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"Brender ermittelt": Geheimakte Lorenz
"Brender ermittelt": Geheimakte Lorenz
"Brender ermittelt": Geheimakte Lorenz
eBook430 Seiten5 Stunden

"Brender ermittelt": Geheimakte Lorenz

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Über dieses E-Book

Ein Vierteljahr ist vergangen, seit Tom Lorenz zuletzt auf sich aufmerksam gemacht hat. Obwohl allen klar ist, dass die Ruhe trügt, erwischt es sie eiskalt, als der Gesuchte sich auf grausame Weise zurückmeldet. Pünktlich zum Jahrestag seiner Flucht beginnt er einen Feldzug, der die Beteiligten rund um die "Brender-Morde" mit aller Härte treffen wird.
Doch mit einem hat Lorenz nicht gerechnet - dass seine Feinde sich gegen ihn verbünden könnten. In einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit, kommt es nicht nur zu ungeahnten Koalitionen, sondern auch zu einem Nervenkrieg, den nur eine Seite für sich entscheiden kann...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Mai 2015
ISBN9783738027402
"Brender ermittelt": Geheimakte Lorenz

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    Buchvorschau

    "Brender ermittelt" - Kim Scheider

    Prolog

    Irgendetwas stimmt hier nicht!

    Bereits draußen im Hausflur hatte ihn ein ungutes Gefühl beschlichen. Dabei gab es nichts Verdächtiges zu sehen. Alles war so, wie es immer war. Seit nunmehr fast schon zehn Jahren, die er mittlerweile in diesem Haus wohnte.

    Der Flur war menschenleer.

    Geräusche der Nachbarn drangen nur gedämpft durch die geschlossenen Türen, trotz zahlreicher Kinder. Alle Teppiche lagen so, wie sie sollten und auch die raumgreifende Grünpflanze, die den ansonsten recht kahlen Flur etwas aufhübschte, stand da, wo sie hingehörte.

    Alles war wie immer.

    Und doch war da dieses ungute Gefühl, das einfach nicht von ihm weichen wollte. Das sich noch verstärkte, als er vorsichtig die Tür aufschloss und den Flur geradezu zaghaft betrat.

    Irgendetwas ist hier faul!

    Er hätte nicht sagen können, was es war, denn auch seine Wohnung sah so aus wie immer. Keine Einbruchspuren, nichts fehlte, nichts stand an falscher Stelle. Alles war noch so, wie er es am Morgen verlassen hatte.

    Dennoch richteten sich seine Nackenhaare auf und eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken.

    Eine etwas sensiblere Nase hätte ihm vielleicht schon eher verraten, dass es der Geruch war, der ihn so irritierte. So wurde er ihm erst bewusst, als er seinem Ursprung ganz nahe gekommen war und er ihn förmlich schon schmecken konnte.

    Erdig.

    Das war es, was ihm schließlich dazu einfiel.

    Nach frisch aufgeworfenem Herbstboden roch es. Würzig, auch etwas nach Pilz und verfaulendem Laub. Ein Geruch, den er an und für sich mochte. Solange er draußen aus dem Wald kam. Und zwar im Herbst. Und nicht im Frühling und, wie es schien, aus seinem Schlafzimmer.

    In einer geschmeidigen Bewegung zog er seine Waffe, entsicherte sie und pirschte sich nahezu lautlos an die leicht offen stehende Tür heran. Von seiner Position aus konnte er nicht den gesamten Raum überblicken, doch einen Großteil konnte er so einsehen. Der wuchtige aber schlichte Kleiderschrank nahm beinahe die gesamte links von ihm liegende Wand ein, an der Stirnseite das große Fenster, durch das die Sonne ihre Strahlen auf den hellen Teppich warf. Das Laub einer alten Buche vor dem Haus zauberte ein fleckiges Muster in die Lichtstreifen. Auch hier alles in bester Ordnung.

    Bis sein Blick nach rechts auf das Bett fiel.

    Da lag etwas auf der Tagesdecke, das nicht von ihm stammte.

    Etwas, das er von seinem Standort aus nicht richtig erkennen konnte.

    Die Waffe im Anschlag stieß er die Tür weit auf und machte einen großen Schritt in den Raum hinein. Er konnte nun direkt auf sein Bett sehen.

    Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

    Auf dem Kissen ruhte der Kopf einer nahezu skelettierten Leiche. Die noch gut erhaltenen blonden Haare waren ordentlich um den Schädel drapiert. Die vermutlich weibliche Leiche war mit einem zart rosafarbenen Nachthemd bekleidet, aus dessen Ärmeln bleiche Knochen herausragten, an denen noch Sehnenfetzen baumelten. Zwischen den Fingern der rechten Hand klemmte ein Handschuh aus schwarzer Spitze. Fast wirkte es, als habe die Tote ihn gerade erst ausgezogen. Die andere Hand hielt eine aufdringlich bunte Karte voller Luftballons, wie man sie Kindern zum Geburtstag schenkte.

    Er wusste, was auf der Karte stand, ohne sie gelesen zu haben.

    Er wusste auch, um wen es sich bei der Toten handelte.

    Und ihm war ebenfalls klar, warum sie gerade auf seinem Bett lag.

    Sie war bei Weitem nicht die erste Leiche, deren Anblick er ausgesetzt war. Sie war nicht einmal die erste, die er in solch einem fortgeschrittenen Zustand der Verwesung zu sehen bekam. Und doch traf ihn ihr Anblick bis tief ins Mark.

    Mit Tränen der Wut in den Augen, rief er die Kollegen von der Spurensicherung.

    Montag, der 11.5.2015

    Köln, Ehrenstraße, gegen 3.30 Uhr am Morgen

    Lars Brender, ich verhafte Sie wegen des Verdachts der Begünstigung einer Straftat. Man wird Sie gleich über Ihre Rechte...

    Schnitt! Schnitt und alles zurück auf Anfang! Die Beleuchtung hat nicht gepasst.

    Resigniert stapfte Christoffer Frey zum Kameramann und der Beleuchtungscrew und erklärte ihnen bereits im fünften Anlauf, worauf es ihm ankam. So manches Mal in den vergangenen Monaten hatte er sich gefragt, ob es wirklich die beste Idee gewesen war, nicht nur die Drehbücher zu seiner Krimiserie Brender ermittelt zu schreiben, sondern auch selbst Regie zu führen. Zumal er obendrein auch noch die Hauptrolle, den Hobbykriminologen Lars Brender spielte.

    Der seit anderthalb Stunden endlich laut Drehbuch verhaftet werden sollte.

    Natürlich zu unrecht.

    Doch solange die Kollegen das mit der Beleuchtung nicht in den Griff bekamen, würde er in dieser Nacht wohl gar nicht mehr verhaftet, ob nun zu recht oder nicht.

    Leute, man kann schon die Morgendämmerung erahnen, fügte er seinen Ausführungen über Licht und Schatten und Effekte beschwörend hinzu. Wenn die Szene bis dahin nicht im Kasten ist, wird es Wochen dauern, eine neue Drehgenehmigung für die Ehrenstraße bei Nacht zu bekommen. Also, bitte, gebt alles! Okay?

    Es fiel ihm zwar schwer noch ruhig zu bleiben, aber es hatten sich auch so bereits genug Anwohner über die Ruhestörung beschwert, Drehgenehmigung hin oder her. Vermutlich suchten sie sich für den nächsten Versuch am Besten gleich einen anderen Ort. Wieder ein paar verschenkte Wochen...

    Dabei zogen sich die Dreharbeiten der vierten Staffel mittlerweile auch so schon um Monate ungeplant in die Länge. Eigentlich sollte sie bereits seit März abgedreht sein, aber eine Reihe von Unfällen und anderen mittelschweren bis großen Katastrophen hatte für immer neue Verzögerungen gesorgt.

    Langsam habe ich das Gefühl, dahinter steckt System, fluchte Frey auf dem Weg zurück in den Hauseingang, in dem seine waghalsige Flucht vor der Polizei enden sollte. "Seit dem Besuch von ihm klappt aber auch wirklich gar nichts mehr!"

    Es war, als habe Tom Lorenz bei seinem Besuch im Februar die ganze Crew mit irgendeiner schleichenden, aber vernichtenden Seuche kontaminiert, die nun für Totalausfälle aller Art sorgte. Das Hirn von Mimo, dem Beleuchtungstechniker, schien sie jedenfalls vollständig lahm gelegt zu haben.

    Frey musste grinsen, auch wenn die ganze Angelegenheit alles andere als komisch war. Aber ohne Galgenhumor ließ sich auch nicht verarbeiten, was er und Anna Lorenz im letzten Jahr dank Tom durchgemacht hatten.

    Schon als Kinder hatten sowohl Frey als auch Anna traumatische Erfahrungen durch ihn erlitten.

    Der Schauspieler verlor als Zehnjähriger bei einem durch Lorenz verursachten Autounfall beide Elternteile und musste bei Pflegeeltern groß werden. Anna war von ihm, ihrem eigenen Onkel, geschändet und missbraucht worden, was auch ihr weiteres Leben maßgeblich beeinflusst hatte. Beide hatten Lorenz seinerzeit für seine Taten hinter Gitter gebracht und an beiden hatte er sich im vergangenen Jahr bitter dafür gerächt.

    Die junge Frau war dabei nur durch einen ungünstigen Zufall mit in die Schusslinie geraten. Ursprünglich hatte es Lorenz allein auf ihn abgesehen gehabt. Christoffer Frey, den Held für tausende Brender ermittelt Fans, die sich, organisiert in dutzenden Fanclubs, stolz Brenderianer nannten.

    Chris, sollen wir dann loslegen?, unterbrach Till, der einen der Polizisten spielte, die ihn in Gewahrsam nehmen sollten, Freys düstere Gedanken.

    Ja – ja, sicher. Noch besteht ja Hoffnung...

    Müde knetete Frey sich die schmerzende Schulter. Zwar war die Schussverletzung, die er im Verlaufe der dramatischen Ereignisse vor genau einem Jahr davon getragen hatte, gut verheilt. Bei stressigen Phasen, in denen er wenig zur Ruhe kam, also eigentlich seit Wochen, schmerzte sie aber doch immer mal wieder. Und wenn er an Lorenz denken musste, tat sie gleich mindestens doppelt so weh.

    Auch seine übermüdeten Augen schmerzten und er rieb sie kräftig. Was er sofort bereute, denn augenblicklich tauchte Maike, die Maskenbildnerin neben ihm auf und tupfte und pinselte vorwurfsvoll an ihm herum.

    Eine halbe Stunde später war es dann aber vollbracht. Lars Brender war festgenommen und wider allen Protests seiner Rechte belehrt worden. Nun fuhr er im Polizeiwagen seiner unsicheren Zukunft entgegen.

    Beinahe hätte die mittlerweile merklich zunehmende Dämmerung ihm doch noch seine Beleuchtungseffekte versaut, aber jetzt war Frey mit dem Ergebnis endlich zufrieden. Fast wäre er sogar bereit gewesen Mimo seine Schusseligkeit zu verzeihen, schließlich war ja letztlich noch alles gut gegangen.

    Aber gerade als er zu ihm hinüber gehen wollte, wurde dem Schauspieler schwarz vor Augen. Schnell setzte er sich in einen Hauseingang und versuchte, seinen Kreislauf durch gleichmäßige Atmung zu beruhigen. So, wie man es Anna in der Reha-Klinik beigebracht hatte, damit sie ihre Panikattacken besser in den Griff bekommen konnte.

    Alles in Ordnung mit dir, Chris? Maike stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihm und sah ihn besorgt an. Geht's dir gut?

    Dankbar lächelte er sie an. Nicht umsonst nannte man sie die Gute Seele am Set. Wenn es irgendwo ein zwischenmenschliches oder gesundheitliches Problem gab, konnte man sicher sein, dass Maike nicht fern war. Und blieb.

    Alles halb so schlimm!, wiegelte Frey ab. War halt ein ziemliches Pensum die letzten Monate.

    In Gedanken fügte er noch ein "Und ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist!" hinzu. Laut durfte er das nicht sagen. Es würde sowieso noch einen Aufstand der Brenderianer geben, wenn ihnen nach Ausstrahlung der neuen Folgen klar werden würde, dass es die letzte Staffel der beliebten Krimireihe gewesen sein würde.

    Bist froh, wenn wir es hinter uns haben, was?

    Maike!

    Widerspruch zwecklos.

    Vorsichtig um sich spähend, ob es auch ja niemand mitbekam, nickte Frey ergeben.

    Ja, da hast du recht, stimmte er ihr schließlich zu.

    Aber der Stress mit dem Dreh alleine war es nicht, das musste er sich wohl langsam mal eingestehen. Schon seit mehreren Wochen fühlte er sich in einem Maße erschöpft, das sich nicht nur mit ein paar durchgemachten Nächten erklären ließ. Und Stress an sich war er gewohnt. Genau genommen begrüßte er ihn sogar. Er war einfach nicht der Typ für Müßiggang.

    Jetzt allerdings würde er nicht um ein paar Stunden Schlaf herum kommen.

    Schließlich wollte er später noch bei Anna vorbei. Er hatte gestern schon vorgehabt, sie zu besuchen und den ersten Jahrestag ihrer Befreiung ein bisschen zu feiern, aber Vivien, Annas Freundin und Mitbewohnerin, war ihm zuvor gekommen. Sie hatte Anna über das Wochenende nach Holland ans Meer entführt. Da hatte er natürlich mit seinem Champagner und den Blümchen nicht gegen ankommen können.

    Gegen Mittag würden sie zurück sein, bis dahin würde er also noch etwas Zeit haben, um sich auszuruhen.

    Nur noch kurz in die Firma und dann ins Bett.

    Polizeipräsidium Köln Kalk, Dienstbeginn

    Als Hauptkommissar Joachim Karstens vollkommen übernächtigt seinen Dienst antrat, fand er seine Kollegen schon vollzählig versammelt vor.

    Hauptkommissarin Katharina Grzyek, von allen Rina genannt, holte gerade tief Luft, als er das Büro betrat. Wohl, um eine ihrer üblichen Wochenend-Anekdoten zum Besten zu geben. Die zierliche 36 jährige mit den stahlgrauen Augen fixierte ihn missbilligend, als wolle sie ihn für die Unterbrechung strafen, dabei hatte sie allem Anschein nach noch gar nicht mit ihrem stets lebhaften Bericht begonnen.

    Was auch immer sie zu erzählen hatte, er würde sie heute zum ersten Mal seit einem Jahr unter Garantie toppen. Zuletzt – und bislang einmalig – war ihm dies gelungen, als er ihnen telefonisch von seiner abgebrochenen Hochzeitsreise berichtet hatte.

    Frisch getraut hin, frisch getrennt zurück, das war eindeutig zu viel für seine Kollegen gewesen. Die waren noch damit beschäftigt zu verstehen, dass eine sehr spezielle Type wie er es überhaupt geschafft hatte, eine Frau zu finden, die ihn länger als ein paar Tage ertragen konnte.

    Nur würde seine Geschichte heute alles andere als witzig sein.

    Grzyeks osteuropäisches Temperament lief gerade zur Hochform auf und Karstens machte sich auf eine Familiengeschichte gefasst, weil sie dabei die Nase so komisch kraus zog, wie sie es immer tat, wenn sie von ihren Brüdern oder Eltern erzählte.

    Ich dachte, es wären Kirill oder Tolja, legte sie dann auch erwartungsgemäß los. Ich mein, wer sonst außer meinen Brüdern traut sich, mich an meinem ersten freien Sonntag seit Wochen aus dem Bett zu klingeln? Na, gut, ihr vielleicht noch, aber sonst?

    Vorsichtshalber nickten alle zustimmend, man konnte ja nie wissen. Selbst ihr neuer Kollege, Kommissar Matthias Werter, hatte in seinen gerade mal drei Wochen bei ihnen schon gelernt, dass das gesünder für ihn war.

    Er mochte zwar nicht der Hellste sein, kein Vergleich jedenfalls zu Ben Müllenbeck, seinem Vorgänger. Aber dass es besser war, Rina ausreden zu lassen, hatte er schnell begriffen.

    Und, wer war es nun?, wagte ihr Teamleiter Hauptkommissar Torsten Herwig zu fragen. Wahrscheinlich der Einzige von ihnen, der sich das erlauben konnte.

    Nun wart's doch ab, sagte sie tadelnd. Ich gehe also zur Tür und hab schon ein passendes Donnerwetter auf den Lippen und da sehe ich einen Paketboten die Treppe raufhetzen. Sonntags!

    Neben Karstens straffte sich Herwigs muskulöser Körper merklich und eine unerklärliche Härte schlich sich in seine markanten Gesichtszüge. Und?, fragte er gepresst.

    Irritiert sah Grzyek ihn an, dann fuhr sie fort.

    Er überbrachte mir ein kleines Päckchen, Absender unbekannt, aus Holland.

    Triumphierend sah sie von einem zum anderen, als sei damit schon die Katze aus dem Sack. Doch während Karstens und Werter sich fragende Blicke zuwarfen, verlor Herwigs Gesicht alle Farbe. Grau wie eine Wand saß er da und starrte sie wortlos an.

    Grzyek bemerkte seine Veränderung jedoch gar nicht.

    Ich hatte schon Sorge, Tolja hätte mir seinen Monatsvorrat Cannabis geschickt, um ihn nicht über die Grenze tragen zu müssen. Aber das war's nicht.

    Wieder legte sie eine Kunstpause ein und allmählich war Karstens Geduld überstrapaziert. Er war mehr der pragmatische und logische Typ. Rätsel raten hasste er wie die Pest und das hier ging immer mehr in diese Richtung.

    Kannst du mal auf den Punkt kommen, bitte?, fuhr er sie genervt an. Ich hätte da auch noch was zu berichten, was vielleicht nicht ganz unwichtig ist!

    Soll heißen, was ich zu sagen habe ist genau das – unwichtig?

    Das habe ich damit nicht gesagt! Seine Hitzigkeit würde ihn irgendwann noch seine letzten Sympathisanten kosten. Ich mein ja nur. Du machst es halt ganz schön spannend, fügte er etwas versöhnlicher hinzu.

    Ihre Augen feuerten noch ein paar giftige Blitze in seine Richtung ab, dafür bequemte sich ihr Mund aber, mit ihrer Geschichte zum Ende zu kommen.

    Also, um es kurz – und Jojo recht zu machen: Es war ein sehr hübsches Holzkästchen mit einem schwarzen Handschuh aus Spitze darin.

    Nein!, rief Karstens überrascht aus, während Herwig neben ihm gequält aufstöhnte.

    Karstens verstand sofort, im Gegensatz zu Grzyek, die davon ausging, Post von einem unbekannten Verehrer bekommen zu haben.

    Du auch?

    Herwig nickte wortlos.

    Paketbote?

    Wieder ein Nicken.

    Nun, sagte Karstens gedehnt. Ich habe auch einen schwarzen Spitzenhandschuh zugestellt bekommen. Verwundert sahen seine Kollegen ihn an. Jetzt war er es, der es spannend machte. Meiner kam aber nicht als Paketpost.

    Wieder stockte er, diesmal jedoch nicht der Dramaturgie wegen, sondern weil es ihm tatsächlich schwer fiel, weiterzusprechen.

    Mein Handschuh wurde mir von Jennifer Hölters zugestellt. Von Kitty!

    Ungläubig starrten Herwig und Grzyek ihn an.

    Das ist nicht komisch!, zischte Grzyek wütend.

    Nein, das ist mein Ernst, erwiderte Karstens und sah ihr so fest in die Augen, dass sie merkte, wie ernst es ihm war.

    Aber..., stotterte sie hilflos. Aber sie ist tot!

    Danke, dass du mich noch mal daran erinnerst.

    Herwig stand auf und wirkte dabei, wie um zwanzig Jahre gealtert. Ziellos lief er im Büro auf und ab und versuchte zu begreifen, was er da gehört hatte.

    Sie war in deiner Wohnung?, fragte er seinen Kollegen schließlich vorsichtig. Jeder von ihnen wusste, dass die junge Frau, die, wie so Viele vergangenes Jahr im Laufe der Brender-Morde zu Tode gekommen war, Karstens nicht gleichgültig gewesen war.

    Soll das etwa heißen, jemand hat sie ausgebuddelt und...

    ...und mit dem Handschuh in der knöchernen Hand in mein Bett gelegt, ja!

    Mitleid mit Karstens spiegelte sich in Grzyeks eben noch ungläubigem Gesicht, aber auch tiefe Abscheu vor jemandem, der es fertig brachte, eine seit einem Jahr verstorbene Frau auszubuddeln und durch die Gegend zu transportieren.

    Aber, wer macht so was?

    Bitter stieß Herwig seine Antwort hervor. Ich denke, das wissen wir alle ziemlich genau, Rina! Oder?

    Wie jetzt?, schaltete Werter sich ein, bei dem die Tatsache, dass Karstens eine skelettierte Tote im Bett liegen hatte, scheinbar gar nicht angekommen war. Ihr habt gestern alle drei so einen Handschuh bekommen?

    Ratlos blickte einer zum anderen.

    Dann habt ihr jetzt wohl eine Fehde!, stellte der Neuling begeistert fest und strahlte sie an, als könne er sein Glück, das mal erleben zu dürfen, kaum fassen. Fehdehandschuhe! Das ist ja mal krass, Leute!

    Köln Mediapark, später Vormittag

    Unfassbar laute Musik riss Christoffer Frey aus seinen Träumen von Urlaub in der Karibik mit Surfen, Kite-Board fahren und eisgekühlten Cocktails.

    Schlaftrunken wie er war, dauerte es einen Moment, bis er registrierte, dass die Geräusche von seinem Smartphone kamen, das direkt neben seinem Ohr lag.

    Welcher Idiot hatte es denn bitte schön da hingelegt?

    Fünfzehn Sekunden gnadenloses Gebimmel später begriff er endlich, dass er nicht etwa zu Hause in seinem Bett lag, sondern allem Anschein nach mit dem Gesicht auf der Tastatur seines Rechners am Firmenschreibtisch eingeschlafen war.

    Er wollte doch nur kurz die Augen zugemacht haben.

    Erbarmungslos plärrte das Gerät weiter vor sich hin, so dass er sich langsam genötigt fühlte, doch mal dranzugehen.

    Er war so todmüde, er konnte höchstens ein paar Minuten geschlafen haben. Andererseits, den Schmerzen am ganzen Körper nach zu urteilen, musste er sogar mehrere Stunden so gelegen haben. Mühsam versuchte er sich aufzurichten.

    Ist ja gut, ich komme ja schon, hatte er sagen wollen, doch seine steifen Muskeln ließen ihn nur schmerzgeplagt aufstöhnen. Bis er endlich den Arm Richtung Smartphone bewegt und ein halbwegs verständliches Frey rausgewürgt bekam, hatte der Anrufer allerdings aufgegeben.

    Mürrisch sah er nach, wer es gewesen war und sofort besserte sich seine Laune. Anna hatte angerufen. Das musste bedeuten, dass sie und Vivien wieder zurück waren.

    Schön!

    So konnte ja vielleicht doch noch was aus diesem Tag werden. Schnell rief er sie zurück und stellte fest, dass er sich wirklich freute, ihre Stimme zu hören.

    Hallo Anna, Chris hier. Sorry, ich war eingeschlafen und hab's nicht rechtzeitig geschafft ranzugehen. Wie war euer Kurzurlaub an der See?

    Ein Redeschwall ging auf ihn nieder, der sein schläfriges Hirn deutlich überforderte. Was er aber heraushörte war, dass es ihr ganz offenkundig gefallen und vor allem gut getan hatte. Das freute ihn. Wenn jemand ordentlich Balsam für die Seele verdient hatte, dann war es Anna Lorenz. Die Frau, die einen zufälligen Zusammenstoß mit ihm, beinahe mit ihrem Leben bezahlt hatte.

    Bis heute waren die Wunden, die Tom und seine Gehilfen ihr zugefügt hatten, nur notdürftig verheilt, von den seelischen Verletzungen ganz zu schweigen. Niemals würden diese heilen, nicht wirklich. Aber vielleicht gelang es ihr irgendwann einen Weg zu finden, mit ihren Erlebnissen zu leben, ohne darüber den Verstand zu verlieren. Die unzähligen Narben, die sie täglich wieder an alles erinnerten, machten die Sache nicht unbedingt leichter.

    Jetzt aber war sie so gut drauf, wie er sie noch nie erlebt hatte.

    Wir waren heute Morgen noch am Strand!, erzählte sie begeistert. Unglaublich, dass das erst ein paar Stunden her ist! Wenn ich aus dem Fenster sehe, will das Bild einfach nicht mit dem überein passen, was ich fühle. Mann, ist Köln eng!

    Ja, das Gefühl kannte Frey zur Genüge.

    Schön, dass es dir so gut gefallen hat. Seit ihr denn schon empfangsbereit? Schließlich haben wir noch was zu feiern.

    Anna lachte hell auf. Noch nie hatte er sie so unbefangen lachen hören.

    Unsere Wiederauferstehung?, scherzte sie. Wir sind zwar noch mit Auspacken beschäftigt und Post sichten und dergleichen, aber, klar, komm vorbei! Bis du hier bist, haben wir uns schon wieder häuslich eingerichtet. Zumindest für einen Kaffee sollte es reichen.

    Frey konnte gar nicht glauben, wie gesprächig Anna war. Er sollte sie vielleicht auch mal an die See schicken. Offenbar tat ihr das wirklich gut.

    Ich mach mich gleich auf den Weg. Bis dann!

    Sie hatte das Zauberwort gesagt: Kaffee! Es gab nichts, was er jetzt dringender brauchte, als Unmengen von Koffein. Sein Kreislauf meldete sich schon wieder und das, obwohl er saß. Langsam wurde die Angelegenheit wirklich lästig. Womöglich kam er da doch nicht um einen Arztbesuch herum. Aber jetzt gab es erst mal Kaffee in netter Gesellschaft, das würde ihn schon wieder gerade rücken.

    Auf dem Weg zum Parkplatz begegneten ihm Walter Haferkorn und der Arme, wie Frey ihren neuen Pressesprecher nannte. Anfangs war Frey sich sicher gewesen, dass Walter den Mann nur aus Mitleid eingestellt hatte. Welcher Dreißigjährige hieß heute schon noch Richard? Und dann auch noch Wagner? Armer Kerl!

    Es hatte sich aber schnell herausgestellt, dass Richard nicht nur ein sehr sympathischer und humorvoller Mensch, sondern auch ein wirklich fähiger Ersatz für Bernd Breckerfeld, seinen treulosen Vorgänger, war. Seinen Spitznamen hatte er trotzdem weg.

    Zwar besaß der „Arme" offenbar die gleiche Vorliebe für maßgeschneiderte Anzüge wie Breckerfeld. Im Gegensatz zu Bernd, der trotz edler Stoffe stets schmierig und ungepflegt gewirkt hatte, sah Wagner damit aber auch wirklich gut aus. Maike, die Maskenbildnerin, hatte gleich am ersten Tag geschwärmt, Wagner könne glatt einem Hochglanzmagazin entsprungen sein. Und wie er Frey gerade mit Haferkorn entgegen kam, knapp 1,90 Meter groß, mit lässig aufgeschlagenem Hemdkragen und seinem gewinnenden Zahnpasta-Lächeln, musste der Schauspieler ihr insgeheim zustimmen. Dass Wagner auch über den zugehörigen Körperbau verfügte, ließ sich selbst unter mehreren Lagen des feinen Zwirns noch erahnen.

    Na mein Junge, dröhnte Haferkorns tiefer Bass Frey entgegen. Willst du schon wieder weg?

    Frey kannte den 56jährigen Filmproduzenten und seine Frau Elli schon über zwei Jahrzehnte. Die ehemaligen Nachbarn seiner Pflegeeltern hatten sich um den orientierungslosen Teenager gekümmert, hatten seine Talente gefördert und über die Jahre war besonders Walter zu einem väterlichen Freund für ihn geworden. Seit einiger Zeit waren sie nun auch noch Geschäftspartner in der Produktionsfirma HFP - Haferkorns Film Produktionen.

    Bin auf dem Weg zu Anna, Jahrestag feiern, antwortete Frey.

    Ein Schatten huschte über Haferkorns breites Gesicht. Auch er war in die Geschehnisse rund um die Brender-Morde und Freys Entführung involviert gewesen und fühlte sich bis heute für den Tod ihrer Sekretärin Kitty verantwortlich. Niemand konnte ihm das ausreden. Dabei hatte keiner von ihnen ahnen können, dass Kittys Freund in Wahrheit nicht Daniel Pfeiffer, sondern Tom Lorenz hieß und nicht der nette Kerl war, für den er sich ausgab.

    Als wolle er die finsteren Gedanken wegwischen, rieb Haferkorn sich über seine in fast zwei Metern Höhe befindliche Glatze und begann mit ihr um die Wette zu strahlen.

    Dass ihr euch immer noch nicht gekriegt habt, polterte er mit einem schelmischen Grinsen. Das soll mal jemand verstehen. Ihr würdet so ein nettes Pärchen abgeben!

    Was nicht ist, kann ja noch werden, rief Frey unverbindlich und verschwand mit eiligen Schritten zu seinem Auto, bevor Haferkorn weiter an diesem Thema rühren konnte.

    Natürlich würden sie ein großartiges Paar abgeben und nichts wäre ihm lieber als das. Aber er hatte keine Lust, jetzt vor dem Armen auszubreiten, was ihn davon abhielt, Anna seine Gefühle für sie zu offenbaren. Das ging Richard einfach nichts an. Es reichte auch so schon, dass quasi ganz Deutschland über Hintergründe zu ihrem Leben informiert war, die eigentlich privat hätten bleiben sollen. Die Klatschpresse hatte noch Monate nach dem tragischen Ende ihrer Geiselnahme nicht das Interesse an ihrem „Schicksal" verloren.

    Ganz abgesehen davon, wäre das auch nicht mal eben so erklärt. Es gab viele Gründe für seine Zurückhaltung. Annas Vergangenheit hatte nichts damit zu tun. Es war kein Problem für ihn, dass sie ihr halbes Leben als Prostituierte, zuletzt gar als Domina gearbeitet hatte. Er war bislang wahrlich kein Kostverächter gewesen und hatte schon sexuelle Beziehungen zu Frauen mit noch wesentlich zweifelhafterem Ruf gehabt.

    Aber Anna war ihm zu wertvoll, als dass er ihr gutes Verhältnis zueinander durch einen Schnellschuss hätte gefährden wollen. Was, wenn ihre Beziehung, wie all seine Liebesgeschichten bisher, irgendwann scheitern würde? Ihre Freundschaft wäre dann sicherlich auch zerstört.

    Schon in dem Augenblick, als sie ihm vor dem Hotel in die Arme stürzte, war es um ihn geschehen gewesen. Doch die unmittelbar darauf folgende Entführung und alles, was dann geschah, machten es ihm unmöglich, ernsthaft an eine feste Beziehung zu denken. Tom Lorenz hatte dafür gesorgt, dass Anna sich vermutlich nie wieder einem Mann hingeben würde und wenn, dann musste die Initiative von ihr selbst ausgehen. Er wollte sie auf keinen Fall zu irgendwas drängen.

    Momentan begnügte er sich also damit, ab und an ihre Gesellschaft zu genießen und sich an den Fortschritten ihrer Genesung zu erfreuen.

    Für Kölner Verhältnisse kam er sogar erstaunlich gut durch und so dauerte es nicht lange, bis er mit einem Kribbeln in der Magengegend vor Annas Tür stand und die Klingel neben dem Schild Lorenz/Meyer drückte.

    Ja?, hörte er Viviens Stimme aus dem Lautsprecher.

    Champagnerlieferservice, rief er. Ich habe hier eine Lieferung für...

    Keine Sekunde später summte der Türöffner und er betrat grinsend den Flur.

    In der Hoffnung, dass man ihm sein unfreiwilliges Nickerchen auf der Tastatur des Rechners nicht allzu sehr ansehen würde, strubbelte er mit geübter Geste durch sein dichtes, stets etwas zu langes schwarzes Haar und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht.

    Frey wusste ganz genau um seine Wirkung auf Frauen, schließlich bescheinigten ihm sogar Kritiker und Neider ein umwerfendes Äußeres und einen geradezu unwiderstehlichen Charme. Er hatte sich auch nie gescheut, diesen Umstand für seine Zwecke auszunutzen. Aber für Anna wollte er tatsächlich gut aussehen. Schon alleine, damit er sich nicht ganz so sehr wie ein liebeskranker, pickliger Teeny fühlte, was er sich selbst gegenüber allerdings nie zugeben würde. Die Tatsache, dass er es diesmal war, der erobern wollte, war für ihn eine gänzlich neue Erfahrung, die ihn zutiefst verunsicherte. Normalerweise war er derjenige, der sich von einer reichhaltigen Auswahl erobern ließ.

    Immerhin hatte er drei Stockwerke Zeit, sich herzurichten und so konnte er halbwegs sicher sein, dass die Frisur saß, als er oben ankam.

    Viviens derzeit dunkelroter Lockenkopf erschien aus dem Badezimmer, als er gegen die offen stehende Wohnungstür klopfte und strahlte ihn an.

    Hi Chris, rief sie gut gelaunt. Anna ist im Wohnzimmer. Dann war sie wieder verschwunden.

    Frey fragte sich, wie man in drei Tagen so viel Bräune abbekommen konnte, aber als er auf dem Weg ins Wohnzimmer am Bad vorbei kam, beschlich ihn der Verdacht, dass Vivien mit etwas Schminke ordentlich nachgeholfen hatte.

    Ein ganzes Sammelsurium an Döschen und Tuben umgab das winzige Waschbecken. Und so ziemlich alle schienen gerade benutzt worden zu sein. Beruhigend zu wissen, dass er nicht alleine war mit seiner Eitelkeit. Grinsend ging er auf das Wohnzimmer zu und spähte erwartungsvoll hinein.

    Anna saß auf dem Sofa und hielt etwas in den Händen, dass sie still betrachtete. Sie schien noch gar nicht mitbekommen zu haben, dass er dort stand und war tief in Gedanken versunken. Einen Moment lang beobachtete er die junge Frau, die seine Gefühlswelt derart auf den Kopf gestellt hatte. Die zarte Gestalt täuschte darüber hinweg, was für eine ungeheure Kraft und welchen eisernen Willen sie hatte. Ihre nach wie vor kurz geschnittenen dunklen Haare umrahmten ihr hübsches Gesicht und glänzten im Licht der Frühlingssonne, die durch das große Fenster des Altbaus beinahe den ganzen Raum durchflutete. Wie sie so da saß, wirkte sie wieder genauso zerbrechlich und hilflos, wie im Februar, als Tom Lorenz plötzlich bei den Dreharbeiten aufgetaucht war.

    Anna hatte an diesem Tag eine Gastrolle gespielt und es war ihnen bis heute unbegreiflich, wie Tom davon gewusst haben konnte. Er hatte sie auf der Toilette abgefangen und versucht, sie durch eine Spritze mit Heroin wieder abhängig zu machen, was ihm jedoch nicht gelungen war. Der befürchtete Rückfall war dank sofortiger medizinischer Überwachung und Annas starkem Willen nur sehr schwach ausgefallen. Aber es war das erste und bislang einzige Mal gewesen, dass der flüchtige Massenmörder und Psychopath sich öffentlich gezeigt hatte und er hatte ihr versprochen, dass sie wieder von ihm hören würden. Bis jetzt war das zum Glück ausgeblieben, was Freys Hoffnung nährte, dass Lorenz allmählich das Interesse an ihnen verloren hatte.

    Komm doch rein, sagte sie leise.

    Sie hatte ihn also doch bemerkt. Was war nur in der letzten halben Stunde passiert, dass sie derart verändert hatte? Von der lustigen und gut gelaunten Anna von vorhin war nichts mehr übrig. Besorgt eilte Frey um die Couch herum und setzte sich neben die junge Frau, die ihn traurig ansah.

    Ich denke, es geht wieder los, sagte sie und reichte ihm ein schön gearbeitetes Holzkästchen,

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