Jesus, Judith & Johannes: Mensch Jesus - die Geschichte einer Liebe aus dem alten Palästina
Von Roland Zoss
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Buchvorschau
Jesus, Judith & Johannes - Roland Zoss
1. Das Dorf (Nazareth)
Mitten im Dorf lag ein Garten mit uralten Ölbäumen. Einige waren so mächtig, dass ihre rissigen Äste über die Umfassungsmauer des Grundstücks hinausragten. Im hohlen Aststumpf eines grauen Baumriesen hatte sich die Eule eingenistet und liess sich nicht stören durch die Nähe der Menschen.
Der Besitzer des Gartens, ein wohlhabender Jude, hatte das Tier all die Jahre wie ein Heiligtum gehütet. In seinem Testament verfügte er, das Grundstück bleibe geschlossen, solange das Tier lebe. Danach solle der Garten der ganzen Gemeinde offenstehen.
Der Vogel sass tagsüber in seinem Schlupfloch, die kleinen Bürzel auf das Treiben vor der Synagoge gerichtet: Der Singsang betender Patriarchen, der Klageruf der Esel. Das Gezeter der Kinder, die sich gegen den Wasch sträuben. Aus dem Viertel der Handwerker Hammerschlag auf Hammerschlag. Überm Marktplatz das Keifen der Krähen, die eine Beute erspäht haben oder sich um Speiseresten balgen.
Nazareth erwacht früh. Ehe die ersten Sonnenstrahlen überm Berg Tabor das Tor der Synagoge erreichen, hat schon der strenge Sadduzäer wie der ärmste Am-Haarez sein langes Haar gescheitelt, gesalbt, das Kopftuch gebunden und sich aufgemacht zu Gottesdienst und Geschäft.
Schafherden wogen in weissen Wellen von den Bergen zum Marktplatz. Frauen in Tücher gehüllt sind unterwegs zum Brunnen. Kind und Kegel im Schlepp und Tonkrüge auf dem Kopf. Die Gassen sind erfüllt vom Geschrei der Krämer. Vom beissenden Gestank der Gerberei. Er steigt aus den offenen Abwasserkanälen, da und dort durchzogen von Geruch ungesäuerter Brote und vom Aroma des Ginsters, der an den umliegenden Hängen erblüht.
Am Vorabend jedes vierten Schabbats reitet der dickliche Steuereintreiber auf seinem Pferd ins Dorf, begleitet von einem staubigen Trupp römischer Legionäre in Rot und einem Schwarm Fliegen. Und der Herold posaunt ein neues grimmiges Gesetz aus im Namen des grossen Kaisers Augustus und seines Landpflegers Pontius Pilatus.
Dann und wann hört man von einem entlaufenen Sklaven, der sich in den Bergwäldern vor seinen Häschern versteckt hält. Oder man verstärkt die Nachtwache, wenn einer der gefürchteten Nomadenstämme aus Idumäa durch die Gegend zieht. Dann und wann ersucht eine Schar flötenspielender Wanderprediger in Weiss um Nachtquartier.
Wer sonst auch, ausser einem Vogelzug im Winter, streift das steinige Nest? Karawanen meiden das Auf und Ab der Hügel von Galiläa. Was kann schon Gutes kommen aus Nazareth?
Judith sitzt im Innenhof und zerreibt im Mahlstein Getreide. Die sechsjährige Rebekka hilft mit. Rahel hat den Esel versorgt und wischt mit einem Ginsterbesen den Lehmboden. Schweigsame Schwester. Seit dem Tod der Mutter verstummt, verdient sie ihren Beitrag an den Haushalt mit Tüchern, die sie für den Tempel webt. Mit Gürteln, die sie an durchreisende Handelsreisende verkauft, hier gegen einen phönizischen Armreif tauscht, dort gegen ein Paar Sandalen aus feinem Schakalleder.
Auf dem Flachdach kniet Jeschu, das lange Haar verknotet unterm Kopftuch, den Saum der Tunika hochgerafft. Er rührt im Tontopf, spachtelt eine weisse Masse in die Risse, die das Dach überziehen. Ab und zu hält er inne, lässt den Blick schweifen, über den Hof und über die zueinandergedrängte Herde von Häuser. Über die letzten Regenwolken, die am Himmel ostwärts ziehen: Wolken sind Pilger von Tag zu Tag. Ohne Habe, ohne Bleibe. Und keinem untertan als dem Wind.
Mit dem Kleidzipfel tupft er sich Kalkkrümel aus den Augenwinkeln. Das brennt im Auge wie Feuer. Auch Rebekkas Auge bös entzündet. Mein armes Kind, wenn das Auge sich trübt, trübt sich die Sicht auf die ganze Welt.
Er fährt auf. Eine Stimme in härtestem Aramäisch gellt durch die Gasse. Ein Mann drischt auf seinen Esel ein, dass dem armen Tier das Blut in Rinnsalen von den Flanken tropft. Aus einer Schar schaulustiger Bengel fliegen Kiesel. Jeschu steigt über die Aussentreppe vom Dach und stellt sich dem Eseltreiber in den Weg:
– Du Elender, was schlägst du diese arme Kreatur! Siehst du nicht, dass sie zu schwach ist für die Last, und dass sie leidet?
– Was geht dich das an? Ich kann mein Tier schlagen soviel ich will. Habe schliesslich eine anständige Summe für den störrischen Krüppel hingelegt. Ganze drei Hände voll Silberlinge!
– Ist es von Bedeutung, was du bezahlt hast? Hat dich nicht derselbe erschaffen, der dieses Tier erschaffen hat? Ich sage dir, sei dankbar, dass es dir dient und schlage es nicht! Oder willst du selber einst geschlagen werden?
Jeschu hält den Weg versperrt. Der Treiber wütend und verunsichert gibt ein wüstes Schimpfwort von sich. Er spuckt das Mastixharz, das er zu kauen pflegt zu Boden, ehe er sich übers Tier beugt, einen Griff in die Traggurte tut, um die verrutschten Getreidesäcke zurechtzurücken. Der Disput hallt von den engen Mauern wider, läuft von Tür zu Tür und die Gasse hoch. Schadenfreude durchblitzt die Mienen der Gaffer. Pfeile giftigen Spotts werden verschossen:
– Jeschu Bar-Joseph, der Zimmermannssohn putzt sich vor einem Eseltreiber auf.
Judith hat die Szene mitverfolgt. Sie steht mit dem Kind auf dem Arm im Torbogen und zupft ihren Mann am Ärmel ins Haus:
– Jeschu, wegen einem Esel zum Gespött der Nachbarschaft werden!?
– Frau, du weisst, dass ich Misshandlungen nicht ertrage. Siehst du zu, wenn man dein Kind schlägt?
Sie wirft den blauen Schleier nach hinten. Ist ein Kind ein Tier? Was für ein Vergleich! Für einen Wimpernschlag wird ihr Gesicht frei: die Stirn gerunzelt über den schwarzen Brauenbogen. Die Lippen gefärbt von rosigem Granat.
Die sechsjährige Rebekka beginnt zu quengeln. Judith drückt Rahel das Kind in den Arm und zieht Jeschu zum Wasserkrug:
– Komm, wasch dich, Jeschu! Du bist ja ganz verstaubt.
Sie säubert seine Wangen, die Kalkspuren im Bart. Er sitzt da, das ein Auge in Glut, das andere in Asche. Fixiert einen fernen Punkt. Lässt sich die Beine