber sie wird verstehen, dass du mir nur aushelfen wolltest. Da ich sonst meine beliebten Cupcakes nicht mehr backen kann. Was eine Katastrophe wäre, jetzt, wo Weihnachten vor der Tür steht.«

    »Danke.«

    Barbara deutete auf den Cupcake auf Laurens Teller und forderte diese zum Probieren auf. »Damit du auch weißt, wovon du sprichst, wenn du deine Tochter anlügst.« Amüsiert begrüßte sie die neuen Gäste, die gerade das Café betraten.

    Lauren probierte einen winzigen Bissen und schaute sich nach Ben und Cory um. »Jungs, wir müssen.«

    Als Garry um halb neun Uhr abends nach Hause kam, waren die Kinder bereits im Bett und Lauren mühte sich auf dem Laufband ab. Dabei sah sie sich die Nachrichten an.

    »Es hätte mich auch gewundert, dich auf der Couch vorzufinden«, neckte Garry seine Frau.

    Lauren rollte die Augen und stieg geschafft vom Laufband.

    »Komm her, du schwitzende Amazone.« Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuss. Ihre Stirn war schweißbeperlt. »Ich könnte dich ebenso zum Schwitzen bringen«, bot er an.

    Sie schnalzte mit der Zunge und stieß ihn von sich weg. »Hast du Hunger? Im Kühlschrank …«

    »Nein. Ich muss gleich noch bei Mrs Pickman vorbeischauen. Sie hat mich vor dem Haus abgefangen.«

    »Die hat mich heute Morgen schon beim Wäschewaschen gestört. Irgendetwas ist mit ihrem Computer. Das ist jetzt schon das dritte Mal in diesem Monat.«

    »Ich weiß, aber die kleine Reparatur wird bestimmt nicht lange dauern.«

    »Kann das nicht bis morgen Abend warten?«

    »Du weißt ja, seit meine Mutter im Heim ist, fühlt sich die alte Pickman etwas einsam.«

    »Wir sind nicht schuld daran, dass Gladys im Altenheim ist. Ihren schlechten Gesundheitszustand haben wir nicht herbeigerufen.«

    »Was hätte ich deiner Meinung nach denn zu Mrs Pickman sagen sollen?«

    Lauren verschränkte die Arme. »Es ärgert mich einfach, was sie sich herausnimmt!«, blaffte sie. »Die alte Schrulle hat mich heute beleidigt.«

    Garry fasste Lauren an der Hüfte. »Hat sie das?«

    »Ja. Sie hat auf jeden Fall erreicht, dass ich mich schlecht fühle.«

    »Okay, ich werde mich für dich rächen. Was soll ich tun? Mich in ihrem Badezimmer einschließen und einen fahren lassen?«

    Lauren schaute grimmig. »Du nimmst mich wieder mal nicht ernst.« Sie ging in die Küche und holte die Kiste mit dem Ahornsirup aus dem Schrank. »Für Barbara. Kannst du ihr den Ahornsirup morgen vorbeibringen? Sie braucht ihn für ihre Cupcakes.«

    Als Garry nach zwei Stunden noch nicht zurück war, schaltete Lauren den Fernseher aus und ging zu Bett.

    Kapitel 2

    Amy tauschte ihre Schürze gegen ihre Wattejacke. Draußen war es kalt, längst war es dunkel geworden und es schneite immer noch.

    »Willst du bei diesem Wetter zu Fuß nach Hause gehen?«, fragte Barbara.

    »Ein bisschen Schnee hat noch niemandem geschadet.«

    Barbara warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich kann dich nachher auch nach Hause fahren.«

    »Ich komme schon klar. Aber trotzdem, danke.«

    Amy setzte ihre Mütze auf und zog sie tief ins Gesicht, Barbara beobachtete sie dabei. »Hast du heute Abend noch etwas vor?«

    »Ja, ich treffe mich mit drei heißen Heiratskandidaten«, spaßte Amy, da sie vermutete, dass Lauren Barbara dazu angestiftet hatte, sie auszufragen.

    »Ich bin keine Spionin«, wehrte Barbara ab. »Obwohl Lauren das sicher begrüßen würde.«

    »Mit Sicherheit.« Amy knöpfte sich die Jacke zu. »Also dann, bis Sonntag.«

    »Ja, bis Sonntag dann. Viel Spaß bei deinen Dates!«

    Die Hände in den Jackentaschen, schritt Amy durch die schneebedeckten, rutschigen Straßen. Autos und Busse kamen im Schneegestöber nur mühsam voran. Die winterlichen Verhältnisse schlugen den Leuten auf die Stimmung.

    An der Bushaltestelle, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stritt sich ein junges Paar.

    »Hast du aber! Doch, das hast du! Du hast sie zurückgerufen! Ich habe es ja selbst gesehen!«

    Amy versuchte trotz der Glätte einen Schritt zuzulegen. Nach kurzer Zeit waren die Stimmen der Streitenden hinter ihr nicht mehr zu hören.

    An der nächsten Kreuzung vernahm sie hinter sich Schritte. Sie spähte über ihre Schulter und war verwundert, dass hinter ihr niemand war. Seltsam.

    Sie begann sich unwohl zu fühlen. Ihr Herz pochte schneller. Aus einem unerklärlichen Grund hatte sie das Gefühl, immer wieder hinter sich schauen zu müssen. Erst als sie die nächste Straße überquerte und ihr Zuhause erreichte, ein altes Fabrikgebäude, das zwei Wohnungen und ein Tanzstudio beherbergte, beruhigte sich ihr Herzschlag allmählich wieder.

    Sie stieß die Tür zum Gebäude auf. Durch die laute Musik, die aus dem Tanzstudio drang, vibrierten die Wände, von den Tritten der Tänzer bebte der Boden unter ihren Füßen. Die Tür zum Tanzsaal stand offen. Amy trat näher und schaute der Tanzgruppe fasziniert zu. Als Joshua, einer der Tänzer, dem die zweite Wohnung im Haus gehörte, sie entdeckte, lächelten sie sich zu.

    Sie sah noch eine ganze Weile zu, danach ging sie hinauf, in ihre Wohnung. Ein einzelner, karg eingerichteter Raum mit hoher Decke. Ausgestattet mit einer kleinen, offenen Küche. Ein altmodisches Messingbett auf einer Seite und

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