Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Abmachung
Die Abmachung
Die Abmachung
eBook638 Seiten9 Stunden

Die Abmachung

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Nick ist Anfang vierzig und kommt gerade so über die Runden. Er haßt Anwälte, scharfes Essen und Geheimdienste. Was ihn jedoch nicht daran hindert, freiberuflich als Analytiker für den BND tätig zu sein. Und er hat eine Abmachung mit Sarah, einer jungen erfolgreichen Frau aus großbürgerlichen Verhältnissen, die nicht ahnt, womit er seinen Lebensunterhalt verdient. In ihren Augen ist er ein Loser, nichts weiter als ein heimlicher Zeitvertreib, mit dem sie sich die Wartezeit bis zum Richtigen versüßt.
Doch dann geschieht ein Mord, der alles von Grund auf verändert. Zu allem Überfluss gerät Nick ins Visier eines ausländischen Nachrichtendienstes, der ihn für seine Zwecke einspannen will. Doch Nick hat andere Pläne. Er will Vergeltung.
"Die Abmachung" ist ein spannender Beziehungsroman mit Krimielementen vor dem Hintergrund geheimdienstlicher Umtriebe.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum20. Sept. 2016
ISBN9783740715687
Die Abmachung
Autor

A. C. Anderson

A. C. Anderson ist ein Pseudonym. Er/sie hat bereits zahlreiche Texte veröffentlicht und versucht sich mit der Nick Peters-Reihe in einem neuen Genre.

Ähnlich wie Die Abmachung

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Romanzen für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Abmachung

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Abmachung - A. C. Anderson

    Inhalt

    Titelseite

    I. Teil

    1.

    2.

    3.

    4.

    5.

    6.

    7.

    8.

    9.

    10.

    11.

    12.

    13.

    14.

    15.

    16.

    17.

    18.

    19.

    20.

    21.

    22.

    23.

    24.

    II. Teil

    25.

    26.

    27.

    28.

    29.

    30.

    31.

    32.

    33.

    34.

    35.

    36.

    37.

    38.

    39.

    40.

    41.

    42.

    43.

    44.

    45.

    46.

    47.

    48.

    49.

    50.

    51.

    52.

    53.

    Impressum

    A. C. Anderson

    Die Abmachung

    I. Teil

    1.

    Der Nebel senkte sich über die Stadt wie ein Lebewesen, daß sich von ihren Lichtern ernährte. Gähnend lenkte Lukas Schrödinger seinen Wagen durch die leeren, nur matt beleuchteten Straßen. Es war mitten in der Nacht und er war im Einsatz. Eigentlich war Eile geboten, doch er verzichtete auf das Blaulicht und hielt sich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Wegen des Nebels wie er sich einzureden versuchte, obwohl der wahre Grund ein anderer war. Er haßte es, um diese Uhrzeit an einen Tatort gerufen zu werden. Eigentlich haßte er das immer, denn Tatorte verhießen niemals etwas Gutes. Auf den Tod und das Elend, die ihn dort erwarteten, konnte er zu jeder Tageszeit verzichten.

    Es war vor allem das Blut, das ihm zu schaffen machte. In seinen Albträumen watete er bisweilen durch ganze Ströme davon. Es war immer schlimm, aber nachts eben ganz besonders. Und doch liebte er seine Arbeit. Es war schwer zu beschreiben, aber für ihn gab es nichts Aufregenderes als die Aufklärung eines gut ausgeführten Mordes. Der Schläue eines Täters die eigene Intelligenz entgegenzusetzen, das war ein Wettkampf nach seinem Geschmack. Er liebte Rätsel. Menschliche vor allem. Je schwieriger, desto besser. Und nicht zuletzt faszinierte ihn die Abnormität, die mit dem Akt des Tötens einherging. Weshalb sich zur Abscheu auch stets ein wenig Vorfreude gesellte.

    Eine Vorfreude, die durch die frühe Stunde allerdings beträchtlich getrübt wurde. Zu allem Überfluß hatte Schrödinger beim Aufstehen auch noch seine Katze verärgert. Sie mußte sich irgendwann in der Nacht zu ihm ins Bett geschlichen haben, denn als er sich nach dem Anruf aus den Federn wälzte, hätte er sie beinahe erdrückt. Nur ein kreischendes Fauchen hatte das dumme Vieh im allerletzten Moment gerettet. Das Pflaster auf seinem Handrücken erinnerte ihn an den gescheiterten Versöhnungsversuch. Er hatte ihr zum Abschied jedoch eine Schale Milch hingestellt. Eine Form der Bestechung, die ihre Wirkung nur selten verfehlte. Bis zum Abend würde das Tier sich zweifellos wieder beruhigt haben.

    Seiner Ehe war es ähnlich ergangen. Auch die hatte er niedergewalzt. Nicht mit der Masse seines übergewichtigen, fast zwei Meter großen Körpers natürlich, sondern mit einer überfürsorglichen Präsenz und seinem ausgeprägten Hang zur Eifersucht. Doch während die Katze ihm seine Tapsigkeit immer wieder verzieh, hatte seine Frau sich diesbezüglich weit unversöhnlicher gezeigt. Und die Katze hatte noch einen weiteren Vorzug. Bei ihr wußte Schrödinger immer, woran er war. Seine Exfrau hingegen war eher der duldsame Typ, der sich niemals beschwerte, einem dann jedoch nach achtzehn Ehejahren von einem Tag auf den anderen eröffnete, daß es aus sei. Schrödinger war aus allen Wolken gefallen. Obwohl er zugeben mußte, daß es im Nachhinein betrachtet schon ein paar Anzeichen gegeben hatte.

    Das einzig Erfreuliche am Tatort würde wie immer der Anblick Marianne Renschlers sein. Die ebenso kluge wie hübsche Blondine war nun seit zwei Jahren seine Assistentin. Und Schrödinger hatte sie auf eine Weise ins Herz geschlossen, wie es einem Chef eigentlich nicht anstand. Natürlich wußte sie nichts davon. Aber anderen war seine Vernarrtheit in das Mädchen bereits aufgefallen. Er mußte langsam aufpassen, wollte er sich nicht vollends zum Trottel machen. Es wurde Zeit, sich die Flausen aus dem Kopf zu schlagen. Was hätte ein junges Energiebündel wie sie auch mit einem alten, zur Unförmigkeit neigenden Brummbären wie ihm anfangen sollen? Er gefiel sich ja noch nicht einmal selbst. Allerdings hatte er sich fest vorgenommen, zumindest daran bald etwas zu ändern.

    Als erstes mußte er einmal die zusätzlichen Pfunde loszuwerden, die er mit sich herumschleppte, seit Elvira ihn mit den Kindern verlassen hatte. Wobei verlassen es nicht so ganz traf, denn genau genommen hatte sie ihn rausgeworfen. Elvira war mit den Kindern im gemeinsamen Haus geblieben, während er sich eine kleine Wohnung in der Stadt gesucht hatte. Anfangs war das ziemlich hart gewesen, aber letztlich hatte der Ortswechsel ihm den Neuanfang sogar erleichtert. Außerdem war der Weg ins Präsidium jetzt nicht mehr so weit.

    Der Tatort lag im Stadtpark. Renschler hatte ihm am Telefon eine genaue Wegbeschreibung gegeben. »Ich kann Ihnen auch die Koordinaten aufs Navi schicken Chef« hatte sie abschließend angeboten.

    »Nicht nötig. Ich kenne mich aus« hatte er geantwortet und sich prompt verfahren. Den richtigen Weg fand er erst, als seine Assistentin ihn ein zweites Mal anrief und sich besorgt erkundigte, wo er denn bleibe.

    Es hatte seine Vorteile, der Chef zu sein und als Letzter eintreffen zu dürfen. Der Tatort war bereits abgesperrt, die Spurensicherung bei der Arbeit und vermutlich waren auch die Zeugen schon befragt worden. Sofern es welche gab. Als Schrödinger aus seinem Wagen stieg, waberten Nebelschwaden um seine Füße und er mußte feststellen, daß er nicht warm genug angezogen war. Es war Anfang Oktober und die Tage waren golden, aber die Nächte bereits ausgesprochen herbstlich. Das hatte er bei seinem überhasteten Aufbruch nicht bedacht.

    Schrödinger blieb ein Stück entfernt vom Tatort stehen und nahm die Umgebung in sich auf. Da er das immer so machte, hielt man dieses Verhalten für einen Bestandteil seines eigenwilligen Ermittlungsstils. Tatsächlich wollte er auf diese Weise nur seine Begegnung mit dem Tod noch ein wenig hinauszögern. Er konnte das Opfer schon von weitem sehen. Es lag ausgestreckt im Gras vor einem Maschendrahtzaun und war bereits zugedeckt. Dahinter befand sich ein ausgedehntes Areal mit Sportplätzen unterschiedlicher Art. Er konnte Volleyballnetze und ein paar Tore erkennen. Ein Anblick, der ihn daran erinnerte, daß er in seiner Jugend ein recht passabler Handballspieler gewesen war. Luggy den Brecher hatten sie ihn damals genannt. Irgendjemand war so schlau gewesen, das Flutlicht einschalten zu lassen, um den Tatort zu beleuchten. Er tippte auf Renschler.

    Bis zum Hellwerden dauerte es noch ein paar Stunden, weshalb die Spurensicherung darüberhinaus noch ein paar Scheinwerfer aufgestellt hatte. Erleichtert stellte Schrödinger fest, daß Dr. Sieglinde Görges diensthabende Gerichtsmedizinerin war. Sie schob sich die Kapuze des Tatortanzugs in den Nacken und kam auf ihn zu. Sieglinde war nicht nur eine gute Freundin, sondern auch einer der wenigen Menschen, die von seiner Leichenphobie wußten.

    »Guten Morgen Luggy. Du bist spät dran« sagte sie.

    »Ist es schlimm?« fragte er anstelle einer Begrüßung.

    »Nicht sehr. Aber Du siehst blaß aus. Hier nimm das.« Sie steckte ihm eine Pille zu, die er trocken herunterwürgte, weil er nichts zu Trinken dabei hatte. »Komm« forderte sie ihn anschließend auf und faßte nach seinem Ellbogen. »Bring’s am besten gleich hinter Dich.« Dennoch reagierte Schrödinger nicht sofort. Er hatte ein Stück entfernt seine Assistentin entdeckt, die mit einem sichtlich erschütterten Mann in Sportbekleidung redete. Offenbar der Entdecker des Leichnams. Er hatte sich eine dieser Stirnlampen aufgesetzt, um in der Dunkelheit joggen zu können. Damit sah der Kerl zwar wie ein Trottel aus, aber er war gertenschlank und drum beneidete Schrödinger ihn.

    »Du solltest endlich mal mit ihr reden« sagte Sieglinde Görges.

    »Und mich endgültig zum Affen machen? Nein Danke.«

    »Na dann hättest Du’s jedenfalls hinter Dir« bemerkte sie trocken, als sei es ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis genau das geschah.

    Schrödinger ging nicht darauf ein und stapfte stattdessen entschlossen dem Leichnam entgegen. Die Gerichtsmedizinerin folgte ihm achselzuckend und schlug das Tuch zur Seite, damit Schrödinger einen Blick auf das Opfer werfen konnte. Es war eine Frau. Eine ziemlich gut aussehende Frau, daran hatte auch ihr Tod noch nichts geändert. Schrödinger schluckte. Schöne Frauen und Kinder. Deren Anblick war für ihn immer am schwersten zu ertragen. Dennoch machte er Görges ein Zeichen, das Tuch ganz wegzunehmen.

    Das Opfer lag auf dem Rücken. Die Augen waren geschlossen. Trotz der großen Wunde am Hals war kaum Blut zu sehen. Vermutlich war das meiste davon im Gras versickert. Sie wirkte friedlich. Beinahe so, als habe es sich zum Schlafen niedergelegt. Zu friedlich. Und die Kleidung war einfach zu ordentlich.

    »Ist es hier passiert?« wollte Schrödinger wissen.

    »Ja.«

    »Todeszeitpunkt?«

    »Zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht.«

    Schrödinger fragte sich, was die Frau um diese Zeit hier gewollt haben mochte. »Todesursache?«

    »Soweit ich es bisher sagen kann eine einzelne Stichwunde im Hals. Ein ziemlich großes Messer, der Wunde nach zu urteilen. Die Luftröhre scheint verletzt worden zu sein, schwer zu sagen, ob sie nun verblutet oder eher erstickt ist. Später weiß ich mehr.«

    »Kannst Du mir schon etwas über die Umstände des Todes sagen?«

    »Kampfspuren gibt es keine, wenn Du das meinst.«

    »Also kannte sie den Täter« mutmaßte Schrödinger.

    »Oder es ging einfach zu schnell« schränkte Görges ein. »Und bevor Du fragst, die oberflächliche Untersuchung hat ergeben, daß sie einige Stunden vor ihrem Tod ungeschützten Verkehr hatte. Einvernehmlich wie es aussieht. Aber auch dazu kann ich Dir erst mehr sagen, nachdem ich sie mir genauer angesehen habe.«

    »Sie sieht so ordentlich aus« teilte Schrödinger der Gerichtsmedizinerin seinen Eindruck mit.

    »Stimmt« bestätigte sie seine Beobachtung. »Sie scheint post mortem ein wenig zurechtgemacht worden zu sein «.

    »Reue nach begangener Tat...« murmelte Schrödinger.

    »Möglich« erwiderte Görges, obwohl Schrödingers Bemerkung eher eine Feststellung als eine Frage gewesen war. »Aber das herauszufinden, ist ja zum Glück Deine Aufgabe.«

    Marianne Renschler erschien und lenkte Schrödingers Aufmerksamkeit ab. Sieglinde Görges rollte mit den Augen und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

    »Hallo Chef« sagte die schlanke Frau, die auf ihn so frisch wie der noch nicht einmal angebrochene Morgen wirkte. Schrödinger hingegen fühlte sich wie altes Weinfaß, daß zu lange auf derselben Daube gelegen hatte. Und genauso sah er vermutlich auch aus. Sein Vorhaben, besagte Dauben wieder ein wenig in Schuß zu bringen kam ihm in den Sinn. ›Kein Esel ist dümmer, als ein alter Esel‹ dachte er. Dabei war er gerade einmal fünfzig.

    »Wissen wir schon, wer die Tote ist?« fragte er seine Assistentin, ohne ihren Gruß zu erwidern.

    »Leider nicht. Keine Handtasche, keine Papiere. Vielleicht war es ja ein mißglückter Raubüberfall« spekulierte Renschler.

    »Das denke ich eher nicht« sagte Schrödinger, der sich ziemlich sicher war, daß die Tote sich hier mit jemandem getroffen haben mußte. »Die Tatwaffe?«

    »Auch davon keine Spur, Chef. Hat der Täter bestimmt mitgenommen.«

    »Möglich« sagte Schrödinger, obwohl er auch das nicht glaubte. Die Reueanzeichen sprachen für eine Tat im Affekt. Und Affekttäter wollten die Tatwaffe oftmals einfach nur so schnell wie möglich loswerden. Die Chance, daß sich das Messer noch irgendwo in der Nähe befand, war seines Erachtens relativ groß. »Ich möchte, daß auch die weitere Umgebung des Tatorts gründlich abgesucht wird« sagte er.

    »Natürlich Chef« erwiderte Renschler in einem Tonfall, der Schrödinger offenbar klar machen sollte, daß sie schließlich keine Anfängerin mehr war. »Wie weit sollen wir den Suchradius ausdehnen?«

    »Na so weit, bis wir etwas gefunden haben« erwiderte Schrödinger. »Lassen sie alles weiträumig absperren. Und dann schicken Sie als erstes ein paar Leute die Wege entlang. Das kürzt die Suche vielleicht ab. Ich erwarte, daß jeder verdammte Papierkorb in diesem Park inspiziert wird. Also sorgen Sie bitte dafür, daß keiner davon ohne meine Erlaubnis geleert wird.«

    2.

    Der Frühling zeigte sich von seiner besten Seite. Der Tag hatte sich angefühlt wie ein Vorbote des eigentlich noch fernen Sommers und eine angenehme Wärme in den abendlichen Straßen hinterlassen. Die Luft vibrierte förmlich vor heiterer Betriebsamkeit, so als sei die Stadt gerade erst aus einem langen Schlaf erwacht. Ihre Bewohner jedenfalls schienen ganz versessen darauf, sich endlich ins Vergnügen zu stürzen. Was auch daran liegen mochte, das heute Freitag war.

    Im Grunde alles bestens also und dennoch war Sarahs Stimmung nicht ungetrübt. Sie fragte sich, warum sie ausgerechnet hier gelandet waren. Sicher, das Magna Carta war ein ziemlich angesagter Club. Etwas zu angesagt sogar, denn seine Beliebtheit machte ihn leider auch zu einem Magneten für Blender und Loser aller Art. Hinzu kam, daß die Auswahl an Speisen und Getränken keineswegs so groß war, wie es der Name suggerierte. Andererseits war es schon ewig her, seit sie das letzte Mal alle fünf beisammen gewesen waren. Und Sarah wollte keinen Streit.

    Im Inneren wurden sie von Stimmengewirr, Musik und gedämpftem Licht empfangen. Überall saßen und standen gut gekleidete Menschen herum, tranken Cocktails, aßen Häppchen und redeten miteinander. Das Magna Carta hatte den Ruf, ein guter Ort sein, um neue Bekanntschaften mit dem jeweils anderen Geschlecht zu schließen. Kein Wunder also, daß eine Gruppe weiblicher Neuankömmlinge besondere Aufmerksamkeit erregte und einer gründlichen Musterung durch zahllose Augenpaare unterzogen wurde. Die Mädels waren begeistert.

    Wie Sarah vorausgesehen hatte, war es schwer einen Platz zu finden. Am einzigen, für sie fünf in Frage kommenden Tisch, saß ein Mann, der nach Sarahs Dafürhalten die Vierzig bereits überschritten haben mußte. Er paßte so gar nicht ins Bild der üblichen Klientel des Clubs. Nicht daß er ausgesprochen unattraktiv gewesen wäre. Im Gegenteil. Richtig angezogen hätte er vermutlich sogar ganz gut aussehen können. Aber die ausgebeulten Ellbogen des vielleicht früher einmal schicken Jacketts und die abgetragen wirkenden Schuhe sprachen Bände. Außerdem brauchte sein zerzaustes Haar dringend mal wieder einen Schnitt und auch eine Rasur hätte nicht geschadet.

    Und er war nicht etwa in eine Unterhaltung mit anderen Gästen vertieft, sondern in irgendeine Lektüre, während sein rechter Zeigefinger selbstvergessen mit einer Haarsträhne spielte. Vor ihm auf dem Tisch stand eine halbvolle Tasse Kaffee. Von all den schönen Menschen um ihn herum, schien er nicht das Geringste wahrzunehmen. Mit einem Wort, der Kerl war ein Verlierer wie er im Buche stand. Und allein sein Anblick weckte in Sarah bereits den Wunsch nach einem Lokalwechsel. Aber dafür war es zu spät, denn die forsche Kirsten war bereits zu ihm hinübergegangen. Sie hatte ihn sogar antippen müssen, um ihn aus seiner Versenkung zu holen und winkte ihre Freundinnen nun zu sich herüber. Einen Moment blieb Sarah noch stehen, aber dann folgte auch sie den anderen. Gegen die Macht des Herdentriebs war eben einfach nichts auszurichten.

    Der Mann stellte sich als Niclas Peters vor. »Aber die meisten nennen mich einfach Nick« sagte er, als ob das jemanden interessierte. Sarah jedenfalls nicht.

    »Es ist wirklich nett von Ihnen, daß Sie uns hier sitzen lassen« ließ Laura sich vernehmen.

    »Ach das ist doch selbstverständlich« erwiderte der Mann und sah Laura dabei tief in die Augen. »Man hat schließlich nicht oft die Gelegenheit mit so vielen schönen Frauen an einem Tisch zu sitzen. Aber bitte, ich will Sie nicht stören. Ich kann auch gehen.«

    Laura strahlte. »Ach was, Sie stören uns doch nicht« sagte sie und blickte Zustimmung heischend in die Runde.

    ›Oh Gott‹ dachte Sarah. ›Ich kotze gleich.‹ Andererseits hatte Laura gerade eine harte Zeit hinter sich und es war schön, sie endlich einmal wieder so aufgekratzt und fröhlich zu sehen.

    Eine Kellnerin kam und nahm ihre Bestellungen auf. Dem Alkoholgehalt ihrer Getränke nach zu urteilen, gedachten Sarahs Freundinnen es feuchtfröhlich werden zu lassen.

    »Was lesen sie da eigentlich« erkundigte Kirsten sich bei dem Mann.

    Er klappte das dünne rote Bändchen zu und ließ die Frauen einen Blick auf den Umschlag werfen. Mister Dynamit stand dort geschrieben.

    »Diese Hefte kenne ich« warf Yasmina ein. Mein Onkel hat die früher auch gelesen.«

    »Echt? Worum geht’s darin denn?« wollte Kirsten wissen.

    »Spionage oder so« antwortete Yasmina und sah fragend in Richtung des Mannes, der zustimmend nickte.

    ›Du meine Güte‹ dachte Sarah. Ein erwachsener Mann, der sich die Zeit mit solchem Schund vertrieb. Und noch dazu an einem Ort wie diesem. Das wurde ja immer besser.

    »Und sind die Geschichten gut« hakte Kirsten nach, als gäbe es kein interessanteres Thema.

    »Lassen Sie es mich einmal so formulieren« sagte der Mann. »Im Vergleich zu Mister Dynamit ist James Bond nicht mehr als ein Schwachstromelektriker.«

    »Ja klar« erwiderte Kirsten, die an dieser Behauptung so ihre Zweifel hegte. »Und ein besserer Liebhaber ist er bestimmt auch.«

    »Unbedingt. Und zwar um ungefähr so viel« sagte der Mann und hielt seine Handflächen ein gutes Stück auseinander. Eine Geste, die am Tisch für Heiterkeit sorgte. Während Sarah nur die Augen verdrehte, schien der plumpe Witz bei den anderen auf fruchtbaren Boden zu fallen. In der Folge entwickelte sich ein zotenreiches Gespräch, an dem sich zu Sarahs Verwunderung auch die sonst so schweigsame Karin beteiligte. Angesichts von soviel Frauenpower schlug der Kerl sich gar nicht schlecht, das mußte Sarah im lassen. Er war gewitzt und beinahe amüsant. Dennoch. So hatte sie sich den Verlauf des Abends nun wirklich nicht vorgestellt.

    Sarah blickte seufzend in die Runde. Früher einmal waren sie unzertrennlich gewesen. Sie hatten nicht nur zusammen Volleyball gespielt, sondern auch jenseits des Sports eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Die fantastischen Fünf waren sie gewesen, Schwestern, die für einander einstanden. Aber dann war das Leben dazwischen gekommen. Sie hatten mit dem Volleyballspielen aufgehört und beruflich ebenso wie privat ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen. Ungeachtet aller Treueschwüre waren sie auseinandergedriftet wie Eisschollen auf dem Meer.

    Kirsten etwa hatte für sie alle überraschend als erste geheiratet und begnügte sich seither mit ihrer Rolle als Hausfrau und zweifache Mutter. Sie sang sogar im Kirchenchor, was schon eine erstaunliche Wandlung für ein Bienchen war, daß früher so gern von Blume zu Blume gehüpft war. Aber sie war glücklich damit. Zumindest gab sie das vor, denn wie Sarah wußte, hatte Kirsten ihren eskapistischen Neigungen nicht gänzlich abgeschworen. Auch heute noch naschte sie bisweilen an fremden Blüten.

    Yasmina hatte einen – wie sie selbst sagte – langweiligen Job in der IT-Branche. Ihren privaten Weg hingegen beschritt sie mit einer geradezu bewundernswerten Konsequenz. Ein Weg, für den sie sogar den Bruch mit ihrer Familie in Kauf genommen hatte. Vor allem ihr Vater, ein gebürtiger Perser, kam nach wie vor nicht damit klar, daß seine Tochter Frauen liebte und nun schon seit Jahren mit einer zusammenlebte. Daß Yasmina ihre Partnerin demnächst auch noch zu heiraten gedachte, würde der Beziehung zu ihrem Vater vermutlich den Todesstoß versetzen.

    Ganz anders Karin, die sich unscheinbar und still, ohne anzuecken durchs Leben und durch ihre Beziehungen schlängelte. Zugleich war sie die Zuverlässigkeit in Person. Schon damals auf dem Spielfeld war sie immer dort gewesen, wo man sie brauchte. Andererseits war Dauerhaftigkeit nicht so ihr Ding. In Karins Augen waren Jobs und Partnerschaften etwas Vorübergehendes. Pfade, denen man eine Weile folgte, bis es hinter dem nächsten Hügel etwas Neues zu entdecken gab. Sie war ein stilles Wasser mit ungeahnten Tiefen. Für die Stabilität in Karins Leben sorgte ihre innig geliebte achtjährige Tochter, deren Existenz ihnen allen bis heute ein Rätsel war. Ebenso wie der Name des Vaters.

    Und Laura natürlich, die nicht nur die Älteste von ihnen war, sondern seit je her auch das größte Sorgenkind. Lauras Leben schien aus einer endlosen Folge falscher Entscheidungen zu bestehen. Entscheidungen die schließlich in der katastrophalen Ehe mit einem Mann gipfelten, der sie gequält, betrogen und bis aufs letzte Hemd ausgenommen hatte. Lauras Scheidung und ihr vierzigster Geburtstag, den sie vor kurzem begangen hatte, waren so etwas wie der Anlaß dieses Treffens.

    Sarah musterte ihre Freundin. Laura sah noch immer toll aus. Früher hatten sie manchmal spaßeshalber miteinander gewettet, wem von ihnen beiden bis zum Ende eines Abends mehr Telefonnummern zugesteckt würden. Ein Contest, den mal die eine und mal die andere für sich entschieden hatte. Allerdings erregten sie die Aufmerksamkeit des anderen und nicht selten auch des eigenen Geschlechts aus ganz unterschiedlichen Gründen. Während man an Sarah die kühle Schönheit bewunderte, waren der süßen Laura von jeher die Herzen zugeflogen. Worum Sarah ihre Freundin durchaus beneidete, wie sie zugeben mußte. Daß es ihr selbst an Liebenswürdigkeit mangelte, hatte allerdings auch seine Vorteile. Es hielt einem zumindest die Versager vom Hals.

    Zu Sarahs Bedauern sank das Niveau der Unterhaltung mit zunehmendem Akoholgenuß noch weiter. Ausgerechnet Yasmina gab gerade einen Witz zum Besten, in dem es um den Zusammenhang zwischen Penisgrößen und den Schwierigkeiten ging, die Frauen angeblich beim Einparken hatten. Die Mädchen amüsierten sich köstlich. Sarah ließ es still über sich ergehen. Kopfschüttelnd registrierte sie, daß Laura dem Mann namens Nick schöne Augen machte. Es sähe ihrer Freundin ähnlich, sich gleich wieder dem erstbesten Versager an den Hals zu werfen, der ihr über den Weg lief. Dabei konnte sie fast jeden haben. Und etwas Besseres als den da allemal. Aber zumindest vor diesem Fehltritt konnte sie Laura nötigenfalls bewahren.

    Mit ihren vierunddreißig Jahren war Sarah zwar das Küken in der Runde, aber dennoch so etwas wie die Anführerin. Schon als Kapitänin der Volleyballmannschaft war sie es gewohnt gewesen, Verantwortung für die anderen zu übernehmen. Es fiel ihr leicht, Entscheidungen zu treffen. Aber sie bestimmte nicht nur gern, sie war auch ziemlich gut darin. Weshalb die Dinge meistens auch so liefen, wie sie es für richtig hielt. Und der Erfolg im Beruf gab ihr Recht, wie sie fand. Schließlich war sie diejenige, die es von ihnen allen am weitesten gebracht hatte. Dabei hatte sich ihr Aussehen im Job sogar eher als Nachteil erwiesen. Bis heute neigten nicht nur ihre männlichen Kollegen dazu, Sarahs intellektuelle Fähigkeiten zu unterschätzen. Früher hatte sie das geärgert und verletzt, doch inzwischen wußte sie es zu ihren Vorteil zu nutzen.

    Es war vor allem Sarah, die sich darum bemühte, die alte Truppe beisammen zu halten, denn alte Freundschaften waren durch nichts zu ersetzen. Vor allem nicht für Sarah, der es immer schon schwer gefallen war, welche zu schließen. In den letzten Jahren waren jedenfalls keine neuen hinzugekommen. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, mit welchem Tempo sie die Karriereleiter hinaufstürmte und dabei auch vor dem Einsatz ihrer Ellbogen nicht zurückschreckte.

    Zumindest schienen die bösen Blicke, mit denen Sarah den ungebetenen Gast bedachte, nun endlich Wirkung zu zeigen. Der Mann erhob sich.

    »Meine Damen, es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben. Aber es wird Zeit, daß ich mich zurückziehe« sagte er und ging zum Tresen hinüber, um seine Rechnung zu bezahlen.

    ›Was für ein Schwätzer‹ dachte Sarah. Doch während sie froh über sein Verschwinden war, bedauerte Laura es sichtlich, denn sie folgte ihm unvermittelt an den Tresen. Ihr Auftauchen schien ihn zu überraschen. Mit den anderen beobachtete Sarah, wie die beiden sich kurz unterhielten und dann ihre Telefonnummern austauschten. Sie schüttelte den Kopf. Dieser Frau war einfach nicht zu helfen. Dennoch würde sie es natürlich versuchen.

    Überlegen lächelnd kehrte Laura an Tisch zurück. Wie eine Katze, die gerade eine besonders fette Maus gefangen hat, dachte Sarah. Fehlte nur noch, daß sie sich über den Bauch strich oder die Lippen leckte. Und natürlich hatten Yasmina und Kirsten nichts Besseres zu tun, als ihr für dieses kindische Betragen auch noch Beifall zu spenden, den Laura mit den artigen Gesten einer Schauspielerin entgegennahm. Schon aus Prinzip fühlte Sarah sich verpflichtet, der allgemeinen Hochstimmung ein paar Wermutstropfen beizumischen.

    »Das ist jetzt nicht Dein Ernst oder?« sagte sie.

    »Ich weiß absolut nicht, was Du meinst« erwiderte Laura mit schlecht gespielter Unschuld.

    Sarah seufzte. »Du bist gerade mit Mühe und Not Deinen letzten Knaller losgeworden, es ist noch früh am Abend und Du bandelst gleich mit dem erstbesten Penner an, der Dir über den Weg läuft. Das meine ich.«

    »Also ich fand den Penner ganz süß« sagte Laura, als sei allein das schon Grund genug für ihr Benehmen. »Und außerdem, wäre doch blöd auf den Letzten zu warten, wenn einem der Erste schon gefällt.«

    »Da ist was dran« pflichtete Kirsten ihr bei und auch Karin bekundete mit einem Nicken ihre Zustimmung.

    »Laura bitte« versuchte Sarah es noch einmal. »Hast Du Dir den Kerl einmal genau angesehen? Das ist doch nur irgend so ein armer Schlucker, der nichts ist und nichts hat.«

    »Na und? Was spielt das schon für eine Rolle? Ich höre in Liebesdingen eben auf mein Herz« erwiderte sie und faßte sich theatralisch an die Brust. »Solltest Du vielleicht auch mal versuchen.«

    Das Empfinden, von dem Laura sich leiten ließ, war nach Sarahs Dafürhalten zwar deutlich weiter unten angesiedelt, aber für den Augenblick gab sie sich dennoch geschlagen. »Mach was Du willst. Du bist alt genug. Aber sag nicht, ich hätte Dich nicht gewarnt.«

    »Wenn wir immer nur auf Dich hören würden, hätten wir ja überhaupt keinen Spaß mehr« gab Kirsten zu bedenken.

    »Was ihr so unter Spaß versteht« entgegnete Sarah im vergeblichen Versuch, dem Spott der anderen etwas entgegenzusetzen. »Ich muß mal kurz telefonieren« sagte sie schließlich, um den grinsenden Gesichtern zu entkommen.

    »Schönen Gruß an Deinen Liebsten« raunte Laura ihr zu. »Ach ich vergaß. Du hast ja gar keinen.«

    »Aber denk dran, nichts Berufliches« mahnte Kirsten. »Alles, was mit Arbeit zu tun hat, ist heute Abend verboten.«

    Kommentare wie diese waren für Sarah nichts Neues. Davon ließ sie sich längst mehr nicht aus der Ruhe bringen. Außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun, als sich über die Frotzeleien ihrer Freundinnen zu ärgern. Allerdings verlief auch das Telefonat, das sie kurz darauf tatsächlich führte, nicht ganz so wie erwartet. Ihr Gesprächspartner zeigte sich ausgesprochen unkooperativ und weigerte sich rundheraus ihr Ansinnen auch nur in Erwägung zu ziehen. Sarah fühlte sich düpiert. Sie war es nicht gewohnt, auf diese Weise abgefertigt zu werden. Und man sah ihr die Verärgerung offenbar an, denn die Mädchen erkundigten sich besorgt, ob alles in Ordnung sei.

    »Natürlich ist es das« brummte Sarah, ohne auf den Inhalt des Gesprächs einzugehen. Was sollte nicht in Ordnung sein? Sie hatte wie immer alles im Griff.

    Wenig später erhielt Laura eine SMS. Sie war von ihrem neuen Verehrer. »Vorlesen!« verlangten ihre Freundinnen im Chor und sie gehorchte kichernd. Er freue sich jetzt schon auf das Wiedersehen mit ihr, schrieb der Mann. Er bedaure nur, kein Liebespfand von ihr verlangt zu haben.

    »Ein Liebespfand? Was meint er denn damit?« fragte Karin.

    »Keine Ahnung« sagte Laura und tippte grinsend ihre Antwort. Das hätte er sich eben früher überlegen sollen, schrieb sie ihm zurück. Nun sei es dafür jedenfalls zu spät und er müsse eben auf ihren guten Willen hoffen.

    Zu spät sei es dafür keineswegs, kam postwendend seine Erwiderung. Er stehe nämlich draußen vor der Tür und erwarte sie dort.

    »Du hast doch wohl nicht ernsthaft vor, da rauszugehen« entfuhr es Sarah, als Laura sich erhob.

    »Doch habe ich. Ernsthaft . Wieso auch nicht?« erwiderte sie und war auch schon verschwunden. Die Zeit verstrich und Sarah begann schon sich um ihre Freundin zu sorgen, als Laura endlich wieder auftauchte. In ihren Augen glitzerte der Schalk.

    »Und wie war’s?« fragte Kirsten, noch bevor Laura sich wieder gesetzt hatte.

    »Nun sag schon endlich« hakten Yasmina und Karin nach, weil sie sich mit der Antwort so viel Zeit ließ.

    »Also. Küssen kann er schon mal« sagte sie schließlich und hielt den Blick trotzig auf Sarah gerichtet, während die drei anderen ihr grinsend den Rücken stärkten.

    Wie jemand in Lauras Alter noch so kindisch sein konnte, war Sarah ein Rätsel. Über eine herausgestreckte Zunge hätte sie sich nicht gewundert.

    »Hast Du Dich denn schon mit ihm verabredet?« wollte Karin wissen, nachdem sich der kleine Aufruhr gelegt hatte.

    »Nein. Das noch nicht« gab Laura zu. »Aber mein Höschen bin ich vorerst los.«

    Das halbe Lokal drehte sich nach den vor Begeisterung kreischenden Frauen um. Laura lächelte still in sich hinein. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so köstlich amüsiert. Es würde zweifellos noch ein lustiger Abend werden. Für die meisten von ihnen zumindest.

    3.

    Ein Klingeln an der Tür weckte Nick. Er ignorierte es. Bestimmt nur irgendwelche Kids, die übermütig durchs Viertel zogen, dachte er. Auch das zweite Läuten beachtete er nicht. Erst beim dritten quälte er sich aus den Federn. Beim fünften erreichte er fluchend die Tür.

    »Was ist?« blaffte er in einer Mischung aus Müdigkeit, Wut und Besorgnis in die Sprechanlage.

    »Ich bin es« antwortete eine weibliche Stimme. »Laß mich rein.«

    »Was willst Du?« sagte er nun gar nicht mehr besorgt, sondern nur noch müde und verärgert.

    »Ich will das Du mich endlich reinläßt verdammt!«

    Es dauerte eine Weile, bis sie oben bei ihm ankam. Mittlerweile war Nick hellwach. Nur der Verdruß hielt sich hartnäckig.

    »Was willst Du?« wiederholte er, als sie schließlich vor ihm stand.

    Sarah war erbost und außer Atem. Erst hatte er sie ewig warten lassen und dann mußte sie auch noch die Treppe nehmen, weil der blöde Fahrstuhl nicht gekommen war. In diesen Schuhen waren vier Stockwerke keine Kleinigkeit. Sie musterte ihr Gegenüber einmal von oben bis unten. Sein Haar war zerzaust. Er sah mürrisch und verschlafen aus. Was um diese Uhrzeit auch kein Wunder war. Er war barfuß und trug eng sitzende Shorts, an denen ihr Blick ungewollt ein paar Sekunden haften blieb. Er hatte sich zwar einen Morgenmantel übergeworfen, aber natürlich nicht genügend Anstand besessen, ihn auch zu schließen.

    Sie befanden sich im Flur seiner Wohnung. Im Grunde nicht mehr als ein kleiner Vorraum, in dem gerade genug Platz für ein paar Kleiderhaken, einen Spiegel und eine überraschend geschmackvolle Anrichte war, auf der ein Schlüsselbund und ein cremefarbenes Häuflein aus Spitze lagen. Nicht schwer zu erraten, um was es sich dabei handelte. Ein Anblick, der Sarah an die Ereignisse des Abends erinnerte. Und an ein anderes Stückchen Stoff, das sie in einem Anfall von Übermut im Handschuhfach ihres Wagens zurückgelassen hatte.

    »Zum letzten Mal. Was willst Du hier?« fragte er sie zunehmend genervt.

    »Was hattest Du im Magna Carta zu suchen?« antwortete sie mit einer unwirschen Gegenfrage.

    Nick runzelte angesichts ihres Tons zwar die Stirn, bemühte sich jedoch, ruhig zu bleiben. »Nicht, daß es Dich etwas anginge« sagte er, »aber ich habe mich dort mit jemandem getroffen.«

    »Du und Dich mit jemandem getroffen. Ha! Und mit wem?«

    »Wie schon gesagt, das geht Dich nichts an. Und falls es Dir entgangen sein sollte, ich bin schon vor Dir und Deinen Freundinnen dort gewesen. Also noch einmal. Was willst Du von mir? «

    Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen war. Zumal sie eigentlich gar nicht vorgehabt hatten, ins Magna Carta zu gehen. Die Begegnung mit Nick mochte also durchaus ein Zufall gewesen sein. Aber das änderte nichts.

    »Ich will, daß Du Deine schmutzigen Finger von meiner Freundin läßt. Sie hat auch ohne einen wie Dich schon Probleme genug« beantwortete sie endlich seine Frage. »Hast Du das verstanden?«

    »Natürlich hab ich das verstanden. Ich bin ja schließlich nicht taub. Aber auch das geht Dich nicht das Geringste an. Warum sollte ich es also tun?«

    »Ganz einfach weil ich es Dir sage.«

    Nick musterte sie schweigend. Der Zorn stand ihr gut. Das Funkeln in den Augen und die glühenden Wangen. Überhaupt wirkte sie erhitzt und er fragte sich, ob das wirklich nur am Treppensteigen lag. »Laß es mich doch noch einmal zusammenfassen« sagte er schließlich. »Du tauchst mitten in der Nacht hier auf, klingelst mich aus dem Bett und stürmst die Treppe hinauf, nur um mir etwas mitzuteilen, das Du mir vor Stunden schon am Telefon gesagt hast?«

    »Ja genau« bestätigte sie.

    Er lachte. »Das glaube ich Dir nicht.«

    Sarah preßte die Lippen zusammen. Dieser unverschämte Mistkerl. Sie stand kurz davor, ihm eine zu kleben. »Bilde Dir bloß nichts ein« zischte sie. »Und ich warne Dich. Entweder Du tust, was ich Dir sage oder...«

    »Oder was?« sagte er, trat einen Schritt auf sie zu und schob eine Hand unter ihr Kleid.

    »Oder Du wirst es bereuen« erwiderte sie entschlossen, während er sich behutsam die Innenseiten ihrer Oberschenkel hinauftastete.

    »Ach ja? Und wie genau werde ich es bereuen?« wollte er wissen.

    Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet. »Das weiß ich noch nicht. Aber Du wirst es« versprach sie und ballte ihre Hände zu Fäusten, rührte sich aber nicht vom Fleck. Sie schloß die Augen und biß sich auf die Unterlippe, denn er hatte ihren Schoß erreicht. Na gut. Vielleicht war sie nicht nur Lauras wegen gekommen. Und wenn schon? Das gab ihm noch lange nicht das Recht... »Hör gefälligst auf damit« knurrte sie.

    »Nein« sagte er.

    Sarah hatte keineswegs die Absicht, sich das bieten zu lassen und packte sein Handgelenk. Doch der Befreiungsversuch scheiterte kläglich. Also holte sie zu einer Ohrfeige aus, aber auch den Schlag fing er mühelos ab.

    Nicks Atem hatte sich beschleunigt und Sarah bemerkte, daß aus der Wölbung in seinen Shorts eine veritable Beule geworden war. »Nicht. Laß das!« knurrte sie, als er den Saum des Kleides nach oben schob und sich zwischen ihre Schenkel drängte. Sie wollte sich ihm entwinden, war jedoch zwischen seinem Körper und der Kommode eingeklemmt. Es gab kein Entrinnen.

    »Mistkerl« keuchte sie, als es ihm schließlich trotz Gegenwehr gelang, sie zu nehmen. Noch einmal stemmte Sarah sich ihm entgegen, doch es war hoffnungslos. Er war augenscheinlich nicht gewillt, von ihr abzulassen. ›Ach was soll’s‹ dachte sie. Sie hatte sich lange genug gesträubt. Der Ehre war Genüge getan. Sie gab ihre Zurückhaltung auf und schlang die Unterschenkel um seine Hüften. Dann legte sie ihm die Arme um den Hals und küßte ihn.

    4.

    Sarah erwachte allein. Es dauerte einen Moment, bis ihr wieder einfiel, wo sie sich befand. Es mußten Geräusche aus den Nachbarwohnungen gewesen sein, die sie geweckt hatten. Sie konnte Stimmen von Leuten hören, die sich auf der anderen Seite der Wand unterhielten und irgendwo über ihr rumpelte eine Waschmaschine im Schleudergang. Die Vorhänge waren noch geschlossen und wogten sanft in der Brise, die durch das geöffnete Fenster zu ihr hereinwehte. Draußen schien die Sonne. Es duftete nach Kaffee.

    Eigentlich hatte sie nicht über Nacht bleiben wollen. Aber irgendwie war die Kommode nicht genug gewesen und so war sie doch noch in seinem Bett gelandet. Sarah streckte sich und gähnte noch einmal ausgiebig. Sie fühlte sich überraschend ausgeschlafen und fragte sich wie spät es wohl sein mochte, entdeckte aber nirgends eine Uhr. Es war zwar Samstag, aber sie hatte heute noch einiges vor.

    Sie schlug die Bettdecke zurück, setzte sich auf und bemerkte den großen Fleck, den sie mit Nicks Hilfe auf dem Laken hinterlassen hatte. Sie strich mit der Hand über den Stoff. Eine nutzlose Geste, denn um diesen Beleg ihrer Schande zu tilgen, brauchte es schon einen Vollwaschgang. Mit dem nächtlichen Besuch hatte sie gegen so gut wie alle Regeln verstoßen. Von ihren Grundsätzen ganz zu schweigen. Doch ihr Kummer darüber hielt sich in Grenzen. Im Gegenteil. Es war fast schon peinlich, wie gut sie sich fühlte. Gerne hätte Sarah sich eingeredet, es nur Laura zuliebe getan zu haben. Aber das hatte schon in der Nacht nicht funktioniert und jetzt am Morgen tat es das noch viel weniger.

    Sie stand auf und sah sich nach ihren Sachen um. Sie erinnerte sich noch daran, sie einfach irgendwo auf den Boden geworfen zu haben. Doch ihr Kleid hing mittlerweile ordentlich auf einem Bügel und das Jäckchen über der Lehne eines Stuhls, unter dem sich auch ihre Pumps befanden. Auf der Sitzfläche lag zudem ein frisches T-Shirt, das sie sich dankbar überstreifte. Leichter Lavendelduft stieg ihr in die Nase. Zwar prangte nun das Emblem seiner bevorzugten Fußballmannschaft auf ihrer Brust, aber zumindest war ihre Blöße bedeckt.

    Sarah tapste barfuß hinaus in den Flur, der diesen Namen bei Tageslicht sogar noch weniger verdiente. Nicks Wohnung war winzig. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Noch nicht einmal einen Balkon gab es. Sie fragte sich, wie man so leben konnte. Daß ein Mann mit Nicks Intelligenz es in seinem Alter nicht weiter gebracht hatte, war schlicht erbärmlich. Eine Scheidung und damit einhergehende Unterhaltszahlungen hätten diesen Zustand ja vielleicht noch entschuldigen können. Aber soweit sie wußte, hatte er selbst das nicht vorzuweisen.

    Sie warf einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. Obwohl die Bezeichnung Büro wohl treffender gewesen wäre, denn der Raum wurde von einem Schreibtisch dominiert, auf dem sein eingeschalteter Laptop stand. Nick hatte offenbar schon gearbeitet, auch wenn sie sich schon länger fragte, worin diese Arbeit eigentlich bestand. An sich war der Schreibtisch ein schönes Möbelstück im Art Deco Stil, dessen Eleganz jedoch durch die vielen Unterlagen und Bücher, die sich darauf stapelten, zunichte gemacht wurde. Überhaupt die Bücher. Die Wände waren regelrecht zugestellt mit überfüllten Regalen. Hinzu kamen ein Sessel und ein zweisitziges Ledersofa, das recht hübsch anzusehen war, seine besten Tage allerdings schon seit einer ganzen Weile hinter sich hatte. Und natürlich durfte auch der obligatorische Flachbildfernseher nicht fehlen, der viel zu groß für dieses kleine Zimmer war. Typisch Mann eben.

    Sarah ging über das nachlässig verlegte Laminat zur Küche hinüber, wo sie Nick herumwerkeln hörte. Er bemerkte sie nicht, denn neben ihm tuckerte der Kaffeevollautomat mit dem Charme eines alten Zweitaktmotors vor sich hin. Der Raum war gerade groß genug für die mit dem Nötigsten ausgestattete Küchenzeile und einen winzigen Tisch mit zwei Stühlen.

    Keine Frage, Nick gab sich große Mühe. Mit Ausnahme des Schreibtisches wirkte alles sehr ordentlich und sauber. So sauber, daß Sarah sich schon fragte, wie er das ohne Putzfrau hinbekam. Aber das änderte nichts am Gesamteindruck. Und der ließ sich nur mit einem Wort umschreiben. Schäbig. Dabei hatte er im Grunde sogar einen ganz guten Geschmack. Nur konnte er sich den eben nicht leisten. Wofür Sarah selbst das beste Beispiel war. Und dennoch war sie hier. Sie fragte sich, was das wohl über sie aussagen mochte. Besser sie dachte nicht zu genau darüber nach.

    »Ich geh mal unter die Dusche« rief sie über den Lärm der Kaffeemaschine hinweg. Er drehte sich um und lächelte ihr zu. Er hatte sich rasiert und sah richtig süß aus.

    Im Vergleich zu ihrem eigenen war Nicks Bad kaum mehr als eine Waschkammer. Für eine Wanne war nicht genug Platz. Es gab nur eine Duschkabine und zwischen Toilette und Waschbecken paßte gerade noch eine kleine Waschmaschine. Sarah griff sich mit den Händen ins Haar. Die Frau im Spiegel sah etwas derangiert aus, wirkte aber nicht unzufrieden. Sie streckte ihr die Zunge heraus.

    In einer Schachtel auf der Waschmaschine fand sie Pröbchen ihrer bevorzugten Dusch- und Pflegemittel vor. Eine Geste, die sie überraschenderweise rührte, obwohl sie eindeutig eine Grenze überschritt. Zumindest glaubte sie das. Eine Zahnbürste hatte er nicht für sie – das wäre nun auch wirklich zu viel des Guten gewesen. Also benutzte sie eben die seine.

    Als Sarah das nächste Mal in der Küche erschien, war sie vollständig angezogen. So vollständig, wie es eben möglich war. Dasselbe rote Kleid am nächsten Morgen noch einmal zu tragen, war allerdings kein angenehmes Gefühl. Der Küchentisch war geradezu liebevoll eingedeckt. Sie hatte gar nicht gewußt, daß er überhaupt eine Tischdecke besaß. Mitten auf dem Tisch stand eine Vase. Sogar an Blumen hatte er gedacht. Der Korb mit den frischen Croissants sah wirklich verlockend aus. Ihr knurrte der Magen. Dennoch setzte sie sich nicht.

    »Blumen Nick? Das ist jetzt nicht Dein Ernst.«

    »Gefallen sie Dir nicht? Hab ich geschenkt bekommen« log er. Sie hatte vollkommen Recht. Blumen. Was hatte er sich nur dabei gedacht?

    »Ich muß gehen« sagte sie, denn es wäre unpassend gewesen noch länger zu bleiben. Sie beobachtete ihn genau. Doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Von Enttäuschung keine Spur. Er zuckte nur kurz mit den Achseln und drückte ihr eine Tasse Kaffee und ein Croissant in die Hand.

    »Iß« sagte er, ging ins Wohnzimmer hinüber und verstaute den Laptop in seiner Umhängetasche. Heißhungrig machte Sarah sich über das Gebäckstück her. Als er zurückkehrte hatte sie es bereits verschlungen und mit Kaffee heruntergespült. Er schmeckte köstlich.

    »Ich muß auch los« sagte er, obwohl das nicht zu übersehen war. »Ich bring Dich runter.«

    Als sie die Wohnung verließen fiel Sarahs Blick auf die Anrichte, wo Lauras Höschen noch immer an Ort und Stelle lag. Ohne nachzudenken griff sie danach und ließ es ungesehen in ihrer Handtasche verschwinden.

    5.

    Sie hätte es ihm gegenüber zwar niemals zugeben, aber Sarah war froh über Nicks Begleitung. Wann immer sie hierher kam, wohl fühlte sie sich in dieser Umgebung nie. In der Nacht war es ihr gar nicht so aufgefallen. Aber jetzt bei Tageslicht war nicht zu übersehen, wie heruntergekommen alles war. Man hatte zwar versucht diesen Umstand mit frischer Farbe zu übertünchen, aber viel geholfen hatte es nicht. Der triste Wohnblock, in dem Nick lebte lag in einem Viertel, das man getrost als sozialen Brennpunkt bezeichnen konnte. Nach allem, was man so las und hörte, ging es in dieser Gegend bisweilen recht heftig zu. Einbrüche, Drogendelikte, Schlägereien. Und als Frau war man hier nachts besser nicht allein unterwegs. Weshalb Sarah stets versuchte, so nah wie möglich am Eingang zu parken. Aber das tat natürlich jeder.

    Sie dachte an ihren Wagen und drängte zur Eile. Auf dem Weg zum Fahrstuhl ermahnte sie Nick noch einmal eindringlich, Laura in Ruhe zu lassen. »Sie hat gerade eine Scheidung hinter sich und was Besseres verdient« schloß sie ihre Standpauke.

    »Kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten« erwiderte er.

    »Das ist meine Angelegenheit« fauchte sie zurück.

    Im Fahrstuhl begegneten sie zwei jungen südländisch aussehenden Männern, die Sarah mit unverhohlenem Interesse musterten. Die anzüglichen Blicke gaben ihr das Gefühl, nur unzureichend bekleidet zu sein. Was ja irgendwie auch stimmte. Also tat sie etwas, das sie unter normalen Umständen niemals gemacht hätte und hakte sich bei Nick unter.

    »He Lady« ließ der größere von beiden sich vernehmen. »Wenn Du von diesem alten Sack genug hast und lieber mal einen richtigen Kerl haben willst, brauchst Du bloß Bescheid zu sagen.« Ein Angebot, das sein Freund mit einem schmutzigen Grinsen unterstrich.

    »Was erlauben sie sich?« giftete Sarah mit pochendem Herzen zurück. »Herr Peters ist mein Onkel.«

    »Was erlauben sie sich? Herr Peters ist mein Onkel« äffte der Bursche sie nach. »Und ich dachte, nur unsere Frauen benutzen solche Ausreden. Lady, hier weiß jeder, daß Nick nicht Dein Onkel ist. Mein kleiner Bruder hat Dein Gestöhne als Klingelton auf seinem Handy.«

    Sarah wußte nicht so recht, ob sie sich nun empören oder vor Scham im Fahrstuhlschacht versinken sollte. Verunsichert suchte sie den Blickkontakt mit Nick, mußte jedoch feststellen, daß sich in der Miene dieses elenden Schuftes eher so etwas wie Belustigung spiegelte. Dennoch schien er ein Einsehen zu haben.

    »Habt ihr nichts Besseres zu tun Jungs? Müßt ihr nicht irgendwo noch Drogen verticken oder so etwas?«

    »Aber doch nicht Samstags« erwiderte der Große, als sei das eine allgemein bekannte Tatsache.

    »Warum sucht ihr Euch dann nicht irgendeine Beschäftigung, bei der ihr nicht zu Schaden kommt?«

    »He Alter! Nichts für ungut. Mußt nicht gleich ausflippen« sagte der Junge und hob beschwichtigend die Hände.

    »Kanntest Du die beiden?« wollte Sarah auf dem Weg zum Auto wissen.

    »Das waren Yunuz und Arif« sagte er. »Eigentlich ganz nette Kerle. So lange man einzeln auf sie trifft. Im Gespann können sie auch schon mal zu kleinen Arschlöchern mutieren.«

    »Und sie handeln wirklich mit Drogen?« Sarah lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie war nie zuvor einem Dealer begegnet. Zumindest nicht wissentlich.

    »Ach Quatsch. Yunuz ist ein braver Student und Arif arbeitet als Maschinenbauer. Dieses Bad-Boy-Gehabe gehört hier im Viertel einfach dazu. Die Jungs halten das für cool und glauben, daß ihre Kumpels so ein Benehmen von ihnen erwarten.«

    So plausibel das auch klang, ganz überzeugt war Sarah nicht. »Sie sind aber immer noch hinter uns« sagte sie beunruhigt.

    »Ja, das sind sie. Und ich wette, sie glotzen Dir auf den Hintern. Ich kann ja mal Dein Kleid etwas anlüpfen. Das schockiert sie bestimmt.«

    Sie bedachte ihn mit einem Seitenblick, der kochendes Wasser in Eis verwandelt hätte. Er lachte. Auf dem Parkplatz ging sie erst einmal um den Wagen herum. Es schien jedoch alles in Ordnung zu sein. Sie stieg rasch ein und ließ die Seitenscheibe herunter.

    »Komm steig ein. Ich fahr Dich« bot sie an.

    »Danke. Aber es liegt nicht auf Deinem Weg.«

    »Das macht nichts« sagte sie. »Nun komm schon.«

    Nick kannte Sarah gut genug, um zu wissen, daß diese Geste nicht reiner Menschenfreundlichkeit entsprang. Irgendetwas wollte sie offenbar noch von ihm. Er sah jedoch keinen Grund, ihr die Sache unnötig leicht zu machen und beugte sich zu ihr herunter. »Du hast Dich jetzt schon länger als fünf Minuten mit mir in der Öffentlichkeit sehen lassen. Denkst Du nicht, wir haben das kritische Level bereits überschritten?«

    »Jetzt halt die Klappe und steig endlich ein.«

    Er tat es schon aus Neugier. Sie fuhr jedoch nicht sofort los, sondern wartete, bis Arif und Yunuz, die ihren Wagen neidvoll beäugten, sich weit genug entfernt hatten. Dann griff sie ins Handschuhfach, holte das darin deponierte Höschen hervor und streifte es sich unter Nicks amüsierten Blicken umständlich über.

    »Glotz nicht so blöd. Ich kann schließlich nicht den ganzen Tag so rumlaufen. Nein, sag jetzt kein Wort« ermahnte sie ihn. »Also. Wo soll’s hingehen?«

    Nick dirigierte sie durch die Stadt bis an einen Seiteneingang des Uni-Campus. Sarah hielt am Straßenrand, Nick bedankte sich für den Lift und öffnete die Beifahrertür, um auszusteigen. Doch sie hielt ihn auf.

    »Ich habe heute Abend übrigens noch ein Date« sagte sie. »Du mußt also vorher noch bei mir vorbeikommen. So gegen fünf. Okay?«

    Das war es also. »Was? Das hättest Du mir schon früher sagen müssen. Das paßt mir heute gar nicht.«

    »Ach nun komm schon. Ich bitte Dich fast nie um etwas, da könntest Du ruhig mal eine Ausnahme machen. Es ist wichtig. Wirklich wichtig.«

    Das stimmte, dachte er. Sarah bat ihn fast eigentlich nie um etwas. Sie forderte und verlangte. Natürlich hätte er durchaus mal auf sein Samstagabendritual verzichten können, das er mit einem Bier und der Sportschau einzuläuten pflegte. Zumal sich danach in der Regel ohnehin nicht mehr sehr viel ereignete. Aber hier ging es ums Prinzip. »Sicher könnte ich das « sagte er. »Tu ich aber nicht.«

    Sarah war pikiert. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ebenso ungehalten wie frustriert schlug sie mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Also gut. Wie Du willst« zischte sie. »Dann verschiebe ich das Date eben. Aber eines sage ich Dir. Wenn die Sache daran scheitert, daß Du mir noch nicht einmal diesen kleinen Gefallen tun kannst, dann verzeih ich Dir das nie.«

    »Du tust was?« Diese Frau war eindeutig verrückt. Eigentlich hätte er sich über Sarah ärgern sollen, aber ihr Schmollmund brachte ihn einmal mehr zum Lachen. Jetzt nur nicht weich werden, dachte er.

    »Ja was bleibt mir denn auch anderes übrig?« erwiderte sie allen Ernstes. »Du weißt doch genau, daß ich niemals zu einem Date

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1