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STECKSCHUSS
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eBook468 Seiten6 Stunden

STECKSCHUSS

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Über dieses E-Book

Ein Schuss in der Nacht! Oder war es nur die Fehlzündung eines Mopeds? Drei Stunden später entdeckt der volltrunkene Fritz Bernhuber seinen WG-Mitbewohner vergiftet in dessen Zimmer. Ortspolizist Püschl unterbricht sein Liebestreiben mit Praktikantin Lena und eilt pflichtbewusst zum Tatort. Mit dem Kollegen Harlander und Lena versucht er den vertrackten Fall zu lösen. Aber der skurrile Freundeskreis des Opfers und dessen groteskes Beziehungsgeflecht ist schwer zu durchschauen: erotische Eskapaden, Alkoholexzesse und Eifersüchteleien zuhauf! Und Harlanders Neigung, überall Parallelen zu TV-Krimis zu sehen, ist auch keine rechte Hilfe. Es braucht einen genialen Einfall...
SpracheDeutsch
HerausgeberRICCARDI
Erscheinungsdatum1. Juli 2020
ISBN9783969177846
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    Buchvorschau

    STECKSCHUSS - Ernst Rabener

    Inhaltsverzeichnis

    II 

    III 

    IV 

    VI 

    VII 

    VIII 

    IX 

    XI 

    XII 

    XIII 

    XIV 

    XV 

    XVI 

    XVII 

    XVIII 

    XIX 

    XX 

    XXI 

    XXII 

    XXIII 

    XXIV 

    XXV 

    XXVI 

    XXVII 

    XXVIII 

    XXIX 

    Vollständige e-Book Ausgabe 2020 

    Copyright © 2020 RICCARDI-Books 

    ein Imprint der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt 

    Korrektorat: Theresa Riedl 

    Umschlaggestaltung: Ria Raven, www.riaraven.de

    Bildmaterial: © shutterstock/Gabor Kenyeres, H.J. Luntzer 

    © adobe Stock/Photoflorenzo 

    Alle Rechte vorbehalten 

    Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung 

    können ziviloder strafrechtlich verfolgt werden. 

    (e-Book) ISBN: 9783969177846 

    www.spielberg-verlag.de

    Ernst Rabener (Ps.) studierte Literaturwissenschaften in München und unterrichtete lange Jahre Sprachen und Ethik im In- und Ausland. Seine Leidenschaft für die europäische Hochliteratur wurde seit jeher ergänzt durch ein ausgeprägtes Faible für Krimis in jeder Form.

    Steckschuss 

    Halb elf Uhr abends, ein Notruf:

    »Hallo! Hören S’! Da hat grad jemand geschossen! Einen ganz lauten Knall haben wir gehört, ganz in der Näh’! Einen Schuss! Da hat jemand geschossen!«

    Eine Frauenstimme, ältlich und vor Aufregung zitternd.

    »Ein Schuss, aha. Bitte Ihren genauen Standort, gute Frau, damit wir…«

    »Was meinen S’?! Wie meinen S’ das mit dem Stand…?«

    »Nein, Ihren Standort! Wo Sie sind, muss ich wissen!«

    »Ja mittendrin sind wir noch, was denken S’ denn! Mein Mann da hinten, der Alfons, der wird schon unruhig, weil er doch mit dem Fíakra…«

    Kurt Wiedemann, der diensthabende Beamte, unterbrach noch einmal: »Fiaker, Schuss, Ihr Mann… Gute Frau, sagen S’ mir einfach, wo Sie sind, sonst können wir Ihnen…«

    »Ja wenn ich’s Ihnen doch sag’! Mittendrin sind wir noch!«

    »Ihre Adresse, bittschön!«

    Kurt klang genervt und versuchte es ein letztes Mal, in gehobener Lautstärke, um endlich verstanden zu werden.

    »Böhmerwaldstraß’ zwölf, warum? Ich sag’ doch, dass hier grad der Schuss war, den wo wir…!«

    »Wenn S’ mir jetzt noch Ihren Namen…«

    »Ja die Friedl bin ich, die Schiedmüller Friedl! Und wegen dem Alfons, meinem Mann da hinten, muss ich jetzt wirklich aufhören, sonst geht da heut’ wieder mal… Hören S’… Hören S’…?!«

    Kurt legte auf und verständigte die Streife.

    Friedl Schiedmüller bekam das leise Klicken nicht mit und redete noch ein Weilchen weiter:

    »…weil sein Fíakra schließlich nicht ewig wirkt und er schon fuchtelt! Hören S’ nicht, wie er schon mault? Ich muss jetzt schnell zurück zu ihm, sonst können wir gleich wieder von vorn und nochmal… Hallo! Hallo!!«

    Einen Augenblick lauschte sie noch, dann schimpfte sie über die Unverschämtheit, sie einfach abzuwürgen, wo sie doch hatte helfen wollen, ein Verbrechen aufzudecken oder zu verhindern, und wandte sich wieder ihrem Alfons zu.

    Der winkte aber schon ab. Als sie ans Bett kam, sah auch sie den unwiderleglichen Beweis, dass heut’ nichts mehr gehen würde: Die Fortsetzung der Selbstversuchsreihe, der Grundlage für die neue Serie in ihrer Seniorenzeitschrift Machmal!, musste aufgeschoben werden, mindestens bis morgen.

    Wieder einmal war etwas daneben gegangen oder, wie in diesem Fall, unvollendet geblieben, weil sie, wie ihr Alfons, einfach nicht mehr so gut hörte. Und wenn dazukam, dass sie sich zu unbeholfen oder schwer verständlich ausdrückte, ergaben sich Missverständnisse wie eben, sehr zum Verdruss der Beteiligten.

    Immerhin, die Streife war mit Blaulicht unterwegs.

    Den lauten Knall vorhin, den hatten beide Schiedmüllers, obwohl sie mitten im Selbstversuch steckten, nicht überhört, und die Friedl war nicht wenig stolz darauf, dass sie ihre Bürgerpflicht erfüllt und den nächtlichen Schuss sofort dem Amt mitgeteilt hatte.

    »Den hast du doch grad auch gehört, den Schuss, den Schuss grad!«, fragte sie den traurigen Alfons, als sie vor dem Bett stand.

    »Ja freilich hab’ ich den auch gehört, den Schuss!«, gab er ihr recht und las erleichtert aus ihrer grämlichen Miene, dass sie heut’ wohl keine Ansprüche mehr an ihn stellen werde.

    II 

    Um zehn vor elf war die Streife bei Schiedmüllers.

    Das Blaulicht hatten Ottl und Luggi am Ortseingang ausgeschaltet, um die braven Hochwieler Bürger nicht zu verschrecken. Die beiden Alten kamen aufs erste Klingeln herunter, ängstlich, als lauere der Schütze noch irgendwo, und verbeugten sich vor den Ordnungshütern tiefer und öfter als nötig.

    Die Befragung verlief ähnlich wie Friedls Telefonat mit der Notrufzentrale, weil sie und ihr Alfons wieder höchstens die Hälfte verstanden und das großenteils falsch.

    Die Geschichte mit dem Fíakra ließ die Friedl diesmal weg und berichtete nur, sie hab’ auf den Schuss hin den Selbstversuch sofort abgebrochen, sei zum Fenster gelaufen, und obwohl sie keine Leich’ und keinen Mörder gesehen hab’, hab’ sie natürlich gleich angerufen, wegen ihrer Staatspflicht. Dann ließ sie sich von ihrem Alfons, der zwischendurch ohne erkennbaren Zusammenhang ein strammes »Grüß Gott, Herr Nachtmeister!« von sich gegeben hatte, erneut dreimal bestätigen, dass er den Schuss auch gehört hab’, »obwohl er eigentlich, wissen S’, Herr Kommissar, eigentlich hört er nimmer ganz so gut, mein Alfons. Aber den Schuss, den hat er g’hört. Alfons! Den hast doch g’hört, den Schuss, gell?«

    Alfons nickte stumm, wie schon dreimal davor.

    Dafür redete die Friedl immer aufgeregter und lauter: »Wissen S’, mein Alfons und ich, wir haben den Schuss ja ganz deutlich gehört, und wenn S’ hier mal genau nachschauen, dann finden S’ den bestimmt, den Schuss, der muss da ja noch irgendwo in der Mauer stecken, der Schuss! Ganz bestimmt steckt die noch irgendwo in ’ner Mauer hier, die Schusskugel!«

    In zwei Nachbarhäusern ging das Licht im Erdgeschoss an. Für einen anständigen Hochwieler war längst Schlafenszeit. Vorhänge, sah der Luggi, bewegten sich auch.

    Ansonsten: keine Spur einer Schießerei, nichts.

    »Es kommt halt manchmal vor, dass die Leut’ was zu hören glauben, wo nix is’«, merkte Ottl an, nicht ahnend, was er damit auslöste.

    Alfons hatte davon kein Wort verstanden, denn die Streifenpolizisten sprachen, mit Rücksicht auf die Anwohner, für Schiedmüller’sche Ohren viel zu leise. Und Friedl hatte nur »manchmal« und »hören glauben« aufgeschnappt, was in ihrem Kopf zu der fixen Idee wurde, der Herr Beamte hab’ gesagt, er »glaube von Machmal! gehört« zu haben.

    Prompt reagierte sie mit einem forschen Angebot: »Wollen S’ alle zwei ein Exemplar oder zwei?«

    Ottl und Luggi wussten nicht, was sie jetzt wollen sollten oder konnten, erst recht nicht, als Friedl noch ein Stück lauter ankündigte, seit Kurzem laufe die Entwicklung der Software für ihre Homepage und demnächst würden sie online präsent sein, weltweit! »Global sind wir dann mit unserem Machmal! präsent, verstehen S’, und jetzt hol’ ich Ihnen doch schnell zwei…«

    Luggi legte ihr geistesgegenwärtig die Hand auf die Schulter und hielt sie zurück: »Jetzt bittschön nicht, gute Frau. Sie sehen’s doch, wir haben noch viel Arbeit heut’ Nacht. Den Schuss suchen zum Beispiel, wo der steckt! Aber wir kommen auf Sie zu, halten S’ sich zur Verfügung!«

    Womit sie sich, einen Finger an der Mütze, abwandten.

    Alfons hatte, allein schon wegen seiner Aufgeregtheit, wieder nichts verstanden, Friedl aber: »Es kommt da was auf Sie zu!«

    Und so stand sie, während er der Staatsmacht ein paar Bücklinge hinterherschickte, wie vom Donner gerührt da und sah mit bitterbösem Blick, dass die Herrn Polizisten bei den Nachbarn auf Nummer vierzehn läuteten. Und das mit der »Verfügung« konnte sie sich auch nicht zusammenreimen.

    Ausgerechnet bei denen!, dachte sie, wo uns die Sauköpf ’ von vierzehn drüben schon immer alles nachsagen, seit Jahren!

    Sie fasste ihren Alfons am Arm und schob ihn vor sich her ins Haus.

    Vor der Bettruhe, für die man sich zu Alfons’ Erleichterung bald entschied, war sie noch wortreich damit beschäftigt, ihm klarzumachen, was ihnen soeben angedroht worden war.

    Frau Wagenknecht riss, kaum hatte Luggi geklingelt, auch schon die Tür auf und schwallte sofort hemmungslos auf die Uniformierten ein: Alle Augenblicke würden die da drüben wegen allem Möglichen Zirkus machen, »die ganze Nachbarschaft treiben’s in den Wahnsinn mit ihren Spinnereien! Ich sag’s Ihnen! Spinnen tun’s, und hören tun’s auch nichts mehr! Oder wenn, dann alles falsch! Schuss! Von wegen Schuss! So ein Schmarrn!«

    Das Ohr am Türspalt, hatte sie mitbekommen, dass während der Schiedmüller-Befragung das Wort Schuss gefallen war.

    »Die spinnen doch! Selber haben’s ’nen Schuss!«

    Herr Wagenknecht nickte beifällig, sein verkniffener Mund demonstrierte gutbürgerliche Empörung.

    »Nix Schuss!«, fuhr Frau Wagenknecht in heftiger Erregung fort, »ein Mopedler war’s, der hier die Böhmerwald runtergerauscht ist! Zwei Fehlzündungen, peng und peng! Die zweite haben die da drüben doch gar nicht mehr gehört, unsre dreivierteltauben Medien-Tycoons mit ihrem Schmierblatt, ihrem Seniorenporno!«

    »Was meinen S’ jetzt damit, gute Frau?« Den Luggi überkam ein Anflug von dienstlicher Neugier.

    Und so erfuhren er und der Kollege erste Einzelheiten über die Schiedmüller’sche Monatszeitschrift:

    »Jedem«, so die wütende Frau Wagenknecht, »drehen sie’s an, jedem, den s’ in die Finger kriegen! Überall legen sie’s aus, im Krankenhaus, im Bahnhof, in den Arztpraxen, im Altersheim: Überall liegt’s rum, das Scheißblatt!«

    Die unbedachte Frage Ottls: »Warum gleich Scheißblatt?« gab den Anstoß, dass sie auch alles andere, was über Machmal! allgemein bekannt war, zu hören bekamen, abschließend eine knappe Inhaltsangabe der letzten Ausgabe, die sich, wie die vorangegangenen Nummern, kurz nach Erscheinen ungebeten in allen Briefkästen der Nachbarschaft gefunden hatte.

    »Hören nichts und rufen die Polizei wegen ’ner Mopedfehlzündung, man glaubt’s nicht!«

    Frau Wagenknecht hatte sich derart ereifert, dass ihr Mann Egon übernehmen musste: »Tatsächlich, meine Herrn, ein neues Level, eine neue Qualität dieses anhaltenden nachbarlichen Wahnsinns! Wir haben den verrückten Mopedfahrer schon von Weitem gehört, wie er die Straße hochgerast ist. Und dann hat’s ein erstes Mal geknallt, hier, ziemlich genau hier« – ein spitzer Finger zeigte auf die schwach beleuchtete Straße – »und ein Stück weiter oben nochmal. Dann muss er abgebogen sein.«

    Erneut zog Herr Wagenknecht eine vornehm empörte Miene.

    Seine Gattin war wieder zu Atem gekommen: »Und die machen draus eine Hauptund Staatsaktion, die verblödeten Spinner! Ist doch unglaublich! Wer, bittschön, soll denn in der Gegend hier schießen? Sind doch lauter ältere Leut’ ringsrum! Und das Einzige, wo’s gelegentlich Streitereien gibt, das ist, wenn die zwei da drüben es im Sommer nachts bei offenem Fenster mal wieder so laut treiben, dass sie die ganze Nachbarschaft verschrecken! Wie sie sich bloß nicht schämen, die alten Deppen! Hätten wir weiß Gott viel eher und öfter Grund, die Polizei zu holen und…«

    Ottl fand’s an der Zeit, sich einem weiteren Nachbarsehepaar zuzuwenden, das sich, während die Wagenknechts redeten, dazugestellt hatte und beifällig nickte.

    »Und Sie? Was haben Sie gehört?«

    »Alles, nur keinen Schuss«, bestätigte Herr Schneiderhahn.

    »Klar war’s ein Moped. Kam von da unten und raste da rauf, peng! Direkt hier am Eck, Fehlzündung, klarer Fall! Wie man so blöd sein kann, einen Schuss hören zu wollen, wo’s hier im Viertel friedlich ist wie nirgends sonst in Hochwiel, das…« Luggi schien genug gehört und überhaupt genug zu haben und verbat den vier Gestalten im Zwielicht der Straßenbeleuchtung ziemlich resolut jede Bescheidwisserei: »Familientragödien, Eifersucht, Erbstreitereien mit tödlichem Ausgang – was meinen S’, weswegen nicht schon alles geschossen worden ist! Und zwar überall, auch in scheinbar befriedeten Rentnervierteln wie dem hier!«

    »Ein Mopedler war’s, fertig, aus!«

    Noch einmal ergriff Herr Wagenknecht das Wort, in sehr bestimmtem Ton, der keinen Einwand duldete: »Kein Schuss, meine Herrn, sondern wahrscheinlich der Knall eines Mopedauspuffs, der…«

    »Aller Wahrscheinlichkeit nach«, sekundierte Frau Wagenknecht.

    Das andere Ehepaar nickte heftig. »Man hat doch auch davor nichts gehört von der Straß’ her, nix! Keinen Streit, kein Geschimpfe, keinen Krach, und danach auch nichts, keinen Schrei oder so was, sondern bloß das Moped!«

    »Dass ’n Erschossener noch schreit, gibt’s in Edgar-Wallace-Filmen aus den Sechzgerjahren oder beim Derrick. Bei uns nicht«, meinte Luggi und trottete grußlos mit Ottl zurück zum Auto.

    »Verhaften S’ lieber die Schiedmüllers, am besten gleich alle zwei!«, rief ihnen Herr Wagenknecht hinterher und wackelte mit dem rechten Zeigefinger ungestüm in der Luft herum, »die handeln mit Pornografie, die alten Säu’!«

    »Hast du ’ne Ahnung, was die vorhin mit Selbstversuch gemeint hat, die alte Dame?«

    Luggi zuckte mit der Schulter: »Keine Ahnung. Vielleicht drehen’s Pornoselfies für den Eigenbedarf. Oder für ihr Blättchen, über das die andern so hergezogen sind. Sachen gibt’s!«

    »Ich schreib’ nachher gleich noch den Bericht«, bot sich Ottl an, als sie im Dienstwagen saßen.

    Dem Luggi war’s nicht unrecht.

    III 

    Kurz vor halb zwölf waren Ottl und Luggi auf dem Revier. Ottl setzte sich an den Computer und gab im Zweifingersystem ein, was ihm von der Befragung noch einfiel. Luggi korrigierte nach ’ner halben Stunde, was Ottl fabriziert hatte, und nickte. Dann las Ottl nochmals drüber und nickte seinerseits, dann nochmals der Luggi, der dem Kollegen abschließend auf die Schulter klopfte. Das Ganze speicherten sie unter Ottlbericht ab und legten für die Kollegen eine handschriftliche Zettelnotiz neben den Bildschirm: Ottlbericht anschaun!

    Bis Viertel vor eins machten sie Brotzeit. Dann drehten sie ihre nächste Runde, über Peißenberg Richtung Schongau.

    Ottl meinte: »Hoffentlich wird der Rest der Nacht nicht genau so stressig! Mannomann!«

    Luggi nickte besorgt.

    Vorsichtshalber schalteten sie schon mal ihre Diensthandys aus.

    Ein paar Minuten vor eins ging im Quattro Fontane, dem Italiener am Kirchplatz, nochmals Licht an, geschlossen war seit zwölf. Eine leicht aufgebrachte Frau schob einen sturzbetrunkenen Jüngling, den Bernhuber Fritz, aus der Tür in die kühle Dunkelheit hinaus, schaute ihm, die Fäuste in den Hüften, ein Weilchen hinterher, bis er um die Ecke in die Schmitzstraße eingebogen war, und schloss ab, das zweite Mal heut’ Abend. Sie musste sich noch um ihren Mann kümmern, den Carlone, der im Hinterzimmer überm Tisch lag.

    Niemand hätte hinterher von Fritz in Erfahrung bringen können, wie er nach Hause gekommen war: Totaler Filmriss.

    Schon um halb elf hatte er den Weg vom Fuchsbräustüberl ins Quattro Fontane nur noch instinktiv gefunden.

    Um zehn nach eins tapste er schwerfällig wankend über die Schwelle des eingeschossigen Häuschens in der Schießstättstraße. Im Flur arbeitete er sich, vorbei an der Küche, in der sich das schmutzige Geschirr vom Abend stapelte, taumelnd die Wand entlang bis zum Zimmer seines WG-Bruders Georg Schöderlein.

    Die Tür war verschlossen, wie jene gegenüber, durch die, das kannte er, mal wieder leise Quieker und Stöhnerchen drangen: Sissilissi, die kleinen Lesben, mit denen die beiden Jungs vor zwei Jahren hier eingezogen waren, machten Liebe. Zweimal pochte Fritz, mit der Schulter angelehnt, an Georgs Tür und lallte leise: »Schorsch-schi!«

    So hageldicht er war: Er wollte noch einen Versöhnungsversuch starten, nachdem sie sich heute, wie so oft, nach dem Abendessen zu viert hier in der Wohnung in die Haare gekriegt, im Fuchsbräustüberl, wieder mal, weitergestritten und sich dort, nicht zum ersten Mal, um halb elf, als der Sepp sie rauswarf, unter wüsten Beschimpfungen getrennt hatten. Schorschi war nach Hause gegangen, er, der Fritz, wollte noch, wie er sagte oder eher schrie, zum Carlone gehen.

    Als sich aufs dritte Klopfen hin nichts rührte – nur die Mädels alberten in seinem Rücken, wie er hörte, weiter lustig herum –, drückte er, stehen konnt’ er eh nicht mehr, die Klinke und ging oder besser: torkelte hinein.

    Schorschi lag, in absurder Verkrümmung, auf dem Flokati vor dem Korbstuhl, aus dem er gefallen sein musste, die Gesichtszüge grauenhaft verzerrt, mit erstarrtem Blick aus den offenen Augen.

    Anscheinend, so Fritz’ erster Gedanke, war der noch besoffener als er selber.

    Er wollte sich zu ihm hinunterbeugen, fiel aber der Länge nach neben Schorschi hin und kam schauerlicherweise so zu liegen, dass er, entsetzlich nah, Gesicht an Gesicht, in die toten Augen des Freundes stierte.

    Die sah er natürlich auch noch doppelt, ein Schock, der ihn zwar nicht nüchtern machte, aber aufschreien und so weit zu Sinnen kommen ließ, dass er merkte, er müsse was unternehmen.

    Also fasste er nach jener Schulter Schorschis, die ihm näher war, bekam sie, nachdem er zwei Mal ins Leere gegriffen hatte, zu fassen und rüttelte daran. Das heißt, er schob sie ein wenig hin und her, bevor er, immerhin schon halb sitzend, abermals den Halt verlor, vornüber kippte und für ein paar fürchterliche Momente über Schorschi lag, quer, als wolle er ihn unter Einsatz seines Lebens beschützen.

    Mühsam rappelte er sich auf, kam auf wundersame Weise in die Vertikale, versuchte es mit »Schorsch-schi! Schorschschi!«-Geschrei und stupste den reglosen Körper mit der Fußspitze in den Oberschenkel, wodurch er selbst erneut in bedenkliche Schräglage geriet und hinzuplumpsen drohte.

    Noch einmal widersetzte er sich erfolgreich den Gesetzen der Schwerkraft und schaffte es, mit schwer schwankendem Oberkörper breitbeinig stehen zu bleiben. Die Augen, in denen sich Tränen sammelten, vor Angst weit aufgerissen, schaute er hilfund ratlos um sich und schrie noch einmal, noch lauter »Schorsch-schieee!« und im Anschluss, mit einem schweren Hickser zwischen den Silben, »Hil-fäää!«

    Es klang, als bitte er seinerseits den Schorschi darum.

    Fritz torkelte auf den Flur zurück, schlug schwer mit seinem vollen Körpergewicht gegen die Tür der Mädchen und sank daran in filmreifer Langsamkeit herab, von Heulen geschüttelt, wirres Zeug auf den blubbernden Lippen.

    Wütend riss Sissi, durch den dumpfen Schlag in ihrem lieblichen Beisammensein mit Lissi entscheidend gestört, die Tür auf, splitternackt, und holte zu hellem Schimpfgeschrei aus.

    Vor die zierlichen Füßchen aber fiel ihr der Oberkörper des Zimmernachbarn Fritz, vor dem sie wie vor einem großen Insekt erschrak: Mit einem Ekellaut auf den süßen Lippen tat sie einen eleganten Hüpfer nach hinten.

    Als sie erneut zur großen Wutrede ausholte, um den Blödmann da wegen seiner Spannerei zur Sau zu machen, zog Lissi, die über die Schulter der Liebsten einen Blick in Schorschis Zimmer geworfen hatte, sie am Arm zurück und wies stumm und schreckensstarr mit den Augen auf den, der da drüben lag.

    Verstört sah Sissi von Fritz auf und erblickte den Schorschi.

    Entsetzt legte sie ein zartes Händchen vor den Mund, stieg, nackt, über den heulenden, jammernden Fritz und trippelte hinüber. Sie beugte sich über Schorschi, gab abermals einen schrillen Laut von sich und stürzte zurück.

    Sie riss das Smartphone, das seltsamerweise mit der Schmalseite am vorderen Rand des Regals neben der Tür stand, ans Ohr, tippte zitternd Eins-Eins-Null und teilte, während Lissi in Schockstarre verharrte, atemlos mit, dass in der Schießstättstraße Nummer sieben ein Toter liege, ihr Mitbewohner, der Schöderlein Georg.

    IV 

    Hübsch weich und fest zugleich, das linke Brüstchen!, spürte Pauls rechte Hand, mit der er es zärtlich bedeckt hielt. In der Mitte gut zu erfühlen das Knöpfchen, hart und aufrecht, seit seine Lippen vorhin für zwei kurze Küsse drauf gelandet waren. Die Linke führte er derweil spazieren und ließ sie kraulen und streicheln, hinterm Ohr und gemütlich das Wänglein herunter…

    So schwer war es nicht gewesen, mit ihr da zu landen, wo sie waren. Nach Dienstschluss hatte er sie noch ein bisschen aufgehalten und muntere Scherze gemacht und ihr im Flur aus dem Automaten ‚nen Espresso rausgelassen, doppelt wollt’ sie ihn. Und jetzt…

    Ein Seufzerchen huschte gerade aus den spaltbreit geöffneten Lippen, ein leises, wie vorhin schon mal, als er bescheiden am linken Igelschnäuzchen züngelte. Schön langsam ließ er jetzt die Zungenspitze Richtung Nabel abwärtsgleiten.

    Ihr munteres Nein, als er fragte, ob sie abends noch was vorhabe. Er tat, als müsst’ er groß überlegen, was sich hier in Hochwiel, dem Jammerstädtchen, groß anbiete. Sie wollte zum Italiener, ins Quattro Fontane.

    Nun war abzusehen, dass in Kürze das letzte Textil den schlanken Körper verlassen wird, indem es von der Hüfte und abwärts über die Beine gleitet. Ein bisschen noch die Zunge rings um den Nabel schicken, dann zum Höschen hinunter. Möglich, dass die Zähne gleich ihren Einsatz hatten. Sieh an! Am schmalen Bund des grünen Slips ein Blümchen, ein winziges rotes Röschen aus Stoff, das einlud, mit behutsamen Zähnen das zarte Gewebe herunterzuziehen. Ein bisschen musste sie aber schon selber dazutun! Popochen und Beine heben… Für den beiderseitigen Lustgewinn war seinerseits alles in der nötigen Form und Verfassung: Das spannte und drückte und drängte längst heftig nach draußen ins Freie und wollte endlich hinein in den Born des Vergnügens…

    Nach ihren ersten paar Tagen hier kannte die Lena natürlich noch nicht alle gängigen Sprüche und lachte auch da, wo der Kollege Karl längst abgewinkt hätte. Viel geplaudert, viel gelacht auch im Quattro Fontane, bei Carlones legendärer Carbonara und reichlich Chianti.

    Ein weiteres Seufzerchen jetzt, als die Fingerkuppen der Rechten abwärts zum Höschenbund trippelten, um gemeinsam mit den Zähnen… Wenn der Eindruck nicht trog, würde das Röschen das schon aushalten, dass man dran ein bisschen mit den Zähnen zog, nach unten…

    Einen hauchfeinen Kuss nochmal auf den Nabel, ohne das süße Trichterchen groß zu berühren… Und nun zurück zum Röschen: Beißt sachte zu, ihr Zähnchen! Und ihr, meine zarten Finger, helft ziehen am Bund, langsam, schön langsam…

    Es summte. Drei Mal.

    Das glaubte er jetzt nicht! Das konnte nur böse Täuschung sein! Paul, das Röschen zwischen den Zähnen, geriet außer sich, als das Handy summte: Böse Täuschung oder niederträchtige Gemeinheit! Ein gezieltes Attentat auf ein Liebespaar in Aktion, auf die Lena und ihn! Nur darum konnte sich’s handeln!

    Dreimal nacheinander summte das Drecksding, kurze Pause, wieder dreimal, smm-smm-smm, Pause. Es war tatsächlich das Handy, sein verfluchtes Diensthandy, das ihn heraussummte, jetzt, um zwanzig nach eins, aus dem fast beendeten Vorspiel, kurz vor dem Hauptgang!

    Was war zu tun?

    Abbruch, Griff nach dem Shitphone, Aufschub des Liebesspiels. Neubeginn und Fortsetzung im Irgendwann, wenn überhaupt!

    Die Stimme am anderen Ende kannte er: Kurt von der Notrufzentrale.

    Bevor der ihn beschwallen konnte, maulte er zornig los:

    »Was rufst denn nicht die Streife an, du Sakramenter? Ich bin…«

    Rüde unterbrach ihn Kurt: »Hör mal zu, du Nachtwächter! Du hast ’nen Mord bei dir um die Ecke! Da fährst jetzt bittschön hin und holst den Harlander Karl dazu! Ich hab’ außer euch keine Leut’ mehr!«

    Dann erfuhr Paul, was die Kollegen draußen, während er die Jungkollegin Lena hingebungsvoll bearbeitete, alles auszustehen und durchzumachen hatten: Die reguläre Streife sei zum Beispiel in Schongau in ’ne wüste Massenschlägerei verwickelt worden, bei der der dortige Stadtpfarrer eine zwielichtige Rolle spielte, »in Raisting, verstehst, ist ’ne Nichtabstiegsfeier von Sechzgerfans ausm Ruder gelaufen, zwei Fangruppen aufeinander los, Messerstecherei, zwei Schwerverletzte! In Magnetsried, das glaubst nicht!, ballern zwei Jungbauern, zwei Brüder, auf ’m Hof rum, die wollen ihren Vater in Schach halten, bis die Polizei kommt, hat angeblich die Mutter vergiftet, weil die’s nach der Ü-60-Party angeblich mit dem Nachbarsbauern in ’ner leeren Mülltonne getrieben hat! Stellt sich zwar raus, dass sie bloß ’ne Alkoholvergiftung hatte, aber zwei Mann natürlich! Muss auch da zwei Mann hinschicken, weil die Nachbarn mir was von ’ner Mordsschießerei ins Ohr brüllen! Und jetzt, Püschl Paul, zefix!, jetzt fährst bittschön los in die Schießstättstraße sieben, da is’ einer tot, ziemlich sicher, wie sich’s am Telefon angehört hat! Anders als vor zwei Stunden, wo zwei gestörte Alte ’s halbe Stadtviertel rebellisch gemacht haben wegen nix und wieder nix, sakra! Das junge Mädl grad eben war völlig verstört!«

    Den letzten Satz hörte Paul nur noch zur Hälfte. Der mürrischen Lena, die im Halbschlaf raunzte, drückte er einen Flüchtigkeitskuss aufs Rosenwänglein und war auch schon aus dem Zimmer.

    Hastig zog er sich an.

    Auf der Treppe fluchte er in sich hinein und wählte Karls Nummer. Der sollte es, wenn schon ihm Liebesfreud und Nachtruhe geraubt waren, auch nicht besser haben, sondern mit ihm zusammen den Tatort begehen.

    Nur die Mailbox war zu sprechen: »Polizeirevier Hochwiel, Polizeihauptmeister Harlander. Leider…«

    Das kannte er, den restlichen Sermon auch. Er wollte es später nochmal probieren.

    Immerhin war auf seinen Notruf-Spezi Kurt Verlass, der leitete alles Notwendige in die Wege: Der Erkennungsdienst würde so schnell wie möglich vor Ort sein, der Alfred vom Münchner EDI wohnte gottlob in Hochwiel. Und aus dem Krankenhaus war die Hallstein zu erwarten, die Rechtsmedizinerin. Die kannte er, wenn auch bisher nur flüchtig.

    Kurz vor halb zwei betrat er das Haus Schießstättstraße sieben und wunderte sich über die unverschlossene Haustür. Vom Erkennungsdient war noch nichts zu sehen. Er entschied sich, die Sache fürs Erste allein in die Hand zu nehmen.

    Am Ende des Flurs saß Fritz auf dem Boden, neben Georgs Zimmertür, wohin ihn Sissilissi verfrachtet hatten, lallte, die Beine gespreizt, vor sich hin und stierte auf das leere Display seines Smartphones, als erwarte er daraus erlösende Nachricht. Paul hatte er nicht bemerkt. Vor Suff und Müdigkeit fielen ihm ein ums andere Mal die Augen zu.

    Auf Pauls »Hallo!« rührte er sich nicht, einzig ein täppischer Lacher entfuhr ihm. Dafür drang es von links aus dem Mädchenzimmer zaghaft und weinerlich: »Ja, hier!«

    Als Paul in den Türstock trat, saßen ihm auf eng nebeneinander postierten Stühlchen die beiden gegenüber, in regenbogenfarbenen Bademäntelchen aus Seide, die Fersen auf der Sitzkante, die Arme um die Knie geschlungen, darauf das Kinn. Herzrührend schluchzten sie im Gleichklang und sahen, als sie Paul bemerkten, mit Unschuldsaugen zu ihm hin.

    Sissi raffte sich zu einem halb geflüsterten »Da!« auf und zeigte mit den Augen nach gegenüber.

    Paul drehte sich um und sah den Toten.

    »Habt ihr was angefasst?«

    Er versuchte, freundlich und rücksichtsvoll zu klingen.

    Beide schüttelten synchron die Köpfchen mit den gleich langen, gleich braunen Haaren und schluchzten weiter. Sein mit unangemessener Strenge vorgetragener Befehl, sie sollten sich nicht rühren und weiterhin die Finger von allem lassen, wirkte nicht nur auf die armen Mädels befremdlich, sondern auch auf Frau Professor Hallstein: Die saß längst in Georgs Zimmer, in der Sitzecke rechts von der Tür, machte sich Notizen und krächzte rau:

    »Schrei nicht rum wie ein Waldaff ’, Tölpel!«

    Paul konnte sie bisher nicht bemerken, sie dagegen hatte ihn sofort gehört und rief ihm zu seinem jähen Schrecken, unsichtbar, wie sie für ihn war, mit ihrer Altweiberstimme aus dem Zimmer heraus zu:

    »Herein, junger Mann, herein! Und frisch ’nen kühnen Blick gewagt ins Leichenschauhaus! Der Totenschein wartet auf dich!«

    Ein unheimliches Kichern folgte.

    Paul wechselte, blass und bleich, von Türstock zu Türstock und blieb stehen: Ohne Isolationskleidung konnte er den Tatort nicht betreten, ohne die hätte er vorhin vermutlich nicht mal den Gang entlang gehen dürfen.

    Er schob den Kopf nach vorne und sah die Frau Professor rechterhand in ihrem weißen Ganzkörperanzug mit Kapuze, unter der, nebst ein paar rostroten Haaren, ein geradezu satanisch grinsendes Runzelgesicht hervorschaute.

    Pauls zaghaftes »Guten Abend, Frau Professor!« konterte sie mit harschem Befehl:

    »Bleib, wo du bist, du Frischling! Und von wegen »guter Abend«, mit ’ner Leiche zur schönsten Nachtstunde! Kennste den? ›Mami, darf ich mit Opi spielen?‹ ›Nein, mein Kind, der Sarg bleibt heute zu!‹«

    Dazu lachte sie, während Paul sprachlos mit offenem Mund dastand, schrill auf, schüttelte den Kopf, als müsse sie sich über das Witzchen totlachen, und sank, so klein sie war, noch weiter in sich zusammen und ins Polster zurück.

    Das Schluchzen aus dem Sissilissi-Zimmer wurde lauter, offenbar empörten sich die beiden Mädels genauso wie Paul, der freilich auch keine Silbe herausbrachte, um von der da im Eck die angemessene Pietät einzufordern.

    Wieder zuckte er, als sie ihn plötzlich aus ihren kleinen Augen anblitzte und anherrschte:

    »Befragen, los! Frag, wer’s von den dreien war, wer ihm das Gift reingemischt hat in den Fusel!«

    Jetzt erst bemerkte Paul, dass Georgs tote Augen geradewegs auf ihn gerichtet waren, und erblickte die Zweiliterpulle billigen Soaves auf dem Tisch, daneben das umgekippte Glas in der ausladenden Weinlache über die halbe Glastischfläche.

    »Gift, meinen S’, Frau Professor?«, fragte er wie betäubt. Wieder verstörte sie ihn mit ihrer Reaktion: »Arzt zur Frau: ›Zweifellos sind Sie vergiftet worden, Gnädigste.‹ Sie: ›Teufel! Womit denn?‹ Er: ›Das sehen wir demnächst bei der Obduktion.‹ Passt prima, nicht?«

    Und schon ließ sie den nächsten gewaltigen Schwall hässlichen Gekichers los, das sie nur unterbrach, um erneut auf Paul einzuschimpfen:

    »Befragen sollste, junger Mann! Was stehste denn sinnund tatenlos hier rum?«

    Womit sie wieselflink ihr Schreibzeug verstaute, aufstand – sie war noch kleiner, als Paul vermutet hatte –, ihr Köfferchen packte und an ihm vorbeihuschen wollte.

    »Wie lang ist er denn schon…«

    »Nicht verwest, nicht mal in Teilen, kein Tierfraß…« Wieder schepperte kurz ihr abscheuliches Gelächter auf. »…keine witterungsbedingten Veränderungen: also ein bis drei Stunden.«

    Das folgende Gekicher galt Paul, den sie damit ein letztes Mal auf den Arm nahm, ohne dass er es ihr hätte heimzahlen können.

    Als sie sich an ihm vorbeidrückte, schaute sie ihm von schräg unten scharf und verstörend in die Augen, ganz kurz, und drückte ihm mit ihrem Einweghandschuh eine Schachtel Tabletten in die Hand:

    »Für die zwei Hühner da drüben auf der Stange! Erleichtert das Reden. Der alkoholvergiftete Jüngling da kriegt nichts, sonst stirbt er dir weg wie sein Freund! Adieu, Püschl Paul!«

    Als er verdutzt von der bunten Schachtel aufsah, war die Hallstein fort, im Zwielicht des Flurs jedenfalls nicht mehr zu erkennen: Lautlos musste sie auf ihren Plastiküberzügen davongehuscht sein.

    Von draußen glaubte er ein geradezu unmäßiges Gelächter zu hören.

    Hat wohl gleich noch ’nen Termin auf dem Blocksberg!, dachte er und stellte sich vor, wie sie dort unter lauten Verwünschungen und diabolischen Flüchen im weißen Ganzkörperanzug auftaucht, ihn wütend vom schrumpeligen Leib reißt und sich zu ihren schauerlichen, schlabberbusigen Mitschwestern gesellt, die dabei sind, über offenem Feuer in einem riesigen, rotglühenden Bronzetopf ein Hexenelixier zu brauen, während andere, Häme in den schwarzen Gesichtern, Hexensalben panschen und der Teufel es allen, die da vor sich hin werkeln, von hinten besorgt, einer nach der andern.

    Noch immer stand Paul wie traumverloren zwischen Georgs Leiche, dem unzurechnungsfähigen Fritz und den schluchzenden Mädchen. Die Vorstellung vom sexualaktiven Beelzebub führte seine Gedanken für einen Augenblick zurück zu Lena: Ob er sie aus dem Bett läuten und herbestellen sollte, damit sie auch mal mitbekommt, wie ein echter Tatort aussieht?

    Er freilich hatte bisher auch noch keinen gesehen.

    Der Erkennungsdienst kam, Alfred vorneweg. Die Hand konnten sie sich wegen der Handschuhe nicht geben.

    Alfred putzte Paul durch den Mundschutz hindurch erst mal kräftig herunter: Warum er hier in seiner Alltagskluft rumstehe? Hinterher sei wieder irgendwas kontaminiert, weil er gehustet oder gerotzt hab’! Und ob das der Täter sei?

    Mit der Fußspitze zeigte er auf Fritz, der nach wie vor seine anhaltend zähe Apathie pflegte, aber immerhin schon wieder, wenn auch im Zeitlupentempo, auf dem Smartphone rumdrückte, blindlings. Vermutlich suchte er gar nichts Bestimmtes.

    Alfred setzte den Alukoffer ab, nahm den FingerabdruckScanner heraus und machte sich damit über Fritz’ Hände her, er stellte sie willenlos zur Verfügung. Auch Sissilissi folgten brav und weinten danach noch ein klein wenig lauter. Um sich das Gejammer nicht weiter anhören zu müssen, vor allem aber, um den Mädchen den Anblick der nackten Leiche zu ersparen, zog Paul ihre Zimmertür zu. Inzwischen hatten nämlich drei aus der ED-Truppe Georgs sterbliche Hülle fasernackt ausgezogen.

    Als Paul den Alfred etwas betreten anguckte, klärte der ihn auf:

    »Solltest noch wissen aus deiner Ausbildung, du Dödel, dass man das mit jeder Mordoder Selbstmordleich’ macht!«

    »Die Hallstein war doch schon da und hat gemeint, dass er vergiftet worden ist«, erklärte Paul seine Verwunderung.

    »Was?!«

    Alfred zürnte erneut und noch heftiger, der sichtbare Teil seines Kopfs begann sich dunkel zu verfärben. Dumpf klang’s aus dem Mundschutz, er schnaufte hörbar.

    »Was wollte die denn vor dir, obwohl sie hier rein gar nichts verloren hat? Die hättste doch erst rufen sollen, wenn unklar ist, ob er sich selber kalt gemacht hat oder ’n anderer!«

    »Ja, und? Isses dir vielleicht klar? Mir nicht!«

    »Und was hat die schräge Vettel gemeint?«

    »Wenn ich ihren verqueren Witz richtig verstanden hab’: Vergiftet, kein Selbstmord.«

    »Und woraus hat sie das geschlossen, die Frau Professor?«

    »Frag mich nicht! War eh ganz komisch drauf, die Alte!« Alfred schüttelte den Kopf und ging in Georgs Zimmer, wo einer gerade die Leiche fotografierte. Zwei untersuchten den Tisch, die Flasche und das Glas, zwei weitere nahmen alle möglichen Kleinigkeiten in Augenschein und hantierten mit einem 3D-Laserscanner. Von draußen kamen, lautlos auf ihren Überschuhen, zwei weitere, die sich in der Küche zu schaffen machten, und direkt nach ihnen drei stämmige Kerle, ebenfalls ganz in Weiß, mit dem Aluminiumsarg.

    »Wer hat denn euch schon bestellt, sagt mal?!« In Alfred keimte noch heftigere Wut. »Womöglich die Hallstein?«

    Alle drei nickten wortlos und machten sich daran, den toten Georg in die längliche Alu-Kiste zu legen.

    Als sie verschlossen war, sah Paul dem Abtransport hinterher und stierte noch ins Leere, als Sarg und Träger schon im Freien waren.

    Dann verzog er sich ins Sissilissi-Zimmer: Die beiden wollte er nun doch mal befragen. Vielleicht war hinterher sogar mit dem Fritz was anzufangen.

    Mittlerweile saßen die Mädchen auf der Kante des breiten Betts gegenüber der Tür, in derselben Stellung wie zuvor auf den Stühlen. Von denen drehte Paul einen um und setzte sich, worauf Lissi so losheulte, dass Sissi sie in den Arm nahm, mit zwei Fingerchen hinterm Ohr streichelte und in dasselbe offenbar was ganz, ganz Schönes flüsterte. Jedenfalls beruhigte sich die liebe Freundin nach und nach und nahm widerspruchslos wie Sissi eine der Hallstein’schen Tabletten, die ihnen Paul weisungsgemäß hinhielt:

    »Die Frau Doktor sagt,

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