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Feen Buch 3: Tod
Feen Buch 3: Tod
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eBook573 Seiten7 Stunden

Feen Buch 3: Tod

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Über dieses E-Book

Der Plan, den ein Gott, ein Feen und ein Mensch geschmiedet haben, nimmt seinen Lauf.
Eine Flotte wird gebaut, Verbündete gesammelt, jedes Puzzelteil an seinen Platz gelegt.
Doch sind auch andere Mächte am Werk, Mächte, klein wie groß, die alle Hoffnung auf Freiheit vernichten können.
Denn jenen, die sich gegen die Königin der Drachen gestellt haben, bleibt kaum noch Zeit.
Denn der Tod wartet am Himmel, auf dem Wasser, in den Wäldern und in den Städten.

SpracheDeutsch
HerausgeberPeter Singewald
Erscheinungsdatum4. Juli 2016
ISBN9781311289148
Feen Buch 3: Tod
Autor

Peter Singewald

Aufgewachsen im Mittleren Westen der bundesdeutschen Republik, erkannte Freya Singewald schon früh, dass sie nicht ganz normal war. Vielleicht hätte ihr ein Hund geholfen, öfter vor die Tür zu kommen. Stattdessen halfen ihr Fantasy Rollenspiele und ein C64 dabei, eine normale Sozialisierung zu vermeiden und ihre Gedanken fest in dem zu verankern, was damals noch eine Subkultur war und heute fest in Fernsehen, Film und Literatur verankert ist: Science Fiction und Fantasy in all ihren Spielarten.Aus den Spielen entstanden Geschichten, aus den Geschichten wurden Manuskripte, aus den Manuskripten schließlich E-Books.Bei so einer kaputten Sozialisation ist es dann kaum noch von Bedeutung, dass ihr Selbstbild nicht mit dem Übereinstimmte, was auf der Geburtsurkunde stand.Heute lebt sie mit ihrer Frau und drei Kindern in einem kleinen Dorf zwischen Hannover und Hildesheim und verdient ihren Lebensunterhalt mit Programmieren, wenn sie nicht gerade Bücher liest oder schreibt.

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    Buchvorschau

    Feen Buch 3 - Peter Singewald

    Feen

    Band 3: Tod

    Von Peter Singewald

    Copyright 2016 Peter Singewald

    Copyright © 2016 Peter Singewald, Heisede

    singewald@gmail.com

    http://xpoch.de

    https://www.facebook.com/peter.singewald

    Coverbild Ralf Schlüter

    Ein weiteres Mal war Estron bei den Jaltus eingetroffen. Als er das letzte Mal zu ihnen zurückgekehrt war, hatte er sie erst nach drei Tagen gefunden. Aber wie hätte er auch erraten können, wo sich das Volk der Rattenfeen gerade aufhielt? Zu viele Unbekannte standen im Raum. Hatte sich das Volk, welches er jetzt schon seit bald zwei Monaten zurück in den Westen führte, mit den Feenlingen vereint, oder nicht? Wenn ja, führte es die Völkerwanderung an, oder bildete es die Nachhut. Gab es das Volk der Jaltus überhaupt noch? Er wusste, dass eine Schlacht geschlagen worden war, hatte aber keine Nachricht von ihrem Ausgang erhalten. Wenn die Feenlinge überrannt worden waren, wären die Priester auch auf die Jaltus vorgestoßen? Estron wusste inzwischen besser mit den Auswirkungen der Erinnerungsreise umzugehen, trotzdem war er immer noch benommen, sobald er einen Baum verließ und zurück in die sichtbare Welt trat. Wäre er unter Feinde geraten, er hätte vermutlich nicht mehr ausreichend Zeit gehabt, um ein weiteres Mal den Baum zu betreten und auf diese Weise zu fliehen. So gesehen war ein Auftauchen unter Feenlingen nur wenig besser als sein Erscheinen zwischen den Söldnern und Wächtern der Priester. Denn obwohl er auch die Feenlinge nach Westen führen wollte, betrachtete dieses Feenvolk immer noch alle Menschen als ihre Feinde und töteten jeden, der ihr Gebiet betrat, bevor sie noch einen weiteren Gedanken an die Konsequenzen verloren. Er musste davon ausgehen, dass sie auch für ihn keine Ausnahme machen würden, obwohl er ihnen bereits bekannt sein sollte.

    Nachdem er jedoch während seines letzten Besuchs mit Irish, der Anführerin der Jaltus, gesprochen hatte, konnte er sein Ziel nun etwas leichter finden. Es war noch immer nicht ungefährlich, denn die Strecke, die die Völker in seiner Abwesenheit zurücklegten, war schwer einzuschätzen, aber die Länge des Zugs ließ einen gewissen Spielraum für Fehler. Estron blieb trotzdem vorsichtig, denn seitdem die Feenlinge sich dem Zug angeschlossen hatten, stellten sie einen Teil der Kundschafter. Irish hatte darauf bestanden, dass diese Gruppen gemischt sein sollten. Sie hatte gehofft, dass das Vertrauen zwischen den beiden Völkern dadurch gestärkt werden würde, und lange darum gekämpft, bis der Rat der Feenlinge endlich nachgegeben hatte.

    Es hatte jedoch nicht lange gedauert, bis sich herausgestellt hatte, dass weder die Jäger der Feenlinge mit den Jaltus, noch die Kundschafter der Jaltus mit den Feenlingen zusammenarbeiten konnten. Bereits nach zwei Tagen war allen nur allzu bewusst geworden, dass die beständigen Spannungen die Zusammenarbeit unmöglich machten. Keiner wollte sich von dem anderen befehlen lassen oder seine Gewohnheiten an den anderen anpassen.

    Daher trafen die Anführer eine neue Vereinbarung, die vorsah, dass die Kundschafter abwechselnd von einem der beiden Völker gestellt wurden, was nicht Sinnvoll war, aber den Jaltus das Gefühl gab, nicht alleine die Last der Spitze tragen zu müssen. Für Irish bedeutete dies, dass sie jede zweite Nacht nur mit der Waffe in der Hand marschierte, weil sie den Nasen der Feenlinge nicht so weit traute, wie sie Farbe gegen einen Stein schleudern konnte.

    „Dieser Mensch versteht, dass es nicht möglich ist, aber es wäre besser, wenn die Völker nebeneinander wandern würden." Irish blickte nicht einmal zu Estron auf. Bereits als sie die ersten Töne aus seinem Mund hörte, wusste sie, dass er wieder über den Schaden jammern würde, den er dem Bode, den Bäumen und jedem einzelnen Strauch zufügte, wenn er seine Magie wirkte, um die Völker mit Nahrung zu versorgen.

    Sie verstand seine Sorge. Auf lange Sicht war es sicherlich schlecht, was er zu tun gezwungen war. Aber darauf konnte und wollte sie keine Rücksicht nehmen, zumal ihr Volk niemals wieder hierher zurückkehren würde. Deswegen empfand sie inzwischen diesen bestimmten Ton, den seine Stimme annahm, wenn er wieder zu klagen begann, nur noch als irritierend und ärgerlich.

    „Warum sagst du es immer wieder, wenn du doch verstehst, dass wir es nicht ändern können?"

    „Vielleicht hofft dieser Mensch immer noch, dass es eine andere Möglichkeit gibt." Er lächelte traurig und Irish verhärtete ihr Herz, um das Mitleid von sich fern zu halten, das der Ausdruck in seinen Augen in ihr entfachen wollte.

    Sie waren derzeit auf dem Weg zu den Nachzüglern ihres Volkes, um sich mit dem Rat der Feenlinge zu treffen. Sie kamen nur langsam voran, denn die Familien, denen sie begegneten, umringten immer wieder die Treiske Treiske und den Sre-is-käpsps, die große Führerin und den Essensbringer, und Irish war nicht sicher, wen sie dabei mehr verehrten. Immer wieder trafen sie auf Einzelne, die den Menschen noch nicht gesehen hatten, angesichts der Pflanzen, die um ihn herum wuchsen ihre Scheu jedoch überwanden und sich ihm mit zitterndem Schwanz näherten. Der Keinhäuser blieb immer freundlich, selbst wenn alle, die ihn inzwischen öfter gesehen hatten, erschreckten, wie sehr er immer wieder im Laufe der Tage, die er bei ihnen verbrachte, abmagerte und erschöpfte.

    Und wie sollte er auch nicht. Er wanderte mit ihnen. Während die meisten Jaltus jedoch einfach dem Zug folgten, wanderte er hin und her, um die Pflanzen wachsen zu lassen. Und wenn er sich für einen Moment hinsetzte und versuchte, in Matsch und Schnee ein wenig Kraft zu sammeln, umringte ihn das Volk, um ihm zu danken. Er schien sich darüber zu freuen, konnte jedoch niemals Ruhe finden.

    Mit den Feenlingen waren darüber hinaus auch noch die beständigen Beratungen hinzugekommen, bei denen Irish ihn dabei haben wollte, weil er einer der wenigen war, der beider Völker Sprachen verstand.

    Als der Keinhäuser zum ersten Mal zu einem dieser Treffen erschienen war, hatte er wiederholt zwischen ein paar Jaltuswächtern Schutz suchen müssen. Glücklicherweise hatten sich die Feenlinge abgewöhnt die Rattenfeen anzugreifen, so dass sie Estron ebenfalls in Ruhe ließen. Inzwischen konnte sich der Mensch wenigstens frei bewegen, wobei Irish ihn vorsichtshalber immer noch von ein paar Jägern begleiten ließ.

    Die Ratsmitglieder hatten sich nicht gerade dagegen gewehrt, Estron zu treffen. Sie waren ihm dankbar für die Nahrung, dafür, dass er sie angetrieben hatte, endlich aufzubrechen, dass er ihnen überhaupt die Möglichkeit gegeben hatte, vor den Priestern fliehen zu können. Trotzdem verhielten sie sich weiterhin misstrauisch. Sie waren gut darin, es zu verbergen, aber die Jaltus konnten es riechen und Irish zweifelte nicht daran, dass auch der Mensch es spürte.

    „Herr Estron. Ich denke, ich kann im Namen aller sprechen, wenn ich sage, dass es gut ist, sie wieder hier zu haben. Der Mensch betrachtete die schlanken Gestalten vor sich und versuchte sich an den Namen des Sprechers zu erinnern. Er ging jeden Namen nach und nach durch, bis er das Wort fand, welches zu dem Gesicht passte. „Ich danke ihnen, Ratsherr Jevin. Ich hoffe, ihr Volk leidet nicht zu sehr unter diesem Marsch?

    „Wir werden es durchstehen. Ich sage nichts neues, wenn ich betone, dass wir fast alle die Vertreibung gewohnt sind. Wir sind traurig, unsere Heimat verloren zu haben, aber wir werden bestehen. Wir haben die Schneefälle überstanden. Wir haben die Stürme überstanden. Wir marschieren seit mehr als einem Mond. Der Frühling kündigt sich an. Wer es bis hierher geschafft hat, wird den Marsch auch beenden." Der Feenling hielt sich stolz, beinahe hochnäsig, sein Unglück ließ sich jedoch nicht vollständig verbergen. In dem Monat, den sie hinter sich hatten, waren mehr Feenlinge gestorben als bei allen Kämpfen gegen das Heer der Priester zusammen. Das Volk, welches die Stadt verlassen hatte, war nicht so zahlreich, wie das der Jaltus und jeder Tote war ein Verlust, den die gesamte Gemeinschaft spürte. Auch waren die Feenlinge nicht so fruchtbar, wie die Rattenfeen, deren Zahl selbst auf der Wanderschaft gewachsen war. Unter den Feenlingen waren in der Zeit ihrer Heimlichkeit nur wenige Kinder geboren worden und jetzt, solange der Marsch fortdauerte, konnten sie kaum auf Nachwuchs hoffen.

    „Und wie kann ich ihnen helfen?" Estron blickte den Ratsherrn an, ging dabei aber geistesabwesend in die Hocke und berührte den Boden mit zwei Fingern. Alle Blicke folgten ihm. Jevin wollte zu einer Erwiderung ansetzen. Quarande, die sich etwas abseits gestellt hatte, kam ihm jedoch zuvor.

    „Einige unserer Jäger sind sich sicher, dass wir verfolgt werden. Es scheint keine große Gruppe zu sein, aber wir würden sie dennoch gerne aufspüren." Estron nickte und nahm sich die Zeit, das gesagte für Irish zu übersetzen. Die Schnurrhaare der Treiske zuckten verärgert, ein Teil ihrer Mimik, den die Feenlinge noch nicht zu deuten wussten.

    „Soll ich dir sagen, was ich denke, was das wird? Sie wollen ihre Kundschafter nicht mehr vor uns herschicken!" Estron blickte Irish in die Augen und versuchte gleichzeitig mit seiner Haltung Unterwürfigkeit zu zeigen. Er musste ihr widersprechen und dabei den Jaltus, die sie umringten, trotz allem signalisieren, dass er sie als Anführerin respektierte, ihre Autorität nicht in Frage stellte. Er hätte sich jedoch keine Mühe zu geben brauchen, da die meisten Augen auf den Strauch gerichtet waren, der unter seiner Hand wuchs. Er selbst bemerkte es kaum mehr, selbst als sein Arm von den Zweigen zur Seite geschoben wurde.

    „Treiske, die Menschen-die-nicht-trampeln machen sich Sorgen. Das Volk der Jaltus hat immer gewusst, dass auch aus dem Osten Gefahr droht. Die Priester könnten selbst Kundschafter entsandt haben. Die Menschen-die-nicht-trampeln müssen sie aufhalten und töten. Aber dieser Mensch will noch etwas versuchen." Er richtete sich wieder auf und wandte sich erneut den Ratsmitgliedern zu, während Irish die Ohren anlegte und weiterhin ihre Nase kräuselte.

    „Was schlagt ihr vor?" Quarande legte den Kopf zur Seite und hielt seinem Blick stand. Sie wusste, dass er ihr Anliegen bereits erraten hatte, sie aber zwingen wollte, es selbst auszusprechen.

    „Wir benötigen jede unserer Banden für die Rücksicherung." Estron nickte nur und quiekte Irish ein paar Töne zu, die daraufhin die Augen verdrehte.

    „Ich verstehe das sehr gut, aber ich möchte noch eine Frage stellen, bevor Treiske Irish eine Entscheidung fällt. Bei diesen Worten pflückte er eine der kleinen, braunen Beeren von dem jungen Strauch und steckte sie sich in den Mund. „Oh, entschuldigt. Er deutete auf den Strauch, „bedient euch." Doch niemand folgte seiner Aufforderung.

    „Wenn ich es recht verstanden habe, reisen zwei Magier mit dem Volk der Feenlinge. Ich bedaure sehr, dass ich noch nicht in der Lage war, sie zu treffen." Er ließ es so klingen, als hätte er keine Zeit für eine Zusammenkunft gehabt, wobei doch jeder wusste, dass die Feenlinge niemanden an ihre wertvollsten Krieger herankommen ließen. Estron hatte es mehrfach versucht.

    Schlimmer noch: die Jaltus hätten nicht einmal etwas von diesen Magiern gewusst, wenn nicht zufällig einer ihrer Jäger, der eine Zeit lang als Händler mit Menschen in Kontakt gestanden hatte und ihre Sprache verstand, einen Bericht von der Schlacht belauscht hätte. Über die Zufälligkeit mochte man sich streiten, jedoch nicht so sehr wie über die eigentliche Tatsache, die zu der bisher heftigsten Auseinandersetzung zwischen den Jaltus und den Feenlingen geführt hatte. Die Rattenfeen waren keine großen Freunde der Magie, aber Irish war es vor allem darum gegangen, dass ihre Verbündeten ihr nicht genug getraut hatten, um ihr von dieser mächtigen Waffe zu berichten.

    „Ich glaube, diese Magier kennengelernt zu haben. Wenn dem so ist, dann sollte der eine von ihnen in der Lage sein, jeden Verfolger aufspüren zu können."

    Die unausgesprochene Frage füllte die Lichtung wie eine kalte, feuchte Nebelschwade und Irish wurde Neugierig bei dem Geruch der Unsicherheit, der plötzlich von den Feenlingen ausging: „Warum machte er es dann nicht?"

    *

    Die Schlacht war geschlagen gewesen und sie hatten gewonnen, nicht zuletzt durch Hyleis und Pethens Magie, die der Rat anfänglich nicht einmal hatten einsetzen wollen. In den Augen des Rates war die Zahl der eigenen Verluste annehmbar gewesen, wie Quarande Hylei wenige Tage später versichert hatte. Um die genaue Zahl zu erfahren, hatte die Magierin zwei weitere Wochen benötigt, in denen sie jeden Überlebenden befragt hatte, dessen sie hatte habhaft werden können. 64 Bandenmitglieder waren gestorben, getötet von Bolzen und Axt, Schwert und Speer, aufgespießt, zerhackt und zu Tode geprügelt. Hylei wusste, dass sie Glück gehabt hatten. Es hätten so viele mehr getötet, ihr gesamtes Volk ausgerottet werden können. Trotzdem empfand sie die Anzahl der Toten nicht als „annehmbar".

    Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie noch auf die Stadt, ihre angebliche Heimat, geflucht, sie sogar vor Pethen schlecht gemacht. Inzwischen trauerte sie jedoch um jedes Leben, dass im Kampf gegen die Priester und auf der Flucht verloren worden war, selbst wenn sie es vor allen verbarg. Die meisten Feenlinge kannte sie nicht einmal, aber die Schlacht hatte ihr ihren eigenen Platz deutlich vor Augen geführt. Es gab einen Graben, der sich durch die Welt zog, auf deren einen Seite die Feenlinge standen, während auf der anderen Seite alle anderen Völker ihre Waffen wetzten, um sie zu jagen, zu foltern und auszulöschen. Ihr lag nichts an ihrem eigenen Leben, aber solange sie lebte, war sie ein Feenling und würde ihrem Volk beistehen. Soviel war sie Yari schuldig, deren totes Gesicht sie in all den Gesichtern der Leichen auf dem Schlachtfeld wiedererkannt hatte.

    Das waren alles hehre Gedanken, die sie derzeit jedoch beiseitegeschoben hatte. Sie verschwendete auch keine Überlegungen darauf, die Schüler auszubilden. Das war schon immer Pethens Aufgabe gewesen. Sie dachte nicht einmal an die Banden, die sie sichern sollten. Von denen wollte niemand mit einer selbstmörderischen Magierin zusammenlaufen. Selbst die Jaltus und ihren Magier ignorierte sie.

    Denn nach der Schlacht, nachdem sie Hylei in die Hände einiger Kundschafter übergeben hatten, waren Mera und Quarande auf das Schlachtfeld zurückgeschlichen und hatten Pethen gesucht. Sie hatten ihn dort gefunden, wo sie ihn zurückgelassen hatten, in eine tiefe Ohnmacht versunken, aus der sie ihn nicht hatten wecken können. Eigentlich waren sie nur zurückgekehrt, um seine Leiche zu bergen, denn sie wollten all jenen, die sie den Klauen ihres Gegners entreißen konnten, ein angemessenes Begräbnis geben. Und wenn diese Ehre verdient hatte, dann war es jener Mensch gewesen, der in beständiger Angst gelebt hatte, von seinen Gastgebern getötet zu werden, und ihnen trotzdem geholfen hatte. Er hatte diesen Erfolg erst möglich gemacht, indem er all ihre Bemühungen auf dem Schlachtfeld koordiniert hatte. Selbst Mera, die ihn sogar am Morgen jenes Tages noch am liebsten getötet hätte, konnte nicht umhin, ihn für seine Taten zu achten und zu respektieren.

    Aber der Pethen, mit dem Hylei gereist war, ging nun nicht mehr neben ihr. Die ersten Tage war er nicht einmal bei Bewusstsein gewesen. Seine Schüler hatten ihn auf einer Trage zwischen sich geführt, die zwei Bandenmitglieder, die bei der Schlacht mit dabei gewesen waren, angefertigt hatten. Anfänglich zum Missfallen vieler Feenlinge. Sobald sich jedoch herumgesprochen hatte, wie das Volk der Feenlinge die Schlacht hatte gewinnen können, von der niemand ausgegangen war, dass sie sie überleben würden, hatten immer mehr der Flüchtlinge sich darum bemüht, ihn tragen zu dürfen.

    Die ganze Zeit über hatte Hylei ihm Brei eingelöffelt, so gut es eben ging, indem sie ihm den Mund aufgedrückt hatte, um eilig einen Löffel hineinzustecken, bevor er sich wieder schloss. Fast alles war jedoch herausgeflossen und über Wangen und Kinn gelaufen. Schließlich hatte sie es aufgegeben und versucht, sich mit seinem Hungertot abzufinden.

    Nach vier Tagen waren jedoch plötzlich seine Lider aufgeflogen und er hatte den angebotenen Brei gegessen. Hylei hatte ihm den Löffel in den Mund gesteckt und Pethen hatte den grauen Schleim automatisch gekaut, im Mund herumbewegt und hinuntergeschluckt. Wenn man ihn vorsichtig nach oben zog, stand er auf, wenn man ihn an der Hand nahm und hinter sich herführte, ging er. Sprach man ihn jedoch an, reagierte er nicht. Nicht einmal seine Augen zeigten eine Regung.

    Hylei hatte auf ihrer langen Wanderschaft gelernt, dass dies nichts zu bedeuten hatte, wünschte sich aber trotzdem, dass er ihr irgendein Zeichen gab, dass er sie wahrnahm. Es lag ihr nicht, auf ihn einzureden. Sie überließ es seinen Schülern, die zwei Tage lang einen Strom von Wörtern über ihn ergossen, ohne dass er auch nur einmal auf sie reagiert hätte. Seine Augen blickten weiterhin in eine Ferne, die allen anderen verborgen blieb.

    Am dritten Tag, nach dem, was einige ein Erwachen nannten, konnte Hylei das ständige Gebrabbel um sich herum nicht mehr aushalten. Sie begann zu schreien. Keine Worte, sondern nur ein lauter, heller Ruf, der jeden Laut in ihrer Umgebung ersterben ließ. Ihr Schrei währte länger, als jeder Satz, den sie jemals an Pethen gerichtet hatte. Als sie endlich verstummte, schmerzte ihre Kehle und die Feenlinge in ihrer Umgebung sahen sie mit Entsetzen in ihren Augen an. Es dauerte einige Herzschläge, bis wieder Geräusche zu den Umstehenden gelangten. Der Marsch schien für einige Augenblicke aus dem Schritt geraten zu sein, und alle waren verunsichert. Nur Pethen blieb unberührt, seine Augen immer noch ins nichts gerichtet.

    Am Tag darauf verpasste sie ihm eine Ohrfeige, die seinen Kopf zur Seite schnellen ließ und ihn aus dem Gleichgewicht brachte, sodass sie ihn auffangen musste, damit er nicht stürzte.

    Die Schwellung in seinem Gesicht war nur langsam verheilt.

    *

    Mei-neke stand mit ihren Kindern am Hafen, den dicken, runden Bauch weit nach vorne gestreckt. An der linken hielt sie Shek, mit der rechten stützte sie sich im Rücken. Es war ein milder Tag, und trotz des kalten Winds lag das Versprechen des Frühlings in der Luft.

    Es war inzwischen unmöglich für sie, ihre Schwangerschaft zu verbergen. Die Hausdame, die sie immer aufmerksam beobachtet hatte, war selbstverständlich nicht überrascht gewesen. Einige der anderen Angestellten hatten jedoch hinter ihrem Rücken getuschelt. Mei-neke hatte keines der Wörter gehört, mit denen sie sich die Mäuler zerrissen hatten, konnte sie sich aber zur Genüge vorstellen: Schlampe, Hure, Nutte. Zuerst war es ihr nur vereinzelt aufgefallen, dann waren die Blicke, die man ihr bei jeder Gelegenheit zugeworfen hatte, fast unerträglich geworden, bis eines Tages Rimma auf Mei-neke zugekommen war, um sie zu umarmen und lange nicht mehr loszulassen. Sie hatte sie mit Tränen in den Augen um Verzeihung gebeten. Wie schrecklich es doch sein musste, den Mann zu verlieren. Und dann auch noch gerade Schwanger. Und ganz alleine. Und schon zwei Kleine.

    Auf diese Weise hatte Mei-neke erfahren, dass die Hausdame still und leise verbreitet hatte, dass das Kind von ihrem verstorbenen Mann stammen musste, es daher keine Schande sein konnte und sie, Mei-neke, keine Hure war. Die Schwangere hätte gelacht, wenn da nicht diese unehrliche Bezeichnung gewesen wäre. Sie arbeitete seit Monaten mit ihnen zusammen, hatte Rimma sogar das Leben gerettet, und doch hatten sie von ihr gedacht, dass sie ihren Körper verkaufen würde. Wäre sie der Hausdame nicht so dankbar gewesen, sie wäre vor jeden einzelnen ihrer Kollegen getreten und hätte vor ihr ausgespuckt.

    Die Hausdame hatte ihr jedoch noch einen viel größeren Dienst erwiesen, indem sie sie beständig von den Herrschaften und Gästen ferngehalten hatte. Schwangere bedeuteten weniger geleistete Arbeit für das gleiche Geld, Lärm und womöglich eine Tote im Haus, wenn sie die Geburt nicht überlebte. Es war daher nicht so unüblich, solch unliebsame Bedienstete hinauszuschmeißen.

    Mei-neke dankte es der strengen Frau mit Fleiß und Geschichten von ihrer Reise, die sie ihr bei den wenigen Gelegenheiten der Muße am Küchentisch erzählte.

    Aber heute wollte sie sich keine Sorgen machen, am besten nicht einmal an ihre Arbeitgeber und die dummen Mädchen denken. Sie war mit den Kindern schon früh aus dem Haus geschlichen, um ihre lange Tour zu beginnen. Die Kinder hatten sich seit ihrem ersten Besuch im Hafen gewünscht, die Sägemühlen zu besichtigen, die nördlich der Stadt errichtet worden waren. Dort wurde das langsam fließende Wasser des Imas in Seitenkanäle geleitet, wo es an Geschwindigkeit zunahm und die Wasserräder antrieb, die ihrerseits große Sägen in Bewegung versetzten.

    Sie hatten einen guten Teil des Morgens damit verbracht, den Rädern zuzusehen, bis sie sich mit ein paar Arbeitern in eine der Mühlen geschmuggelt hatten. Die Kinder hatten die großen Sägeblätter bestaunt und sich dabei die Ohren zugehalten, bis einer der Vorarbeiter sie entdeckt und mit sehr unfreundlichen Worten des Gebäudes verwiesen hatte.

    Anschließend hatten sie einigen Männern beim Beladen eines der flachen Transportkähne zugesehen, später den Schiffern beim Ablegen und sich schließlich von einem den Fluss mit hinunter nehmen lassen, nachdem er sich von Mei-nekes Strenge und herrschaftlicher Haltung hatte beeindrucken lassen. Sie wusste, dass er sich mehr erhofft hatte, konnte ihn aber leicht durch die Anwesenheit ihrer Kinder abweisen, ohne eindeutig werden zu müssen. Es zahlte sich nicht aus, jemanden, der einen freundlich behandelt hatte, vor den Kopf zu stoßen, weswegen sie ihn am Ende mit Hoffnungen zurückließ, die sie weder geweckt hatte noch zu erfüllen gedachte.

    Und jetzt standen sie hier und blickten von einem Anleger aus aufs Wasser, während das Hämmern und Sägen von den Werften zu ihnen herüberklang. Oder vielmehr blickte sie aufs Wasser, während ihre Kinder zu den gewaltigen Rümpfen schauten.

    „Sieh nur, Mutter!" rief Shek plötzlich aus. Mei-neke folgte dem ausgestreckten Finger ihres jüngeren und sah, wie einer der Rümpfe ins Wasser geschoben wurde. Die Masten waren bereits aufgerichtet, was der Schwangeren seltsam erschien, wobei sie sich nicht sicher war, wann sie denn hätten aufgerichtet werden sollen.

    Einige Ruderboote erwarteten das unfertige Schiff, nahmen es an die Leine und zogen es in ein Dock, wo es von weiteren Arbeitern erwartet wurde. Die ganze Zeit über konnte man die Befehle der Schiffführer hören, die die Ruderer antrieben. Sie schienen in Eile zu sein, wirkten fahrig, als wenn sie erschöpft wären. Mei-neke wusste, dass den gesamten Winter über Schiffe gebaut worden waren. Um Arbeiten unter so ungünstigen Bedingungen erforderlich zu machen, musste der Druck sehr hoch sein. Sie war zwar nur die Prinzessin eines barbarischen Klans im hohen Norden gewesen, aber auch sie wusste, dass manchmal ein Handwerker mit Arbeit überschwemmt wurde, weil aus einem unerfindlichen Grund viele Kunden gleichzeitig etwas erledigt haben wollten. Aber alle Werften hatten während der kalten Jahreszeit ein Schiff nach dem anderen Gebaut. Dass mehrere Kunden zu so einer ungünstigen Zeit Schiffe in Auftrag gaben, erschien ihr unwahrscheinlich, zumal sie von verschiedenen Leuten gehört hatte, dass keines der Schiffe auf See einen Sturm überstehen würde, obwohl sie auch nicht für Flüsse geeignet waren. Wo sollten sie also fahren?

    Es sprach alles dafür, dass ein einziger Auftraggeber all diese Schiffe bestellt hatte und das war doch etwas, was einer einfachen Frau Stoff zum Nachdenken geben konnte. Was sie dabei überraschte, war nur, dass die Flotte, die hier entstand, nicht für mehr Gerüchte und Getratsche sorgte. Weder auf dem Markt noch in ihrem Haus hatte sie viel darüber gehört. Und das, was sie erfahren hatte, war nur auf ihre Fragen hin aus den Mündern ihrer Gesprächspartner geflossen.

    Auch hätte sie brennend interessiert, was die Priester dazu zu sagen hatten. Nicht die Priester Trae-Ganes, die über alle großen Wasser herrschte und der die Schiffe geweiht wurden, sobald sie das Wasser berührten. Sondern diejenigen, vor denen sich jeder in dieser Stadt in Acht nahm. Seitdem die Reste des Heeres zurückgekehrt waren, gingen ihnen die Bürger noch mehr aus dem Weg, so als wäre die Priesterschaft ein verwundetes Tier, welches schon immer gefährlich gewesen war, nun aber in Angst nach allem schnappen könnte, dass ihm zu nahe kam.

    Mei-neke ging davon aus, dass die wenigsten ihre Furcht derart rationalisierten und schlicht ihrem Instinkt folgten. Eine Handlungsweise, die sie selbst in diesem Fall für vernünftig hielt. Sie konnte sich kaum vorstellen, was hinter den Mauern des großen Tempels vor sich ging, welche neuen Pläne dort geschmiedet wurden. Sie wusste auch nicht, wie Rachsüchtig oder Eitel die Priester Veshtajoshs waren. Wenn sie nur auf Rache sannen, dann würden sie all ihre Bemühungen darauf richten, den Feind, der sie besiegt hatte, erneut anzugreifen. Waren sie jedoch Eitel, dann war nicht abzusehen, zu was sie sich hinreißen ließen, um ihre ungebrochene Macht zu demonstrieren. Sie hatte genügend Krieger erlebt, die ihr angekratztes Ansehen aufpolieren wollten, indem sie die Schmach durch Härte überdeckten. Und nach dem, was sie bisher in dieser Stadt erlebt hatte, rechnete sie jederzeit mit neuen Häretikerverfolgungen, die unweigerlich in öffentlichen Hinrichtungen auf dem Markt enden würden. Und wenn sie die Menschen richtig las, war sie mit ihren Befürchtungen nicht allein.

    Das war auch der Grund, warum sie, wann immer es ihr möglich war, seit Wochen einen Bogen um den Tempel von Sonne und Schwert machte. Nur zweimal hatte sie den Platz vor dem Tempel in dieser Zeit überquert, weil sie es eilig hatte, und beide Male hatte sie den Eindruck gehabt, dass andere es ihr gleichtaten. Dort, wo früher Scharen von Bettlern und Bittstellern gestanden hatten, wagten sich jetzt nicht einmal mehr die verzweifelten Familienmitglieder der Gefangenen hin, die früher doch beständig als Bitsteller vor den Toren gefleht hatte.

    Es brodelte in Imanahm und Mei-neke wartete auf die ersten warmen Frühlingstage, damit sie die Stadt mit ihren Kindern verlassen konnte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte, aber ein Gefühl sagte ihr, dass bald etwas in dieser Stadt geschehen würde und es für sie besser sein würde, dann nicht mehr in ihren Mauern zu verweilen.

    *

    Hätte Enk gewusst, dass unter denjenigen, die er verfolgte, ein Magier war, der ihn auf hunderte von Schritten wahrnehmen konnte, er hätte mehr Abstand gehalten. Feenlinge und Jaltus waren leichtfüßig und gut darin, im Verborgenen zu reisen, dennoch hinterließen mehrere tausend Füße Spuren, denen er auch nach Tagen noch hätte folgen können. Er hoffte jedoch immer noch, einen Blick auf den Feen werfen zu können, denn inzwischen war er sich nicht mehr sicher, ob er die Richtige Entscheidung getroffen hatte.

    Wieder war er an einem Punkt angelangt, da ihm das ganze Unterfangen hoffnungslos erschien. Das einzige, was ihn noch vorantrieb, war, dass er seine Frau sicher in Imanahm wusste, so sicher eine schwangere Frau mit zwei Kindern an einem Ort sein konnte, der von den Priestern beherrscht wurde. An seine Kinder wollte er nicht einmal denken, denn er wusste nicht einmal, ob sie den weiten Weg in die Stadt überlebt hatten.

    Wenn er nur ein wenig näher an die Feenlinge herankommen könnte! Aber diese Halbmenschen waren vorsichtig, wie er es nicht anders erwartet hatte. Selbst, als sie sich noch unentdeckt in ihrer Siedlung gewähnt hatten, waren sie paranoid und rücksichtslos gewesen. Jetzt aber hatten sie ihre Anstrengungen verdoppelt, vermutlich in der Annahme, dass die Priester sie verfolgten. Womit sie recht gehabt hätten, wenn Enk nicht selbst dafür gesorgt hätte, dass dem nicht mehr so war.

    Er war auf den kleinen Trupp Söldner gestoßen, als er sich auf seiner Suche nach etwas Essbaren hatte zurückfallen lassen. Es war eine spärliche Ausbeute gewesen, die letzten Reste von dem, was die Feenlinge übrig gelassen hatten. Selbst wenn kein Volk auf seinem Weg geflohen wäre, dass der Boden bis in die Tiefe von mindestens einer Elle hartgefroren war, hätte ihm die meisten Nahrungsmittel verwehrt. Nun aber gab es nicht einmal mehr Rinde an den Bäumen oder Tiere, die er hätte jagen können. Nur die Reste von Pflanzen die vor ihrer Zeit erblüht waren und, wie es schien, sogar Frucht getragen hatten - im Winter.

    Andere hätte eine solche Entdeckung vielleicht in Erstaunen versetzt, Enk hatte es jedoch einfach als Zeichen dafür gesehen, dass Shaljel Githon tatsächlich die Feenlinge begleitete und sie mit Hilfe irgendeines Zaubers versorgte. Bei Feen war nichts unmöglich.

    Unterdessen war er dem Hungertot näher gekommen, als ihm hatte recht sein können, bis er das Flüstern gehört hatte. Zwei Männer waren es gewesen, die sich leise unterhielten, angetan mit ledernen Wämsen, bewaffnet mit Armbrüsten und kurzen Äxten. Und Taschen, aus denen der eine gerade einen Streifen Trockenfleisch hervorgezogen hatte.

    So hungrig Enk zu diesem Zeitpunkt bereits gewesen war, er hatte sie doch erst einmal beobachtet, sie belauscht und sogar ein Stück weit verfolgt, bis er sicher gewesen war, dass sich nicht noch mehr Priesterlakaien in der Nähe herumgetrieben hatten. Aus ihren Worten hatte er geschlossen, dass sie nicht alleine gewesen waren, sie aber als Fährtensucher der größeren Verfolgergruppe gedient hatten.

    Danach war alles sehr schnell gegangen. Er hatte sie überholt, ihnen aufgelauert und beide innerhalb dreier Herzschläge getötet, den einen mit einem Dolch in die Kehle, den zweiten mit einem Schuss aus der Armbrust seines ersten Opfers, die er noch beim Zustoßen aus dessen Hand gerissen hatte.

    Schon während er die Toten so gut es ging versteckt hatte, hatte er auf einem der trockenen Fleischstücke gekaut. Dann hatte er sich die eine Armbrust übergeschnallt und die andere in Anschlag genommen, während er die Spur seiner Opfer zurückverfolgt hatte.

    In dieser Nacht hatte er zehn weitere Männer getötet, einen nach dem anderen. Zuerst hatte er sie noch in dem Glauben belassen, dass sie von den Feenlingen angegriffen wurden, indem er einige Streuner mit dem Dolch getötet hatte. Sobald sie jedoch begriffen hatten, dass sie zusammenbleiben mussten, war er dazu übergegangen, sie mit den Armbrüsten zu beschießen, immer des Risikos eingedenk, dass sie hinter den Angriffen jemand anderen als einen Feenling vermuten würden. Die Gruppe war auf sechs Krieger zusammengeschrumpft gewesen, als sie den Rückzug angetreten hatten, geschützt von Schilden und von einem Baum zum nächsten huschend.

    Enk hätte sie ziehen lassen können. Es wäre sehr unwahrscheinlich gewesen, dass dieser Trupp die Verfolgung noch einmal aufgenommen hätte. Doch sie hätten Bericht erstattet und über kurz oder lang wäre ein neuer Trupp aufgebrochen. Vermutlich früher als ihm lieb sein konnte. Er hätte die Spur der Feenlinge wieder aufgenommen. Und möglicherweise hätten sie von einem neuen Feind berichten, der sie angegriffen hatte oder jemand anderes hätte diese Schlüsse gezogen, denn die Feenlinge ließen bei ihren Angriffen niemanden am Leben.

    Da er sie jedoch getötet hatte, hatte er vielleicht einige Tage herausgeschlagen, bis sich erneut Söldner auf den Weg gemacht hatten, Tage in denen er sich um einen Gegner weniger Sorgen zu machen brauchte. Und dann waren da natürlich ihre Rationen, die ihn eine ganze Weile versorgten. Diese Gründe waren für ihn gut genug gewesen, um ihnen zu folgen. Einem Verwundeten in ihrem Lager hatte er im Vorübergehen den Gnadenstoß gegeben und die sechs getötet, noch bevor die Sonne aufgegangen war.

    Seitdem lebte er von diesen mageren Rationen, schwerer bepackt, als er es sich gewünscht hätte, aber wenigstens nicht mehr hungrig.

    *

    Letztendlich hatte sich Pivegal doch als unruhiger Ort erwiesen. Was jedoch von den Oberen des Tempels in Imanahm als Strafe gedacht gewesen war, war für Owithir immer noch eine Erholung, oder hätte es sein können, wenn nicht seine selbstgestellte Aufgabe so viel Kraft gekostet hätte. Natürlich kümmerte er sich weiter um die Gläubigen, aber so sehr er auch um ihr Seelenheil bemüht war, so sehr bedrängten sie ihn mit ihrem aufrührerischen Gedankengut. Zum Beispiel gab es einen Bauern, der begonnen hatte, die Brache zu beackern, obwohl die Tempel Maigeithos dies strengstens verboten. Er verwendete andere Frucht für das dritte Feld, aber schon dieses Vergehen alleine hätte ein paar Priester Veshtajoshs hierher locken müssen. Dass sie nicht kamen, lag vermutlich daran, dass Owithirs Vorgänger sich, genau wie er selber, von der Freundlichkeit und Gemeinschaft dieser Menschen hatten einwickeln lassen.

    Aber wie konnte man sich auch der ständigen Einladungen, der spielenden Kinder und der überschwänglichen Freundlichkeit erwehren. Vielleicht, wenn sie nicht immer ungelegene Priester hierher versetzt hätten, sondern einen der vielen Männer, die sich einen Namen zu machen versuchten, dann hätten die Verantwortlichen einen ehrlichen Bericht erhalten. So schienen sie immer wieder zu hören, dass die Menschen hier schwierig seien, aber nicht, dass sie ausgemachte Häretiker waren.

    Heute hatte Owithir sich beim Müller eingefunden, der sich lange große Mühe gegeben hatte, ihn von der Mühle fernzuhalten. Aber nach allem, was der Dorfpriester inzwischen von seiner Gemeinde gesehen hatte, war er zu gespannt darauf gewesen, welche Häresie dieser angesehene Mann beging.

    Es stellte sich heraus, dass Owithir nichts Häretisches finden konnte, auch wenn er zugeben musste, nicht viel von Zahnrädern, Mühlsteinen und Schächten zu verstehen. Alles schien in Ordnung zu sein, nur dass die Mühle sehr leise lief und vieles anders aussah, als er erwartet hatte. Zum einen war da mehr Metall, als ein einfacher Müller in einem kleinen Dorf besitzen sollte. Zum anderen war da dieser Schuppen neben der Mühle, in den einer der Balken aus der Mühle führte, um dort irgendetwas anzutreiben. Owithir konnte jedoch kaum darum bitten, auch in diese Hütte blicken zu dürfen.

    Eines war jedoch gewiss: Der Müller hatte in den Wintermonaten mehr Zeit als gut für ihn war, Zeit, die er dazu nutzte, Owithir für sich einzunehmen. Und so verbrachte Owithir mehr Zeit in der Mühle, als er eigentlich vorgehabt hatte. Für den Priester war dies jedoch Zeit, die ihm für seine anderen Aktivitäten fehlte.

    Sobald er wieder in seine Hütte zurückgekehrt war, machte ihm Fere sein Mus zum Abendmahl während Reig ihm einige Neuigkeiten berichtete, die sie bei zwei Fahrenden aufgeschnappt hatte.

    „Sie waren ziemlich heruntergekommen. Sie haben dauernd über den Winter gejammert. Fere hat ihnen Mus gemacht. Ich hab ihnen noch ein paar getrocknete Früchte gegeben, wie Hochwürden gesagt hat." Owithir hatte ihr tatsächlich den Auftrag erteilt, Gäste besser zu behandeln, als sie erwarteten. Es bestand die Gefahr, dass diese Großzügigkeit zu einer Flut an Vagabunden in diesem Dorf führen würde. Aber sie führte auch dazu, dass mit ihnen Informanten und einige halbwegs zuverlässige Boten zur Verfügung standen und diejenigen, die regelmäßig für ihn unterwegs waren, kein Aufsehen erregten.

    „Sie waren sehr dankbar und haben alles Mögliche erzählt. Mit jedem Wort wurde Reigs Sprache hektischer. Offensichtlich konnte sie es nicht erwarten, ihm ihre Neuigkeit zu berichten: „Sie haben alle sehr gehungert. Und dann waren da die Priester. Und sie haben so viel Essen eingesammelt. Und überall wurden die Wachen abgezogen. Die Priester sind richtig feindlich. Weil sie zu wenig Wachen haben, haben die beiden gesagt. Und die Leute sind auch unfreundlich. Weil sie Angst haben, sagen sie. Und … Owithir lachte sein nachsichtiges, leises Lachen, dass man nur hörte, wenn man wusste, worauf man achten musste. „Langsam, Reig, langsam. Ich kann dich ja kaum noch verstehen."

    Reigerin sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an, nahm einen tiefen Atemzug und setzte ihren Bericht langsamer fort: „Entschuldigung, Hochwürden. Ich bin nur so aufgeregt. Die Beiden waren so ärgerlich über die Priester, sie stockte und errötete, während sie Owithir anblickte. „Natürlich nicht über euch. Sie waren sehr dankbar. Aber sie haben so viel darüber geredet, dass alle die Priester Veshtajoshs meiden, keiner mehr mit ihnen spricht und auch die Abgaben nicht mehr gezahlt werden. Dafür treiben sie sie mit Gewalt ein. Das ist was die beiden sagen. Und dass sie nichts an die anderen Tempel abgeben.

    Owithir zog seine linke Augenbraue hoch. Selbst wenn er alles geglaubt hätte, was Reigerin ihm berichtete – und er hatte lange genug in den Kellern des großen Tempels gearbeitet, um keinem Gerücht jemals ohne ein wenig Nachforschung zu trauen – dies hätte er niemals geglaubt. Er war nicht dabei gewesen, als das Heer ausgesandt worden war. Aber allen Berichten zu Folge, die Laftin von seinen Botengängen mit zurückgebracht hatte, musste es gewaltig gewesen sein. Selbst wenn die meisten von ihnen angeheuerte Schläger und andere illegale Waffenträger gewesen waren, wären die Priester von Sonne und Schwert niemals ohne einen Schlagkräftigen Kern ihrer eigenen Wachen ausgezogen. Er hatte lange genug in den Tempeln Veshtajoshs gelebt und gearbeitet, um ihre Paranoia zu kennen. Sie hätten viele Männer benötigt, aber sie hätten dennoch Angst davor gehabt, dass sich diese Briganten, Söldner und Halsabschneider gegen sie hätten wenden könnten. Deshalb ging Owithir davon aus, dass mindestens ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte der Krieger aus den Tempeln abgezogen worden wären. Er wusste nicht, wie viele Bewaffnete in den Diensten jener Priesterschaft standen, aber selbst im großen Tempel von Imanahm hielten sich nominell nur 105 bereit. Davon waren meist zwei Drittel mit einigen Priestern unterwegs, als Boten, Wächter und auf der Jagd. Für das Heer musste also jeder Tempel einen guten Teil seiner Wächter beigesteuert haben.

    Je nachdem, wie viele Männer tatsächlich gestorben waren, war davon auszugehen, dass die Tempel nach dem Debakel unterbesetzt waren, zumindest in den Augen der Dogmatiker. Neben den Kosten für den Feldzug bedeutete dies, dass sie vermutlich Geld benötigten, um neue Männer anzuwerben, zu trainieren und vor allem auszurüsten. Owithir wusste nicht, wie viele Reserven der Orden besaß, aber er galt gemeinhin als der reichste, nicht nur bei den Gläubigen, sondern auch unter den anderen Priesterschaften. Denn er erhielt nicht nur seinen üblichen Anteil aus dem zehnten, sondern verwaltete auch die Güter der Häretiker, die in seinen Gefängnissen saßen oder hingerichtet worden waren.

    Als er noch jener unsäglichen Arbeit in den Verliesen hatte nachgehen müssen, hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, aber er hatte in den letzten Monaten vieles neu überdacht.

    Gesetzt de Fall, dass die Priester Veshtajoshs tatsächlich ihre Vermögen aufgebraucht hätten, wäre es denkbar gewesen, dass sie das Risiko eingingen, sich die anderen Orden zum Feind zu machen? Und selbst, wenn nicht, würden derartige Gerüchte nicht für Unruhe in allen Tempeln sorgen?

    Es lohnte sich, diese Gerüchte im Auge zu behalten.

    „Das hast du sehr gut gemacht Reig. Ich bin stolz auf dich." Er lächelte sie an, auch wenn es ihn immer wieder schmerzte, dass sein Lob und sein Lächeln ihm Gefühle entgegenschlagen ließen, die zwischen ihm und ihr vollkommen unangemessen waren. Unwillkürlich sank sein Blick zum Schreiben vor ihm auf dem Tisch. Es enthielt wenig neues, bis auf den letzten Abschnitt, in dem ihm der Autor, ein junger, unzufriedener Subdiakon seines eigenen Ordens, mitteilte, dass er ihn unbedingt kennen lernen wollte, hätte er doch schon so viel von ihm gehört.

    „Selbst die Wächter sprechen von euch in den höchsten Tönen. Owithir las den Satz später noch einmal, sobald ihn Reig alleine gelassen hatte, und musste ein wenig lächeln. „Selbst die Wächter? Wer sonst sprach denn von ihm? Er hatte bestimmt nicht beabsichtigt, eine Gefolgschaft unter den Wächtern der Tempel aufzubauen. Nachdem jedoch die fünf Männer ihre Treue hinausgetragen hatten und so begierig waren, andere ebenfalls davon zu überzeugen, wäre er dumm gewesen, dies nicht auszunützen, zumindest, seitdem er seinen Entschluss gefasst hatte. Dennoch hatte er nicht damit rechnen können, dass diese Begeisterung so schnell auf andere Gruppen überspringen würde, vor allem nicht die Priesterschaft. Eher hätte er daran geglaubt, dass sich eine Legende in den Wirts- und Freudenhäusern bilden würde, da es dort war, wo die Wächter sich austauschten.

    Mit dem Boten, der am nächsten Tag zur Mittagszeit an seine Tür klopfte, hatte er jedoch noch viel weniger gerechnet.

    Er selbst konnte ihn nicht einmal empfangen, da er auch an diesem Tag unterwegs war, um einige seiner etwas aufmüpfigeren Gemeindemitglieder aufzusuchen, diesmal eine Gemeinschaft von Bauern, die sich zusammen um Felder und Vieh kümmerten, womit sie, wie es schien, großen Erfolg hatten. Fere hatte den Mann eingelassen und Owithir konnte es ihr nicht verübeln, denn er hatte ihr anscheinend bei ihren ersten Widerworten seinen Amtsstab ins Gesicht gehalten und war an ihr vorbeigestürmt. Seine beiden Wächter waren ihm gefolgt und hatten es sich bald darauf am Herd gemütlich gemacht.

    Sie hatte die Männer so gut es ging bewirtet, aber der Diakon, der sich erst viel später Owithir als Hochehrwürden Clav vorstellte, war die ganze Zeit über abweisend geblieben. Er hatte sich gerade Mal einen Becher mit Milch bringen lassen und alles andere abgelehnt, was ihm die Frau und das Mädchen angeboten hatten.

    „Hattet ihr eine gute Reise, Hochehrwürden", begrüßte Owithir seinen Gast, während er sich dem Mann gegenüber verbeugte. Dieser stand auf, um die Verbeugung zu erwidern.

    „Ich grüße euch, Hochwürden. Bitte verzeiht mir, dass ich so unangekündigt bei euch erschienen bin. Ich komme aus Imanahm und habe wichtige Botschaft aus dem Tempel Veshtajoshs für euch." Seine Worte erfüllten die Formen der Höflichkeit, sein Tonfall und seine Haltung jedoch ließen Owithir vermuten, dass der Mann zum Kreis um Hochwürden Beinam gehörte. Owithir hatte nicht erwartet, dass sich die Meinung über ihn bei den Mächtigen unter den Priestern von Sonne und Schwert wirklich bessern würde, war aber ein wenig enttäuscht, dass Clav seine Abneigung nicht geschickter verbarg. In diesem Augenblick war er sich nicht sicher, ob er seine Rolle als Gastgeber trotz des Mangels an Respekt oder gerade deswegen ein wenig übertrieb.

    „Ihr seid sicherlich hungrig. Und erschöpft müsst ihr auch sein. Eine so weite Reise im Winter ist doch sehr anstrengend." Er konnte Reigerins Erheiterung im Nebenraum spüren, aber auch die Ungeduld Clavs. Natürlich wusste der Diakon, dass Owithir in einem Schneesturm abgereist war, während er selbst hauptsächlich unter dem Matsch der ersten Frühlingstage zu leiden gehabt hatte.

    „Ich bin ein treuer Diener unseres Gottes und erfülle nur meine Pflicht. Dass Clav „unseres Gottes verwendete, entging Owithir nicht und ein kleiner Funke des Zorns wurde in ihm entfacht.

    „Aber auch die treuesten Diener Veshtajoshs müssen sich stärken und ruhen. Owithir deutete in Richtung der Wohnküche. „Und wie mir scheint, sind eure Männer einer Stärkung nicht abgeneigt. Als er diese Worte hörte, stutzte Clav. Er konnte nicht anders als um Owithirs Fähigkeiten zu wissen. Und selbst wenn er es nicht wusste, musste er doch zumindest die Gerüchte gehört haben. Daher war er sich in diesem Moment nicht sicher, ob sein Gastgeber durch die Wand sehen konnte oder einfach etwas auf dem Weg hinein wahrgenommen hatte.

    „Danke, Hochwürden, ich möchte nur die Botschaft überreichen. Anschließend werden wir uns in ein Gästehaus zurückziehen. Gleich Morgen werden wir uns wieder auf den Rückweg machen."

    „Es tut mir leid. Aber es gibt kein Gästehaus auf eine halbe Tagesreise."

    „Dann bitte ich euch, einen eurer Bauern anzuweisen, mir Unterkunft zu geben."

    „Auch dies wird nicht möglich sein. Meine Gemeinde ist klein und nicht besonders wohlhabend", was eine Lüge war, aber Owithir wusste, wie sich die Brüder gegenüber dem Volk benahmen, und er wollte nicht noch mehr Unruhe unter seinen widerspenstigen Gemeindemitgliedern sähen. Noch weniger wollte er allerdings, dass Clav irgendetwas von all den seltsamen Aktivitäten mitbekam, die nicht nur seine Gemeinde als Häretiker brandmarken konnte.

    „Ich will euch nicht sagen, wie ihr die Menschen hier führen sollt ..."

    „Aber wollt es dennoch tun. Owithir hob seine gesunde Hand. „Ich bestehe darauf, dass ihr in meinem Haus übernachtet. Dann können wir in aller Ruhe über euren Auftrag sprechen, während wir ein ausgiebiges Mal genießen. Er war immer noch nicht daran gewöhnt, andere zu manipulieren, es bereitete ihm jedoch Freude, wenn es ihm gelang, oder viel mehr, wenn er bemerkte, dass es ihm gelang.

    Wenig später tischten Fere und Reig den beiden Priestern eine Auswahl der Speisen auf, die sich aus den Resten des Winters zusammenstellen ließen. Die Frau und das Mädchen arbeiteten inzwischen gut zusammen, auch wenn sie sich kaum dabei anblickten. Reig schnitt Owithir noch sein Essen und folgte dann der Haushälterin aus dem

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