Totgelacht: KrimiKillerKrimis
Von Manfred Koch
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Über dieses E-Book
Manfred Koch
Manfred Koch, Jahrgang 1955, lebt in dem Bergdorf Sent in Graubünden. Studium der Philosophie, Geschichte und Germanistik in Tübingen, wo er 1988 promovierte. 2007 wurde er an der Universität Gießen habilitiert. Er lehrt an der Universität Basel und schreibt regelmäßig für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung und verfasst Rundfunk-Essays. Von ihm sind u. a. erschienen: »Genies und ihre Geheimnisse. 100 biographische Rätsel«, Bd. 1 und 2 (mit Angelika Overath und Silvia Overath), und »Brot und Spiele. Über die Religion des Sports« (2009). Bei zu Klampen veröffentlichte er »Faulheit. Eine schwierige Disziplin« (2012).
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Buchvorschau
Totgelacht - Manfred Koch
MANFRED KOCH
Für die üblichen Verdächtigen,
von denen es natürlich wieder
keiner gewesen sein will.
Der Mensch lebt nicht vom Tod allein.
Erster Krimikillerkrimismus
Wer auf Köpfe zielt, trifft meistens ins Leere.
Zweiter Krimikillerkrimismus
Es gilt die Unsinnszumutung.
Dritter Krimikillerkrimismus
Ein delikater Fall
EIN KOCHKUNSTKULTKURZKRIMI
Sein bestes Rezept hat er mir natürlich nicht verraten, der Herr Viersternekoch. Da habe ich bei ihm sogar mit meinen raffiniertesten Verhörmethoden auf Granit gebissen. Keine Chance, der Mann hat geschwiegen wie der Küchenchef unserer Polizeikantine. Aus dem bekommst du auch kein Wort heraus, wenn du wissen willst, welche Zutaten er für seine Gulaschsuppe verwendet. Doch das ist eine andere Geschichte. Unser Kantinenessen hat zumindest noch niemanden umgebracht, obwohl man es durchaus als gefährliche Waffe bezeichnen könnte. Aber Attentate auf die Geschmacksnerven gelten ja leider nicht als strafbare Handlung.
Zugegeben, es war eigentlich nicht wichtig für die Ermittlungen. Jetzt schon gar nicht mehr. Der Fall war gelöst, das Geständnis unterschrieben und nun war der Staatsanwalt an der Reihe. Aber interessiert hätte es mich halt doch. Einfach so, ganz privat, sozusagen unter uns Feinschmeckern. Besser gesagt: unter uns Kochkünstlern.
Kochen ist nämlich meine ganz große Leidenschaft. Und Essen. Es gibt nichts Schöneres für mich. Ich habe das schon als Kind geliebt. War unwahrscheinlich begabt, habe sogar als Wunderkind gegolten. Zuerst allerdings nur beim Essen, das Kochen ist erst ein paar Jahre später dazugekommen.
Meine Eltern waren wahnsinnig stolz auf mich und mein Vater hat gesagt, es sei völlig klar, was ich einmal werden würde, wenn ich groß sei. Er hat gewusst, wovon er redet, denn seine Lieblingsbeschäftigung war das Lesen und seine Lieblingslektüre waren Krimis. Und deshalb war er davon überzeugt, dass für mich nur ein einziger Beruf infrage komme, nämlich der eines Kriminalkommissars in der Mordabteilung, weil nämlich so gut wie alle Kriminalkommissare oder Inspektoren oder Detektive in den Kriminalromanen, die er gelesen hat, leidenschaftlich gern kochen und essen, und zwar immer viele, viele Seiten lang, abgesehen von ein paar Ausnahmen, bedauernswerten Typen, die sich in Polizeikantinen oder an Bratwurstständen von ungesundem und ungenießbarem Fraß ernähren oder dem Suff verfallen sind, klassischer Musik, einer viel zu jungen Geliebten oder sonst einer wie auch immer gearteten Abartigkeit.
Nachdem mir mein Vater jahrelang zweimal täglich eingebläut hat, dass es nur drei Arten glückliche Menschen gibt, und das sind erstens Kriminalkommissare, die leidenschaftlich gern kochen und essen, zweitens die Schreiber und drittens die Leser von Kriminalromanen, in denen die Kriminalkommissare leidenschaftlich gern kochen und essen, und nachdem ich ihm unzählige Male hoch und heilig versprechen und auf sämtliche Kriminalromane und Kochbücher dieser Welt schwören musste, ein glücklicher Mensch zu werden, das Schreiben und das Lesen aber nicht unbedingt zu meinen Stärken zählen, ist mir gar nichts anderes übrig geblieben, als zur Polizei zu gehen und ein leidenschaftlich gern kochender und essender Kriminalkommissar zu werden.
Nun weiß ich zwar nicht, wie in den Kriminalromanen die Kriminalkommissare ihre Leidenschaft fürs Kochen und Essen damit vereinbaren können, dass sie es bei ihren Mordermittlungen meistens mit hässlich zugerichteten, oft grausam verstümmelten und alles andere als wohlriechenden Leichen zu tun haben, weil, wie gesagt, das Lesen nicht gerade zu meinen Stärken zählt, ich mich dabei aufs Notwendigste beschränke und mir in den Tausenden Krimis, die ich von meinem Vater geerbt habe, immer nur die Seiten heraussuche, auf denen es um besondere Rezepte, ausgefallene Zutaten und raffinierte Tricks bei der Zubereitung geht, aber bei mir funktioniert es jedenfalls problemlos, mir durch den Anblick von Mordopfern nicht die Freude am Kochen und Essen verderben zu lassen. Alles nur eine Frage der Vorstellungskraft, die ja auch sonst zu den wichtigsten Fähigkeiten eines Mordermittlers gehört. Wenn ich einen blutverschmierten Toten sehe, denke ich normalerweise einfach an ein schönes rohes
T-Bone
-Steak, und schon habe ich kein Problem mehr, so etwas nennt man nämlich Professionalität.
Bitte, unser Gerichtsmediziner, ein hochsensibler Mensch, ausgesprochener Schöngeist und leidenschaftlicher Liebhaber der Kindertotenlieder von Gustav Mahler, ist ja durch seine Arbeit auch nicht zum Vegetarier geworden. Und was habe ich mir mit dem schon so alles an Mageninhalten angeschaut, Halbverdautes ebenso wie Unverdautes, und darüber gefachsimpelt, nein, vielmehr philosophiert, was einmal von einem und vor allem in einem übrig bleibt, und dass man im Leben immer darauf achten sollte, was man isst, weil man nie weiß, ob es nicht die letzte Mahlzeit ist, die man zu sich nimmt, und es doch jammerschade wäre, wenn man mit einem schlechten Geschmack im Mund das Zeitliche segnen müsste. Aber wenn wir in einer Leiche zum Beispiel die Überreste von einem schönen Chateaubriand finden, dann gratulieren wir dem Toten, weil er sein Leben offensichtlich bis zum Schluss genossen hat oder wenigstens bis kurz davor. Was nicht heißen soll, dass ich bei meinen Ermittlungen Arbeit und Leidenschaft vermische, aber es hilft. Meistens.
Nur manchmal gibt es derart grässliche Extremfälle, bei denen die Opfer so entsetzlich anzusehen sind, so abgrundtief abscheulich, unappetitlich, ja widerwärtig, dass ich ganz einfach an meine Grenzen stoße und mir bei ihrem Anblick nur mehr unser Kantinenessen einfällt. Das kommt aber eher selten vor, schon allein deshalb, weil Mordfälle bei uns überhaupt eine Seltenheit sind. Einer im Jahr, bestenfalls zwei, und alle immer ganz schnell aufgeklärt. Ich habe nämlich eine äußerst wirkungsvolle Methode, mit der ich jeden Verdächtigen in kürzester Zeit weichkoche. Beim Verhör lasse ich immer wieder durchblicken, dass sich ein rasches und umfassendes Geständnis durchaus positiv auswirken könne, und zwar nicht nur auf die Länge der Gefängnisstrafe, sondern auch auf die Haftbedingungen, speziell was das Essen betrifft. Und es ist für mich immer wieder ein Hochgenuss zu erleben, wie die Leute schon nach kürzester Zeit geradezu begierig darauf sind, alles, aber auch wirklich alles zuzugeben, wenn ich sie während der Untersuchungshaft täglich höchstpersönlich mit ausgesuchten Kostproben meiner Kochkunst versorge und dazu andeute, wenn sie sich jetzt kooperativ zeigten, könnten sie auch später im Gefängnis damit rechnen, regelmäßig reichhaltige kulinarische Fresspakete von mir zu bekommen.
Und ich halte mein Wort, darauf können sich die Mörder und Totschläger verlassen, die ich hinter Gitter bringe. Ist ja auch kein großer Aufwand für mich bei den paar Leuten. Und außerdem lässt mir unsere geringe Mordrate jede Menge Zeit, die ich irgendwie anders totschlagen müsste, wenn ich nicht meine Kochleidenschaft hätte. Aber auf die Art schlage ich sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe, denn bis jetzt war noch kein einziger Verbrecher hartgesotten genug, dass er meinen Kochkünsten hätte widerstehen können. Im Gegenteil, durch Mundpropaganda bin ich über die Grenzen unseres Landes hinaus in der Killerszene ziemlich bekannt geworden und deshalb gibt es bereits Mörder, die von weit her extra zu uns reisen und hier ihren Mord begehen, nur um dann in den Genuss zu kommen, von mir gefasst und meiner delikaten Spezialbehandlung unterzogen zu werden.
Gut, möglicherweise sind darunter auch Unschuldige, die es vorziehen, für einen Mord ins Gefängnis zu gehen, den sie gar nicht begangen haben, als noch länger das essen zu müssen, was ihnen zu Hause vorgesetzt wird, aber für Betrug bin ich nicht zuständig. Außerdem fühle ich mich durchaus geehrt, wenn jemand lieber auf seine Freiheit verzichtet als auf die Köstlichkeiten aus meiner Küche. Nur den jungen Kollegen, der sich für ein paar Feinschmeckerjahre im Knast sofort begeistert dazu bereit erklärt hat, unseren Kantinenkoch eigenhändig zu erwürgen, habe ich Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig davon abhalten können, und zwar mit dem Argument, dass solch eine Tat eindeutig als ein Akt der Notwehr und Selbstverteidigung in akuter Gefahr für Leib und Leben einzustufen wäre und ihn dafür kein Gericht dieser Welt verurteilen würde. Und außerdem, habe ich hinzugefügt, sei es absolut falsch, den Mann zu erwürgen, denn wer auch nur über die geringste Spur von Gerechtigkeitssinn verfüge, für den käme nichts anderes infrage, als diese zweibeinige Küchenschabe zu zwingen, auf einen Sitz alle ihre in Altöl frittierten Fischstäbchen mit Fertigmayonnaise in sich hineinzustopfen, was schlussendlich bei diesem Lakaien gesättigter Fettsäuren und künstlicher Geschmacksverstärker ganz automatisch binnen kürzester Zeit dazu führen würde, auf die einzige ihm angemessene Art zu verenden.
Aber als Belohnung für seinen guten Willen habe ich den jungen Kollegen dann am Abend zu mir zum Essen eingeladen und für uns einen japanischen Kugelfisch an provenzalischem Wurzelgemüse, Ingwer-Schalotten-Creme und mit einem Hauch von Muskat und Pfeffer veredelten, gedünsteten Apfelspalten zubereitet, eine meiner meisterhaftesten Kreationen, der ich den, zugegebenermaßen etwas ironischen, nicht völlig korrekten und mangels entsprechender Wirkung unzutreffenden Namen Schneewittchens Leidenschaft gegeben habe, inspiriert von einer von mir überführten fünfundachtzigjährigen Giftmörderin, die ihre sieben Ehemänner ins Jenseits gekocht hat, aber das mit einer derart bewundernswerten Fantasie und kompromisslosen Leidenschaft, dass es jedem Spitzenkoch zur Ehre gereicht hätte. Ich schätze mich noch heute glücklich, diese Dame kennengelernt zu haben.
Und für einen ebenso großen Glücksfall habe ich jetzt die Begegnung mit dem Viersternekoch gehalten. Da sitzt dir nun endlich im Verhörraum einer gegenüber, der Sachen gekocht hat, die dir noch nicht einmal im Traum in den Sinn gekommen sind, habe ich gedacht. Einer, der Dinge weiß, die in keinem Kochbuch stehen und auch nicht in Vaters Kriminalromanen, einer der berühmtesten Köche überhaupt, ein Jahrhundertkoch, von Gourmetkritikern bewundert und mit Preisen überhäuft, nahezu omnipräsent auf allen Fernsehkanälen, ein Hohepriester der lukullischen Religion, ein Halbgott, was sage ich, ein Gott am von Sternen übersäten Himmel der Kochgiganten, ja, genau so einer sitzt dir gegenüber, dir, dem kleinen Kriminalkommissar mit der großen Leidenschaft fürs Kochen und Essen, was für eine einmalige Chance für dich, dem Mann Löcher in den Bauch zu fragen und ihm sein intimstes, streng gehütetes Wissen zu entlocken, seine geheimsten Rezepte, von denen kein Mensch jemals etwas erfahren sollte. Doch welch ein Irrtum, was für eine Enttäuschung!
Um hier kein falsches Bild von dem Mann zu vermitteln: Er ist ein wirklich netter Mensch, sympathisch, höflich, mit einer leisen, angenehmen Stimme und einem Lächeln, das einen sofort für sich einnimmt, keine Spur von Arroganz oder Prominentengehabe, ganz im Gegenteil, man könnte fast sagen, die Bescheidenheit in Person, ein Mann, der nicht sich selbst wichtig nimmt, sondern ausschließlich die Leidenschaft, die ihn beseelt. Wir haben uns von Anfang an ausgezeichnet verstanden, ganz spontan, so, wie es wohl nur bei zwei Menschen passiert, die von derselben Sache begeistert sind. Beim ersten Verhör, sozusagen zum Aufwärmen und um eine angenehme Atmosphäre herzustellen, habe ich ihn gleich einmal gefragt, was er davon halte, dass ich geröstete Nieren mit Frühlingskresse, Koriander und – was den Geschmack meiner Ansicht nach besonders veredelt, aber doch äußerst ungewöhnlich ist – einer Messerspitze Kakao zubereite, und es war gewiss nicht nur Höflichkeit von ihm, als er sich das gut eine Minute lang mit geschlossenen Augen in Gedanken auf der Zunge zergehen lassen und dann gemeint hat, er fände es absolut genial und müsse offen und ehrlich gestehen, dass es ihm nur leidtue, dieses Rezept nun wohl in nächster Zeit nicht selber ausprobieren zu können.
Dieses Geständnis aus dem Mund einer alles überragenden Kapazität der Kochkunst hat mich schon sehr, sehr glücklich und stolz gemacht, denn es ist ihm sicher nicht leichtgefallen. Ich muss zugeben, es hat mir mehr bedeutet als das Geständnis seiner Taten. Darüber bin ich natürlich auch froh gewesen, zwar nicht so wie er, der danach derart befreit geseufzt und entspannt gelächelt hat, als hätte er soeben einem viel zu fetten, schweren Essen einen doppelten Magenbitter hinterhergeschickt und dann ausgiebig und herzhaft gerülpst, nein, nicht so froh und beinahe selig, sondern nur ganz einfach froh.
Es war nämlich der sauberste Tatort, der mir jemals untergekommen ist, die Kollegen von der Spurensicherung waren regelrecht verzweifelt. Nichts als Nirosta und Keramik, alles blitzblank gescheuert und poliert, hygienisch sauber, steril wie ein Operationssaal. Aber eigentlich war das ja zu erwarten gewesen, alles andere hätte mich erstaunt. Der Mann ist ein Vollprofi, für den ist eine bis in den verstecktesten Winkel und die feinste Ritze hundertprozentig gereinigte Küche eine Selbstverständlichkeit, ist ja schließlich nicht unsere versiffte Kantinenküche, in der es nur deshalb keine Mäuse und Ratten gibt, weil die sich ununterbrochen vor Ekel übergeben müssten. Nein, an diesem Tatort, diesem Vorbild an Küchenhygiene, wäre ich bei der Suche nach Indizien glatt verhungert, und da bin ich dann eben doch froh gewesen über das Geständnis, oder besser gesagt, zufrieden und beruhigt.
Und wie ich den Mann bewundert habe, bis zuletzt, bis zu dem Zeitpunkt, ab dem auf einmal nichts mehr aus ihm herauszuholen war, habe ich ihn bewundert, ja, beinahe verehrt. Vierzehn Morde, ohne auch nur die kleinste Spur zu hinterlassen, also ich finde, das ist schon einzigartig, das muss dem Mann erst einmal einer nachmachen! Vor einer derart unglaublichen Verbindung von Leidenschaft und Perfektion kannst du doch einfach nur niederknien, bitte schön! Vierzehn Mal schlachten, tranchieren, ausnehmen, und dann nicht das allerminimalste eingetrocknete Blutspritzerchen oder Hautfitzelchen, Fleischfaserchen, Knochensplitterchen, nein, nichts, absolut null, da gehört schon was dazu, das schafft nur einer, der zu Recht zu den Größten und