Lutetia Stubbs: Pantoffelmord
Von Lutetia Stubbs
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Lutetia Stubbs - Lutetia Stubbs
Lutetia Stubbs
Pantoffelmord
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Lutetia Stubbs: Pantoffelmord
Die Thieves Lane war für Borough so etwas wie die Gosse, das Ghetto, der asoziale Brennpunkt, das Problemviertel. Das heißt, sie wäre es gewesen, wenn hier jemand leben würde, denn offiziell tat das niemand. Wer hier lebte, hatte irgendwann die Tür eines leerstehenden Hauses aufgeknackt, seine Pappkartons reingetragen und fortan ein halbwegs respektables Leben geführt. Abhängig von der handwerklichen Begabung seines Bewohners und einer gewissen Furchtlosigkeit gegenüber an morschen Holzmasten befestigten Starkstromleitungen, gab es in dem einen oder anderen Haus sogar Strom. Und wenn man nicht zu Verschwendung - wie zum Beispiel einem jährlichen Vollbad - neigte, dann bemerkten die Wasserwerke nicht, dass am Ende der Straße weniger Wasser ankam als am Anfang in die alterschwachen Rohre hineinfloss.
Die Häuser hatten ursprünglich leuchten rote Ziegelsteinfassaden und selbst heute konnte man... nein eigentlich nicht. Die Zeiten, in denen diese Häuser respektabel aussahen, waren seit mindestens achtzig Jahren vorbei. Abgebröckelter Putz landete in den zu Müllhalden verkommenen, winzigen Vorgärten. Flora gab es hier nur, wenn man die biologische Zuordnung von Schimmelpilzen großzügig auslegte und die Fauna beschränkte sich auf Ratten in Hundegröße. Selbst Straßenköter mieden diese Gegend.
Lutetia hatte den Leichenwagen in der nächsten Straße stehen lassen und die zusammenklappbare Transportliege mit dem schwarzen Leichensack über das Kopfsteinpflaster gezogen. Das erzeugte Aufmerksamkeit, aber ihr Beruf - und vor allem ihr Ruf - schützte sie vor unerwünschter menschlicher Nähe. Im Gegenteil: ihre Anwesenheit erzeugte eine Aura von Verlassenheit und Ödnis in dieser Straße, die nur dadurch zu erklären war, dass viele Menschen äußerst bemüht waren, nicht da zu sein.
In dieser Umgebung war das Haus Nummer 27 eine Ausnahmeerscheinung, vor der Lutetia geblendet die Augen zusammenkniff. Im einheitlichen Grau der verdreckten Häuserfronten war ein frisch verputztes und babyblau gestrichenes Haus ein brutaler Angriff auf die Netzhaut nichts ahnender Passanten. Andererseits kannte der Hausbesitzer wohl die Natur der hier lebenden Menschen und ging nicht davon aus, dass es a) hier Passanten gab die b) bei Tageslicht durch die Straße liefen. Überhaupt schien der Eigentümer eine seltsame Persönlichkeit zu sein: Wer sonst würde in so einer Straße die Fassade über und über mit lachenden, pausbackigen Strahlesonnen bemalen?
Lutetia seufzte. Wie es schien, war genau dieses Haus ihr Ziel. Brenda hatte den Anruf entgegengenommen, den Namen Heribert Humperdinkel und die Adresse notiert, die ihr Reginald Redford durchgegeben hatte. Dann hatte sie sich die Kinder geschnappt und gemeint, George wäre im Krematorium, falls Lutetia Hilfe brauchte.
George war in letzter Zeit auffällig oft im Krematorium. Besonders seitdem die Zwillinge anfingen zu zahnen und Schlaf kaum mehr als eine verschwommene Erinnerung aus fernen Zeiten war. Lutetia vermutete, dass George dort das nachholte, was er nachts im Bett nicht bekam.
Ein blauweiß gestreiftes Absperrband erhob den Bereich um die Haustür zum Territorium polizeilicher Ermittlungen. Sonst wies nichts auf die Anwesenheit sämtlicher uniformierter Einsatzkräfte von Borough in diesem Haus hin. Reginald Redford war klug genug gewesen, den Polizeiwagen weit entfernt stehen zu lassen; andernfalls hätte er Räder, Radio, Funkanlage, Scheinwerfer, Sitze, Türen und Scheiben bei diversen Hehlern und Schrotthändlern später wieder einsammeln oder - bei dem Maß der Geschäftstüchtigkeit der ansässigen Mittelschicht - zusammenkaufen müssen.
Lutetia schaute sich noch einmal um. Sie war sich sicher, dass sie niemanden sehen würde. Aber auch, dass sie von mindestens hundert Augen beobachtet wurde. Sie betrachtete noch einmal die babyblaue Fassade und die pausbäckigen, lachenden Strahlesonnen. Was für ein Mensch lebte in dieser Gegend in so einem Haus? Dann klopfte sie an die Haustür.
Moment, ich komme runter!
rief jemand. Lutetia legte den Kopf in den Nacken und sah hoch. Reginald Redford saß auf der Fensterbank, den Körper so weit nach draußen gelehnt wie es möglich war, ohne die Aufmerksamkeit der Gravitation zu erregen, und teilte sich den Platz mit ungefähr zwei Millionen Fliegen. Aber im Gegensatz zu ihm sahen die Fliegen aus, als wollten sie rein. Redford schnappte tief nach Luft und verschwand im Innern des Hauses. Einige Sekunden später hörte Lutetia seine Schritte auf der Treppe, dann öffnete er die Tür. Selbst aus zwei Metern Entfernung verströmte Redford einen reifen Geruch. Näher dran stank er erbärmlich.
Kein schöner Anblick
, sagte er.
Und kein angenehmer Geruch.
Sorry, ich dachte, Sie wären dran gewöhnt.
Bin ich. Aber falls Sie heute abend ein Date haben, dann sollten Sie daran denken, vorher die Uniform zu wechseln. Und zu duschen. Wo ist mein Kunde?
Oben. Im Schlafzimmer.
Friedlich im Schlaf gestorben, oder?
Nein und nein.
Lutetia stutzte.
"Nicht