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Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche: Main-Taunus-Krimi
Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche: Main-Taunus-Krimi
Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche: Main-Taunus-Krimi
eBook394 Seiten5 Stunden

Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche: Main-Taunus-Krimi

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Über dieses E-Book

Wenn jeder Mensch ein Kryptonit – eine Schwachstelle – hat, so ist der Frankfurter Professor Burkhard Wöller das Kryptonit gleich mehrerer Menschen. Maria Jahn hat er um den größten Erfolg ihrer Basketballkarriere gebracht, seinen Professorenkollegen Jakob Retter hat er bloßgestellt und Martin Trenker droht wegen ihm alles zu verlieren. Keiner der drei kann ihm verzeihen.
Wöller scheint bei allem was er anpackt Erfolg zu haben. Doch als man seine Leiche im Sulzbacher Eichwald mit Zyankali vergiftet findet, wird schnell klar, auf welch faulem Fundament sein Leben basierte. Die Hofheimer Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen auf.
Doch wem der raffinierte Racheplan wirklich gilt, wer endgültig sein Kryptonit auslöschen will, erkennen die Kommissare erst, als es fast zu spät ist …
SpracheDeutsch
Herausgebermainbook Verlag
Erscheinungsdatum6. Mai 2016
ISBN9783946413240
Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche: Main-Taunus-Krimi

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    Buchvorschau

    Kryptonit - Ich kenne deine Schwäche - Verena Wilmes

    www.mainbook.de

    1. Teil

    Prolog

    Kennst du das? Wenn du in den Spiegel schaust und dein eigenes Gesicht nicht mehr erkennst? Wenn du dich fragst, was aus dir geworden ist?

    Wahrscheinlich nicht. Du weißt ja nicht, wie es ist, dich selbst oder et was, das du liebst, zu verlieren. Zumindest weißt du es bis jetzt noch nicht. Aber du wirst es bald wissen. Ich werde es dich wissen lassen. Ich.

    Wir werden uns in die Augen sehen, wie wir uns seit Jahren nicht mehr in die Augen gesehen haben, und ich werde dort eine Leere sehen. Es wird dieselbe Leere sein, die damals in meinen Augen lag, als du mich verraten hast. Ja, es ist lange her, aber ich habe diese Demütigung nie vergessen. Du bist die Person, der ich nicht verzeihen kann. Durch dich habe ich in all den Jahren gelernt, dass die Bösen immer gewinnen. Und du gehörst zu den Bösen. Ich gratuliere dir. Dir und all den anderen Bastarden. Ihr habt es geschafft, mich zu brechen.

    Letztendlich war es ein ganz kleiner, leiser Moment, der mich zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin. Einem Menschen, der einfach genug hat. Es war ein Moment, an den du dich wahrscheinlich gar nicht mehr erinnerst, aber damit hast du das Monster in mir befreit.

    Ich werde wehmütig, wenn ich meine Metamorphose in deinen schlimmsten Albtraum betrachte, weil ich weiß, wer ich mal war, aber das ist vorbei. Du wirst bereuen, was du mir angetan hast. Und dann habe ich gewonnen. Wenigstens einmal. Ich werde dich töten. Ich.

    1. Kapitel (Donnerstag, 14. November)

    Es war ein richtig beschissener Morgen.

    Hauptkommissar Sören Bender fuhr an der Rhein-Main-Therme vorbei aus Hofheim hinaus und schaltete einen Gang höher, nachdem er die erste enge Kurve der Landstraße genommen hatte. Sein alter VW meckerte etwas. Es würde nicht mehr lange dauern und der Wagen würde ihn auch noch im Stich lassen. Die Heizung hatte es schon getan. Genau wie seine Frau, Daniela.

    Ein beschissener Gedanke an einem beschissenen Morgen. Es war arschkalt. Eine dunkle Wolkendecke hing am Himmel, versprach nichts als Regen und ein kräftiger Wind blies von der Seite, sodass Laub auf die Straße gefegt wurde und es am Auto rüttelte. Es war erst kurz nach acht Uhr morgens, es war noch nicht mal richtig hell, aber Sören wusste jetzt schon, dass es ein weiterer hoffnungsloser Tag werden würde.

    Leichenfund in Sulzbach am Taunus. Er solle sich beeilen, es sähe nach Regen aus und sollte der Regen in den nächsten Minuten einsetzen, dann könnten wichtige Spuren vernichtet werden. Er war doch kein verdammter Anfänger! Man musste nicht so mit ihm reden! Er war seit achtzehn Jahren bei der Polizei. Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er wahrscheinlich doppelt so alt wie der idiotische Grünschnabel, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Sören trat fester aufs Gaspedal und spürte den pochenden Schmerz in seinem großen Zeh wieder. Den hatte er sich gestoßen, als er aufgestanden war und wie in den letzten fünfzehn Jahren rechts herum ins Badezimmer hatte gehen wollen.

    Nur wohnte er, seitdem die Scheidung eingereicht war, nicht mehr in ihrem gemeinsamen großen Haus in Hofheim-Marxheim, sondern in dieser engen Drecksbude in der Nähe des Chinon-Centers. Und als er im Halbschlaf rechts herum gegangen war, war er volle Kanne gegen die Wand gelatscht. Er hasste diese Wohnung! Sein Badezimmer glich einer Abstellkammer im Vergleich zu dem, das er sich mit Daniela geteilt hatte. In dem Haus, das ihre reichen Eltern finanzierten. Und der Bildschirm seines kleinen Fernsehers passte dreimal in den Bildschirm des Flatscreens, auf dem Daniela jetzt jeden Abend allein ihre Frauensendungen glotzte. Wenn sie denn alleine war. Glaubte man den dummen Sprüchen, die auf dem Revier kursierten, dann vergnügte sich Daniela mit einem Kollegen. Und allein der Gedanke an irgendeinen Lakaien, der mit seinem haarlosen Fitnesskörper auf seiner Seite des großzügigen Doppelbettes schlief, machte ihn wahnsinnig.

    Er erkannte die ersten seiner Kollegen oberhalb des Fußballplatzes, als er am Rand des Eichwaldes in Sulzbach ankam. Einige von diesen Witzbolden hatten sich über seinen kleinen Bauchansatz lustig gemacht und auch die grauer werdenden Haare und der neue Bart waren ihnen offenbar aufgefallen. Hinter seinem Rücken tuschelten sie, es wäre kein Wunder, dass Daniela so schnell einen anderen gefunden hatte. Doch diese Penner wussten gar nichts! Und so sehr sie auch spekulierten, sie würden niemals erfahren, warum Daniela und er sich getrennt hatten. Niemals.

    Er parkte seinen Wagen. Soweit er wusste, war der Eichwald ein beliebtes Gebiet für Jogger mit einem knapp fünf Kilometer langen Rundkurs. Auch viele Spaziergänger und Radfahrer waren hier anzutreffen, an diesem Morgen jedoch war der Wald – bis auf die Polizisten – menschenleer.

    Das Blaulicht mehrerer Einsatzwagen zerriss die nachlassende Morgendämmerung und es sah ein wenig gespenstisch aus, wie sich die mächtigen Baumkronen des Eichwaldes im stärker aufgekommenen Wind bogen. Der düstere Himmel schien die Muskeln spielen zu lassen. Sören senkte seinen Blick.

    Genau gegenüber des Waldes, auf der anderen Straßenseite, drängte sich eine Ansammlung zahlloser Pubertierender hinter dem Absperrband der Polizei auf einem zur Straße hin ansteigenden, breiten und gepflasterten Weg. Das Band war zwischen zwei Laternen gespannt, vor dem zwei Beamte der Schutzpolizei standen und die Meute beaufsichtigten. Sören erkannte zwei weitere Kollegen, die sich mit einem Mann mittleren Alters mit Brille und kurzen grauen Haaren unterhielten, der einen schwarzen Hund an der Leine hielt, und war froh, dass beide beschäftigt waren, denn die zwei Idioten hatten ihm gerade noch gefehlt. Georg und Sascha waren nicht nur dumm wie Stroh, sie spielten gemeinsam in einer kleinen Coverband und hielten sich für die größten Rockstars, die auf Erden wandelten.

    Sören ignorierte den kalten Wind, der ihm unter seine offene Jacke blies und ging zu einem Kollegen mit Bart und der Statur eines Bären, der nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Er hielt ihm seinen Dienstausweis unter die Nase und wollte erfahren, was hier los war. Der Schutzpolizist war gerade dabei, ein weiteres Absperrband aus einem Streifenwagen zu holen.

    „Männliche Leiche im Wald. Ist wohl ein Professor von der Uni in Frankfurt, meinte eine Kollegin", brummte er.

    Sören folgte dem Nicken des Mannes zum Waldrand, wo ein schmaler Weg an einer Parkbank vorbei in den Wald hineinführte und er ein paar Beamte der Spurensicherung erkennen konnte, die in ihren grellweißen Anzügen nicht zu übersehen waren.

    „Die Fundstelle im Wald ist schon weiträumig abgesperrt, ich helfe den Kollegen jetzt, da oben auch noch die Straße abzusperren." Der dicke Kollege deutete die enge Straße ohne Mittelstreifen hinauf, auf der sie sich gerade befanden und die an den Baumreihen des Waldes entlangführte. Nach gut fünfzig Metern versperrten zwei Pfosten die Durchfahrt, genau wie ein davor geparktes Fahrzeug der Polizei. Doch ein Absperrband war noch nicht zu erkennen.

    Der Beamte trabte davon und Sören blickte sich noch ein wenig um, bevor er in den Wald ging. Er wollte sich ein Bild von der Umgebung machen. Schräg gegenüber entdeckte er ein hohes, rechteckiges Gebäude, in dessen Bauch schon einige Fenster erleuchtet waren und besetzte Klassenräume erkennen ließen. Das musste die Gesamtschule hier in Sulzbach sein. Daher kamen also die Pickelgesichter. Wieso sie nicht in der Schule waren, war nicht schwer herauszufinden. Die Kids fanden die Szenerie, die sich ihnen hier draußen bot, viel interessanter und krakeelten dementsprechend in der Gegend herum.

    „So krass Mann, was geht denn hier ab?"

    „Ey, ruf mal Jaqueline an, die pennt noch, die soll mal kommen."

    „Wie geil Alter, da wurde bestimmt einer umgelegt!"

    Sören erkannte zwei Jungs, die versuchten mit ihren Smartphones zu filmen. „Das gibt’s doch nicht", knurrte er und wandte sich kopfschüttelnd ab.

    Ein Stück links von der Schule befanden sich der Fußballplatz und ein Basketballplatz, beide hoch eingezäunt, und darunter lag, nur schemenhaft erkennbar, ein weiterer großer Fußballplatz mit Aschenbahn. Die Sulzbacher hatten offensichtlich viele Möglichkeiten, um Sport zu treiben. Er war nicht der größte Sportfan. Wenn er aus Hofheim hierher fuhr, dann nur, um ins Main-Taunus-Zentrum zu gehen.

    „Sören!"

    Erschrocken fuhr er zusammen und drehte sich um. Eine uniformierte Beamtin mit langen blonden Haaren stand vor ihm. Sie hatte einen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt wie eigentlich immer und blickte ihn streng an.

    Tanja Meyer. Einerseits eine kompetente, ehrgeizige Polizistin. Andererseits eine gute Freundin von Daniela und berüchtigte Klatschtante. Sören stöhnte innerlich auf. „Morgen. Was haben wir?"

    Tanja deutete stumm zum Wald und lief voraus. Sören folgte ihr und hörte sich an, was sie berichtete.

    „Eine männliche Leiche namens Burkhard Wöller, einundsechzig Jahre alt. Er liegt hier gleich nach der ersten Weggabelung. Zwei Kollegen sind schon dabei, die Anwohner zu befragen. Wobei die nächsten Anwohner ein Stück entfernt wohnen. Außerdem gibt es ein kleines Hotel die Straße hinauf und wir werden uns um die Gäste und die Schule gegenüber kümmern, sobald wir mehr Leute hier haben. Vielleicht hat ja jemand was beobachtet."

    „Okay, klingt gut. Woher wissen wir Namen und Alter der Leiche?"

    „Er hatte seine Brieftasche bei sich. Mit Geld und allem Drum und Dran. Sieht nicht nach einem Raub aus."

    „Nach einem anderen Verbrechen aber schon?"

    Tanja nickte.

    „Okay. Einer deiner Kollegen meinte, er wäre Professor an der Uni in Frankfurt?"

    „Das hat die Rechtsmedizinerin gesagt. Sie meinte, sie würde ihn flüchtig von irgendwelchen Vorträgen kennen."

    Sie liefen in den Wald, an der Parkbank vorbei, und augenblicklich war es ein bisschen düsterer. Durch das Geäst und die Baumkronen fiel wenig Licht. Tatortbeleuchter standen allerdings am Wegrand und so erkannte Sören, dass sie auf einem matschigen Weg, der mit Laub, kleinen Steinchen und den Abwürfen irgendwelcher Bäume übersät war, entlangliefen. Er entdeckte auch einige Beamte der Spurensicherung, die bereits durch das Unterholz kraxelten.

    „Wer hat die Leiche gefunden?", fragte Sören, während sie an einer Abzweigung nach links liefen und wenige Meter später dem Verlauf des Weges, der so schmal war, dass er eher einem Trampelpfad glich, um eine Kurve folgten.

    „Ein Spaziergänger mit Hund war vorne auf der Straße unterwegs, als sein Hund plötzlich in den Wald gerannt ist und wie verrückt angefangen hat zu bellen."

    „Der hat wahrscheinlich den Schock seines Lebens bekommen."

    „Ja, höchstwahrscheinlich. Er steht noch auf der Straße und wird von Georg und Sascha vernommen, falls du mit ihm sprechen willst."

    Sie sprach mit kühler Stimme und würdigte ihn währenddessen keines Blickes. Daniela hatte wohl ganze Arbeit geleistet. So konnte es gehen. Sören entgegnete nur: „Später. Ist der Staatsanwalt informiert?"

    „Er ist auf dem Weg."

    Kurz darauf erreichten sie die Fundstelle der Leiche. Am Rande des engen, matschigen Weges, ein gutes Stück im Wald drinnen, lag die Leiche eines dicklichen Mannes auf dem Rücken, halb verborgen von etwas Laub. Daneben kniete die Rechtsmedizinerin Dr. Tina Chen, mit der Sören schon öfter zusammengearbeitet hatte. Hinter ihr stand ein großer Tatortbeleuchter, direkt neben der Leiche, und erhellte die Szenerie.

    „Guten Morgen, Frau Doktor."

    „Guten Morgen."

    „Können Sie schon was sagen?", fragte Sören und ging neben der Asiatin in die Hocke. Er nahm den Duft ihrer langen schwarzen Haare wahr, die sie zu einem Zopf gebunden hatte und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob diese schöne und kluge Frau eigentlich Single war. Aber es war besser, diesen Gedanken zu verdrängen.

    „Naja … allzu viel kann ich noch nicht sagen. Das ist alles ein bisschen verworren."

    „Das bedeutet?"

    „Also erst mal sind hier überall Schleifspuren zu finden", sagte sie und deutete auf einige Stellen im Waldboden, die mit kleinen nummerierten Schildchen markiert waren. Sören folgte ihrem Finger und entdeckte Furchen im feuchten Boden.

    „Das heißt, Sie gehen davon aus, dass das hier nicht der Tatort ist?"

    „Ich bin mir noch nicht sicher. Wenn meine Vermutung über die Todesursache stimmt, kann er bestimmt nicht so weit gekommen sein. Sehen Sie sich mal die Haltung der Leiche an."

    In diesem Augenblick begann ein Handy zu klingeln. Tanja entschuldigte sich und entfernte sich ein paar Schritte. Sören betrachtete die Leiche. Der Mann lag auf dem Rücken, seine grau-schwarzen Haare und sein Bart waren dreckverschmiert, genau wie sein blaugestreiftes Hemd und seine graue Hose. Die Haltung seines Körpers war eine einzige Verkrampfung. Sein linker Arm lag seltsam abgewinkelt da, seine rechte Hand schien sich in den Dreck am Boden gekrallt zu haben. Sein Kopf war zur Seite gedreht und auch seine Gesichtsmuskeln schienen zum Zeitpunkt des Todes angespannt gewesen zu sein. Dazu hatte er wohl erbrochen, nach dem farbigen Zeug zu urteilen, das ihm am Mund und am Kinn hing. Außerdem krabbelte einiges an vielbeinigem Getier auf ihm herum und ließ Sören mehr erschaudern als das Erbrochene. Auch wenn die Insekten, die die Leichen besiedelten, den Fachleuten viel über das vorliegende Verbrechen verraten konnten, sträubten sich ihm beim Anblick der Viecher und der Vorstellung, dass er eines Tages auch mal so abgenagt werden könnte, sämtliche Haare.

    „Das sieht nach einem qualvollen Tod aus, oder?", meinte er schließlich.

    Dr. Chen nickte. „Ich tippe auf eine Vergiftung mit Cyanid. Erstens geht von ihm ein Geruch nach Bittermandel aus, zweitens sieht das Ganze nach heftigen Krämpfen aus, und das Erbrechen dazu ist typisch, wenn das Gift geschluckt wurde. Und drittens hat er eine rosige Hautfarbe, was ebenfalls bei so einer Vergiftung auftritt."

    „Das heißt, er ist erstickt?"

    „Davon gehe ich aus, ja. Mehr kann ich erst nach der Obduktion sagen."

    „Bei Zyankali könnte es auch Selbstmord gewesen sein, oder?"

    „Eigentlich ja. Aber sehen Sie sich mal die Stellung seiner Beine an. Ich muss das im Labor noch mal genau untersuchen, aber die könnten alle beide gebrochen sein. Ich tippe eher darauf, dass ihm das Gift verabreicht wurde."

    „Wie Sie meinen. Vermutung zum Todeszeitpunkt?"

    Die Rechtsmedizinerin ließ sich ein wenig Zeit mit ihrer Antwort.

    „Das kann ich noch nicht genau sagen. Die Insektenbesiedlung ist noch nicht zu groß, aber wir haben Winter. Da ist das sowieso weniger. Außerdem, wenn man Cyanid schluckt, kann es fünfzehn Minuten bis eine Stunde dauern, bis der Tod eintritt. Aufgrund seiner Körperkerntemperatur tippe ich mal auf irgendwann zwischen gestern Abend acht Uhr und heute früh gegen drei. Aber ich muss mir die Leichenflecken an seinem Hals und auch alles andere noch mal im Labor ansehen."

    „Okay. Und Sie meinten, Sie kennen die Leiche?"

    „Flüchtig. Er war Professor für Mikrobiologie an der Uni Frankfurt und ich habe mir einige seiner Vorträge angehört. Er konnte gut reden."

    „Ah ja."

    „Es gibt Neuigkeiten", sagte Tanja in diesem Augenblick hinter ihnen und steckte ihr Handy wieder an ihren Gürtel neben die Waffe.

    „Inwiefern?"

    „Bereits heute Morgen um sieben gab es einen Anruf vom Uni Campus am Riedberg. Das Auto eines Professor Wöllers wurde dort auf einem Parkplatz gefunden und schien die ganze Nacht über nicht bewegt worden zu sein. Der Autoschlüssel lag neben dem Wagen. Von ihm fehlte jede Spur. Die Kollegen sind schon vor Ort."

    „Soll das heißen, er ist gestern direkt nach der Arbeit verschwunden? Hast du schon gecheckt, ob Anrufe seiner Familie eingegangen sind?"

    „Mache ich gleich."

    „Dann wurde er vom Riedberg hierher geschleppt, um hier ermordet zu werden? Ergibt das einen Sinn?", warf die Rechtsmedizinerin ein.

    „Gute Frage. Ich denke, dann fahre ich mal hoch zum Campus."

    „Das wird nicht nötig sein", meinte Tanja.

    „Wieso?"

    „Naja … eine Kollegin von dir ist schon auf dem Weg dorthin."

    „Ah ja? Wer?"

    Doch als Tanja ihn dann zum ersten Mal an diesem Morgen direkt ansah, wusste er es schon. Sein Herz sank ihm in die Hose. „Das kann doch nicht … du meinst, Daniela?"

    „Genau, Daniela."

    Sören fühlte sich, als hätte er eben einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. Es war wirklich ein beschissener Tag.

    2. Kapitel (Einige Wochen zuvor)

    Eine Flucht war nicht möglich. Wie in Stein gemeißelt saß der Hass in seiner Brust, beherrschte jede Faser seines Körpers und ließ sich weder vom Whiskey ertränken noch von seinem Kunstwerk besänftigen.

    Professor Burkhard Wöller hatte den Edding noch in der Hand und starrte schnaufend auf das Titelblatt der neuesten Ausgabe des Frankfurt Sc!ence. Diese Fratze durfte sein Heiligtum nicht beschmutzen! Er hatte das Gesicht entstellen müssen, mit allem, wofür dieser Hund wirklich stand.

    Doch es reichte noch nicht. Mit einem Ruck und dem befriedigenden Geräusch von abreißendem Papier rupfte er die Titelseite ab und ließ sie zu Boden fallen. Den Rest der wissenschaftlichen Zeitschrift warf er in hohem Bogen quer durch sein Arbeitszimmer, wobei er gegen eines der beiden Regale klatschte, die unter der Last der dicken Ordner mit seiner Forschungsarbeit darin förmlich ächzten. In jedem einzelnen dieser Ordner steckte mehr und vor allem bessere Arbeit als in dem ganzen Dreck, den sein so genannter Kollege im Frankfurt Sc!ence veröffentlich hatte. Wie hatte das nur passieren können?

    Ausgerechnet Jakob Retter! Von allen Professoren am Riedberg hatte ausgerechnet dieser Vollpfosten veröffentlicht werden müssen. Sicher, der Professor für Biochemie hatte schon etwas halbwegs Interessantes über die Regulation des Kohlenhydratstoffwechsels herausgefunden. Möglicherweise würde das zu neuen Erkenntnissen über die genetischen und biochemischen Regulationsmechanismen, die die Expression der gluconeogenetischen Gene regulierten, führen, doch das war noch längst nicht erwiesen. Warum also wurde so ein Wind darum gemacht? Dieser Depp wurde zelebriert, als hätte er Krebs geheilt!

    Burkhard hätte den Artikel noch nicht mal überfliegen sollen. Es mochte alles nur Schall und Rauch sein, aber es machte ihn wahnsinnig. Der Professor für Mikrobiologie kippte den letzten Rest seines Whiskeys hinunter und hob die Titelseite wieder auf. Das Gesicht dieses Mistkerls war bereits unkenntlich, aber es reichte noch nicht. Diese verlogene, sensationsheischende Überschrift musste weg! Sonst würden ihn die Worte noch in den Schlaf verfolgen. Falls er diesen heute Nacht überhaupt finden konnte.

    Er war so in seine Kritzeleien vertieft, dass er das nervtötende Geräusch des Staubsaugers erst vernahm, als Barbara die Tür öffnete und in das dämmrige Licht seines Arbeitszimmers hinein blinzelte. Er hatte die Rollläden bereits heruntergelassen und nur die kleine Schreibtischlampe eingeschaltet. Wie immer sah seine sieben Jahre jüngere Frau noch nicht mal bei der Hausarbeit wie eine echte Hausfrau aus. Schlank und elegant gekleidet wirkte sie geschäftstüchtig und war doch im Grunde nur so vital, weil das Putzen ihr Yoga war. Außerdem rannte sie mehrmals im Monat zum Friseur, um ihre blonden Locken von dem lästigen Grau zu befreien. In diesem Augenblick war sie dennoch nichts weiter als der perfekte Fußabtreter. Burkhard bemerkte, wie sie kurz die Nase rümpfte, als sie das Chaos bemerkte und wahrscheinlich diesen muffigen Geruch wahrnahm, den sie immer zu riechen meinte, wenn sie ein Zimmer mehrere Stunden lang nicht geputzt hatte. Und im Endeffekt gab ihm wohl genau das den Rest.

    „Schatz, sagte sie. „Ich würde hier gerne sauber machen. Sei doch so gut und arbeite kurz unten im …

    „Raus!, fuhr Burkhard empor. „Verfluchte Scheiße, ich hab dir schon zehntausend Mal gesagt, hier drin räumst du nicht auf! Leb deinen Putzfimmel von mir aus in jedem anderen beschissen Zimmer aus, aber nicht hier!

    Barbara schien der Atem zu stocken. Ihr Gesicht verlor erst an Farbe, um dann rot zu werden. Sie hasste es, wenn er sie anbrüllte.

    „Verschwinde, verdammt!"

    Am nächsten Morgen hatte Burkhard sich noch immer nicht beruhigt. Im luxuriösen Bad seiner Villa in Königstein sah er das Nachbeben seines gestrigen Streits mit Barbara ganz deutlich anhand seiner penibel sortierten Rasierwässer. Auch sein Kamm, die Zahnbürste und alle anderen Utensilien waren fein säuberlich auf der blitzsauberen Ablage neben dem weißen Waschbecken aufgereiht. Wie immer versuchte seine Frau die Dinge zwischen ihnen symbolisch wieder in Ordnung zu bringen. Doch er kümmerte sich nicht darum. Hass und Wut fraßen sich durch seinen Magen wie ein gieriger Parasit und erforderten seine gesamte Aufmerksamkeit.

    Er nahm eine eiskalte Dusche, um sich daran zu erinnern, dass das Leben zwar nicht fair war, er aber schon ganz andere Dinge gemeistert hatte. In seinen einundsechzig Jahren auf dieser Erde hatte er viel Unfairness, Frechheit, Dummheit und intellektuelle Ignoranz erlebt, aber am Ende hatte er immer das bekommen, was er gewollt hatte. Er würde dafür sorgen, dass es dieses Mal nicht anders lief. Die Frage war nur, wie?

    Sie beschäftigte ihn auch noch, als er aus der Dusche stieg, sich ein Handtuch um die Hüften wickelte und seinen stattlichen Bierbauch im Spiegel betrachtete. Von seiner früheren Sportlichkeit war nicht mehr viel übrig. Er hatte viele Jahre höherklassig Basketball gespielt, obwohl er nicht allzu groß war, doch das glaubten ihm diese ignoranten Menschen an der Universität sowieso nicht. Er kämmte seine spärlicher werdenden Haare, die von Tag zu Tag grauer wurden. Offensichtlich fehlendes Melanin. Er gab sich jedoch keine Mühe, die lichtere Stelle am Hinterkopf zu überdecken. Es würde nicht klappen. Er stutzte seinen Rundbart, putzte sich die Zähne und stellte fest, dass seine kleinen Augen heute Morgen besonders müde wirkten. Man sah ihm an, dass er schlecht geschlafen hatte.

    Um Punkt acht Uhr betrat er die Küche im Erdgeschoss. Die silbernen Oberflächen der Küchengeräte reflektierten die Sonnenstrahlen, die an diesem Morgen von einem strahlend blauen Himmel draußen hereinfielen. In der Mitte des mit Terrakottafliesen ausgelegten Zimmers befand sich der rechteckige Esstisch direkt unter einer herabhängenden Lampe. Dort war ein üppiges Frühstück gedeckt. Frisch gekochter Kaffee, Orangensaft, zwei gekochte Eier und eine Vielzahl an Brötchen und verschiedenen Aufstrichen warteten auf ihn.

    Burkhard lief das Wasser im Mund zusammen und gleichzeitig seufzte er. Es war immer dasselbe nach ihren Streitigkeiten. Seine Frau wollte von ihm gelobt werden. Sie ging ihm aus dem Weg, putzte, räumte auf und tat alles, um ihn zufrieden zu stellen. Allerdings ließ sie sich dabei nicht blicken. Wie ein unsichtbarer Weihnachtself. Sie hatte sich nicht verändert. Nach wie vor wollte sie Sicherheit und Ordnung. Das, was er aufs Spiel gesetzt hatte, vor gar nicht so langer Zeit. Und jetzt wünschte er sich die Sicherheit und die Routine zurück. Hoffentlich war es nicht zu spät.

    Er verdrängte alles, was er davon verdrängen konnte, und nahm sich die Zeitung, während er sich vor sein Frühstück setzte. Er brauchte Ablenkung an diesem neunundzwanzigsten Oktober, überflog die wichtigsten Schlagzeilen aus Politik und Wirtschaft und fand doch nichts anderes, als die Bestätigung, dass in der Welt noch immer alles im Argen lag. Doch dann blieb sein Blick auf einem kurzen Artikel hängen, der von einem vor sechs Wochen geschehenen Motorradunfall im Landkreis Biedenkopf, oberhalb von Marburg, berichtete. Ein Mann war dabei ums Leben gekommen und obwohl die Polizei noch keine Klarheit über die genaue Unfallursache hatte, wurden die Ermittlungen eingestellt. Der Fahrer sei – laut Artikel – mit viel zu hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Das sei ihm auf den kurvenreichen Straßen zum Verhängnis geworden. Zeugen für den Unfall gäbe es keine.

    Burkhard biss in sein Marmeladenbrötchen. Er kam aus Marburg und kannte die Straßen dort oben nur zu gut. So etwas passierte eben. Es war nichts Besonderes. Dennoch raste sein Herz, als er sich schließlich dem Wissenschaftsteil zuwandte.

    Er verlor sich in den Artikeln, um nach einer Weile auf seine Armbanduhr zu blicken und erschrocken festzustellen, dass er los musste. Wo steckte nur seine Frau? Auf dem Weg aus der Küche rief er halbherzig nach ihr, erhielt jedoch keine Antwort. Vielleicht war sie im Garten. Er würde jetzt aber nicht nachschauen. Er durchquerte das große Wohnzimmer mit dem riesigen Plasmafernseher, dem gläsernen Schrank, in dem Pokale aus seiner erfolgreichen Basketballzeit blitzten, und dem weißen Sofa, bemerkte am Rande, dass es auch hier picobello aussah, und betrat den gefliesten Flur.

    Doch gerade als er in Schuhe und Mantel geschlüpft war und sich seinen Hut aufgesetzt hatte, klingelte das Telefon. Genervt trabte er ins Wohnzimmer zurück und nahm das Mobilteil ab, das auf einem kleinen Beistelltisch neben der langen Couch stand.

    „Wer auch immer Sie sind, polterte er los, „Ihre Eltern haben Ihnen offensichtlich nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, so früh morgens bei Fremden anzurufen.

    „Sie verlogenes Arschloch!", schluchzte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

    Einen Moment war er verwirrt. Dann erkannte er die Stimme. „Ach, die Frau Doktorin, frohlockte er und begann zu grinsen. „Haben Sie etwa getrunken?

    „Das geht Sie überhaupt nichts an!", schrie Natascha Simojevic hysterisch mit eindeutig schwerer Zunge in den Hörer. Burkhard lachte.

    „Sie werden es noch bereuen, Basti und mich auseinander gebracht zu haben, Sie alter Drecksack! Und ich wollte Ihnen schon lange mal sagen, dass …"

    „Ich hoffe, Sie wollten nach einem guten Psychiater fragen. Rufen Sie meine Sekretärin an, die sucht einen für Sie raus." Und damit legte er auf. Amüsiert richtete er seinen Hut und ging zurück in den Flur. Er war froh, dass sein Sohn seinen Rat befolgt und diese Frau abgeschossen hatte, aber es würde ihm fehlen, beim sonntäglichen Essen Witze über sie zu machen.

    Draußen schien zwar die Sonne, doch sein Atem dampfte in der kühlen Morgenluft auf dem Weg zu seinem Mercedes. Im Wageninneren hatte es der Professor für Mikrobiologie dafür warm und gemütlich. Er fuhr durch den morgendlichen Kurort Königstein, mit gefühlt eintausend anderen, die sich alle zur selben Uhrzeit auf den Weg zur Arbeit hatten machen müssen.

    Er steckte im üblichen Stau auf dem Weg zur St. Angela Mädchenschule, der zweiten Privatschule im Ort, neben der Bischoff-Neumann-Schule, die auch sein Sohn besucht hatte. Er war bereits vollkommen entnervt, weil er hinter einem Bus feststeckte und dann nahm ihm auch noch ein weißer BMW die Vorfahrt und der Fahrer besaß die Frechheit, wütend zu hupen, während Burkhard heftig auf die Bremse trat.

    „Arschloch!", rief er dem Kerl hinterher. Das war bestimmt ein Anwalt, einer dieser selbstgerechten Paragraphenreiter.

    Es dauerte eine Ewigkeit, bis er dem Verkehr entkam und auf die Bundesstraße auffuhr, die ihn näher an die Universität bringen würde. Die Uni. Seit einigen Tagen, genauer gesagt, nach der Bekanntgabe von Retters Veröffentlichung, reizte ihn jeder Gedanke an die Universität am Riedberg wie Juckpulver auf seiner Haut. Und heute, nachdem er gestern seine abonnierte Ausgabe der Frankfurt Sc!ence bekommen hatte, war es besonders schlimm.

    Ausgerechnet Jakob Retter. Dieser Mistkerl.

    Wütend trat Burkhard fester aufs Gas und brauste über eine dunkelgelbe Ampel. Er sollte mal wieder veröffentlicht werden. Verdammt, er hatte in Yale studiert, er sollte in dieser doofen Zeitschrift stehen und nicht der warme Bruder Jakob. Alle Kollegen redeten über ihn und alle Studenten waren begeistert von ihm. So ein Unfug! Er war doch der … Sein Handy riss ihn aus diesen Gedanken.

    Der Klingelton tat ihm in den Ohren weh, und so zerrte er es während der Fahrt aus der Hosentasche und warf einen Blick auf das Display. Für einen Moment war er wie erstarrt. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er. Dann tat er das einzig Richtige, drückte den Anruf weg und löschte den Kontakt aus seinem Handy. Diese Geschichte war beendet. Er wollte seine Sicherheit wiederhaben. Und er hatte eigene Probleme.

    Aufgewühlt fuhr er auf die Autobahn, betrachtete die Bäume und ihre bereits verfärbten Blätter am Straßenrand. Der Herbst war schön. Es war seine Lieblingsjahreszeit. Und das lag unter anderem daran, dass im Herbst die Basketballsaison begann.

    Für ihn persönlich spielte das zwar keine große Rolle mehr, aber sein Sohn Bastian war Regionalligaspieler beim BC Frankfurt und zudem auch Trainer der 2. Bundesligamannschaft der Damen des BC. Unter seinem Sohn waren die Damen erfolgreich in die Saison gestartet und auch sein Sohn hatte bereits starke Spielerstatistiken in seiner Liga hinterlassen. Er war stolz auf ihn, machte ihm der Junge doch alle Ehre, indem er dafür sorgte, dass der Name Wöller im hessischen Basketballgeschäft auch weiterhin nicht so schnell in Vergessenheit geriet.

    Jetzt lag es wohl an ihm selbst, dafür zu sorgen, dass auch in der Universität niemand so schnell seinen Namen vergessen würde.

    „Denken Sie daran, die letzten drei Folien sind wichtig für die Klausur. Ich erwarte, dass Sie die Kreisläufe können. Aus Ihnen sollen schließlich mal richtige Wissenschaftler werden, die ordentliche Forschung betreiben und nicht nur irgendwelchen Humbug in Fachzeitschriften veröffentlichen."

    Mit diesen Worten schloss Burkhard Wöller seine Vorlesung um kurz nach zwölf und erntete belustigtes Raunen der Studenten, die eilig ihre Sachen packten und lachend und plaudernd den Hörsaal im Otto-Stern-Zentrum am Riedberg verließen.

    Mit einem Lächeln auf den Lippen schaltete Burkhard das Mikrofon aus und fuhr seinen Laptop herunter. So war er. Der coole, lustige Professor, den seine Studenten mochten. Natürlich verlangte

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