Schicksalsmomente: Entscheidende Augenblicke im Leben großer Persönlichkeiten
Von Stefan Fröhling und Andreas Reuß
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Schicksalsmomente - Stefan Fröhling
Stefan Fröhling/Andreas Reuß
Schicksalsmomente
Entscheidende
Augenblicke
im Leben
großer
Persönlichkeiten
Wichtiger Hinweis für Lehrerinnen und Lehrer
Wenn Sie den Inhalt dieses Buches gerne im Unterricht – oder anderen Lernsituationen – nutzen möchten, finden Sie unter folgendem Link hilfreiche Fragen und Anregungen zum kostenfreien Download: http://www.brendow-verlag.de/index.php/schicksalsmomente.html
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 9783865065919
© 2013 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfotos:
Hanns Dieter Hüsch: Paul Maaßen.
Alle weiteren Fotos von Wikipedia.
Hintergrundmotiv: fotolia
Satz: Brendow PrintMedien, Moers
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
www.brendow-verlag.de
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Einleitung
Von Paulus von Tarsus bis Steve Jobs
Er aß und kam wieder zu Kräften
Apostel Paulus (5/10–63/64)
Der ruhige und der unruhige Gott
Aurelius Augustinus (354–430)
„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen"
Martin Luther (1483–1546)
„Wir wollen uns einmal nie trennen"
Die Brüder Jacob (1785–1863) und Wilhelm (1786–1859) Grimm
„Alles still hier"
Theodor Fontane (1819–1898)
Poetische Naturbilder im politischen Widerstand
Sophie Scholl (1921–1943)
Nicht jeder wird vom Mönchsbrot satt
Henri Nouwen (1932–1996)
„Ich sing für die Verrückten"
Hanns Dieter Hüsch (1925–2005)
Bankrotterklärung für Managementkurse, Marktanalysen und Globalisierungstheorien
Steve Jobs (1955–2011)
Menschen ohne Inspiration?
Die Gesellschaft der Zeitgeschichte (1950–2010)
Literaturtipps
Fußnoten
Einleitung
Von Paulus aus Tarsus bis Steve Jobs
„Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!"
Diesen Ausruf formulierte Goethe als „Summation" ¹ , als zusammenfassenden Höhepunkt, am Ende seines 1779 entstandenen Gedichtes „Gesang der Geister über den Wassern" ² .
Sein Gedanke klingt reichlich melancholisch, fast verzweifelt. Dabei kann es Goethe seinerzeit gar nicht so schlecht gegangen sein: Er befand sich auf einer Reise durch die Schweiz und betrachtete im Lauterbrunnental, im Berner Oberland, einen Bach, der heute noch von einer hohen Felswand herabstürzt und sich nach einiger Zeit in der Luft zu einem feinen Dunst zerstäubt. Ein herrlicher Anblick.
Der Dichter nahm das Naturschauspiel erneut zum Anlass, um über das Schicksal des Menschen nachzudenken und sich mit den eigenen Schicksalsmomenten auseinanderzusetzen; denn im selben Jahr notierte er in seinem Tagebuch, dass er sich – obwohl erst dreißig Jahre alt – wie ein Schiffbrüchiger sehe: „Stiller Rückblick auf das Leben, auf die Verworrenheit, Betriebsamkeit, Wißbegierde der Jugend […] Wie ich alles Wissenschaftliche nur halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von demütiger Selbstgefälligkeit durch alles geht, was ich damals schrieb […] wie nun kein Weg zurückgelegt, sondern ich nur dastehe wie einer, der sich aus dem Wasser rettet." ³
Goethe erscheint hier nicht als einer, der schon frühzeitig versucht, auf einen Denkmalsockel zu steigen, um sich dann verherrlichen zu lassen, sondern vielmehr als Mensch, der sich gnadenlos mit sich selbst auseinandersetzt, und zwar vor dem Hintergrund höherer Instanzen: der „Geister", der Naturgesetze und der Wissenschaften. So empfing schon der junge Goethe Augenblicke der Inspiration, die zu Schicksalsmomenten wurden, die letztlich die ganze Welt verändern konnten.
„Ein Wetterleuchten, dann ein Blitz, der im jungen Goethe niedergeht, und die Gewichte der Welt haben sich vom Objektiven ins Subjektive verschoben: Von nun an wünscht man dem Helden um seinetwillen ein Durchkommen" ⁴ , schreibt Thomas Steinfeld über Goethes noch früheres Gedicht „Willkomm und Abschied" aus dem Jahre 1770.
Immer wieder geschah es, dass in Menschen ein solcher „Blitz niederging und ein persönlicher Schicksalsmoment sich ereignete, der in größerem oder kleinerem Maßstab, soweit man es bisher schon überblicken kann, die Welt veränderte. Manchmal, wie bei Luther, soll es ein ganz realer Blitz gewesen sein, bei anderen wurde es eher als inneres „Wetterleuchten
empfunden – fast immer in Einsamkeit und gegen die Tendenzen der großen „Welt".
Freilich muss man sich die „Geistesmenschen früherer Zeiten, noch bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, als „Ideenträger
vorstellen, wie sie sich in den Tragödien Friedrich Schillers oder auf Thomas Manns „Zauberberg" (Roman, 1924) versammelten, um ihre jeweiligen Ideologien, Religionen oder andere Denkrichtungen zu verkörpern. Dort waren die Personen, genauso wie die realen Menschen, noch einigermaßen in den Rahmen eines geschlossenen Weltbildes eingebunden. Dieses existiert heute wohl nicht mehr. Weltbilder, ob gemeinsam oder nicht, spielen kaum mehr eine Rolle. ⁵ Nach den „gescheiterten Utopien" ⁶ bzw. Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts sind große, übergreifende Denksysteme zumindest in der westlichen Welt in Misskredit geraten.
Die Schicksalsmomente großer Persönlichkeiten früherer Zeiten hatten eine transzendentale Dimension. Sie empfingen ihre Inspiration aus dem „Reich der Ideen", um es mit Platon ⁷ zu formulieren. Aus einzelnen Inspirationen wurden Schicksalsmomente insofern, als dass sich die Denker bzw. Künstler damit existenziell befassen; das heißt, sie waren auf der Suche danach, wie sie die gewonnene Idee mit ihrem Leben und ihren sonstigen geistigen Entwürfen vereinbaren könnten und schufen neue gedankliche Möglichkeiten. Dabei war das zwischenzeitliche Scheitern, so wie Goethe es bei sich sah, durchaus nicht ausgeschlossen. Aber sie wagten große neue Schritte, welche manchmal geeignet waren, die „Gewichte der Welt" zu verschieben.
Die Schicksalsmomente im Leben von Menschen aus jüngerer Zeitgeschichte resultierten ebenfalls aus einer Suche, doch sie blieb unerfüllt, wenn die Anbindung an eine Religion oder vertiefte Weltanschauung fehlte. Die Suche selbst wurde zur Lebensform. Die große Inspiration, empfangen aus der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt der Ideen, ist dann nicht mehr vorhanden oder basiert auf Hilfskonstruktionen; denn über „Visionen oder „Philosophie
wird durchaus viel gesprochen, mehr als jemals zuvor: Jede Firma entwickelt eine „Firmenphilosophie, jeder neue Chef präsentiert in seinem Betrieb oder in seiner Abteilung eine „Vision
, wobei man die eigentliche „Letztbegründung" ⁸ vermisst. Der Gesamtrahmen ist nicht mehr da, er wird hilfsweise durch begrenzte „Projekte" ersetzt.
Im geistigen Bereich sind die empirischen Naturwissenschaften, trotz aller Einschränkungen, zunehmend anerkannt und im Vordergrund. Sie haben sich aber, so gewinnt man den Eindruck, gerade durch die Entwicklung neuer Technologien, auf das Speichern von unzähligen Daten aus Erhebungen, Dokumentationen und Begutachtungen aller Art verlegt. Gliederungen und ethische Strukturen scheinen in der Sammelwut unterzugehen, eine unübersichtliche „Multi-Welt" ⁹ tut sich auf, die Sprache wird undeutlich, Interpretationen, inhaltliche Auseinandersetzungen, Inspirationen oder gar Schicksalsmomente scheinen kaum noch denkbar. Wie in einer – echten – Vision hat schon Goethe jenen Projekten ein paar Verse gewidmet:
Verlaßt mich hier, getreue Weggenossen!
Laßt mich allein am Fels, in Moor und Moos;
Nur immer zu! euch ist die Welt erschlossen,
Die Erde weit, der Himmel hehr und groß;
Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt,
Naturgeheimnis werde nachgestammelt. ¹⁰
Er aß und kam wieder zu Kräften
Apostel Paulus (5/10 – 63/64)
„Paulus scheint ein Mensch gewesen zu sein, der Schweres anzog. Sein Wesen war so, dass er die Widerstände und Widersprüche des Daseins zu voller Schärfe hervortrieb; sein ganzer Lebensweg zeigt es. Er war ein geplagter Mensch. Die letzten Kapitel des zweiten Korintherbriefs reden von unendlicher Mühsal." ¹¹
Mit diesen Worten hat der katholische Theologe Romano Guardini (1885 – 1968) den Apostel charakterisiert. In seinem 1. Brief an die Korinther beschreibt Paulus – dem Gefängnisaufenthalte, die Gefährdung durch Räuber oder selbst Schiffbrüche nicht erspart geblieben sind (2 Kor 11,23 – 28) – seine Missionstätigkeit sogar noch drastischer, indem er glaubt, dass Gott die Apostel wie Todgeweihte auf den letzten Platz gestellt hat (1 Kor 4,9). „Bis zur Stunde hungern und dürsten wir, gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos. Wir plagen uns ab und arbeiten mit eigenen Händen; wir werden beschimpft und segnen; wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen bis heute" (1 Kor 4,11 – 13).
Obwohl der Apostel Paulus zu den am häufigsten genannten Personen des Neuen Testaments zählt, ist über sein Leben historisch gesichert nur wenig bekannt. Am aussagekräftigsten sind seine an junge christliche Gemeinden gerichteten autobiographischen Briefe, sieben an der Zahl, in denen er ganz individuell als Mensch in Erscheinung tritt. Diese besitzen als situations- sowie adressatenbezogene Schreiben einen persönlichen, einen theologischen oder einen offiziellen Tonfall. ¹² Sie gelten als die ältesten literarischen Zeugnisse des Neuen Testaments und wurden zwischen den Jahren 50/51 (1. Brief an die Thessalonicher) und den Jahren 55/56 christlicher Zeitrechnung (Brief an die Römer) verfasst. Somit liegen sie zeitlich vor der Entstehung des frühesten Evangeliums, nämlich des Markus-Evangeliums (vor 70 n. Chr.). Zu den authentischen, also den von Paulus geschriebenen oder diktierten Briefen (Protopaulinen), die in den Gemeinden vorgetragen und besprochen wurden, gehören außerdem die beiden Korintherbriefe sowie der Galaterbrief, der Philipperbrief und der Philemonbrief.
Die anderen unter seinem Namen weitergegebenen Briefe, die zwischen den Jahren 70 und 100 nach Christus entstanden sind, werden als Deutero- oder Tritopaulinen bezeichnet, weil sie von seinen Schülern resp. Nachfolgern oder von Gemeindeleitern stammen, die bereits über die Theologie des Apostels reflektieren und sich sein hohes Ansehen bei der Angabe des Absenders zunutze machen (Kolosserbrief, Epheserbrief, 2. Thessalonicherbrief, 1. und 2. Timotheusbrief, Titusbrief). Briefe wurden in damaliger Zeit meist einem Schreiber oder Sekretär diktiert und von diesem auf Wachstäfelchen notiert, um sie später auf Papier aus Papyrusblättern oder Pergament aus Tierhäuten zu übertragen. Anschließend wurden sie durch Boten zugestellt.
Die Apostelgeschichte
Eine zweite Quelle, die über die Missionstätigkeit des Apostels Paulus Auskunft gibt, ist die sogenannte „Apostelgeschichte im Neuen Testament. Für deren Entstehungszeit werden die Jahre vor oder um 90 nach Christus angesetzt. Als Verfasser der Apostelgeschichte gilt der Autor des Lukas-Evangeliums (vor oder um 80 n. Chr.). Ob dieser freilich den Namen Lukas getragen hat, lässt sich nicht nachweisen, da die namentliche Zuordnung der beiden Schriften erst ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus historisch fassbar wird. Sicher ist nur, dass „Lukas
ein gebildeter Heidenchrist war, der wie Paulus die griechische Sprache sehr gut beherrschte, also im hellenistisch geprägten Teil des römischen Imperiums gelebt hat. Das „lukanische" Doppelwerk könnte folglich sowohl in Griechenland als auch in Kleinasien (heute Türkei) oder in der Hauptstadt der römischen Provinz Syrien, Antiochia ¹³ , entstanden sein und somit in Gebieten, in denen der Apostel Paulus unterwegs gewesen war. Mit Palästina, wo Jesus gelebt hat und gestorben ist, war „Lukas" nicht vertraut.
Dass jener ein Paulus-Begleiter oder ein Arzt war, gehört eher in das Reich der Legende, obgleich sich unter den Mitarbeitern des Apostels wohl ein Lukas befunden hat. Als Mitarbeiter oder Begleiter sind etwa 50 Männer und Frauen aus den überlieferten Quellen namentlich bekannt. ¹⁴ Einem Begleiter freilich wären keine „so kompakten historischen Irrtümer über das Leben des Paulus unterlaufen, wie sie in der zweiten „lukanischen
Schrift zu entdecken sind. ¹⁵
Die Apostelgeschichte, die ebenfalls erst seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus diese Bezeichnung trägt, ist mehr ein theologisches denn ein geschichtliches Werk und richtet ihren Blick zunächst auf das Wirken des Apostels Simon Petrus in Jerusalem und Palästina. Laut dem Markus-Evangelium (3,16) hat Jesus seinem Jünger Simon den aus der aramäischen Sprache kommenden Beinamen „Kephas gegeben, der übersetzt „Edelstein
bedeutet und im Griechischen mit dem Wort „Petros („Fels
oder „Stein") wiedergegeben wird. Nach dem Tod Jesu um das Jahr 30 und seiner Auferstehung hat Petrus bald die Leitung der Jerusalemer Gemeinde übernommen, die er bis um das Jahr 43 innehatte, als er im Zuge einer Christenverfolgung zusammen mit dem Apostel Jakobus d. Ä. verhaftet wurde, aber aus dem Gefängnis und aus Jerusalem fliehen konnte. Jakobus d. Ä. wurde hingerichtet. Dessen Bruder, der