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Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten
Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten
Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten
eBook421 Seiten5 Stunden

Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten

Bewertung: 4 von 5 Sternen

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Über dieses E-Book

Die Fantasy-Reihe von Bruce Coville entführt Leserinnen ab 10 Jahren in eine märchenhafte Welt voller Magie und zauberhafter Fabelwesen.

Zehn ... elf ... Angestrengt zählt Cara die Schläge der Kirchturmglocke, während sie hastig die steilen Stufen des Turms hochstürmt. Noch eine Stufe, durch die Luke und endlich steht sie im Freien! Unter sich die Straßen der Stadt – und hinter sich die Schritte eines unheimlichen Verfolgers. Was will er von ihr und ihrer Großmutter? Warum verfolgt er sie? Und soll sie tatsächlich einfach vom Turm springen, wie ihre Großmutter es ihr eingeschärft hat? ZWÖLF! Cara hat keine Zeit mehr, weiter nachzudenken – sie stößt sich vom Boden ab und lässt sich fallen …

Sie findet sich zwischen wundersamen Wesen wieder: Das junge Einhorn Lightfoot, der riesenhafte, haarige Dumbeltum und der kleine Skijum begegnen ihr bald als Freunde. Doch schnell begreift Cara, dass diesem verzauberten Ort, dem Land der Einhörner, Gefahr droht – und dass nur sie die Macht hat, das Land vor Verderben und Zerstörung zu bewahren.

"Das Tor zwischen den Welten" ist der erste Band der Einhornchroniken.
SpracheDeutsch
HerausgeberLoewe Verlag
Erscheinungsdatum25. Juli 2016
ISBN9783732007691
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Rezensionen für Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten

Bewertung: 4.0588235183823524 von 5 Sternen
4/5

272 Bewertungen11 Rezensionen

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  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    In 5th grade, this series was my teacher's read-aloud and as far as I know, no one disliked it.
    I loved Cara and the story! There's nothing I would change and I hope to read this book again!
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    This suspensful fairytale tells of Cara's journey into the land of unicorns. Cara faces many challenges on her journey while trying to find the Queen so that she can return home to her grandmother. Cara encounters many magical creatures. Some become her friends and help her along the way. Others are trying to take the amulet that her grandmother gave her. This is the first book in the series.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    A nice story that draws you in at the very beginning and keeps you throughout the book.
  • Bewertung: 3 von 5 Sternen
    3/5
    Not my favorite Coville book, but a good solid story. My only complaint is that the other installments took too long to come out, making it hard to be excited about reading them!
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    I read this book for the first time when I was 9 or 10, and I loved it. I was a little concerned that it wouldn't hold up over the years, and while I probably wouldn't have liked had this been my first read, I could absolutely see what my 10-year-old self loved about it, and it was delightful to rediscover and remember it as I read.
  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    A pretty good book but kinda creepy. I really like it. :)
  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    This is the story of how Cara, a young girl still dealing with the loss of her parents many years before, gets transported to Luster, a planet inhabited by unicorns. While there, she must safely bring the amulet that brought her to Luster to the queen, accompanied by only a few companions (a unicorn, a man-bear, a squirrel monkey, and later a tinker). They move with speed and escape attack, but the greatest danger is the hunter who has followed them. This hunter, Cara has realized, is actually her father, and he tries to use her to get the amulet. Cara is too wily, however, she manages to keep the amulet from him, and get the dragon's heart from him. She commands the dragon to bring him to earth and receives the dragon's thanks when she returns the heart. The dragon gives her the gift of tongues, so she can understand all languages. She goes to the queen and gives her her grandmother's message, "The wanderer is weary." I enjoyed this book, and I will certainly be looking for the sequel.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    This book is great. The story hooks you in from the beginning and keep your focus all the way through.
  • Bewertung: 3 von 5 Sternen
    3/5
    This book is phenomenal for anyone under the age of thirteen, but it is also a good read for those older who'd like to be reminded of what it felt like to believe in the land of unicorns, fairies, and dragons. Bruce Coville I've met myself at a book signing (yes, I still have it) many years ago, and from what I can remember he was a very humble, very gentle man who got along quite easily with the children he was speaking with. All in all, it is a great tale of Cara's adventures, and I am proud to have met Mr. Coville.
  • Bewertung: 4 von 5 Sternen
    4/5
    When Cara and her grandmother are suddenly pursued by an unknown man, the grandmother gives a precious amulet to Cara and tells her to jump through a portal and into a new world, one filled with magical creatures and monsters, including dragons and unicorns. Cara sets off on a quest to take the amulet to the queen of the unicorns, and she and the friends she makes long the way must face dangers and wonders to get there.It reads like an early outline for a fantasy novel, but one that needs a lot of work. The story idea is good, but it's told in the barest of bones way, with very little in the way of details, and the characters are completely flat.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    This cover is etched onto my brain but I didn't recall any details from elementary school, which made for a fresh reread. Enchanting! Lucky to have the hook up on the rest of the series as I hear they are difficult to obtain.

Buchvorschau

Die Einhornchroniken 1 - Das Tor zwischen den Welten - Bruce Coville

Titelseite

Für Cara

Der Verfolger

Kann es vielleicht sein, dass uns dieser Mann verfolgt, Oma?«

Caras Großmutter blickte zurück zur Bibliothek. Als sie den Kopf wieder nach vorn drehte, machte sie ein Gesicht, wie Cara es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Die alte Frau verstärkte ihren Griff um die Hand des Mädchens und begann, schneller zu laufen.

Cara spürte plötzlich einen Stich im Magen. Eigentlich hatte sie erwartet, dass Großmama Morris irgendwas sagen würde wie »Sei nicht albern, Mädchen!« – so wie sie es sonst immer tat, wenn Cara sich grundlos vor etwas fürchtete. Sie hätte nie gedacht, dass ihre Großmutter so beunruhigt reagieren würde.

»Wohin gehen wir?«, fragte Cara und beeilte sich, mit ihrer Großmutter Schritt zu halten. Sie versuchte, nicht allzu nervös zu klingen.

»Ich weiß noch nicht genau …«, murmelte Oma Morris.

»Sind wir denn in Gefahr?«

»Ja.«

Caras Magen krampfte sich erneut zusammen. »Woher weißt du das?«

»Still jetzt, Kind! Ich habe nicht genug Puste, um neben dem Laufen zu reden.«

Cara hielt ihre neuen Bücher aus der Bibliothek fest unter dem Arm, um sie nicht im Gedränge der Last-Minute-Einkäufer zu verlieren, an denen sie vorbeihuschten. Schon vor einer Weile hatte es leicht zu schneien begonnen, sodass der Schnee inzwischen all die festlichen Dekorationen mit einer feinen weißen Schicht bedeckte. Überall glitzerte und funkelte es. Es war für Cara eigentlich nur schwer vorstellbar, dass ihnen in diesem so zauberhaften, stimmungsvollen Moment etwas Schlimmes zustoßen könnte. Aber die Angst, die sie im Gesicht ihrer Großmutter las, war unmissverständlich – unmissverständlich und überzeugend.

»Da rein!«, zischte Oma Morris plötzlich und zog Cara scharf nach rechts. Sie liefen eine kleine schmale Gasse entlang und betraten von dort aus die St.-Christoph-Kirche durch einen Seiteneingang.

Cara kannte die Kirche gut. Sie war schon oft zusammen mit Simon, dem langjährigen Freund ihrer Großmutter, hier gewesen.

Im Innern des Gebäudes war es dunkel und still. Großmutter Morris lief mit Cara zu einer Bank in der Nähe des Altars und ließ sich dort nieder. Sie atmete schwer.

»Ich glaube nicht, dass er gesehen hat, wie wir hier reingegangen sind«, meinte Cara, aber so richtig überzeugt davon war sie nicht. Tatsächlich hatte sie keine Ahnung, ob ihr Verfolger sie beobachtet hatte.

Einen Augenblick später nahm Caras Großmutter eine Kette von ihrem Hals. »Hier, nimm sie und hänge sie dir um!«, forderte sie Cara auf und reichte ihr die Kette.

»Dein Glücksamulett?«, fragte Cara mit großen Augen. Dies war beinahe beängstigender als der unheimliche Mann, der sie verfolgte. Großmutter Morris’ »Glücksamulett«, wie Cara die Kette mit dem Anhänger daran immer nannte, war bisher absolut tabu für sie gewesen. Obwohl sie das Amulett aus Gold und Kristall schon oft begehrt hatte, scheute sie sich nun, es von ihrer Großmutter entgegenzunehmen. Sie dachte, dann würde sie irgendwie auch akzeptieren, dass ihre Welt vollständig aus den Fugen geriet.

»Nimm es!«, drängte ihre Großmutter sie erneut. »Häng es dir um. Du wirst es brauchen können, bevor das hier zu Ende ist.«

»Bevor was zu Ende ist?«

»Keine Zeit für Erklärungen«, zischte ihre Großmutter ungeduldig. »Nimm es einfach!«

Vorsichtig, um ja keinen Laut zu machen, legte Cara ihre Bücher auf die Kirchenbank. Dann nahm sie widerwillig das glitzernde Amulett in ihre Hand. Ihre Finger fingen an zu kribbeln. Unter dem durchsichtigen kristallenen Deckel des Amuletts lag eine zarte weiße Haarsträhne.

»Die stammt aus der Mähne eines Einhorns«, erzählte ihr Großmutter Morris, als Cara noch klein war. Cara glaubte ihr damals. Bis sie in die zweite Klasse kam und erfuhr, dass es Einhörner nicht wirklich gab.

»Für was brauche ich es denn?«, fragte sie, als sie sich die Kette über den Kopf zog. Oma Morris lehnte sich nach vorn und strich sich mit den Fingern gedankenverloren über die Stirn.

»Glaubst du, ich bin verrückt?«, flüsterte sie.

Cara fühlte, wie eine neue Welle der Angst über sie hinwegschwappte. Was ist denn das für eine Frage?, dachte sie beunruhigt. Doch noch bevor sie eine passende Antwort gefunden hatte, hörte sie, wie sich Schritte näherten und ganz leise eine Tür aufging. Es war dieselbe Tür, durch die sie selbst die Kirche betreten hatten – da war sich Cara sicher. Stille.

Stand ihr Verfolger jetzt etwa dort und wartete auf sie?

Erstaunt bemerkte Cara, wie ihre Großmutter sich duckte und ihren Kopf einzog, sodass sie beinahe nicht mehr zu sehen war. Sie gab Cara lautlos ein Zeichen, es ebenso zu machen. Als Cara neben ihr in die Hocke ging, begann die alte Frau, sich langsam auf den Kirchenmittelgang zuzubewegen. Cara folgte ihr. Die Bänke standen zu eng beieinander, als dass sie sich auf Knien hätten kriechend fortbewegen können. Stattdessen trippelten sie geduckt weiter, bis sie das Ende der Bank erreichten. Erst dann ließ sich Caras Großmutter auf Hände und Knie nieder.

Bisher war an der Tür nichts zu hören gewesen, wo ihr Verfolger wahrscheinlich immer noch stand und wartete. Und Cara konnte ihre Großmutter jetzt kaum fragen, was hier eigentlich los war.

Als sie beide endlich das andere Ende der Kirche erreichten, kauerten sie sich hinter der letzten Bank aneinander. Wenige Fuß vor ihnen ragten zwei große hölzerne Türen auf, die sich unmöglich öffnen ließen, ohne die Aufmerksamkeit des Verfolgers zu erregen. Cara starrte auf die Holztüren – genauso wie ein Wüstenwanderer auf eine undurchdringbare Glaswand, hinter der es ein Becken mit klarem Wasser gab. Sie warteten.

Kein Laut war in der Kirche zu vernehmen. War der Mann immer noch da? Oder war er leise wieder hinausgegangen, um woanders nach ihnen zu suchen? Und wie lange würden sie hier noch herumsitzen müssen? Wer war dieser Mann überhaupt?

Cara zitterte und versuchte, nicht laut aufzuschluchzen, als Fragen und Angst in ihr hochkrochen. Verzweifelt griff sie nach der Kette um ihren Hals und berührte das Amulett. Durch die Berührung erinnerte sie sich plötzlich wieder an etwas aus ihrer Kindheit. Es waren nur einzelne Bruchstücke aus der Zeit, kurz bevor sie ihre Eltern verloren hatte. Sie war zwei oder drei Jahre alt und sehr krank gewesen. Ihre Großmutter saß stundenlang an ihrem Bett. Als sie dann dringend weggerufen wurde, gab sie dem inständigen Bitten von Cara nach und ließ ihr das Amulett da.

Es war das erste und einzige Mal, dass sie das Amulett für sich allein hatte. Sie hielt es sanft in der Hand, während sie immer wieder von Fieberträumen geschüttelt wurde. Doch dann, als es ihr immer schlechter ging, geschah etwas. Ein weißes Licht erschien, das sie einhüllte und vollkommen ruhig werden ließ. Und dann auf einmal spürte sie, wie sie von etwas sanft berührt wurde. Von etwas Glühendem, Festem – heiß und kalt gleichzeitig. Und mit dieser Berührung verschwand das Fieber von einem zum anderen Augenblick. Das war alles, an das sie sich danach noch erinnerte. Diese Erinnerung verblasste zwar mit den Jahren, verschwand aber niemals ganz. Als Cara älter wurde, tat sie das Ganze als Halluzination ab, hervorgerufen durch das Fieber von damals. Trotzdem, wann immer sie später an das Ereignis dachte, überkam sie das Gefühl, dass etwas Überirdisches ihr Leben gestreift hatte. Eine Zeit lang hatte sie sich sogar gewünscht, wieder krank zu werden, nur um diesen magischen Moment von jener Nacht noch einmal zu erleben. Ein wenig von dieser Magie würde ihr jetzt gerade ganz gelegen kommen …

Cara blinzelte. Wie lange saß sie schon so da, versunken in ihre Erinnerungen? Mit Unbehagen bemerkte sie, dass ihr Bein eingeschlafen war.

Großmutter Morris lehnte sich zu Cara hinüber und wisperte ihr etwas ins Ohr. Sie sprach so leise, dass Cara sie beinahe nicht verstand: »Wir müssen unbedingt hier raus. Wir kriechen so geräuschlos wie möglich zu diesen Türen da vorn. Ich werde versuchen, eine davon zu öffnen. Du gehst zuerst durch. Mach dich bereit loszulaufen, wenn ich es dir sage.«

Cara nickte. Sie hoffte, dass ihr eingeschlafenes Bein sie nicht im Stich ließ, und begann, auf allen vieren weiter nach vorn zu kriechen. Ihr Herz hämmerte so laut, dass sie Angst hatte, ihr Verfolger könnte es hören.

Sie spürte Oma Morris dicht hinter sich.

Und was war mit dem Mann, der sie verfolgte? War er noch da oder hatte er inzwischen aufgegeben? Liefen sie womöglich nur vor einem Schatten davon?

Der glatte Boden unter Caras Händen war kalt, die Tür jedoch überraschend warm. Mit ihren Fingern ertastete sie einige fremdartige Symbole.

»Mach dich bereit!«, raunte ihr Großmama Morris zu. Sie kniete neben Cara und stieß die Tür auf.

Cara zwängte sich so gut es ging durch den Türspalt und wagte dabei kaum zu atmen. Sie hatte es beinahe geschafft, als ihre Großmutter plötzlich rief: »Lauf, Cara, LAUF!«

Cara sprang auf die Füße und sprintete auf die nächsten beiden Doppeltüren zu, die hinaus ins Freie führten. Hastig drückte sie die Klinken nach unten – und schrie verzweifelt auf.

Die Türen waren verschlossen.

Sprung ins Ungewisse

Cara drehte sich panisch um.

»Hier entlang!«, rief Großmutter Morris und griff nach Caras Hand.

Sie huschten durch eine kleine Tür seitlich des Foyers. Dahinter befand sich eine schmale Treppe, die sich spiralförmig nach oben wand. Oma Morris drehte sich um und verschloss die Tür mit einem altertümlichen Riegel. Dann stiegen sie hastig die Treppe hinauf.

Sie hatten gerade die ersten zehn Stufen genommen, als Cara hörte, wie jemand gegen die Tür schlug. Der Verfolger! Er schlug noch einmal heftig von außen dagegen. Cara war sich sicher, dass der Mann nicht nur seine Wut daran ausließ, sondern auch versuchte, die Tür einzutreten.

Caras Herz raste wie wild und sie kletterte so schnell wie möglich im Dunkeln nach oben, ohne weiter auf das Kribbeln zu achten, das wie spitze Nadelstiche durch ihr eingeschlafenes Bein fuhr.

Sie erreichten einen kleinen Treppenabsatz. Cara hörte ein leises Summen, als eine Lampe über ihr anging. Ihre Großmutter lehnte an der Wand, eine Hand noch auf dem Lichtschalter. Mit der anderen Hand strich sie sich einige lose Strähnen ihres langen grauen Haares zurück.

Ein dickes Seil hing in der Mitte des Raumes. Das eine Ende lief durch eine Öffnung in der Decke, das andere Ende durch ein Loch im Boden.

Unten krachte es erneut. Dieses Mal hörten sie Holz splittern. Die Tür hielt zwar noch, aber ihnen beiden war klar, dass sie bald nicht mehr standhalten würde.

»Hast du das Amulett?«, fragte Caras Großmutter.

Cara nickte.

»Gut. Halt es fest und hör genau zu! Ich werde gleich die Kirchturmglocke läuten und damit Hilfe holen. Aber ich weiß nicht, ob rechtzeitig jemand hier sein wird, um das Amulett in Sicherheit zu bringen.«

Das Amulett?, dachte Cara. Und was ist mit uns?

»Hör gut zu, damit du weißt, was du tun musst«, fuhr ihre Großmutter fort. »Lauf die Treppe bis ganz nach oben zum Kirchturm. Das Dach ist flach und rundherum mit einer niedrigen Mauer versehen. Zähl mit, wenn die Glocke schlägt. Beim zwölften Schlag hältst du das Amulett ganz fest und flüsterst: ›Kirin, bring mich nach Hause‹. Dann …« Die alte Dame stockte und schloss die Augen. Ihr Gesicht spiegelte Furcht und Sehnsucht, Freude und Leid wider.

Cara zitterte erneut, aber nicht aus Angst vor dem Verfolger.

»Und dann …?«, drängte sie ihre Oma weiterzusprechen.

Ihre Großmutter zuckte zusammen, als von unten ein dumpfer Schlag zu hören war. Sie schaute Cara in die Augen: »Dann, Cara«, wisperte sie, »musst du springen.«

Cara starrte ihre Großmutter ungläubig an. Die Frage: »Glaubst du, ich bin verrückt?«, die die alte Frau vorhin gestellt hatte, bekam plötzlich eine ganz neue, erschreckende Bedeutung.

Doch noch bevor sie etwas erwidern konnte, war ein weiteres Krachen von unten zu hören.

»Die Tür wird nicht mehr lange halten«, flüsterte Großmutter Morris. »Er darf das Amulett auf keinen Fall in die Hände bekommen! Klettre so schnell du kannst hinauf, Cara! Dein Leben und noch viel mehr hängen davon ab. Ich war dort, mein Liebes, und es ist wunderschön. Hab keine Angst. Halte nur gut das Glücksamulett fest. Und zähl die Glockenschläge. Lass dich einfach fallen und ich verspreche dir, du wirst echte Einhörner sehen.«

»Aber …«

Ein Splittern war von unten zu hören.

»Klettre hinauf!«, drängte Caras Großmutter, hängte sich mit dem ganzen Gewicht ihres schlanken Körpers an das Seil und begann, es nach unten zu ziehen. »Beeil dich! Es darf nicht in seine Hände fallen!«

»Wer ist er?«, fragte Cara mit zitternder Stimme.

Caras Herz setzte einen Moment lang aus, als sie sah, wie Leid und Schmerz die Augen ihrer Großmutter verdunkelten. Die alte Dame schüttelte ein paarmal den Kopf, so als ob sie düstere Gedanken vertreiben wollte.

»Wir haben keine Zeit zu reden«, antwortete sie mit lauter Stimme, um den Glockengong zu übertönen. Da wurde das Seil auf einmal nach oben gezogen und nahm Oma Morris mit sich, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor. »Denk daran«, rief sie, »du musst genau beim zwölften Schlag nach unten springen! Zähl genau mit! Und jetzt geh! GEH!«

Cara drehte sich um und rannte los.

Die Glocke schlug noch einmal. Und dann hörte Cara, wie ihre Großmutter ihr noch eine weitere Anweisung hinterherrief: »Cara! Such nach der Ältesten! Sag ihr … sag ihr: ›Die Wanderin ist müde‹.«

Cara glaubte, ein kurzes Schluchzen zu hören, aber sie war sich nicht sicher, da der dritte Glockenschlag ertönte und jedes andere Geräusch darin unterging.

Schon dreimal hatte die Glocke geläutet. Cara fürchtete, nicht rechtzeitig beim zwölften Schlag oben auf dem Kirchturm zu sein, und rannte noch schneller. Dann, als ihr bewusst wurde, was sie gerade gedacht hatte, hielt sie kurz inne. Sie tat gerade so, als ob sie wirklich vorhatte zu springen.

Wollte sie das wirklich tun? Konnte sie das überhaupt tun?

Mit der Hand am Treppengeländer lief sie in der Dunkelheit die Stufen empor und zählte den vierten und fünften Glockenschlag laut mit.

Ob ihr Verfolger jetzt gerade auch die Treppen nach oben rannte? Auf Oma Morris zu? Was wäre, wenn er sie erreichte, noch bevor sie die Glocke zum zwölften Mal läuten konnte? Was wäre dann?

Cara war völlig außer Atem und ihre Waden brannten wie Feuer. Sie hörte den sechsten Gong – oder war es der siebte? Nein, es musste der sechste sein. Sie durfte sich jetzt nicht verzählen! Mit der freien Hand, mit der sie sich nicht auf das Geländer stützte, griff sie nach dem Amulett um ihren Hals. Es fühlte sich warm an. Sie öffnete ein wenig ihre Finger. Zu ihrem Erstaunen fing das Amulett sanft an zu leuchten.

Der siebte Glockenschlag. Der siebte? Es muss der siebte gewesen sein, nicht der achte, versuchte Cara sich zu überzeugen.

Das Amulett leuchtete noch heller. Sie lockerte ihren Griff und das Licht, das darunter hervorstrahlte, erhellte die ausgetretenen hölzernen Stiegen, die sie weiter bis zum Ende des Turms hinaufeilte.

Als die Glocke zum achten Mal schlug – sie war sich sicher, dass es das achte Mal war – erreichte Cara eine Leiter. Kaum stand sie auf der ersten Sprosse, hörte sie von unten laute Geräusche: eine tiefe dunkle Männerstimme und wütendes Schimpfen ihrer Großmutter. Sie wollte gerade umdrehen, um ihrer Großmutter zu Hilfe zu eilen. Da erinnerte sie sich, was diese ihr vorhin eingetrichtert hatte: Das Amulett durfte auf gar keinen Fall in die Hände des Mannes fallen! Also kletterte sie weiter die Leiter hinauf. Oben an der Decke befand sich eine Falltür, die sie versuchte aufzustoßen.

Nichts rührte sich.

Eine schreckliche Sekunde lang glaubte sie, in der Falle zu sitzen. Doch als sie ihre Großmutter schmerzerfüllt aufschreien hörte, drückte Cara noch einmal wütend gegen die Falltür. Und ohne zu wissen wie, war die Tür plötzlich offen.

Von unten näherten sich Schritte. Der Verfolger kam ihr nach! Was war mit Großmutter Morris? Hatte er ihr etwas angetan?

Die Glocke schlug erneut. Cara lächelte. Was immer auch geschehen war, ihre Großmutter hatte noch genug Kraft, die Glocke zu läuten. Cara durfte sie jetzt nicht enttäuschen.

Sie kletterte auf das flache Dach des Kirchturms, doch sie hielt inne, als sie hinter sich eine dunkle Stimme vernahm: »Halt, Cara Diana! Warte!«

Cara blieb stocksteif stehen. Sie hatte diese Stimme schon einmal irgendwo gehört. Aber wo? Kalter Wind umwehte sie. Die Schneeflocken hatten sich in eisige Spitzen verwandelt, die ihr in die Wangen stachen. Sie wankte zum Rand des Daches. Ihr wurde schwindelig, als sie hinunter auf die schneebedeckten Straßen sah.

Der zehnte Glockenschlag erklang. Die Worte ihrer Großmutter tönten durch ihren Kopf: »Glaubst du, ich bin verrückt?« Oma Morris musste verrückt sein, wenn sie von Cara verlangte, vom Turm zu springen. Doch das Amulett, das hell im Schneesturm leuchtete, sagte ihr etwas anderes. Sie fühlte, dass sie etwas Zauberhaftes erwarten würde.

Der nächste Glockenschlag – der elfte? – hallte in ihren Ohren, als sie auf die kleine Mauer stieg, die das Dach umrundete. Tief unter sich sah sie winzige schwarze Punkte, die im Sturm hin und her liefen. Eilten einige von ihnen ihr und Oma Morris vielleicht schon zu Hilfe?

Sie machte sich bereit – zumindest versuchte sie es – sich beim zwölften Glockenschlag in die Tiefe fallen zu lassen.

Stille. Kalte Angst kroch in ihr hoch. Hatte sie sich verzählt? Hatte sie den Moment verpasst? Wenn sie jetzt sprang, würde sie sich dann in den sicheren Tod stürzen? Völlig verwirrt stand Cara auf der Mauer und starrte hinab in die Tiefe.

Da hörte sie etwas hinter sich. Der Verfolger stand am oberen Ende der Leiter! Die Glocke schlug erneut, das zwölfte und letzte Mal, und eine strahlende Lichtkugel erschien vor ihr am Nachthimmel. Es hatte die gleiche sanftgrüne Farbe wie das Licht des Amuletts, das zwischen ihren Fingern hindurchschien. Cara schloss ihre Hand um das Amulett und flüsterte: »Kirin, bring mich nach Hause.«

»Warte!«, schrie der Mann.

Schnee umwirbelte sie. Der Wind fuhr durch ihre Haare. Cara lehnte sich nach vorn – und sprang.

Kirin

Das Gefühl zu fallen und dem Boden entgegenzustürzen war schrecklich. Aber noch bevor sich aus Caras zugeschnürter Kehle ein Schrei lösen konnte, war schon das grüne Licht da und hüllte sie ein.

Dann fiel sie auf einmal langsamer, wie in Zeitlupe. Sie fühlte sich wie in einem Traum. Cara konnte danach nicht mehr genau sagen, wie lange ihr Sturz wirklich gedauert hatte.

Die Landung kam plötzlich, war aber weich. Einen Augenblick lag Cara ruhig da, starrte in den strahlend blauen Himmel und wunderte sich, wo dieser auf einmal herkam. Dann schloss sie die Augen, um besser nachdenken zu können. Wo war ihre Großmutter? Wo der seltsame Verfolger, die Kirche, die schneebedeckte Stadt?

Wo war sie?

Sie atmete siebenmal ein und aus und versuchte, sich zu beruhigen. Da erinnerte sie sich, dass sie auf etwas Weichem gelandet war. Das musste Moos sein, so wie es sich zwischen ihren Fingern anfühlte. Moos?

Sie drehte ihren Kopf zur Seite. Tatsächlich lag sie auf einem dicken Moosteppich oder zumindest etwas sehr Ähnlichem. Ein wenig entfernt standen riesige, hell silber glänzende Bäume. So etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen! Sie gab bei dem Anblick einen erschrockenen Laut von sich. Obwohl sie bereits wusste, dass sie nicht mehr in ihrer Welt war, war sie geschockt, als sie den Beweis in Form dieser seltsamen Bäume vor sich sah. Allein, dass ihre Großmutter den Fall in eine andere Welt vorausgesagt hatte, half ihr in diesem Moment, ruhig zu bleiben. Wie würde sie nur wieder nach Hause kommen?

Der Gedanke überraschte sie. Denn bisher war ihr ihr »Zuhause« gar nicht so wichtig gewesen – außer Großmutter Morris natürlich. Seit ihre Eltern – Ian und Martha Hunter – sie verlassen hatten, lebte Cara mit ihrer Oma zusammen. Damals war sie drei Jahre alt gewesen und in den Jahren, die folgten, schleppte sie sich von einer Demütigung zur nächsten. In der Schule wurde sie wegen allem Möglichen gehänselt, so auch wegen ihrer roten Haare und der Tatsache, dass sie keine Eltern mehr hatte – dabei konnte sie doch gar nichts dafür! In vielen Nächten weinte sie sich in den Schlaf. Dann träumte sie, wie sie ihre Welt hinter sich ließ und in einer anderen lebte. Einer Welt, wie die in den Märchenbüchern, die sie aus Großmutters Bücherecke hervorzog – das blaue Märchenbuch, das rote Sagenbuch und noch viele andere mehr.

Cara schaute sich um. Was dies wohl für eine Welt war?

Sie fragte sich, ob sie hier im Wald auch einer alten Frau begegnen würde – so wie es in den Märchen immer geschah. Wenn ja, würde es dann eine böse Hexe oder eine gute Zauberin sein? Die Frage erinnerte sie an die letzte Anweisung, die ihr ihre Großmutter noch gegeben hatte: »Suche nach der Ältesten! Sag ihr: ›Die Wanderin ist müde‹.«

Nun gut, wenn es das war, was ihre Großmutter wollte, dann konnte diese Älteste nicht allzu böse sein – wer immer sie auch war. Aber wie sollte sie sie nur finden?

Plötzlich merkte sie, wie warm ihr war. Sie stand auf und zog ihren Wintermantel aus. Dann schälte sie sich auch noch aus dem blauen Pulli, den ihr Oma Morris zum letzten Weihnachtsfest gestrickt hatte.

»So ist es besser«, sagte sie laut, nur um ihre eigene Stimme zu hören. Cara fühlte sich tatsächlich wohler. Nicht allein, weil sie nur noch ihre Lieblingsjeans und ihr T-Shirt anhatte, sondern auch, weil die Luft hier besser war – viel reiner und klarer als die, die sie sonst so einatmete. Nach ein paar tiefen Atemzügen fühlte sie sich beinahe berauscht von der Süße, die darin lag.

»Hier bin ich!«, rief Cara übermütig.

Sofort bereute sie es. Sie hoffte zwar, dass ihre Großmutter hier Freunde hatte, die nach ihr suchen würden. Aber ihr kam auch der Gedanke, dass vielleicht noch jemand anders, der nicht so freundlich war, nach ihr suchen könnte. Ein Schaudern durchlief sie, als sie sich fragte, ob es ihrem Verfolger wohl auch möglich war, diese Welt zu betreten? Suchte er immer noch nach ihr? Sie biss sich auf die Lippe und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Aber außer einem sanften Windhauch, der durch die Blätter der Bäume fuhr, bewegte sich nichts. Cara hoffte, einen Pfad, ein Zeichen, irgendetwas zu entdecken, das ihr zeigen könnte, wohin sie gehen sollte. Nichts.

Ihre Angst begann sich wieder zu regen. Sie fürchtete sich jedoch nicht nur davor, sich zu verirren, sondern auch vor allem, was in dieser Nacht geschehen war. Oder war es an diesem Tag? Denn als sie vom Kirchturm sprang, war es dunkel gewesen, jetzt war es taghell. Ein Teil von Cara wollte glauben, dass alles nur ein Traum war. Dass sie gleich aufwachen würde, eingekuschelt in ihrem Bett, in ihrer vertrauten, wenn auch unliebsamen Welt. Doch ein anderer Teil von ihr bebte vor Freude, weil sie tief in ihrem Herzen wusste, dass sie nicht träumte.

Voller Staunen betrachtete sie diese neue Welt, in der sie gelandet war. Direkt vor ihren Füßen wuchs etwas, das wie eine Blume aussah. Als sie sich hinunterbeugte, um sie näher zu betrachten, bekam sie eine Gänsehaut. Denn die große violette Blüte war mit einem feinen silbernen Flaum bedeckt. So etwas hatte sie noch nie gesehen.

Sie griff sich Mantel und Pulli und erkundete die Lichtung. Sie lief von einem Ende zum anderen und suchte nach einem Weg. Die silbernen Stämme der Bäume um sie herum schimmerten bläulich und ließen sie wie die violette Blume erschaudern. Die dunkelgrünen Blätter an den Ästen der Bäume waren rund, makellos und etwa so groß wie ihre Hand – nicht allzu sonderbar, aber doch so verschieden von allem, was sie kannte, dass es ihr fremd vorkam. Cara strich vorsichtig über die weiche glatte Rinde eines Baumes. Überrascht stellte sie fest, dass die Luft plötzlich nach Zimt duftete.

Sie begann ein zweites Mal, die Lichtung zu umrunden. Langsam geriet sie in Panik. Wenn sie nicht bald einen Weg fand, dann würde sie quer durch den Wald gehen müssen, ohne die leiseste Ahnung, wohin.

»Oder sollte ich doch lieber hierbleiben«, fragte sie sich, »und abwarten, ob mich irgendjemand findet?« Sie schüttelte den Kopf. Cara wusste, wenn man verloren ging, sollte man normalerweise einfach da bleiben, wo man war. Aber das machte nur Sinn, wenn jemand nach einem suchte. Darauf konnte sie in ihrem Fall jedoch nicht zählen … Wahrscheinlicher war, dass niemand hier überhaupt von ihrer Anwesenheit wusste. Am gleichen Ort zu bleiben, um gefunden zu werden, hieße unter diesen Umständen, aufs Glück zu vertrauen. Und wenn sie eines von Oma Morris gelernt hatte, dann, dass man sein Glück selbst schmieden musste, wenn man überleben wollte.

Plötzlich hörte Cara in der Ferne ein leises Rauschen. Sie blieb stehen und hielt den Atem an, um besser lauschen zu können. Ja, es bestand kein Zweifel: fließendes Wasser.

Sie lächelte. Das war auf jeden Fall etwas, woran sie sich orientieren konnte. Wenn sie einen Weg durch den Wald finden wollte, dann am ehesten entlang eines Baches. Denn wo Wasser war, gab es sicher auch Menschen.

Mit diesem Gedanken lief sie los.

Der weiche Waldboden roch nach welkem Laub. Ein riesiger Baum reihte sich an den nächsten. Außerhalb der Lichtung gab es viele unterschiedlich aussehende Bäume, manche, mit knorrigen Stämmen, beinahe so breit wie Caras Bett zu Hause. Glücklicherweise war der Waldboden nicht sehr stark mit Pflanzen bewachsen, sodass sie gut vorankam. Auf den meisten Baumstämmen wuchs eine moosartige, meist grüne Flechte mit braunen, orangefarbenen und roten Tupfern darauf. Andere moosige Dinge hingen in langen Fäden von den untersten Ästen der Bäume. Weiter oben wuchsen Zweige und Blätter so dicht, dass nur wenig Licht von oben durchkam. Irgendetwas mit leuchtenden Flügeln flog über Cara hinweg.

Cara war schon oft mit ihrer Großmutter im Wald spazieren gewesen. Aber keiner war je wie dieser hier gewesen. An keinem Ort, den Cara kannte, waren die Bäume so uralt und so – würdevoll.

Kurze Zeit später erreichte sie einen fröhlich vor sich hin plätschernden Bach. Augenblicklich fühlte sie sich besser. Caras Großmutter hatte ihr immer gesagt, wenn sie Sorgen hätte, solle sie sich einen Platz am Wasser suchen und sich eine Weile hinsetzen. Und einen perfekteren »Platz am Wasser« als diesen hatte sie noch nie gesehen. Der Bach, etwa vier Fuß breit, war so klar, dass Cara jedes Blatt und jeden Kiesel sehen konnte, der auf dem Grund lag. Gurgelnd und plätschernd floss der zwischen bemoosten Ufern eingebettete Bach dahin und suchte sich glucksend seinen Weg um die glatt polierten, braunen Steine, die aus dem Wasser ragten.

Cara setzte sich ans Ufer. Kurz darauf zog sie ihre Stiefel und Socken aus und ließ ihre Füße im angenehm kühlen Wasser baumeln.

Ich wünschte, Oma Morris wäre hier, dachte sie wehmütig.

Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die letzten aufwühlenden Momente in der St.-Christoph-Kirche. Was war passiert, nachdem sie gesprungen war? War ihrer Großmutter jemand zu Hilfe gekommen? Ging es ihr gut? Hatte sie der Verfolger vielleicht verletzt, oder sogar …

Cara wollte den Gedanken nicht zu Ende denken und verscheuchte ihn aus ihrem Kopf. Ihrer Großmutter musste es einfach gut gehen.

Sie nahm das Amulett, zog die Kette über ihren Kopf und betrachtete es eingehend. Stammte das weiße Haar, das darin verschlossen war, wirklich von einem Einhorn? Ihre Gedanken rasten und ihr wurde wieder bewusst, wie seltsam das alles war. Sie fühlte sich, als würde sie ziellos auf einem unbekannten See umhertreiben, ohne ein Ufer in Sicht.

Cara wischte sich die Träne weg, die ihre Wange hinunterlief, und blickte auf das Amulett.

»Was passiert hier?«, fragte sie, als könnte der Anhänger ihr antworten.

Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht merkte, wie sich aus dem Schatten der Bäume eine schmale Gestalt löste und auf sie zukam. Sie starrte weiterhin auf das Amulett – bis wie aus dem Nichts eine bleiche Hand über ihre Schulter hinweg danach griff. Cara fuhr herum – und schrie erschrocken auf.

Vor ihr stand ein menschenähnliches Wesen, kaum drei Fuß hoch, das versuchte, ihr das Amulett aus der Hand zu schlagen. Es hatte einen enorm großen Kopf und riesige Augen, die kaum ins Gesicht zu passen schienen. Ein paar Haarsträhnen hingen von dessen sonst kahlem Kopf, der die Farbe eines Champignons hatte. Die kleine Nase war so weit nach oben gebogen, dass Cara nicht viel mehr als zwei Nasenlöcher sah.

Das seltsame Wesen trug einen dunkelgrünen Umhang, der in Taillenhöhe von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Dazu trug es braune Stiefel, die beinahe bis zu den knubbeligen Knien reichten. Die nackten Arme waren muskelbepackt.

»Skraxis!«, zeterte das Männchen. Es schnappte erneut nach dem Amulett und schaffte es diesmal, sich die Kette zu angeln.

»Lass los!«, rief Cara verzweifelt. Das Amulett war die einzige Verbindung zu ihrer Welt. Wenn diese Kreatur es stahl, würde sie wahrscheinlich nie wieder einen Weg zurückfinden.

Eine Weile lang zogen beide an dem Amulett, das bleiche Männchen zischend und kreischend, Cara grimmig und still.

Zuletzt riss Cara so fest daran, dass sich die Kette aus dem Griff des Monsters löste. Als das Männchen die Kette losließ, stolperte sie durch den plötzlichen Ruck nach hinten. Mit dem Amulett in der Hand krachte sie gegen einen scharfen Felsen.

Wie eine Welle durchfuhr sie der Schmerz, als sie in den Bach fiel.

Keifend vor Wut sprang ihr das Männchen hinterher. Vom Schmerz benommen, war Cara unfähig, sich zu wehren, als das Wesen sie am Genick packte und ihren Kopf langsam unter die Wasseroberfläche drückte.

Das kalte Wasser hielt sie wach,

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