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Landuntergang
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eBook438 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Eine Satire über Rechtsruck, Staatsgewalt, Widerstand und Terrorismus, so schrill, als hätten Monty Python bei dem IS angeheuert.

Wirtschaftskrise und Terror als schrille Satire: Unter dem rechtsradikalen Bundeskanzler Michael Hichl ist Österreich ein diktatorisch regierter Polizeistaat. Der Ausstieg aus der EU ist vollzogen, das Land verarmt, die Grenzgebiete sind zu Billiglohnregionen verkommen, in denen Langzeitarbeitslose und Regimegegner für große Konzerne in Textilfabriken schuften. Durch diese Welt treiben die Möchtegern-Revoluzzerin Emma, der opportunistische Callboy Pascal, das Mädchen Alwine auf der Suche nach der Liebe ihres Lebens und Wolferl, der missratene Sohn von Hichls PR-Chef, dem seine ermordete Ex-Freundin Valli Putschek im Nacken sitzt. Währenddessen regt sich Widerstand: Die Terrormiliz "Christliche Republik" rückt immer weiter auf Österreichs Städte vor, und als sich die Wege der vier verlorenen Seelen kreuzen, gehen in Wien die Bomben hoch.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum15. März 2016
ISBN9783701745258
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    Buchvorschau

    Landuntergang - Klaus Oppitz

    KLAUS OPPITZ

    LANDUNTERGANG

    KLAUS OPPITZ

    LANDUNTERGANG

    ROMAN

    Residenz Verlag

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

    im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    www.residenzverlag.at

    © 2016 Residenz Verlag GmbH

    Salzburg – Wien

    Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

    Keine unerlaubte Vervielfältigung!

    Umschlaggestaltung: Ralf Ricker

    Typografische Gestaltung, Satz: Lanz, Wien

    Lektorat: Jessica Beer

    ISBN ePub:

    978 3 7017 4525 8

    ISBN Printausgabe:

    978 3 7017 1658 6

    Für meine geliebte Monika, die immer noch da war,

    als ich aus dieser Geschichte zurückgekehrt bin.

    BOMBEN-TERROR ERSCHÜTTERT ÖSTERREICH

    Wien (OTS) – Wie erst heute bekannt wurde, ist vergangenen Montag ein enger Mitarbeiter unseres geliebten Bundeskanzlers Michael Hichl durch eine Bombe schwer verletzt worden.

    Nach Angaben der Polizei soll sich der Sprengkörper in einem Kuvert befunden haben, das an den Privathaushalt des Opfers adressiert war.

    Als Absender gilt die Terrormiliz Christliche Republik. Das geht aus einem Bekennerschreiben hervor, das einen Tag später im Innenministerium eingelangt ist.

    Der genaue Inhalt des Schreibens wird aus ermittlungstechnischen Gründen geheim gehalten. (ÖPA)

    I.

    ALWINE

    Im Dach über meiner Matratze war ein Loch. Bei Regen hat sich am Fußende eine Lacke gebildet. Das hat mich nie gestört, es war ganz leicht, nicht nass zu werden, sogar beim Schlafen bin ich immer so gelegen, dass ich die nasse Ecke nicht berühre, die Beine zur Seite, übereinander wie zwei Besenstiele. Ich habe mein Bett mit dem Regen geteilt. Weshalb ich das Loch im Dach nicht melde, hat mich die Güterweger-Emma gefragt. Ich habe nichts geantwortet, ich habe sie nur gebeten, zu niemandem etwas über das Loch zu sagen, angefleht habe ich sie. Sie hat mich ganz böse angesehen. Sie hat geglaubt, ich habe Angst. Dass ich schwach bin, hat sie geglaubt. Die Güterweger-Emma hat es nicht gemocht, wenn jemand schwach war. Auch wenn ich die jüngste von allen war.

    Aber ich hatte keine Angst. Es war ganz einfach mein Loch und keiner durfte es mir nehmen. Wenn der Regen aufgehört hat und die Wolken verschwunden sind, habe ich durch mein Loch ab und zu einen Stern gesehen, und ich wusste, irgendwo dort draußen ist eine Seele, die in diesem Moment genau denselben Stern beobachtet, und ich habe gespürt, dass mich dieser Fremde finden wird. Dann hat mir die ganze klare Nacht gehört und das Schnarchen der Frauen um mich herum war wie das Zirpen von Grillen.

    Ich bin auf dem Rücken gelegen und war glücklich.

    WOLF

    Ich bin am Rücken gelegen und hab die Sterne gesehen. Mitten in Wien. Ganz klar. Je kaputter es hier unten geworden ist, desto klarer wurde es dort oben. Weniger Abgase. Immer weniger Leute konnten sich ein Auto leisten und logischerweise war derjenige der absolute Hero, der noch eines gehabt hat. Noch dazu ein nigelnagelneues. Nicht, dass ein Österreicherwagen eine besonders fette Marke war, aber für irgendetwas Ausländisches hätte mich der Vater gefressen.

    Die Sterne wären mir nie aufgefallen, wenn ich nicht am Rücken gelegen wäre, mein Hirn gründlich in Alkohol eingelegt. Ich habe mich gefragt, wo sie jetzt war. Hätte ich noch sprechen können, hätte ich sie wahrscheinlich angerufen. Ohne meinen marinierten Verstand wäre das natürlich überhaupt keine Option gewesen.

    Dann war plötzlich die Leonie da und hat meinen Moment zerstört. Eh klar, ich bin im Kopf bei meiner Ex und über mir erscheint meine Jetzt. Musste ja so sein.

    »Wolferl, Wolferl, was ist denn mit dir?«

    Ich hab sie ignoriert. Das hat sie nur noch mehr aufgeregt.

    »Wolferl, Wolferl, jetzt sag doch was!« Tränen in den Augen. Hat sie geglaubt, ich hab gerade einen Hirnschlag? Wenn mich wenigstens Dumpf, Simpel und Schlicht gefunden hätten. Die hätten natürlich auch geglaubt, ich hätte einen Hirnschlag. Ich muss schon irgendwie so ausgesehen haben, den Mund offen, weil die Luft angenehm kalt geschmeckt hat. Aber wenn ich vor Dumpf, Simpel und Schlicht mit einem Hirnschlag gelegen wäre, hätten mir die wenigstens nur mein Geld geklaut und mich sonst in Ruhe gelassen und nicht: »Wolferl, Wolferl, ich hol Hilfeeee!«

    Als hätte sie sich selbst nicht richtig verstanden, hat sie mich zu schütteln begonnen. Wirklich sehr super bei einem Hirnschlag, aber ebenso super, wenn der Hirnschlag nur ein gepflegter Rausch ist. Und da war sie auch schon: die Welle aus Kopfschmerz und Wirklichkeit, der Tsunami der ersten falschen Bewegung, der den Alkohol wegschwemmt.

    Da war sie, endlos weit weg, aber trotzdem so laut: die neue von Wotan Stürmer, dem einzigen Popstar, den Österreich noch gehabt hat: »Brenn dem Mustafa aane – brenn dem Mustafa aane – brenn dem Mustafa aane auuuuuuf«, Bässe, die sich ins Lied verirrt hatten und orientierungslos um Hilfe gewummert haben. Umpah, umpah, umpah.

    Und da war es, das Kopfsteinpflaster vor dem P88, meinem Stammlokal. Knallhart unter meinem Rücken, der bis jetzt so schön taub gewesen war.

    Jetzt hat sie auch noch wild herumzufuchteln angefangen, »Wolferl, Wolfeeeeerl!!!«, und dann ist ein Pferd auf meiner Brust gelandet. Und nein, ich war zwar bummzu, aber das ist wirklich passiert. Das mit den eingebildeten Sachen, das kam erst viel später.

    Das Pferd war auch nicht groß, es hat ziemlich gut auf meine Handfläche gepasst. Dafür war es unpackbar hässlich, der Kopf links viel größer als rechts, die volle Missgeburt aus Stoff. Wo war dieses Alien-Stofftier denn hergekommen? Von einem der Sterne heruntergefallen oder der Leonie aus ihrem schreienden Mund gehüpft? Nein, da war noch ein zweites Mädel, dunkle Locken, der Rest irgendwie undeutlich. Die Leonie hat sie angeplärrt: »Schleich dich, schleich dich weg von ihm! Du Hur, du Hur, du Hur!« Mein Verstand war inzwischen zu einem Ergebnis gekommen. Die Leonie hatte der »Hur« im Herumfuchteln das Pferd aus der Hand geschlagen und sie dann niedergebrüllt. »Tut mir leid«, hat das Mädel geflüstert, den Blick zu Boden gesenkt, und ich hab sogar in meiner Vollalkoholmarinade gemerkt, dass sie das nicht wirklich gemeint hat. »Ich will keinen Ärger.« Das allerdings hat sie tatsächlich gemeint. Damit ist sie abgedampft und ihr Pferd ist bei mir geblieben. Die Leonie auch. »Wolfeeeerl, Wolferherherherheeeerl!«

    Die Sterne dagegen, die waren weg.

    Danke, Leonie. Leo. Lobotomie.

    Meine Ex war auch weg. Aber nicht für ewig. Oh nein, ganz sicher nicht. So schnell hab ich die nicht aus meinem Leben bekommen, die Valli.

    PASCAL

    »Seht ihr die Sterne? Seht ihr die Unendlichkeit? Seht ihr eure unendlichen Möglichkeiten?

    »Ja, wir sind aus der EU ausgestiegen. Ja, Österreich ist eine Diktatur. Aber wisst ihr, wie viele Diktaturen es auf der Welt bereits gegeben hat? Und wisst ihr auch, wie viele dieser Diktaturen gescheitert sind?«

    »Drei!« – »Vier!« – »Fünfundzwanzig!«

    Sie haben zu raten begonnen, sie haben tatsächlich zu raten begonnen! 15 Augenpaare, die mir aus dem verschwörerischen Halbdunkel des grauen Kellers entgegengeleuchtet haben, aufrichtig neugierig, wer denn nun recht hatte. Ich habe mir vorgenommen, rhetorische Fragen in Zukunft zu vermeiden.

    »Unzählige! Und weshalb sind sie alle untergegangen?«

    »Ähm … wegen der Eiszeit?«

    »Weil die Römer immer betrunken waren?«

    »Wegen der Russen?«

    Ich habe mir vorgenommen, zumindest keine Pausen mehr hinter den rhetorischen Fragen zu machen.

    »Kein TTIP ohne Fußgängerzone, sonst gibt’s mit uns keine Koalition!«

    Das war die Bundesobfrau und das hat niemanden gestört. Wir haben sie Bundesobfrau genannt, weil sie das einmal gewesen war, damals, als wir noch in der EU waren. Vor Michael Hichl, vor der Diktatur. Wir haben nie genau gewusst, wovon sie geredet hat, aber in ihrem alten, abgetragenen Hosenanzug hatte sie immer noch eine gewisse Würde.

    »Ich werde euch sagen, weshalb alle Diktaturen gescheitert sind, weshalb Diktaturen scheitern müssen! Weil der Mensch nach Freiheit strebt, darum! Nach Freiheit! Nach Demokratie! In diesem Universum unendlicher Möglichkeiten ist dieser Bundeskanzler Michael Hichl nichts weiter als eine Sternschnuppe.«

    Ich habe ihre Blicke geliebt, ich habe sie geliebt, jeden einzelnen von ihnen. Ihre Köpfe im Nacken, die Augen nach oben, wo sich statt der grauen Betondecke tatsächlich die Unendlichkeit aufgetan hat, weil ich sie ihnen gezeigt habe. Sogar Felix war wie verzaubert, der Gründer unserer Gruppe, der sonst immer so aufgeregt war, wenn es um die Sache ging. Und auch die Bundesobfrau hat etwas Wunderbares gesehen, wobei das bei ihr auch einfach so vorkommen konnte.

    Für mich sind statt des einsamen, staubigen Deckenlichtes helle Scheinwerfer erschienen, allesamt auf mich gerichtet.

    Dieser alte Keller war meine glitzernde Bühne und diese kleine Schar vollkommen hoffnungsloser Geschöpfe mein großes Publikum. Ich habe ihnen Hoffnung gegeben, ich habe sie glücklich gemacht und sie haben mich glücklich gemacht. Alles war in Ordnung, auch wenn in Wahrheit gar nichts in Ordnung war. Es war die beste Zeit meines Lebens.

    »Gib’s uns, Sascha!«, hat die Bundesobfrau gerufen und dabei in eine Ecke geschaut, in der überhaupt niemand war.

    »Ja, liebe Freundinnen und Freunde, eine Sternschnuppe, wie alle Diktatoren! Michael Hichl ist ein fallender Stern, eine Lächerlichkeit, die vielleicht für einen Moment gleißend hell erscheinen mag, aber schon im nächsten verglühen wird!«

    »Bitte, ’tschuldigung … aber wenn der Hichl sowieso verglüht, dann müssen wir ja eigentlich eh nix mehr tun!?«

    Dass das alles böse enden könnte, damit hätte ich nie gerechnet. Was hätten sie denn in Wirklichkeit tun können, diese letzten Revolutionäre Österreichs? Diese unschuldigen Kinder! Mein wundervolles, mein geliebtes Publikum. Meine Gelbe Brigade.

    EMMA

    Der Mond ist böse. Du musst dich verstecken, im Wald, wo er dich nicht sehen kann. Das hat die Oma immer gesagt. Also haben wir Kinder »Mondverstecken« gespielt, gespielt, gespiiiiihihihihiii …

    Ich hab lachen müssen, als ich daran gedacht habe.

    Das Böse, der Mond. Das hast du dir schon gut ausgedacht, gell? Den Kindern Angst machen, das hast du können, Oma.

    Der Papa hat uns Regeln gegeben, gute Regeln, Regeln, nach denen man leben soll. Von dir, Oma, haben wir nur die Angst bekommen, ordentlich kuschen und verstecken, das war alles, was wir von dir gelernt haben.

    Ja, Oma, so war das! Nicht einmal, als es für den Papa ans Sterben gegangen ist, hast du den Mund aufgekriegt.

    Jetzt verreckt dir auch noch deine Enkelin. Die letzte von zehn. Genau, Oma, auch ich sterb. Bei Vollmond! Hast vielleicht doch immer recht gehabt, mit deinen Horror-Geschichten. Da schaust du jetzt, gell? Wenn du überhaupt noch schauen kannst, dort, wo du jetzt bist. Im Jenseits bei deinem Herrgott, zu dem du jeden Sonntag gewackelt bist, mit deiner kaputten Hüfte, damit er wieder mit dir redet und dir sagt, dass alles gut wird, obwohl alle rund um dich herum krepieren! Vielleicht sitzt du ja jetzt dort oben, auf deinem bösen Mond. Das muss aber ein Ausblick sein! Voll he! Siehst du mich eh, wie ich dahinblute? Brauchst dich gar nicht im nächsten Mondkrater verstecken. Leicht mach ich es euch nicht, dir und deinem Mond, das sag ich dir. Ich kämpf nämlich, ich halt es lang aus, da kann noch so viel Blut aus mir herauskommen. Ich kann sogar noch schreien! Aaaaaaaahhhhhh! Hörst du das? Ich hab nämlich eine Stimme. Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhh! Ich schrei so laut, dass du es bis zum Mond hörst. Wir sehen uns später, Oma, pfüat Gott, aber wart nicht auf mich mit dem Nachtmahl, das kann noch länger dauern, das Sterben, gell!?

    WOLF

    »Hichl-Michl ist doch nur – ein neues Wort für Diktatur!«

    Valli?

    Das war nicht gut.

    Die Valli mitten in diesem armseligen Haufen langweiliger Demonstranten zu sehen, die am Heldenplatz, umringt von diesen mächtigen, alten Gebäuden, ihre Parolen gebrüllt haben, das war gar nicht gut!

    Meine Valli! Valentina Putschek. Meine Ex. Frau Pink. Die ihren rosa Kapuzensweater getragen hat, als wär er angewachsen. Genau diese eine Valli im unmodischen gelben Regenmantel der Gelben Brigade.

    »Hichl-Michl ist doch nur – ein neues Wort für Diktatur!«

    Wenn ich mir schon solche Sachen eingebildet habe, war das ein bedenkliches Zeichen.

    Dafür, dass sie mir wirklich abgegangen ist.

    Oder dafür, dass das vergangene Nacht doch zu viel Alkohol gewesen war. Oder dafür, dass die Schafsgrippe-Epidemie im letzten Jahr Österreich doch noch erreicht hat. Damals ist Lammfleisch im ganzen Land verboten worden. Angeblich haben die Schafe ein Virus gehabt, das das Hirn verflüssigt und auch für Menschen ansteckend ist. Das Gesundheitsministerium hat behauptet, das Virus wäre dadurch entstanden, dass Moslems Schafe ficken. Aber so wie der Vater dabei gelacht hat, war mir gleich klar, dass das nur eine seiner Ideen war, um allen zu zeigen, wie moralisch verkommen die Moslems sind, und dass der Döner nur ein hinterhältiger Versuch ist, den Verstand unseres Volkes zu vergiften.

    Und überhaupt war der Alkohol ja längst wieder draußen aus meinem System.

    Also ist sie mir tatsächlich abgegangen.

    Nicht gut. Ganz klar nicht.

    Wobei sie das sicher total romantisch gefunden hätte.

    Sie da draußen, am Heldenplatz, bei den letzten Linken, die sich in Österreich noch aus ihren Löchern getraut haben. Und ich hier im Bundeskanzleramt an den Wasserwerfern. Hinter mir ein alter Kaiser an der Wand. Über mir ein alter Luster. Unter mir ein alter Parkett. Neben mir MEIN Alter.

    Voll »Romeo-und-Julia-mäßig« hätte sie das gefunden.

    Mit 15 findet man noch schnell etwas »Romeo-und-Julia-mäßig«.

    Dabei hat ihr 20-jähriger Romeo schon längst eine Leonie gehabt. Nicht, dass ich mir die ausgesucht hätte. Sie ist mir zugelaufen, die Leonie, genau wie dieses degenerierte Stoffpferd. Wobei ich das zumindest freiwillig eingesteckt habe.

    Aber, ob freiwillig oder unabsichtlich, wenn der Bruder der Freundin einen umzubringen versucht, wie das der Maxl damals getan hat, und die Freundin sich dann noch nicht einmal entschuldigt, schlimmer noch, wenn die Freundin dann wochenlang nicht mehr anruft, dann hat man das Recht auf eine Leonie, ob man sie will oder nicht.

    Das ist die Realität.

    Okay. Von vorne. Das mit dem Mordanschlag, das war so: Die Valli und ich sind im Stiegenhaus vor der Österreicherwohnung ihrer Familie gestanden und haben unsere Zungen verschränkt. Zu den Österreicherwohnungen hat man vor ein paar Jahren noch Gemeindewohnungen gesagt. Aber nur, weil der Hichl alle Türken, Syrer und Neger aus dem Bau geschmissen hatte, hat das nicht geheißen, dass dort kein Gesindel mehr gewohnt hat. Das Gesindel hat Maximilian Putschek geheißen, war also ganz klar mit der Valli verwandt.

    Ihr Bruder. Der Maxl. Der Putschek.

    Zum Glück habe ich beim Knutschen nie die Augen geschlossen. Ich hätte seine Faust sonst nicht kommen gesehen. Die Valli hat ihre Augen immer geschlossen. Da habe ich dann auch nichts dafür gekonnt, dass er aus Versehen sie erwischt hat.

    Irgendetwas von Drogen hat er gebrüllt und dass ich die Finger von seiner Schwester lassen soll und ich hab mir gedacht, bitte, wie geht’s dem? Was will der überhaupt von mir? Hätte der jemals selber Psychopops geschmissen, wäre er sicher besser drauf gewesen. Wollte er welche? Nicht, dass er Geld dafür gehabt hätte. Nicht, dass ich vorhatte, ihm welche zu schenken, gar nichts wollte ich dem schenken, dem Vollschizo.

    Ich bin also die Stiegen hinunter, über den Hof und davon, während die Valli die Hand an ihr Auge gepresst und das Haus zusammengebrüllt hat.

    Das war jetzt nicht sehr ritterlich, klar. Aber entweder hätte er mich verdroschen, dann hätte mich die Valli für ein Lulu gehalten. Oder, was eigentlich unmöglich war, ich hätte ihn verdroschen. Was bei einer Freundin ja auch nicht gut kommt, wenn man ihren Bruder vermöbelt. Davonrennen war also wirklich eine sehr gute Alternative.

    Die Realität? Ich hätte die Valli dort draußen am Heldenplatz nie sehen können, der ganze Aufmarsch war viel zu weit weg.

    Oder doch?

    Der Typ zwei Fenster weiter hatte damit ganz offensichtlich kein Problem. Vielleicht Anfang Dreißig, vielleicht auch ein wenig älter. Einer von diesen gutaussehenden Typen, denen man das Alter lange nicht ansieht. Ein ideales Fotomodell für die Hichlpartei. Groß und blond ist er dagestanden, hat konzentriert zu den Demonstranten nach draußen geschaut und Kreuzerl auf einer Liste gemacht. Den Feldstecher um seinen Hals hat er genau gar nicht gebraucht. Er wusste, wer unter welchem gelben Regenmantel war. Fast hätte ich ihn gefragt, ob er eine Valentina Putschek auf dem Zettel hat. Aber nein. Nicht ich. Sicher nicht. Dazu war ich tatsächlich schon wieder viel zu nüchtern.

    War das nicht furchtbar langweilig? Jeden Donnerstag in gelben Regenmänteln auf den Heldenplatz zu marschieren, um gegen den Hichl und seine Regierung zu demonstrieren? Jeden Donnerstag nach gefühlten 30 Sekunden von den Wasserwerfern vom Platz geblasen zu werden?

    Wobei das den Leuten der Hichlpartei ja auch nicht fad geworden ist.

    Jeden Donnerstag hat ein anderer hier im Bundeskanzleramt die Wasserwerfer bedienen dürfen. Das war eine Art Belohnung, wenn jemand seinem persönlichen Parteihäuptling besonders tief in den Hintern gekrochen ist.

    Der Vater war so einer. Der ist ganz oft an den Wasserwerfern gestanden.

    Die Wasserwerfer, das waren jetzt keine dicken Schläuche, die man mit aller Kraft festhalten musste. Die Arschkriecher waren ja Parteisoldaten, keine Feuerwehrleute.

    Wenn über zehn Jahre lang jeden Donnerstag demonstriert wird, dann zahlt sich eine etwas nachhaltigere Lösung schon aus, auch wenn draußen am Heldenplatz die meisten inzwischen nur mehr Zuschauer waren und die wirklichen Demonstranten eben ein kleiner, kläglicher Haufen, vielleicht vierzig oder fünfzig Leute, wenn überhaupt.

    Jedenfalls hatte man die Wasserwerfer fix im Bundeskanzleramt installiert, von drinnen praktisch und bequem über einen Schirm bedienbar. Wie eine Spielkonsole. Auf Knopfdruck sind Schläuche aus dem Gebäude gekommen, und dann ist es losgegangen.

    Ab und zu hat sich ein Zuschauer in den Wasserstrahl geschmissen, weil er wissen wollte, wie man sich so fühlt als Demonstrant, aber meistens haben sie nur applaudiert, wenn die gelben Regenmäntel vom Platz geschwommen sind.

    Die Regenmäntel waren eine Art gegenseitige Abmachung, ein Vorteil für beide Seiten. Die Gelbe Brigade ist weniger nass geworden, und derjenige an der Wasserwerferspielkonsole hat immer ziemlich eindeutig gewusst, worauf er zielen soll.

    »Hichl-Michl ist doch nur – ein neues Wort für Diktatur!«

    »Wolf!« hat mich der Vater gerufen, »Wolf, worauf wartest du? Du darfst schon drücken!« Er hat mit einer großzügigen Geste einen Schritt auf mich zu gemacht und mich mit seinem radioaktiv weiß gebleichten Gebiss aus seinem solariumgegerbten Gesicht angeblitzt.

    So wie er bei Haut und Zähnen übertrieben hat, hat er eigentlich bei allem übertrieben. Sogar bei meinem Namen. Er hätte mich ja auch Michael nennen können, nach dem Hichl, seinem Idol, dem er schon eine Schleimspur hinterhergezogen hat, Jahre, bevor ihn die Österreicher zum Kanzler gewählt haben. Aber nein, was hat er stattdessen gemacht? Den Spitznamen vom Hitler hat er mir geben müssen!

    »Wolf!«

    Oh, wie großartig das ist, wenn einem in der Schule das halbe Rudel hinterher heult. Ganz großartig, vor allem, wenn man nicht wirklich weiß, was man denen erzählen soll. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben, den Hitler haben sie ja offiziell immer noch nicht ganz rehabilitiert gehabt, nicht einmal der Hichl wollte noch mit dem nach Polen marschieren. Im Gegensatz zum Vater. Der hätte sich sofort überlegt, wie man den Österreichern erklären konnte, dass Polen total super war.

    Mit Namen hat es der Vater überhaupt gehabt. Er hat ja auch nicht immer geheißen, wie er jetzt heißt. Darüber wollte er aber nicht reden, und da ich an sich nicht gern mit ihm geredet habe, nicht nur über die Namen, sondern ganz im Allgemeinen, haben wir überhaupt so gut wie nie miteinander geredet und über seinen alten Namen schon gar nicht.

    Ich weiß nur, dass es irgendwas Jüdisches war, Rosenbaum, Lilienthal, Tulpenberg oder so. Der Vater schwört natürlich, dass in unserer Familie noch nie einer ein Jud gewesen ist. Da braucht man ihn noch nicht einmal fragen, schwört er das schon. Jedenfalls hat er sich umbenannt. Seitdem tragen wir den Namen irgendeines Heiligen der Hichlpartei.

    Ganz klar super. Damit ist jetzt also einer auf der Welt, der »Wolf Haider« heißt.

    Also »Hitler Haider«, wenn man sich nur ein bisserl auskennt.

    Danke, Vater, für den glorreichen Start ins Leben, herzlichst, Bussi, dein Sohn. Der Haider-Wolferl.

    Zu viel, zu viel. Immer alles. Immer zu viel. Seine krampfhafte Art, die anderen einholen zu wollen. Die ihn, den Nicht-Akademiker, nie ganz ernst genommen haben. Als die anderen in ihren Studentenverbindungen Bier gesoffen und sich die Gesichter filetiert haben, ist der Vater im Autohaus seines Vaters gestanden und hat jedem genau das Auto eingeredet, das der nie haben wollte.

    Dort hat ihn dann der Hichl entdeckt. Ihn und sein Talent, immer die Goschen offen zu haben. So nah wie im Autohaus ist er dem Hichl lange nicht mehr gekommen. Der Vater war einer aus der dritten Reihe, aber immerhin.

    »Wolf, was ist jetzt?«

    »Wolferl«, habe ich ihn korrigiert, und: »Vater, chill!«

    »Hörst du mir jetzt endlich auf mit diesen Ostküstenausdrücken?« Der Brandherd in seinem Gesicht ist noch eine Spur oranger geworden.

    »Du kapierst das nicht, du willst das einfach nicht kapieren, dass das hier eine Ehre ist! Wolf! Frag doch deine Freunde! Glaubst du, einer von denen hat einen Vater, der mit ihm Gutmenschen-Spritzen gehen kann?« »Gutmenschen«, das war alles, was nicht Hichl war. »Gutmenschen« war wie Neger oder Zigeuner, aber für Intellektuelle. Damit hat er gezeigt, dass er doch für Höheres geboren war.

    Wobei er beim Wort »Freunde« das Gesicht noch mehr verzogen hat als beim »Gutmenschen«.

    Der Vater hätte mich ja lieber im Nachwuchskader gesehen als jeden Abend mit Dumpf, Simpel und Schlicht im P88. Aber war mir das wurscht?

    Nein, war es mir nicht. Ganz und gar nicht. Ich habe das jedes Mal richtig super gefunden, wenn ihm vor lauter Ärger die Solariumskruste im Gesicht gesprungen ist, so richtig geil. Außerdem hat irgendwer ja sein Geld am Schädel hauen müssen. Und wer, wenn nicht ich? Natürlich hat er irgendwann den Erzieher heraushängen und mein Konto sperren lassen. Dafür sind dann zuhause immer wieder Geldbündel in den Schubladen gelegen oder in den Hosen gesteckt, die er im Schlafzimmer aufs Bett geschmissen hat. Platz war dort ja genug, seit die Mutter weg war. Das war seine Art, das Dilemma zu lösen, ohne zugeben zu müssen, dass er am kürzeren Ast gesessen ist. Auf einem Aststumpf. In einem Astloch. Die Kohle war ja der einzige Grund, weshalb ich überhaupt noch bei ihm geblieben bin.

    Schillingscheine und Psychopops, das war das Ticket zu drei wirklich guten Freunden. Wirklich gute Freunde, das sind ja die, die wirklich alles mitmachen. So gesehen waren Dumpf, Simpel und Schlicht die besten Freunde überhaupt, sie haben nämlich wirklich alles mitgemacht, was ich ihnen angeschafft habe.

    Im P88, da waren wir wer, da waren sie wer, Dumpf, Simpel und Schlicht. Im restlichen Leben waren sie niemand, drei Niemande, die wirklich ganz dringend einen Haider-Wolferl gebraucht haben. Die Eltern vom Dumpf waren arbeitsscheu, und damit hat er es immer noch besser erwischt gehabt als der Schlicht, bei dem zusätzlich auch noch drei Geschwister arbeitsscheu waren, und noch viel besser als der Simpel, der zwar einen sehr erfolgreichen großen Bruder gehabt hat, der aber großflächig auf den Simpel geschissen hat. Erfolgreich war der Bruder mit Autos und das ganz sicher nicht legal. Der Simpel hat vom illegalen Erfolg seines Bruders keinen Schilling gesehen. Der Bruder war nämlich der Meinung, der Simpel wäre eine Vollflasche. Womit der simple Bruder, ganz simpel gesagt, ziemlich recht hatte.

    Wir haben also fast jeden Abend im P88 Hof gehalten und konnten dort alles haben. Natürlich war es in Wahrheit so, dass ich alles haben konnte. Dumpf, Simpel und Schlicht haben genau das haben können, was ich ihnen erlaubt habe zu haben, wenn ich das gekriegt habe, was ich von ihnen haben wollte. Kompliziert? Nein, ganz einfach! Man nehme zum Beispiel einen Einkaufswagen.

    Es war vielleicht halb fünf in der Früh, als wir richtig schön hergerichtet aus dem Lokal gekommen sind. Der Simpel hatte an dem Abend überhaupt eine gute Zeit, die er nicht immer gehabt hat, weil er ja fett war und fett in der heutigen Zeit als unschön gegolten hat. Wenn die meisten nichts zum Fressen haben, fällt so ein Blader eben unangenehm auf.

    Jedenfalls hat der Simpel mit einer Frau nach hinten ins Lager vom P88 dürfen. Das ist natürlich nur gegangen, weil er eine Handvoll Psychopops von mir bekommen hat, auf die die Frau ziemlich scharf war. Auf den Simpel ohne Psychopops wäre sie ganz sicher nie scharf gewesen. Jedenfalls war der Simpel nach fünf Minuten wieder zurück und hat sich ohne Psychopops, aber glücklich zu uns auf die plüschige Bank unseres Stammtisches geschmissen. »Puderbär«, habe ich ihn genannt. »Hallo, Puderbär!«, »Na, wie geht’s ihm denn, dem Puderbären?«, und ihm die Wange getätschelt. Mir war nicht ganz klar, was die Frau wirklich mit ihm gemacht hatte, aber es musste doch irgendwie befriedigend gewesen sein und ein Kompliment wie »Puderbär« stößt man als fetter Simpel jetzt auch nicht so leicht von der Bettkante. Ihn hat nicht einmal gestört, dass die Leonie neben mir lauthals gegackert hat. Er war einfach viel zu selig.

    Blöd für ihn. Jetzt gibt es nämlich das Gesetz, dass alles in der Natur ausgeglichen werden muss. So auch die Seligkeit vom Simpel. Deshalb der Einkaufswagen, von dem keiner gewusst hat, wie der sich überhaupt in den ersten Wiener Gemeindebezirk verirrt hatte.

    Die Wiener Altstadt ist irgendwie eine kleine Achterbahn, ein verschlungenes Oben und Unten und Unten und Oben, aber mit Kopfsteinpflaster, und der Einkaufswagen stand genau an einer Stelle, wo es wieder einmal ordentlich hinuntergegangen ist und genau dort wollte er hin, der Einkaufswagen, hinunter.

    Natürlich habe ich Dumpf, Simpel und Schlicht erst einmal darauf hinweisen müssen: »Schaut’s«, habe ich gesagt, »der Einkaufswagen möcht da hinunter, aber das Pflaster will ihn nicht lassen! Dem müss’ma helfen, wir sind doch nette Menschen!« Einkaufswägen waren ja auch nur Wägen, aber sehr traurige Wägen, weil sie mit ihren kleinen Rädern so ungeschickt waren, dass schon ein Kopfsteinpflaster genügt hat, um sie zum Stehen zu bringen. Es hat also immer einen netten Menschen gebraucht, der bereit war, den Einkaufswagen auf Kurs zu bringen, und der netteste von uns war ja wohl ganz eindeutig der mit dem größten Lächeln im Gesicht. Und wer wird das wohl gewesen sein, der an diesem Abend wirklich ganz groß und breit gelächelt hat?

    »Puuuuderbääääär!«, hat die Leonie gegackert.

    Richtig, genau der. »Bitte einsteigen, Herr Simpel!«

    Meiner freundlichen Aufforderung wollte der Simpel nicht gleich nachkommen, aber gegen den großen Dumpf und den kleinen, aber schultermäßig breiten Schlicht haben ihm die Argumente gefehlt.

    Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass meine Theorie sowas von dermaßen gut funktioniert.

    Unter dem Gewicht vom Simpel ist der Einkaufwagen nämlich wirklich sehr zielstrebig die Gasse hinuntergebrettert wie ein Skiflieger eine Sprungschanze, nur dass man sich die Sprungschanze mit Schotter hat vorstellen müssen, was die Laufruhe angeht. Der Einkaufwagen ist mehr gehüpft als gefahren und der Simpel hat stotternd geschrien, weil es ihm das Zwerchfell durchgebeutelt hat.

    Der Einkaufswagen ist so weit gekommen wie noch nie ein Einkaufswagen vor ihm. Ganz sicher nicht. Die ganze Gasse ist er hinunter, dann krachend gegen eine niedrige Mauer, die ihn so umgelenkt hat, dass er über zwei hundescheißeverschmierte Grünflächen gedriftet, über die Straßenbahnschienen gebrettert und mit einem Hüpfer über den Randstein auf den alten Busparkplatz hinaus ist. So richtig brutal ist es erst geworden, als der Simpel die fünfspurige Fahrbahn überquert hat. Zwar wissen wir, dass es in Wien nicht mehr so viele Autos gibt wie früher, schon gar nicht um fünf Uhr früh. Dagegen hat auch der Bruder vom Simpel nichts machen können, der hat die Autos ja nicht gebaut, sondern nur neu verteilt. Die drei, die trotzdem da waren, haben es knapp derbremst.

    Schluss war erst an der nächsten Gehsteigkante. Für den Einkaufswagen. Für den Simpel erst an diesem massiven, grünen Metallgeländer zum Donaukanal. Dort ist er dann gelegen, der Simpel, und hat einfach weitergeschrien, als wäre die Fahrt noch immer nicht vorbei, obwohl das Muster vom Geländer in seinem Gesicht ganz klar etwas anderes gesagt hat. Ein Wangenknochen war angeknackst, das hat später ein Freund seines Bruders diagnostiziert. Der war zwar kein Arzt, hat sich mit dem menschlichen Körper aber trotzdem ganz gut ausgekannt.

    Neben mir ist es »Boah! Fett! Voll fett! Arg! Schleich dich! Bist deppert! Oida!« gegangen. Der Leonie hat eindeutig imponiert, was ich da auf die Beine gestellt hatte. Die Valli hätte in dieser Situation die Augen verdreht und mich für den Rest des Tages stehen lassen. Nicht, dass es genau das war, was mir gefehlt hat, eine frühreife 15-Jährige, die mir den Spaß verdirbt. Aber irgendwie dann auch wieder schon.

    »Weißt du, was dein Problem ist, Wolf? Du hast keinen Stolz!«

    Nein, Vater, das hat ganz sicher nicht gestimmt. Ich war zum Beispiel ziemlich stolz darauf, dass mir so ziemlich alles wurscht war.

    Wenn sich die Valli entschieden hat, nicht mehr mit mir reden zu wollen, bitte, ihr Problem. Mir wurscht.

    Halten wir fest: Ihr Bruder, der Maxl, wollte mich erschlagen, hat aber sie erwischt. Daran war ja wohl er schuld. Er allein. Oder doch nicht er allein. Sie selbst war auch schuld. In einer Assi-Familie wie den Putscheks sollte man ja wohl gelernt haben, sich zu ducken.

    Sie hätte mich anrufen müssen. Sie mich. Nicht ich sie.

    Natürlich ist sie mir nicht abgegangen. Gar nicht. Überhaupt nicht.

    Sie hat gewartet, dass ich sie anrufe. Ganz sicher hat sie das.

    Stur war sie. Immer rotzstur. Aber mir war’s wurscht.

    Draußen hat es die gelben Regenmäntel verblasen, gleich der erste, einer von den kleinen, von den leichten, ein Volltreffer. Locker einen Meter weit ist er gesegelt. Mit dem Gesicht genau in den nächstbesten Ellenbogen.

    »JA!« Der Vater ist vor Begeisterung gehüpft.

    Keine Ahnung, wie mein Finger auf die Wasserwerferspielkonsole gekommen ist.

    ALWINE

    Drei Monate hatte ich noch, aber was waren schon drei Monate gegen die drei Jahre, die ich hier war? Es gab so viele unter uns, die sich beklagt haben, aber nicht ich. Eigentlich hat es mir sogar gefallen. Ich hatte viel Zeit. Natürlich mussten wir den ganzen Tag lang arbeiten, zwölf Stunden, aber es war eine eintönige Arbeit, dabei hat man nicht viel denken müssen.

    Jeden Morgen sind wir neu eingeteilt worden. Eine Gruppe von Frauen hat die Stoffstücke von einer großen Rolle heruntergelassen, die von einem Motor über massive, eiserne Zahnräder angetrieben wurde. Eine zweite hat die Umrisse auf den Stoff gezeichnet. Das war eigentlich die schwierigste Arbeit, man durfte nämlich keinen Zentimeter verschwenden. Ich war

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