Glaube und Naturwissenschaft: Widerspruch oder Ergänzung?: Überlegungen zur Existenz des christlichen Dreieinigen Gottes aus der Sicht der modernen Physik
Von Paul Kalbhen
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Über dieses E-Book
Paul Kalbhen
Paul Kalbhen, geboren im Mai 1937 in Bonn, lebt in Gummersbach, ist verheiratet und hat vier Kinder. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Aachen war er anschließend als Entwicklungsingenieur im Elektromaschinenbau bei den Schorch-Werken in Mönchengladbach/Rheydt tätig und wechselte dort zur damaligen Ingenieurschule Gummersbach. Als Hochschullehrer der späteren Abteilung Gummersbach der Fachhochschule Köln unterrichtete er im Fachgebiet Elektrotechnik die Lehrgebiete Grundlagen, Antriebe und Leistungselektronik. Der Autor hat die Thematik "Glaube und Naturwissenschaft", die ihn schon seit seiner Schulzeit interessierte, über Jahre durch Wahlvorlesungen an der Abteilung Gummersbach vertieft und innerhalb der katholischen und evangelischen Studentengemeinde vorgetragen und diskutiert. Seit August 2002 lebt er im Ruhestand - ein Anlass, seine Überlegungen zur Thematik in diesem Buch zusammenzufassen.
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Buchvorschau
Glaube und Naturwissenschaft - Paul Kalbhen
1890
1. Einführung
Gott will in seinem Wesen erkannt werden, sonst hätte er sich nicht offenbart: in seinem Sohn, in seinen Propheten, in der Natur – und auch in der Wissenschaft von der Natur.
Wenn Gott Schöpfer der Welt ist, dann muss er sich auch in seiner Schöpfung manifestieren und offenbaren – und auch in den Wissenschaften, zumal in der Wissenschaft von der Natur. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaft über die Schöpfung bringen meines Erachtens Offenbarungen über Gott, die sich mit Aussagen der Bibel ergänzen, und schaffen die Möglichkeit, Gott tiefer zu erkennen. Der »unwahrscheinlich« komplexe und vernetzte Aufbau des Menschen und des Kosmos, der in »geistvoller« Weise statistischen – wahrscheinlichkeitsbedingten – Gesetzen der Mathematik gehorcht, müsste Anlass zum Staunen und zur Ehrfurcht vor Gott sein. Die Erkenntnisse der Relativitätstheorie Einsteins lassen die Ewigkeit Gottes als Zeitlosigkeit begreifbar erscheinen, woraus sich folgern lässt, dass Gott unveränderlich und allwissend ist; die Unbestimmtheiten und Unschärfen des mikrophysikalischen Geschehens in Atomen und Molekülen bis hin zu biologischen »Quantensprüngen« der Mutationen lassen die Freiheitsgrade für Mensch und Natur deutlich werden; die Entstehung des Weltalls mit dem Zeitbeginn des so genannten Urknalls lässt die Astrophysik Parallelen zum Schöpfungsakt der Bibel finden. Die fundamentale Aussage der christlichen Offenbarung, dass Gott in absoluter – »allmächtiger« – Entscheidung dem Menschen grundsätzlich Freiheit zugesteht, wird meiner Meinung nach durch die moderne Naturwissenschaft bestätigt.
Will man eine erkenntnistheoretische, metaphysische Deutung aus der Quanten- bzw. Chaostheorie der modernen Physik des 20. Jahrhunderts ziehen, so kann man »guten Willens« folgern, dass Gott den Zufall im Weltgeschehen nicht nur zugelassen, sondern auch gewollt hat, um dort Freiheitsgrade zu ermöglichen. Insofern ist für mich die reine Gnadenlehre (»sola gratia«, d.h. allein die Gnade Gottes, nicht auch das Tun des Menschen, ist entscheidend für das menschliche Heil) eines Augustinus und Luthers, welche die katholische und protestantische Kirche des Westens inzwischen gemeinsam anerkennen, die orthodoxe Kirche des Ostens dagegen nie übernommen hat, vor den metaphysischen Erkenntnissen der modernen Physik nicht mehr vertretbar – und auch nicht durch die Worte Jesu Christi zu begründen. Führt diese so genannte Rechtfertigungslehre doch in letzter Konsequenz zur Vorherbestimmung (Prädestination, Determinierung) alles Seienden durch Gott und zur Verneinung der menschlichen Willens- und Handlungsfreiheit, welche letztere andererseits die christliche Religion immer entschieden bejaht hat – entgegen dem Fatalismus anderer Religionen.
Eine völlig andere Deutung determinierten Seins zeichnete sich in der so genannten klassischen Physik (bis Ende des 19. Jahrhunderts) ab, die letztendlich zur Leugnung Gottes führte. Aus der Sicht eines rein mechanistisch ablaufenden Naturgeschehens entwickelte sich eine Weltanschauung, die nicht nur auf die tote Natur, sondern auch auf den organischen Bereich bis hin zu seelischen und gesellschaftlichen Vorgängen angewandt wurde. Es kristallisierte sich der Begriff der Determinierung in der Bedeutung heraus, dass alles Geschehen in der Welt bereits festgelegt ist und auch eine berechenbare Vorausbestimmung künftiger Ereignisse prinzipiell möglich ist. Der französische Mathematiker Laplace fixierte das deterministische Denken in einem fiktiven Dämon, dem er die grundsätzliche Fähigkeit – bei Kenntnis aller Anfangsbedingungen der Gegenwart – zubilligte, die gesamte Zukunft im mikro- wie makrophysikalischen Raum vorauszuberechnen. Aus dieser Sicht wurde Gott nicht nur »arbeitslos«, sondern seine Existenz auch »sinnlos«.
Diese deterministische Haltung, die auch bei einigen heutigen Neurowissenschaftlern wieder auftaucht, wenn es um die Frage der menschlichen Willensfreiheit geht, ist durch die Aussagen der modernen Physik des 20. Jahrhunderts aufs schwerste erschüttert worden, wie später beim Begriff der Akausalität bzw. der Unschärferelation zu sehen ist.
Die klassische Physik hat keine gültigen Beweise zur Widerlegung der Existenz Gottes erbracht, wenngleich aus der Sicht eines mechanistisch ablaufenden, determinierten Naturgeschehens zahlreiche Versuche dazu unternommen wurden und im dialektischen Materialismus (Diamat) nach Marx, Engels, Lenin noch immer vertreten werden. Freilich findet sich eine moderne Variante der Aussage des Diamat: »Die Materie ist ewig« bei führenden Vertretern der heutigen Naturwissenschaft (wie Richard Dawkins, Stephen Hawking, Alan Guth) in der Spekulation wieder: »Das Universum ist ewig«, die fast den Status einer Ersatzreligion einnimmt.
Ebenso wenig jedoch kann die moderne Naturwissenschaft, die im Bereich des Mikro- und Makrokosmos neue Gesetzmäßigkeiten und Erkenntnisse gezeitigt hat, einen Gottesbeweis antreten – aber sie lässt die Existenz Gottes wieder »möglich« erscheinen, sie ist in ihren metaphysischen Folgerungen offen geworden gegenüber den Aussagen der Religion. Der Quantenphysiker Pascual Jordan schreibt: »Die neue Physik hat gegenüber dem religiösen Glauben eine doppelte Verneinung ausgesprochen: Sie hat jene Vorstellungen älterer Naturwissenschaft als irrig erwiesen, welche früher als Beweis gegen Gott angeführt wurden.« (Literaturstelle [9])
Ich hatte die Gelegenheit und das Glück, die Thematik »Glaube und Naturwissenschaft«, die mich schon seit Ende meiner Schulzeit interessiert hat, über Jahre als Hochschullehrer der Elektrotechnik an der Fachhochschulabteilung Gummersbach im Wahlfachbereich und innerhalb der katholischen und evangelischen Studentengemeinde vertreten und vertiefen zu können – momentan fasse ich als Pensionär meine Überlegungen dazu in diesem Buch zusammen. Mein Anliegen ist, die »Grenzziehung« zwischen Glaube und Naturwissenschaft zu durchbrechen und Berührungspunkte zwischen beiden zu gewinnen; statt Widersprüchen und Gegensätzlichkeiten vielmehr Brückenschläge und Ergänzungen zu vermitteln.
Will man diese Haltung in der Öffentlichkeit vertreten, so trifft man auf eine dreifache Barriere:
Auf die Distanzierung und das Unverständnis vieler Theologen und der Kirchen gegenüber naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, zumal auf den »Minderwertigkeitskomplex« der katholischen Kirche, der seit dem »Fall Galilei« unausrottbar zu sein scheint, und auf fundamentalistischkreationistische Strömungen innerhalb der protestantischen Kirche, welche die kosmologische und biologische Evolutionstheorie ignorieren bzw. torpedieren; auf die Einseitigkeit und die Überheblichkeit vieler Naturwissenschaftler, die mit der Entdeckung und Aufschlüsselung der statistischen Naturgesetzlichkeit meinen, die »Möglichkeit« eines göttlichen Schöpfers ausschließen zu müssen¹ – nur weil man einmal wieder ein winziges Mosaiksteinchen im gewaltigen Strukturplan unserer Welt gefunden hat, ohne zu fragen, woher es stammt und ob es möglicherweise einen geistigen Hintergrund dafür gibt; auf das Desinteresse und die Gleichgültigkeit der Geisteswissenschaft.
Im Folgenden sollen erkenntnistheoretische Deutungen zur christlichen Gottesvorstellung aus dem Blickwinkel der Einstein’schen Relativitätstheorie, der Planck’schen Quantentheorie, der modernen Astro- und Biophysik aufgezeigt werden, die christliche Offenbarungswahrheiten unterstützen. Dabei sollen die Gesetzmäßigkeiten der modernen Physik beschrieben und umschrieben werden, bei Interesse des Lesers können die entsprechenden mathematischen Formeln im Anhang nachverfolgt werden. Die erkenntnistheoretischen Deutungen zu christlichen Glaubensaussagen aus der Sicht der modernen Physik sollen bewusst in Form einer »metaphysischen Spekulation« vorgenommen werden, um gesicherte Resultate der Physik von gewagten Mutmaßungen des Glaubens unterscheiden zu können. Für mich ergeben sich verblüffende und faszinierende Parallelen zwischen Aussagen der modernen Naturwissenschaft und der christlichen Religion.
Man sollte sich freilich auch bei den Gesetzmäßigkeiten der Physik klarmachen, dass sie auf abstrakten Modellvorstellungen und mathematischen Abbildern der physikalischen Wirklichkeit beruhen, welche die Realität des Seins nur umschreiben. Dazu zwei beispielhafte Äußerungen: Der theoretische Physiker Tony Rothmann von der Princeton University/USA sieht in der Physik vorerst eine Sammlung theoretischer Modelle, die nicht den Anspruch erheben kann, die »Wahrheit« gefunden zu haben, (Spektrum der Wissenschaft – SdW – Heft 2/12, »Die Physik – ein baufälliger Turm von Babel«) und der Quantenphysiker Leonard Susskind von der Stanford University/USA meint im Interview, dass die scheinbare Realität der Physik nur durch Experimente »reproduzierbar« sei (SdW Heft 3/12, »Antirealistischer Querdenker«). In [79] schreibt der Physiker und Philosoph Norman Sieroka: »Mit Blick auf das gegenwärtige Theoriegebäude ergibt sich die Einheitlichkeit der Physik also eher auf einer methodischen als auf einer inhaltlichen Ebene.«
Ich persönlich finde in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass auch Jesus Christus viele Offenbarungsaussagen nur in veranschaulichenden Bildern und zeitgemäßen Gleichnissen gemacht hat. So könnte man im übertragenen Sinne durchaus vom »Denkmodell« des Dreieinigen (Dreifaltigen) Gottes – ein Gott in drei Personen (Trinität) – sprechen, dessen Wesenheit für den Menschen nur in Wortbildern, Metaphern zu verstehen ist: »Gott-Vater«, »Gott-Sohn«, »Gott-Heiliger Geist". Im Letzten freilich kann der Glaube an den Dreieinigen Gott nicht vernunftmäßig begründet werden, sondern ist – auch angesichts des Leides in der Welt – ein persönlicher Akt des Vertrauens in einen allgütigen und liebenden Gott, der Vernunft und Wissen übersteigt.
¹ z.B. Wolfgang Wickler : ›Den Schöpfer radikal ausgebootet‹, Bild der Wissenschaft Heft 10, 1987 – Rezension des Buches ›Der blinde Uhrmacher‹ von Richard Dawkins
2. Relativitätsphysik
Die Ewigkeit Gottes ist im Sinne der Einstein’schen Relativitätstheorie als Zeitlosigkeit denkbar. Nach Aussage der christlichen Dreifaltigkeitslehre ist »Gott-Vater« allwissend – man könnte folgern, weil er als Schöpfer der Welt außerhalb unseres Raum-Zeit-Kontinuums existiert.
Parallel zu den Forschungen um die Atomstruktur von Bohr, Planck und anderen Physikern hat Albert Einstein zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Relativitätstheorie entwickelt, die auf die Gesetzmäßigkeiten des Makrokosmos, im Besonderen die des Universums, zielte. Einstein erschütterte zugleich die menschliche Vorstellung, dass Raum und Zeit voneinander unabhängig seien, durch das Gesetz von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und stellte auch die Annahme der Gleichzeitigkeit von Ereignissen in Frage. Die Abhängigkeit des kosmischen Raumes von der Zeit erfasst man durch den Begriff des »Raum-Zeit-Kontinuums«. Die Einstein’sche Relativitätstheorie postuliert für unseren Weltraum (außerhalb der Informationsübertragung der Quantenphysik im Bereich des Mikrokosmos) als höchste Grenzgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (annähernd in Luft), die auch nicht durch beliebig lange und beliebig hohe Beschleunigungen überschritten werden kann. Dies gilt sowohl für die Bewegungen materieller Körper als auch für die Geschwindigkeit »immaterieller Strahlungen« (d.h. elektromagnetischer Wellen), die sowohl für ruhende als auch für bewegte Bezugssysteme nach allen Richtungen hin gleich ist, nämlich gleich der Lichtgeschwindigkeit.
Die Aussagen der Relativitätsphysik widersprechen zunächst der menschlichen Alltagserfahrung und der gewohnten Anschauung, man kann durchaus zugeben: dem »gesunden Menschenverstand«, sie sind im Letzten nur als mathematische Abstraktion, als Modellvorstellung der Physik zu verstehen, sind aber durch zahlreiche messtechnische Experimente bestätigt worden. Im Folgenden sollen hier einige Gesetze der Speziellen Relativitätstheorie wiedergegeben werden, die sich auf gleichförmig bewegte Vorgänge bezieht, deren Geschwindigkeit nach Betrag und Richtung gleich (konstant) bleibt; das Bezugssystem, in dem das Geschehen stattfindet, wird dann als »Inertialsystem« (nicht beschleunigtes Trägheitssystem) bezeichnet. Die Allgemeine Relativitätstheorie bedeutet eine Erweiterung auf beschleunigte Vorgänge, die also Kräften unterliegen, und stellt eine relativistische Theorie der Gravitation dar, ist also streng genommen auch bei Einfluss der Erdanziehung zu berücksichtigen.
Relativität der Zeit – Ewigkeit Gottes
Die »Konstanz der Lichtgeschwindigkeit« im Sinne einer höchsten