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Der Justicialis: Krieg den Palästen - Friede den Hütten    Historischer Roman
Der Justicialis: Krieg den Palästen - Friede den Hütten    Historischer Roman
Der Justicialis: Krieg den Palästen - Friede den Hütten    Historischer Roman
eBook251 Seiten3 Stunden

Der Justicialis: Krieg den Palästen - Friede den Hütten Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Fürstbistum Würzburg, im Jahre 1796

Der Bauer Jörg ist ein angesehener und im Dorf geachteter Mann.
Vom Fürstbischof von Würzburg zum „Justicialis“, somit zum Dorfrichter in Aschfeld, ernannt, schlichtet er kleinere Streitfälle unter den Bauern.

In den Nachwirren der französischen Revolution haben französische Truppen ganz Franken besetzt und ständig muss die Bevölkerung Plünderungen und Kontributionen über sich ergehen lassen. Die Besatzer gehen hierbei sehr brutal vor und die gesamte Dorfgemeinschaft ist verängstigt.
Jörg versucht, zusammen mit seiner Familie, und trotz der Kriegswirren, ein geordnetes und unauffälliges Leben zu führen, bis er eines Tages in Streitigkeiten zwischen Franzosen und Mitgliedern seines Dorfes verwickelt wird.
Er ergreift Partei für seine Mitbewohner und verstrickt sich dabei immer stärker in Widersprüche und Aktionen gegen die Franzosen.
Für erlittenes Unrecht rächt er sich und sein Dorf an den Revolutionstruppen und letztlich führt dies dazu, dass Jörg mit seinen Söhnen gegen die Franzosen vorgeht.
In einem ungleichen Kampf kann er den Besatzern beträchtlichen Schaden zufügen. Doch um welchen Preis?

Was müssen Jörg, seine Familie und das Dorf, für den Freiheits- und Gerechtigkeitswillen des Justicialis erleiden?
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum1. März 2016
ISBN9783740711047
Der Justicialis: Krieg den Palästen - Friede den Hütten    Historischer Roman
Autor

Paul Merklein

Jahrgang: 1954 Geboren in Würzburg Der Autor verarbeitet Geschichten aus seiner Familie in seinen Romanen.

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    Buchvorschau

    Der Justicialis - Paul Merklein

    Begebenheit.

    Kapitel 1

    Franken im Jahre 1796

    Endlos zieht sich der Weg dahin. Den Weg, den die vier Mitglieder der kleinen Familie  schon so oft gegangen sind. So oft, dass sie auch heute wenig Notiz von ihrer Umgebung und auch nicht von der frühlingshaften Natur nehmen.

    Die Obstblüte hat sich explosionsartig, innerhalb von zwei Tagen, voll entfaltet und das leuchtende Weiß der Obstbäume lässt die Streuobstwiesen aussehen, als habe der gerade sich verabschiedete Winter nochmals, und ausschließlich die Bäume, in eine weiße Pracht gehüllt. Über und über sind nach dem langen Winter die Gehölze mit Blüten bedeckt und die sommerlichen Temperaturen, die in den vergangenen Tagen sich abrupt und überraschend über das fränkische Land um den Main legten, haben die Bienen ermuntert ihre Behausungen zu verlassen und die Blüten zu bestäuben. Überall surrt es, teilweise schon so laut, dass das noch ferne Läuten der Kirchturmglocken vom Arbeitslärm dieser fleißigen Insekten immer dann überlagert wird, wenn die kleine Fußgruppe dicht an einem Apfelbaum vorübergeht.

    Von Osten bewegen sich die Bauersleute auf ihr Dorf zu und leicht fällt die unbefestigte Straße in das Aschbachtal hinab, bevor sie sich dem Abhang des Tales ganz genähert hat und dort dann steil auf Aschfeld, dem kleinen, unscheinbaren  Dorf im Hochstift Würzburg, zuführt. 

    Alle vier tragen Arbeitsgeräte mit sich, mit denen sie auf dem Feld gearbeitet haben und mit welchen sie, auch, den erst am Vortage ausgebrachten Dung der Stalltiere, auf ihrem Feld verteilt haben.

    Die harte anstrengende Arbeit hat sie ermüdet und so gehen sie am Spätnachmittag wortlos gemeinsam nach Hause.

    Während Georg, von allen nur Jörg genannt, der Vater von Johann und Friedrich, seine Mistgabel über seine rechte Schulter gelegt und leicht den Arm über den Stiel der Mistgabel geschlungen hat, mit welchem er die Balance des Arbeitsgeräts auf seinem Körper hält, trägt Friedrich seinen Holzrechen am geraden, ausgestreckten Arm, der von der Schulter locker herabhängt.

    Mit den Gehbewegungen einhergehend, schwingt der Rechen vor und zurück; und beides, der müde, schleppend wirkende Gang, die erschöpfte Körperhaltung mit den manchmal für lange Wegpassagen geschlossenen Augen und das lässige, baumelnde Schwingen des Holzrechens, vermitteln dem Betrachter das Gefühl, als ob Friedrich beim Laufen und trotz seiner Bewegungen bereits eingeschlafen wäre.

    „Na los, Friedrich, beeil dich ich habe Hunger", treibt Johann seinen Bruder an, der sich eine kurze Wegstrecke hinter die restlichen Familienmitglieder hat zurückfallen lassen.

    „Immer denkst du nur ans Essen", ruft Friedrich, nun weit geöffneten Augen, diesem zurück und geht mit müden, aber gleichmäßigen Schritten weiter.

    „Friedrich, schlurf´ nicht so mit den Holzschuhen, die gehen sonst kaputt. Dein Vater hat keine Lust und Zeit schon wieder neue zu machen", ruft ihm seine Mutter Barbara zu und dreht sich kurz zu ihm um.

    Auch Barbara trägt verschiedene Gerätschaften mit sich. Während sie in der linken Hand eine Sichel hält, umfasst ihr rechtes Armgelenk einen großen Weidenkorb in welchem ein leerer Tonkrug auf zusammengefalteten Leinentüchern hin und her rollt, die die mittägliche Brotzeit bedeckt hatten.

    Für die Jahreszeit, es ist gerade April, ist es ungewöhnlich warm. Und so hat nicht nur die Arbeit auf dem Feld alle ermüdet, sondern auch der rasche Temperaturumschwung der letzten Tage fordert seinen Tribut.

    Friedrich, der zweite Sohne von Georg und Barbara, ist der Träumer in der Familie, dem das raue Alltagsleben nicht ganz so viel anhaben kann, wie dem Rest der Familie.

    Während Friedrich schon mal gerne vor sich hin träumt und ohne weiteres stundenlang, Gedanken versunken in fremden Städten, wie Nürnberg, Köln, Wien oder Paris spazieren gehen kann, in denen er nie war, von welchen er aber bei verschiedenen Besuchen im Pfarrhaus Radierungen gesehen hat und somit in etwa weiß, wie sie aussehen, legt Johann den Lebensschwerpunkt mehr auf die alltäglichen und realen Freuden.

    Auch deshalb treibt er immer wieder seinen um zwei Jahre jüngeren Bruder an, doch etwas schneller zu laufen, um noch vor Dunkelheit nach Hause zu kommen, wo dann auch ein hoffentlich sättigendes Abendessen auf ihn warten wird.

    Johann, der am letzten Sonntag Geburtstag hatte und zwanzig Jahre alt geworden ist, fühlt sich immer hungrig. Immer ist ein Magenknurren und eine gewisse Leere in der Magengegend sein ständiger Begleiter. Nie war es in den letzten Jahren möglich, sich über längere Zeit hinweg satt zu essen. Nur ab und an gab es das eine oder andere Mal genug zu essen, doch das hatte immer den Nachteil, dass es eben dann nur Brot, oder nur Haferbrei, Gemüse, oder etwas anderes Eintöniges gab. An die wenigen Tage, an denen es viele unterschiedliche Speisen gab und man sich auch so richtig satt essen konnte, kann Johann sich ganz genau erinnern.

    „Mein zwanzigster Geburtstag, so denkt er, „gehörte zumindest nicht dazu.

    Johann weiß zwar, dass Geburtstage überhaupt nicht gefeiert werden, sondern nur Namenstage, und diesen wird auch eher symbolisch gedacht, doch dass keiner, auch nicht seine Mutter, auch nicht ein einziges Wort darüber verlieren würde, hatte ihn sehr enttäuscht. Ganz davon zu schweigen, dass es an diesem runden Geburtstag etwas besonders Gutes zu essen gegeben hätte.

    „Aber ein paar Mal kam es schon vor, dass es so richtig was Gutes und reichlich zu essen gab", fügt er gedanklich noch hinzu.

    Das war seine Kommunionfeier und die seines Bruders, zwei Hochzeiten von Geschwistern seiner Mutter und vor Jahren hatte ein durchfahrender Adeliger mit Gefolge in der Dorfgaststätte seiner Großeltern eine Mittagsrast eingelegt, bei welcher nach dessen Weiterfahrt so viel an Essen übrig geblieben war, dass mehrere Familien tagelang noch reichlich satt geworden waren. Damals hatte es auch reichlich Fleisch von Hühnern, Hasen, Reh, Lamm und Schwein gegeben, was es in dieser Menge noch nie gegeben hatte. Auch sonst steht Fleisch eher selten, für das Empfinden aller Männer im Hause Merklein, zu  selten, auf dem Speiseplan.

    Umso stärker, weil alles immer noch bildlich bei ihm sehr präsent,  erinnert sich Johann an das Ereignis der letzten Jahre, schlechthin, als eben dieser Vertreter des Preußischen Hochadels in Aschfeld Station machte. Damals, vor rund sieben Jahren, hatte der Großherzog von Sachsen-Weimar und sein Tross, bestehend aus fünf weiteren Kutschen und insgesamt besetzt mit fünfzehn Personen, auf seiner Fahrt von Bad Kissingen, wo er zur Kur geweilt hatte, nach Wien, seine Mittagsrast in Aschfeld eingelegt.

    Vorangekündigt durch einen Kurier, der schon Wochen vorher bei Johanns Großeltern den Ambachs, die auch gleichzeitig das Aschfelder Dorfwirtshaus „Zum roten Ochsen" betreiben, vorbeikam, hatte der besagte Fürst und seine Gefolge eine für Johann kaum vorstellbare Speisenfolge bestellt.

    Johann kann sich noch ganz genau erinnern, denn damals hatte er alles mehrfach und exakt durchgezählt, damit die Großeltern die Rechnung genau ausstellen konnten.

    Es waren zehn Rebhühner, die der Großvater beim fürstbischöflichen Jagdhauptmann bestellt hatte. Ebenso wie die zwanzig Hasen und ein Rehkitz. Alles wurde durch die Großmutter und unter Mithilfe seiner Mutter köstlich zubereitet und den Herrschaften zum Verzehr vorgesetzt. Doch damit nicht genug, denn auch der Dorfmetzger hatte noch einiges angeliefert, was ebenfalls zubereitet worden war.

    Zwei Spanferkel und ein Lamm waren, neben den Salaten, Gemüse und Hirsebrei, von den Frauen der Familie auch noch aufgetischt worden.

    „Welch ein Hohn, denkt sich Johann, wir haben oft nichts zu essen und der Adel ertrinkt im Überfluss!"

    Johann geht das Bild der über und über und voll mit Essen angehäuften Tafel im Roten Ochsen nicht aus dem Kopf. Was hätte er darum gegeben, wenn er sich hätte an den Tisch mit setzen dürfen. Er hätte nicht nur ein bisschen an dem Rebhuhn herumgezupft, wie dies die feine und elegant angezogene Tischdame des Fürsten getan hatte. Nein, er hätte reingehauen, was das Zeug, oder besser der Magen hergegeben hätte. Doch Johann denkt überhaupt nicht mit Groll an das Festgelage der Adeligen zurück, sondern mit Zufriedenheit und Genugtuung. Denn die nur hier und dort Mal eine Kleinigkeit zu sich nehmenden, edlen Gäste ist das eine Bild, das Johann in Erinnerung geblieben ist. Noch stärker als dieses, ist der Gedanke an die Zeit danach, denn von den Rebhühnern wurden gerade mal sechs verspeist. Von den Hasen nur zwei und das Reh gerade mal zur Hälfte. Auch ein Spanferkel und der Größte Teil des Lamms waren übrig geblieben. Sehr viel war nicht gegessen worden und so blieb um so mehr für die Ambachs und die Merkleins, die sich noch einige Wochen lang von den Resten ernähren konnten. Die Hasen, eingeschmort als Hasenpfeffer in dunkler Sauce mit Wacholder und vielen teueren Kräutern, waren so gar nicht nach dem Geschmack der feinen Herrschaften gewesen, was Johann um so mehr schätzte, denn Hasenpfeffer war und ist sein Leibgericht.

    Und während Johann sich seinen Gedanken nach Essen hingibt, kann er förmlich die Speisen riechen, an die er unentwegt denken muss.

    Johanns Familie bewegt sich immer noch in der gleichen Formation, Johann vorne weg und Friedrich einige Meter zurückgeblieben, am Waldrand entlang, oberhalb des Abhangs, Schritt für Schritt auf das Heimatdorf zu.

    Aschfeld, das kleine Dorf in Franken, im Aschbachgrund gelegen, zählt nur zweihundertundfünfzig Einwohner. Die Häuser, fast ausschließlich im Fachwerk errichtete Bauernhöfe mit Wohnhaus, Scheune und Holzremise im Geviert stehend, gruppieren sich zum einen um den Marktplatz im Tal, direkt unterhalb der Kirche gelegen. Zum anderen an der Hauptsrasse entlang, an der die Gehöfte aufgereiht liegen und die den Marktplatz, der im Wesentlichen von zwei Dorfgaststätten eingerahmt wird, durchschneidet. Das Dorf wird im Norden und Süden von je zwei Mühlen begrenzt, die, aber mehrere Steinwürfe von den letzten Anwesen entfernt, sich befinden.

    Alle Merkleins sind, für jeden Beobachter ersichtlich, müde und auch Johann trägt mittlerweile schwer an den beiden Karsthacken auf seiner Schulter. Den ganzen Tag haben sie auf ihrem Weizenfeld in der Flurbezeichnung Esbachhöhe Unkraut gejätet und Dung verteilt. Während die Männer auf dem Feld Zeile für Zeile hackten, hat Mutter Barbara die Gräser und das Unkraut zum angrenzenden Waldrand geschnitten, um so ein Übergreifen von weiterem Unkraut auf das Weizenfeld zu verhindern.

    Keiner spricht viel, nur hin und wieder treibt Johann seinen Bruder an, nun doch endlich zum Rest der Familie aufzuschließen.

    „Was ist los mit ihm?", fragt Jörg seinen Sohn Johann.

    „Ich weiß auch nicht, wahrscheinlich ist er nur total müde, unser Kleiner", erwidert er seinem Vater!

    Stumm gehen alle weiter und jeder von ihnen gibt sich beim Laufen seinen Gedanken hin.

    Die zurückliegenden zwei Jahre waren geprägt von Krieg, Hunger, Not, Elend und Tod, denn immer wieder zogen marodierende Truppen durch das kleine Aschbachtal und verschonten weder Mensch noch Vieh in ihrer Gier nach Besitz und Macht.

    Ständig werden das Dorf und auch die Familie von Zwangseintreibungen heimgesucht, fast täglich muss um die kärgliche Nahrung gekämpft werden. Nicht nur auf dem Feld, sondern auch zuhause im Dorf. Da bedienten sich bisher, sowohl die Soldaten des Fürstbischofs und die königliche Soldateska, wie auch durchziehende französische Revolutionstruppen und achteten dabei nicht darauf, ob das was sie der Bevölkerung noch ließen, dann auch noch deren Überleben sichern konnte.

    Die Zeiten sind stürmisch, unruhig und auch gefährlich.

    Und auch das dörfliche Zusammenleben leidet darunter. Der Zusammenhalt im Dorf ist nicht mehr so stark, wie noch vor dem Einfall der Franzosen. Da Nahrung knapp ist, die Bauern viel weniger oder kaum noch Vieh besitzen und oftmals die Felder geplündert werden, herrscht die pure Not im Dorf und jeder sieht zu, wie er mit seiner Familie überleben kann. Verschont wurde bisher keiner vor Elend und Hunger.

    Der einzige Schutz der Dorfbevölkerung ist die Kirchenburg, die seit mehreren hundert Jahren erhöht über dem Dorf steht. Rund um die Kirche mit ihrem hohen, schlanken, fränkischen Echterturm sind dort, für alle Familien im Dorf, Gaden und Keller angelegt, die auf engem Raum Schutz bieten. In den darunter liegenden Kellern lagern die Vorräte, doch das ist auch den plündernden Soldaten bekannt und so kam es schon mehrfach vor, dass gerade dort sich die Soldaten Zutritt verschafften und die Vorratskeller komplett leer räumten. Vor allem auf Wein, Bier Schnaps, Weizen und Dinkel haben sie es immer abgesehen.

    Die ganze Kirchenburg ist umfriedet mit einer dicken, sechs bis acht Meter hohen Mauer und der einzige Zugang zur Wehrburg ist nur über einen engen Weg, des dorfseitig hin steil aufragenden Torturm möglich, so dass die Aschfelder grundsätzlich sich hätten immer verteidigen können, doch zum einen ist der Bauer des Jahres 1796 kein Krieger, der bereit und in der Lage ist, sich und sein Hab und Gut effizient zu verteidigen, und zum anderen war die feindliche Übermacht bisher immer so stark und überraschend auf das Dorf hereingebrochen, dass eine angemessene Verteidigung nicht rechtzeitig organisiert werden konnte.

    Hinzu kommt, dass der Torturm der Kirchenburg mangels Freiwilliger nur selten bewacht ist und die massive, schwere, Metall beschlagene Holztüre im Tor meist offen steht.

    Ständige Wachen oder gar bezahlte Truppen kann sich niemand leisten.

    „Daher, so glaubt Jörg, „scheint die Wehrhaftigkeit der Kirchenburg, und damit des Dorfes mehr Truppen anzuziehen, als dass es sie davon abhalten würde das Dorf zu plündern.

    Schon mehrfach war daran gedacht worden, die Kirchenburg abzutragen und deren Steinquader für den Wohnhausbau zu nutzen. Doch immer wieder hatten Überlegungen wie: „Wer weiß wofür sie in Zukunft vielleicht gut sein könnte, oder die Zeiten werden nicht sicherer und ein bisschen mehr Schutz, als in den Wohnhäuser haben wir in der Kirchenburg wohl doch", ihrem Fortbestand Aufschub gewährt.

    Ein gesicherter Zufluchtsort ist also vorhanden, nur viel Nutzen hatte er bisher nicht gebracht. Aus diesem Grunde sind auch viele Bauern bisher dazu übergegangen, ihre Vorräte nicht in den Gaden der Kirchenburg zu lagern,  sondern viele schaffen ihr weniges Hab und Gut, das sie in diesen Notzeiten retten können, in weiter vom Ort entfernt liegende Felsenkeller, die meist im Wald gut versteckt liegen.

    Bei diesen schwer zu findenden Vorratslagerplätzen, denn die Eingänge sind von weitem kaum einsehbar oder mit Hecken zugewachsen, kann man zwar auch nicht sicher vor Plünderungen sein, doch schon auf Grund ihrer verborgenen Lage sind die Vorräte hier wesentlich sicherer gelagert, als in den Gadenkellern der weithin sichtbaren Kirchenburg.

    Solch einen Lagerplatz im Wald hat auch Jörg in den letzten Jahren bevorzugt für seine Vorräte genutzt und so war es ihm durch Vorsicht, rasches Handeln und Glück gelungen, zwei Kühe zu retten. Die eine Kuh, die gewohnt ist im Geschirr zu gehen und auch momentan etwas mehr Milch gibt, steht daher im dörflichen Stall, zusammen mit den Hühnern und einigen Schafen. Die andere, noch jüngere Kuh hat er zusammen mit den Jungschafen im Felsenkeller im Wald, oberhalb des Dorfes versteckt.

    Das sichere Obdach für das Vieh hat aber den Nachteil, dass einer aus der Familie täglich den Weg zum Felsenkeller beschreiten muss, um nach dem Rechten zu sehen. Auch muss das Vieh gefüttert und die Jungkuh gemolken werden, denn es soll unter allen Umständen vermieden werden, dass das schreiende Vieh das Versteck verraten würde. Darüber hinaus ist die Milch von beiden Kühen als Nahrungsquelle unentbehrlich. Jörg weiß, dass es für die Tiere im dunklen, feuchten Felsenkeller nicht gut ist, doch er hat für ausreichend Licht und Luft gesorgt, indem er das Tor des Kellers offen gelassen und den Eingang, der in einem Hangeinschnitt liegt, durch ein Außengatter gesichert hat.

    Auf der Hälfte des Weges hält Barbara kurz inne und fragt ihren Mann: „Muss die Kuh im Wald noch gemolken werden?"

    „Nein , antwortet Jörg müde, „die habe ich, während du schon geschlafen hast, gestern spät Abends noch gemolken und die Milch hat Friedrich gleich in der Nacht zu Butter verarbeitet, sodass morgen früh erst wieder einer zum Melken in den Felsenkeller gehen muss. Vielleicht ist er auch deshalb so müde und verträumt.

    Kaum hat Jörg seinen Satz beendet, gehen alle wortlos weiter, da nun auch Friedrich wieder zur Gruppe aufgeschlossen hat.

    Sieben Jahre ist es her, dass die französische Revolution ganz Europa erschütterte. Viele Kriege wurden im Namen der Revolution geführt und im Namen der Freiheit wurde verteidigt.

    Krieg den Palästen, Friede den Hütten hörte sich in den Ohren der Bauern an, wie der Anfang vom Paradies auf Erden. Doch dieses Paradies war ihnen schon so häufig versprochen worden. Und egal wer es bisher versprochen hatte, Priester, Fürsten und Revolutionäre, alle waren auch nur ansatzweise den Beweis dessen Existenz schuldig geblieben. Niemand wollte sie zumindest an einem Stückchen vom Paradies teilhaben lassen. Alle hatten bisher immer nur sich selbst gemeint, wenn sie vom Frieden, vom Paradies oder von Verbesserungen sprachen und Jörg war sich sicher, dass sich dies auch so schnell nicht ändern würde.

    Jörg ist im Laufe seiner einundvierzig Lebensjahre ernüchtert geworden. Viele Jahre lang war es ihm und seiner Familie soweit gut gegangen, dass ihr Auskommen gesichert war, doch die vergangenen zwei Kriegsjahre zehrten nicht nur am Land und am Volk, sondern es fällt jedem Einzelnen zusehens schwerer positiv in die Zukunft zu sehen. Frieden wurde und wird auch immer wieder versprochen, aber jeder Fürst, jeder Landesherr will seinen Frieden, zu seinen Bedingungen.

    Danach welchen Frieden Jörg und seine Familie wollen, danach fragte bisher niemand. Und auch jetzt wird allenthalben von Frieden gesprochen, was vielleicht doch wieder ein bisschen Zuversicht in Jörg aufkeimen lässt. So hofft nicht nur er darauf, dass sich die Situation mit Frieden und einer guten Ernte auf den Feldern und im Weinberg rasch ändern möge. Beides ist dringend nötig, denn seine Frau Barbara ist wieder schwanger und erwartet

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