Ware Frau: Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa
Von Mary Kreutzer, Corinna Milborn und Inge Bell
3.5/5
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Buchvorschau
Ware Frau - Mary Kreutzer
Literatur
Vorwort
Menschenhandel – das klingt nach US-Krimi und Kinoleinwand. Doch Menschenhandel ist traurige Realität mitten unter uns. Seit dem Ende des Kommunismus blüht das große Geschäft mit der „Modernen Sklaverei": Rund 500.000 Mädchen und junge Frauen werden nach internationalen Schätzungen jährlich allein in Europa Opfer von skrupellosen Zuhältern und Menschenhändlern. Es sind Mädchen und Frauen aus den ärmsten Ländern der Welt: Viele kommen aus Osteuropa – aus den exkommunistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang – und viele aus Asien, Lateinamerika und Afrika, aus Regionen, die von Krieg, Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Instabilität erschüttert werden und wo Frauen die großen Verliererinnen sind. Um ihre Zukunftsperspektiven betrogen, fallen sie auf leere Versprechungen, einen Super-Job im goldenen Westen zu bekommen, herein – oder werden gar mit brachialen Methoden verschleppt.
Hier bei uns werden sie dann brutal in die Prostitution gezwungen, ausgebeutet, weiterverkauft von Zuhälter(in) zu Zuhälter(in). Ihrer Papiere beraubt, durch rohe Gewalt gefügig gemacht und ohne Deutschkenntnisse, sind sie ihren Peinigern völlig ausgeliefert. Daher erstatten die Opfer nur in den seltensten Fällen Anzeige gegen die Menschenhändler. Das Business mit osteuropäischen Frauen und Mädchen, die in europäischen Bordellen und auf dem Straßenstrich landen, wird von Männern für Männer betrieben. Der afrikanische Frauenhandel, so erfahren wir in diesem Buch, liegt großteils in der Hand von Zuhälterinnen. Sie bereichern sich, die Freier zahlen. Gekaufte Befriedigung hatte schon immer Konjunktur, aber sie scheint zu boomen, jetzt wo immer mehr Frauen aus Osteuropa und Afrika den Markt mit billigen und willigen Dienstleistungen „überschwemmen".
Kaum ein Opfer wendet sich freiwillig an die Polizei. Selbst wenn die Zwangsprostituierten bei Razzien befreit werden, haben sie Angst, gegen ihre Peiniger vorzugehen, weil diese den Frauen eingeschärft haben, dass ihre Familien im Herkunftsland Gefahr laufen, Ziel von Repressalien zu werden, sie selbst illegal in Europa sind und somit im Gefängnis landen könnten – und dass die Zuhälter(innen) die besten Beziehungen zur Polizei hätten. Die Drohungen wirken. Denn die Frauen haben in ihrer Heimat nur allzu oft erlebt, dass korrupte Behörden und Zuhälter unter einer Decke stecken.
Dieses Buch gibt tiefe Einblicke in einen teuflischen Mechanismus. Die Autorinnen nehmen uns mit in „fremde Welten – nach Afrika, aber auch in das Milieu der Menschenhändler, der Bordelle und Straßenstriche in Wien, Turin oder Frankfurt am Main. Gemeinsam mit Joana Adesuwa Reiterer, einer mutigen Kämpferin gegen den Frauenhandel aus Afrika, begeben sie sich auf die Suche nach den Hintergründen der „Modernen Sklaverei
. Wir Leser werden mitgenommen auf die Reisen, treffen starke Frauen, die schwach gemacht werden, lernen die tückischen Methoden der Frauenhändler kennen und erfahren die immer tiefere Verstrickung, die diesen Frauen zum Fallstrick werden kann.
Erschütternde Reportage und Sachbuch zugleich – nach der Lektüre dieser Geschichte einer Recherche wird keiner mehr sagen: „Die machen das doch alle freiwillig!"
Inge Bell
Die Autorin und Aktivistin Inge Bell wurde für ihr Engagement und ihre publizistische Arbeit gegen Frauenhandel als „Frau Europas 2007" ausgezeichnet.
Folgende Frauen und Mädchen erzählen in diesem Buch ihre Geschichte. Alle kommen aus Benin City in Nigeria.
Joana Adesuwa Reiterer, 27, heiratete ihre große Liebe in Nigeria und zog mit dem Gatten nach Wien. Dort überschlagen sich die Ereignisse – ist ihr Mann ein Menschenhändler?
Lucy, 24, lernte in Wien einen Freier kennen, der sich in sie verliebte und ihr helfen will.
Florence, 23, ging zu Fuß durch die Wüste, um ein besseres Leben zu haben. Sie arbeitet an einer Ausfallstraße in einem spanischen Tourismuszentrum.
Linda, 21, will nicht mehr auf dem Strich arbeiten. Die Menschenhändler setzen ihren Vater in Nigeria unter Druck. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt.
Grace, 23, war Handballspielerin und wurde nach Europa verkauft, um als Prostituierte zu arbeiten. Sie weigerte sich und versteckt sich vor den Menschenhändlern.
Maria, 19, wurde schon mit 13 Jahren zum ersten Mal nach Europa verkauft. Wir treffen sie, ungewollt schwanger, in einer Beratungsstelle in Deutschland. Ihr Pass wurde eingezogen, ohne sie über die Gründe zu informieren – sie weiß nicht, wohin.
Loveth, 35, ging zu Fuß durch die Wüste, sie wurde nach Spanien verkauft. Am Weg dorthin wurde sie schwanger. Ihre mittlerweile zwei Kinder sind in Spanien, sie selbst wurde abgeschoben. Wir treffen sie in einem Frauenanhaltezentrum in Lagos, Nigeria.
Blessing, 26, wurde aus ihrem Dorf gelockt und ging zu Fuß durch die Sahara. Sie landete in einem italienischen Badeort als Zwangsprostituierte.
Auf den Spuren moderner Sklaverei
Sklaverei ist nicht überwunden. Sklaven aus Afrika, die Weißen dienen, gibt es auch heute wieder: Sie werden, fast schmerzhaft sichtbar und ausgesetzt, in ganz Europa auf dem Straßenstrich und in Bordellen angeboten. Ihr Angebot ist billiger Sex, doch die Ware sind sie selbst. Diese Spurensuche beginnt bei flüchtigen Straßenbegegnungen.
Es bietet immer ein gutes Spiegelbild einer Gesellschaft, sich in Städten auf jenen Straßen umzusehen, auf denen der billigste Sex verkauft wird. Die Frauen, die dort der Willkür ausgeliefert und schlecht geschützt auf Freier warten, zeigen deutlich, welche Gruppen innerhalb der Gesellschaft keine andere Wahl haben. In unserem Stadtviertel in Wien war da zunächst der Heroinstrich: dünne Mädchen, die apathisch die Autos anstarrten und die Trainingsjacken immer wieder eng um die knochigen Schultern zogen. Später verlagerte sich ein Teil des Babystrichs auf diese Straßen – Mädchen im Schulalter standen auf den Gehsteigen, ihre Aufpasser saßen daneben in Autos und sicherten die Ware. Mitte der 1990er Jahre, als die Sozialsysteme im ehemaligen Ostblock zerbröselten, spülte der Wirtschaftsumschwung Welle um Welle von jungen Frauen aus dem Osten auf den Straßenstrich. Die Preise sanken, die Autos der Freier kreisten nun auch an Wochentagen im Schritttempo um die Wohnblocks.
Ende der 1990er Jahre sahen wir die ersten Afrikanerinnen. Sehr junge Mädchen, meist in Jeans und warmen Jacken, ihre Stiefel hatten keine hohen Absätze. Sie standen, oft zu zweit, Nacht für Nacht an denselben Ecken, winkten den Autos nicht zu und machten auch sonst keine Anstalten von Geschäftsanbahnung. Sie standen da, als hätte man sie vergessen.
Diese Mädchen waren Vorbotinnen. In den folgenden Jahren kamen immer mehr Afrikanerinnen, sie übernahmen ganze Abschnitte der Straße und standen bald auch in den Seitengassen. Manche stehen immer noch einfach in Jeans und Pullovern an ihrer Ecke und verziehen keine Miene, als wären sie gar nicht anwesend. Andere tragen hohe weiße Stiefel mit Plateausohlen und Perücken wie Naomi Campbell und paradieren in kurzen Röcken an den Kreuzungen, als wäre die Vorstadtstraße ein Laufsteg und die Autos ein jubelndes Publikum. Sie verrichten ihre schnelle Arbeit hinter den Büschen des nahen Parks, in den Autos der Kunden oder an die Wand des Museums gelehnt. Am anderen Ende der Stadt, am Wiener Messegelände, waren es bald hundert, zweihundert und mehr.
Wir sahen sie auch im Rotlichtbezirk von Amsterdam, der Bahnhofsplatz in Verona war voll von ihnen. In Turin stellen sie seit einigen Jahren die Mehrheit der Straßenprostituierten. An den Ausfallstraßen von Venedig, Rimini oder Jesolo waren es bereits Tausende: afrikanische Frauen in Miniröcken und kurzen Tops, die an kleinen Kohlenfeuern am Straßenrand stehen, über viele Kilometer, eine nach der anderen. Sie arbeiten ausgesetzt, ausgeliefert, ohne jeglichen Schutz vor Gewalt, wobei ihnen nur die Büsche und Autos als Arbeitsort dienen.
Die Geschichte dieses Buches fängt bei diesen Straßenbegegnungen an. Jede warf eine Kette von Fragen auf: Wo kamen die vielen Afrikanerinnen plötzlich her? Was bringt sie nach Europa, wie schaffen sie es über die Grenzen? Wer zwingt sie dazu, auf der Straße zu stehen, wie leben sie? Haben sie sich ihre Arbeit ausgesucht – kann man sich so eine Art der Arbeit überhaupt aussuchen?
Durch Zufall lernten wir vor zwei Jahren eine Frau kennen, die uns einen ganzen Schwung von Antworten brachte – und ebenso viele neue Fragen aufwarf. Joana Adesuwa Reiterer wandte sich an uns, weil sie Beratung brauchte, um ihren Verein „Exit" zur Arbeit gegen Frauenhandel aus Afrika aufzubauen. Sie kommt aus Nigeria, und sie war die erste, die uns vom Handel mit afrikanischen Mädchen und Frauen nach Europa erzählt hat, und zwar aus erster Hand: Sie war aus der Ehe mit einem mutmaßlichen Frauenhändler geflohen, der für sie die Rolle der Madame – der Zuhälterin – für seine Ware vorgesehen hatte. Die Ware, das waren junge Mädchen aus Nigeria.
Davor wussten wir nur, dass es afrikanische Prostituierte gibt. Nach unserem ersten Gespräch mit Joana waren wir fassungslos darüber, wie viel wir nicht wussten. Hier ist ihre Geschichte.
Joana: Verheiratet mit einem Frauenhändler
Als ich nach Europa kam, war ich 22 Jahre alt und voller Hoffnungen. Ich stamme aus Benin City in Nigeria und hatte damals schon ein bewegtes Leben hinter mir: Ich war früh von zu Hause ausgezogen, wurde Schauspielerin. Ich wirkte in zwei Hauptrollen in Spielfilmen mit, eröffnete eine Boutique, organisierte Modeschauen und nahm an Misswahlen teil. Ich hatte ein ziemlich volles Leben.
Dann lernte ich Tony[1] kennen.
Tony war eine Art Reiseunternehmer: Er half Leuten, die nach Europa fahren wollten. Er stammte aus derselben Stadt wie ich, lebte in Europa und hatte seit Jahren einen österreichischen Pass, aber er reiste häufig nach Nigeria. In Österreich besitze er eine Restaurantkette, erzählte er. Ich verliebte mich in ihn, er hielt um meine Hand an. Ich war bereit, ein neues Leben zu beginnen und alles zu tun, damit es funktioniert.
Die Hochzeit war groß und feierlich, alle Verwandten waren da, es war das große Glück. Dann musste Tony wieder nach Europa. Ich verkaufte meine Boutique, gab ihm das Geld aus dem Verkauf, es waren etwa 40.000 Euro. Schließlich waren wir jetzt verheiratet. Ich sollte wenig später nach Wien nachkommen, um sein Leben in Europa kennenzulernen.
*
Als ich in Wien ankam, war es Mai. Es war das Jahr 2003. Tony holte mich vom Flughafen ab, ich war so glücklich und aufgeregt. Jeder Eindruck auf dieser ersten Fahrt durch eine europäische Stadt brannte sich in mein Hirn ein: die großen, grauen Häuser, die S-Bahnen, die Ordnung auf den Straßen, alles so sauber. Als das Auto über den Gürtel fuhr, fielen mir die Bars mit dem roten Licht auf. In den Schaufenstern saßen lebendige Frauen in Unterwäsche und blickten auf die Straße. „Was machen diese Frauen?", fragte ich. Die anderen im Auto lachten. Seltsam, dass Prostitution zu meinen ersten Eindrücken von Wien gehörte.
Der erste Schock kam beim Betreten der Wohnung. Tony, der in Nigeria wie ein reicher Mann gewirkt hatte, wohnte in einer ärmlichen, kleinen Mietwohnung in einem Außenbezirk. Mehrere Freunde waren da, Tony zeigte sich schroff und unfreundlich: Ich sollte sofort in die Küche gehen und mit den anderen Mädchen für die Männer kochen. Ich wollte eigentlich erst einmal auspacken, die Wohnung sehen, mit meinem Mann allein sein – aber ich fügte mich widerwillig. Ich wollte nicht schon ganz am Anfang einen schlechten Eindruck vor seinen Freunden machen.
Die anderen Mädchen, allesamt Nigerianerinnen, waren sehr jung, kamen alle vom Land, keines war lange in die Schule gegangen. Das merkte man an der Art, wie sie redeten. Ich wunderte mich nicht darüber, die Wohnung voller Besuch anzutreffen, das ist in unserer Kultur üblich. Was mich jedoch sehr wohl stutzig machte, war die Art des Besuches. Das waren nicht die Leute, mit denen wir normalerweise Umgang pflegten. Was machten sie hier in Wien, warum waren sie Freundinnen meines Mannes? Ich fragte aber nicht weiter nach, schließlich war alles neu. Ich wollte mich erst einmal einfügen.
Als das Essen fertig war, verlangte Tony schroff, dass ich es ihm auf Knien serviere. Seine Freunde sollten sehen, dass er eine gehorsame, traditionsbewusste Frau geheiratet hatte. Dass Frauen ihren Männern das Essen auf Knien servieren, ist zwar in sehr traditionellen Familien in Nigeria durchaus üblich – doch ich war anders erzogen, ich hatte schon seit Jahren für mich selbst gesorgt, und so etwas kam in meinem Bild von Ehe nicht vor. Ich weigerte mich, ging ins Schlafzimmer und knallte die Türe zu. Doch Tony kam nach und überredete mich: Wie würde er denn vor seinen Freunden dastehen, wenn seine Ehefrau schon bei der Ankunft den Gehorsam verweigerte. Ich ließ mich überreden. Ich servierte das Essen auf Knien.
Es war kein guter Start.
*
In den ersten Wochen durfte ich die Wohnung nicht verlassen. Mein Mann und seine Freunde warnten mich davor, hinauszugehen oder gar mit jemandem zu sprechen: Das sei gefährlich, die Weißen sehr rassistisch, man könne ihnen nicht trauen. Mein Leben sollte sich in der Community abspielen, unter Freunden, das sei genug. Ich glaubte ihnen – schließlich lebten sie in dieser Stadt, und ich war gerade erst angekommen. Aber es fiel mir nicht leicht, in der Wohnung zu bleiben.
Es dauerte einige Wochen, bis ich bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Da waren erstens die vielen Mädchen, die immer wieder vorbeikamen. Ganz am Anfang schon hatte ich eines von ihnen beobachtet, das gerade aus Nigeria eingetroffen war: Es stand im Bad und trug eine Salbe auf seine Lippen auf. „Was ist das?, fragte ich, und das Mädchen erklärte, das sei eine Salbe, um Männer anzuziehen. Es müsse jetzt arbeiten gehen. Ich fragte nicht nach. Eines Nachmittags brachte mich Tony in eine zweite Wohnung, die ihm zu gehören schien: Sieben Mädchen wohnten da. Sie saßen im Wohnzimmer, lachten und machten sich gegenseitig die Haare. Ich kann gut Haare flechten und half ihnen. „Arbeitet ihr im Restaurant von Tony?
, fragte ich. Die Mädchen kicherten. „Glaubst du denn noch an so etwas?", fragte eines von ihnen. Es war mir peinlich, weniger zu wissen als diese Mädchen. Wieder fragte ich nicht nach. Aber ich begann nachzudenken. Dann gab es da eine Frau, die immer wieder auftauchte, und mit der mein Mann lange Gespräche führte: Elizabeth war Nigerianerin und um einiges älter als ich. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie alles andere als begeistert war von der neuen Frau. Es hieß, Elizabeth sei die Cousine meines Mannes.
Unsere Ehe entwickelte sich schnell zum Desaster. Tony war oft tagelang weg, und wenn er nach Hause kam, war er abwesend und aggressiv. Fast jeden Tag rief seine Mutter an und fragte: „Höre ich da ein Baby weinen?" Der Druck, schwanger zu werden, wurde immer größer. Wenn Tony weg war, machte ich erste, vorsichtige Spaziergänge in der Umgebung. Ich litt unter seiner Abwesenheit und war eifersüchtig auf die andere Frau, mit der er so viel Zeit zu verbringen schien.
Eines Tages durchsuchte ich seine Sachen, um hinter sein Geheimnis zu kommen. Ich fand einen Stapel Dokumente und Papiere – und Frauenkleider. Noch konnte ich mir keinen Reim darauf machen, ich interessierte mich auch wenig für die Papiere: Ich wollte meinen Mann zurück, und vor allem suchte ich nach Hinweisen auf eine andere Frau. Aber eines bemerkte ich: Mein eigener Pass war verschwunden. Als ich meinen Mann darauf ansprach, meinte er nur, er könne mit meinem Pass Geld verdienen. Da erinnerte ich mich, dass er schon bei der Ausstellung des Passes in Nigeria, kurz nach meiner Hochzeit, von mir verlangt hatte, in Druckbuchstaben zu unterschreiben. Als ich mich weigern wollte, drohte er damals sogar mit Scheidung. Später erfuhr ich bei der Fremdenpolizei, dass mein Pass als verloren gemeldet war – ebenso wie die Pässe der angeblichen Kinder meines Mannes.
*
Nach einigen Wochen begann mir zu dämmern, in was ich geraten war. Es hatte an der Türe geläutet, ein junges Mädchen stand davor. Es trug eine Tasche mit der Aufschrift „Vienna". Heute weiß ich, dass mein Ex-Mann den Mädchen solche Kleidungsstücke gab, damit sie bei der Passkontrolle nicht auffielen: Kappen, T-Shirts oder Taschen mit europäischen Aufschriften. Es sollte so wirken, als ob sie schon oft in Europa gewesen seien. Doch das Mädchen konnte nicht einmal die Klospülung bedienen: Es war direkt aus Nigeria vom Land gekommen – und hatte sicher nie in einer Stadt gelebt, geschweige denn in Europa.
Das Mädchen – es hieß Susan – händigte mir einen kleinen, schwarzen Plastiksack für meinen Mann aus. Er sollte im Kühlschrank aufbewahrt werden. Ich wusste, dass ich den Sack nicht öffnen sollte, aber natürlich tat ich es. Er enthielt Kauri-Muscheln und hellen Puder. Da beschloss ich, der Sache auf den Grund zu gehen. In bestimmtem Tonfall verlangte ich von Susan ihren Pass – wie ich es bei meinem Mann gesehen hatte. Ich ging mit dem Pass ins Schlafzimmer und hob den Teppich auf. Ich hatte gesehen, dass mein Mann dort immer wieder Dokumente aufbewahrte. Doch mit dem, was ich fand, hatte ich nicht gerechnet.
Unter dem Teppich lagen sieben Pässe: fünf nigerianische, ein österreichischer und einer mit schwarzem Umschlag, aus Ghana oder Großbritannien. Erschrocken öffnete ich Susans Pass – und entdeckte meinen eigenen Namen darin, allerdings mit einem anderen Foto. Ein weiterer Pass unter dem Teppich lautete auf meinen Namen, ein dritter war zwar auf einen anderen Namen ausgestellt, aber mit meinem Foto versehen. Ich ließ mir das Flugticket von Susan geben: Auch das lief auf meinen Namen. „Woher hast du die Dokumente?", fragte ich sie scharf. Aber Susan wusste es nicht – sie hatte sie von meinem Schwager in Nigeria erhalten. Sie war hier nur auf Zwischenstation, erklärte sie. Tony sollte sie nach Italien bringen, um dort zu arbeiten.
*
Kurz darauf kam Tony zurück, er hatte Freunde mitgebracht. Er war wütend. „Warum hast du den Pass genommen? Das sind meine Geschäfte, das geht dich nichts an! Deine Arbeit ist zu putzen und zu kochen, und du solltest längst schwanger sein – misch dich nicht in meine Angelegenheiten!"
Als ich ins Wohnzimmer kam, lief ein nigerianisches Video. Elizabeth, die angebliche Cousine meines Mannes, hatte es gebracht. Das Video zeigte Mädchen, die in Italien mit einer Madame wohnten. Die Madame behandelte sie sehr schlecht, schrie, schlug sie. Susan war entsetzt – das Video sollte sie wohl auf ihre Arbeit in Italien vorbereiten. Ich fragte: „Warum gehen die nicht zur Polizei? Gibt es keine Polizei in Europa? Einer der Männer zeigte auf mich, sah Tony an und sagte: „Du hast da ein Problem zu Hause.
„So sind sie am Anfang immer, meinte mein Mann. „Sie wird sich schon einfügen.
Er schickte mich in die Küche und herrschte Susan an: „Du bleibst sitzen, während die Madame arbeitet? Steh gefälligst auf und hilf ihr! Die Szene war mir peinlich. Es war nicht das erste Mal, dass sie so etwas sagten. „Wenn du nicht am Anfang mit ihnen mit eiserner Hand umgehst, dann verwöhnst und verdirbst du sie!
, sagte Tony.
Als wir in