Charles de Foucauld: Der Zukunft auf der Spur
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Buchvorschau
Charles de Foucauld - Johann Hoffmann-Herreros
Johann Hoffmann-Herreros
Charles de Foucauld
topos taschenbücher, Band 1058
Eine Produktion des Matthias Grünewald Verlags
Johann Hoffmann-Herreros
Charles de Foucauld
Der Zukunft auf der Spur
topos taschenbücher
Verlagsgemeinschaft topos plus
Butzon & Bercker, Kevelaer
Don Bosco, München
Echter, Würzburg
Lahn-Verlag, Kevelaer
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Tyrolia, Innsbruck
Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement
www.topos-taschenbuecher.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8367-1058-9
Ebook (PDF): 978-3-8367-5054-7
ePub: 978-3-8367-6054-6
2016 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Neuausgabe
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim
Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern
Umschlagabbildung: © KNA
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Inhalt
Vorwort
Schwerer Anfang
Uniformierter Taugenichts
Der junge Forschungsreisende
Ein überraschendes Ereignis
Der Nazarener
Kein Echo
Spur der Zukunft
Wer war Charles de Foucauld? Versuch einer Lebenssumme
Die Geistliche Familie von Charles de Foucauld
Lebensdaten
Literaturhinweise
Vorwort
Diese kurze Lebensgeschichte kann und will nicht annähernd erschöpfend berichten und erklären, sondern Interesse wecken für einen Mann, der Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst ein lebenslustiger Offizier, dann Forschungsreisender war und schließlich, über Klöster in Frankreich und im Vorderen Orient, den Weg in die Einsamkeit der Sahara fand. Was auf den ersten Blick wie ein Rückzug in eine stille Einsiedelei aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein weiter Blick und Schritt in die Zukunft: Der Einsiedler von Tamanrasset verhilft Afrikanern zum Gewahrwerden ihrer afrikanischen Identität, er kritisiert die Kolonialpolitik Frankreichs und anderer europäischer Großmächte, er stellt dem Zug zum immer Größeren, Mächtigeren, Reicheren sein „Klein! Noch kleiner!" entgegen.
Noch in anderen Punkten ist Charles de Foucauld seiner Zeit voraus: Er erkennt die Bedeutung der Laien in der Kirche, schlägt Brücken zu anderen Religionen. Und er entwickelt eine neue Form des Apostolats ohne Bekehrungsdruck, sondern im Überzeugen durch stille Anwesenheit unter den Armen, Zukurzgekommenen – unauffällig wie Jesus von Nazaret. Die Geistliche Familie, die sich erst nach seinem Tod in mehreren Zweigen bildet, trägt seinen Geist auch in unsere Zeit: solidarisch mit den Ärmsten, mitten in der Welt, ohne von dieser Welt aufgesogen zu werden, denn die Mitglieder der Geistlichen Familie von Charles de Foucauld geben dem stillen Gebet und der Betrachtung großen Raum.
Jeder Mensch reagiert und agiert in einem bestimmten sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld. Er wird von ihm beeinflusst; umgekehrt kann er dieses Umfeld bis zu einem gewissen Grad mit beeinflussen. Wenn wir also einen Menschen auch nur annähernd zutreffend verstehen und darstellen wollen, müssen wir dieses Umfeld immer mit im Auge haben. Aus diesem Grund habe ich die eigentliche Lebensgeschichte Charles de Foucaulds durch Stichworte ergänzt, in denen notwendiges Hintergrundwissen vermittelt wird. Ich habe bewusst darauf verzichtet, dieses Hintergrundwissen aus den Äußerungen Charles de Foucaulds herauszufiltern, denn der einzelne Mensch entdeckt an dem, was ihn umgibt, aufgrund seiner ganz bestimmten Persönlichkeitsstruktur nur das, was er entdecken kann und will. So sind diese Stichworte quasi neutrale Hinweise auf wesentliche Kräfte und Tendenzen seiner Zeit. Wie Charles de Foucauld sie sah, soweit er sie überhaupt sah und soweit sie ihn überhaupt interessierten, kommt in seiner Lebensgeschichte zur Sprache.
Johann Hoffmann-Herreros
Schwerer Anfang
Stichwort: Schule
In seiner Erzählung Kind mit Locken berichtet der französische Schriftsteller François Mauriac über den Schulalltag französischer Internatsschüler im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts.
Der Schulhof ist von einer hohen Mauer umgeben. Eine magere Platane ist das einzige Stück Natur. Am Vorabend des Weihnachtsfestes müssen die siebenjährigen Jungen einen 15 Kilometer langen „Spaziergang durch Schlamm und Nebel machen. Unter ihnen ist ein Junge mit Locken. Die anderen nennen ihn deshalb verächtlich „das Mädchen
. Sie lachen darüber, dass er noch ans Christkind glaubt, und wollen ihn in einer Ecke des Schulhofs verprügeln. Ein Lehrer jagt die Meute auseinander. Der Junge mit den Locken bleibt in der folgenden Christnacht auf. Er will herausfinden, wer die Geschenke bringt: das Christkind, wie die Mutter behauptet, oder die Mutter selbst. Es ist natürlich die Mutter. Der Junge ist enttäuscht und verstört. Er will sich nicht mehr länger von der Mutter im Kinderland zurückhalten lassen. Die Locken werden abgeschnitten, er wird zynisch, kommt auf die schiefe Bahn und stirbt in Saigon.
Die gut gemeinten frommen Lügen der Mutter stoßen ihn ab. An wen soll er sich mit seinen Problemen wenden? Die Lehrer beschränken sich darauf, Ordnung zu halten und konzentriert zu unterrichten. Kein Eingehen auf die Jungen und ihren häuslichen Hintergrund. Keine Stellungnahme zu weltanschaulichen Fragen, keine Werturteile, keine geistigen Wegmarken und somit auch keine klärenden Gespräche oder Diskussionen mit den Jungen, die nach Orientierungspunkten suchen. So sind die Jugendlichen mit ihren Fragen und Schwierigkeiten weitgehend alleingelassen.
Warum sind die meisten Lehrer so kühl, neutral und unverbindlich? Sie sind besonders verunsichert durch die Veränderungen des geistigen und seelischen Klimas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Traditionelle religiöse Vorstellungen werden zunehmend vom Positivismus und vom Materialismus abgelöst.
Den Positivismus hat vor allem Auguste Comte (1798–1857) nachdrücklich vertreten. Nach ihm durchläuft die Menschheit in ihrer geistigen Entwicklung drei Stadien: das erste, theologische Stadium: Jenseitige, gleichsam persönliche Mächte und Kräfte bestimmen das Menschenleben; das zweite, metaphysische Stadium: Ursachen und Zwecke allen menschlichen Tuns und Denkens liegen jenseits der Erfahrungswelt. Inzwischen ist nach Comtes Auffassung die Menschheit in das dritte, das sogenannte positive Stadium eingetreten: Der Mensch muss sich darauf konzentrieren, das Gegebene, d. h. das mit den Sinnen Erfassbare, zu beobachten und zu erforschen, um es auf diese Weise zu beherrschen. Die wichtigste Wissenschaft ist jetzt die Soziologie, welche die Aufgabe hat, die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft herauszufinden. Im jetzigen positiven Stadium ist von Gott und Jenseits keine Rede mehr.
Etwa zur selben Zeit betonen Ludwig Feuerbach (1804–1872) und Karl Marx (1818–1883), der Begründer des historischen Materialismus, es gebe keinen jenseitigen Gott: Was der Mensch als Gott bezeichnet, ist nur eine Phantasiegestalt, in der er, in einer Art von Wunschdenken, all das zusammenfasst, was er für begehrenswert hält, was ihm aber auf dieser Erde vorenthalten wird.
Daraus zogen viele Zeitgenossen mindestens zwei Schlüsse: Wenn es keine vom Menschen unabhängige göttliche Instanz gibt, dann bestimmt der Mensch sich selber, und wenn es keine objektiven Wertmaßstäbe gibt, dann entscheidet jeweils der einzelne Mensch, was gut und böse, was richtig und was falsch ist. Nichts ist absolut und unbezweifelbar, sondern alles ist relativ. Es kommt auf den jeweiligen Standpunkt an.
Der zweite Schluss ist dieser: Wenn es keine jenseitigen Mächte und Ursachen gibt, dann gibt es auch kein jenseitiges Leben, und wenn es kein jenseitiges Leben gibt, dann muss der Mensch sich selbst so etwas wie den Himmel auf Erden schaffen.
Diese beiden Elemente, der Relativismus und der Materialismus, spiegeln sich auch in der Kunst der damaligen Zeit, vor allem im Impressionismus, wider. Für den impressionistischen Maler Claude Monet (1840–1926) gibt es beispielsweise nicht die Kathedrale von Rouen, sondern viele Kathedralen von Rouen, je nach dem Eindruck, den diese Kirche zu den verschiedenen Jahres- und Tageszeiten auf den Betrachter macht. So malt Monet eine ganze Reihe Ansichten der Vorderfront dieser Kathedrale, bei Nebel, bei Sonnenschein, bei Dunst, im Sommer und im Winter. Je nachdem, wie das Licht fällt oder wie hoch die Luftfeuchtigkeit ist, ob es gerade regnet oder schneit: Jedes Mal hat die Kathedrale ein anderes Gesicht. In gleicher Weise malt Monet eine Reihe, deren Objekt ein Heuhaufen ist. Wieder wird deutlich, dass es den Heuhaufen nicht gibt, sondern dass man jeweils einen anderen Eindruck von ihm hat. Der Eindruck, die Impression, tritt an die Stelle des absoluten Gegenstands. Das Bild, das ich von etwas habe, ist immer relativ.
Materialistisch ist die Malweise der Impressionisten insofern, als sie im Wesentlichen Oberflächenreize wiedergeben, beispielsweise einen Schatten, der ein Blau verdunkelt, oder Feuchtigkeit, die ein Grün eintrübt. Materialistisch eingestellt und „oberflächlich" sind in einem gewissen Sinn auch viele der dargestellten Personen. Sie scheinen dem Augenblick hingegeben, vor allem dem Augenblick des Genusses und der Entspannung. Sie tanzen, schaukeln, reiten, segeln, essen und trinken, so als hätten sie das Gefühl, sie müssten vom Leben so viel mitnehmen, wie man nur kann, weil es ihrer Meinung nach kein anderes Leben gibt als dieses. Nicht dass die Gesichter dieser Menschen flach oder leer wären oder auch gierig, aber in der Mehrzahl scheinen sie nicht über die Ränder der irdischen Existenz hinauszuschauen.
Es ist natürlich nicht so, dass sich damals jeder geistig Interessierte ganz bewusst mit diesen Gedanken und Bildvorstellungen auseinandergesetzt hätte. Aber der neue Geist lag gleichsam in der Luft, auch in den Schulen.
Charles de Foucauld wird am 15. September 1858 in Straßburg geboren. Der Vater ist Unterinspektor im Forstwesen, die Mutter Tochter eines pensionierten Obersten der Artillerie. Die Foucaulds haben sich im Lauf der Jahrhunderte einen Namen gemacht. Sie stifteten Klöster; einer von ihnen war auf einem Kreuzzug mit dabei und fiel im Kampf; ein anderes Familienmitglied war Vertrauter des Königs Heinrich IV. Ein Foucauld wird Erzbischof von Arles. Er stellt sich gegen die Revolution von 1789 und wird 1792 zusammen mit seinem Generalvikar und Vetter umgebracht. Im 19. Jahrhundert findet man die Foucaulds in Elsass-Lothringen. Sie widmen sich dem Gewässer- und Forstwesen. Die Foucaulds haben sich also stets, wie man zu sagen pflegt, um den Staat und die Erhaltung des Glaubens verdient gemacht.
Die Familie de Morlet, aus der Charles’ Mutter kommt, ist ebenfalls dem Staat eng verbunden, und zwar im militärischen Bereich. Ein Morlet bekommt auf Grund seiner Verdienste von Napoleon I. den erblichen Titel eines Chevalier.
Es ist klar, dass Charles de Foucauld von diesen Familientraditionen beeinflusst wird. Schon früh fallen Schatten auf die Kindertage von Charles und seiner Schwester Marie, die am 13. August 1861 geboren wird. Der Vater leidet an Tuberkulose und bittet um Entlassung aus dem Dienst. Zu der Zeit ist der Tuberkelbazillus noch nicht entdeckt, und es gibt so gut wie keine Hoffnung auf Heilung. Monsieur de Foucauld will vermeiden, dass seine schwangere Frau und seine Kinder sich anstecken, deshalb zieht er zu seiner Schwester Inès in die Rue d’Anjou in Paris. Inès geht es sehr gut. Sie ist mit dem reichen Tabakimporteur Moitessier verheiratet.
Foucaulds junge Frau wird mit dem Auszug ihres Mannes innerlich nicht fertig. Sie zieht mit ihren beiden Kindern nach Straßburg in das Haus ihres Vaters, der ein zweites Mal geheiratet hat. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich. Charles und Marie erleben, wie der Arzt immer häufiger ins Haus kommt, wie mit ihm in einer Zimmerecke leise gesprochen wird und wie er mit ernstem Gesicht das Haus verlässt. Sie spüren, wie die Krankenwachen am Bett ihrer Mutter immer länger werden. Am 13. März 1864 stirbt sie, erst 35 Jahre alt, nach einer Fehlgeburt. Ihre