Abenteuer in Kanada: Mit Travellercheques zum Cottagetraum
Von Wolfgang Deger
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Über dieses E-Book
Überzeugend entfaltet Wolfgang Deger in diesen selbsterlebten Abenteuern die Freuden aber auch die Tücken und Mühen im Umgang mit den Einheimischen, der Wildnis, und den Tieren aus seiner Sicht und auch mal aus der Sicht der Tiere.
Wolfgang Deger
Wolfgang Deger, geboren 1954 in Frankfurt am Main, nach einem Ingenieurstudium in Köln arbeitete er bis 2009 in einem großen Elektronikkonzern. 1995 erwarb er zusammen mit seiner Frau ein Cottage an der Georgian Bay in Ontario.
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Buchvorschau
Abenteuer in Kanada - Wolfgang Deger
Für meine Frau und
meine Schwiegermutter
ohne die ich niemals
die Wunder und Schönheiten
Kanadas kennengelernt hätte
If you follow the Seagull
You will find a place of
Freedom and Purity.
There is only Wind, Sea
Sky and Earth.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Tücken des Angelns
Der neue Ofen
Was ist ein „Flying Squirrel"
Die drei Junggesellen
Erste Kanu Erlebnisse
Unser Garbage-Disposal
Weihnachtsbescherung mit Hindernissen
Alwin das Chipmunk
Wintersturm in Kanada
Wozu braucht man einen „Surveyer"
Die Verwandtschaft kommt auf Besuch
Die kleinen Unholde
Wir kaufen uns ein Boot
Die Fledermäuse rücken uns auf den Pelz
Ein schönes Foto
Eine Frühstücksüberraschung
Eine verhängnisvolle Fracht
Anhang:
Rezept für die Pfeffersoße zu den Steaks
Spielanleitung für das Kartenspiel „Golf"
Einleitung
Ein Großteil der Verwandtschaft meiner Frau Inge lebt in Kanada. Sie sind in den fünfziger Jahren ausgewandert.
1989 haben wir uns, auf die eindringlichen Bitten von Onkel Henry, entschlossen den nächsten Urlaub in Kanada zu verbringen.
Durch die dort lebende Verwandtschaft bekamen wir tiefere Einblicke in Land und Leute als Normal-Touristen. Dieser Besuch hat unser weiteres Leben maßgeblich beeinflusst.
Besonders die naturbelassene Landschaft an der Georgian Bay mit den „30.000 Islands" als Küstenregion hat uns beeindruckt und in ihren Bann gezogen.
Bei einem unserer nächsten Besuche haben wir uns ein Cottage an der Georgian Bay gekauft.
Seitdem erleben wir in Kanada die ungewöhnlichsten Geschichten und Abenteuer.
Die Tücken des Angelns
(Herbst 1995)
Endlich ging es wieder auf Urlaub nach Kanada. Seit unserem ersten Besuch hatten wir es uns jedes Jahr vorgenommen, aber immer kam etwas dazwischen. Ende August 1995 war es so weit. Der Indian Summer mit seiner prächtigen Laubfärbung war unser Ziel. Außerdem hat man im Herbst keine Probleme mehr mit Moskitos und Blackflies, die uns während des ersten Besuches im Mai 1990 schon arg gequält hatten.
Diesmal gestalteten wir unseren Urlaub von Anfang an eigenständiger. Beim ersten Besuch wurden wir die ganze Zeit von einer Verwandtschaft zur anderen weitergereicht. Deshalb besorgten wir uns gleich am Morgen nach unserer Ankunft für den kompletten Urlaub einen Mietwagen. So ausgerüstet machten wir uns auf den Weg zu unserem Traumziel, der Georgian Bay.
Wir hatten eine Einladung von Cousin Ernst und seiner Frau Ingrid bekommen. Ihre Tochter Eva war ein Jahr zuvor in Deutschland auf Schüleraustausch gewesen, kaum zwanzig Kilometer entfernt von uns und wir kümmerten uns damals um sie. Als dann Ernst und Ingrid ihre Tochter persönlich in Deutschland abholten und wir gemeinsam ein paar schöne Tage verbrachten, drängten sie uns zu einem Gegenbesuch in Kanada.
Die Fahrt ging über die Metropole Toronto gen Norden. Auch dieses Mal waren wir tief beeindruckt wie die Zivilisation abrupt endet und die Wildnis anfängt. Ein Schnitt wie mit einem scharfen Messer gezogen. Je weiter wir in den Norden fuhren desto schroffer wurden die Züge der Landschaft und wir fieberten dem ersten Blick auf die großen Wasserflächen der Georgian Bay entgegen. Kurz vor Honey Harbour fuhren wir über eine Brücke, und sahen tiefblaues Wasser bis zum Horizont. Inge sagte »Jetzt beginnt der Urlaub« und ich nickte zustimmend. Auf der weiteren Fahrt traten immer mehr Felsen zutage. Die Abwechslung zwischen blauen Wasserflächen, grünen Wäldern und Granitfelsen mit Rosenquarzstufen in den verschiedensten Rotfärbungen, durchzogen von schneeweißen Adern, faszinierte uns aufs Neue.
Nach fast vierhundert Kilometer Fahrt erreichten wir das Haus von Cousin Ernst, ein Holzhaus direkt am Waldesrand mit zwei Stockwerken und einem riesigen Balkon im ersten Stock.
Ernst, ein stämmiger Endvierziger mit braunen Lockenhaaren, und seine Frau Ingrid, dunkelblond und etwas zierlicher, kamen uns schon auf der Treppe entgegen. Ernst rief »Hi, Guys habt ihr gut hergefunden« und umarmte Inge. Während ich Ingrid umarmte fragte sie leiser und etwas sorgenvoller »War mit dem Flug und der Fahrt hierher alles ok?« Ich bestätigte ihr »Keine Probleme.«
So verbrachten wir wundervolle Tage und genossen die wildromantische Küstenformation der „30.000 Islands".
Eines Morgens beim Frühstück sprach Ingrid ihren Sohn Steffen an »Willst du nicht mal Inge und Wolfgang zum Angeln mitnehmen.« Erst suchte er nach Ausreden doch nach einigen weiteren Anstößen von Ingrid »Du weißt doch, das ist die Verwandtschaft aus Deutschland« willigte er ein. Er schaute uns an und sagte »Wie wäre es mit heute Nachmittag« wobei seine Stimmlage sich eher anhörte wie, wenn es schon sein muss, dann besser gleich. Wir willigten erfreut ein.
Als Ernst davon erfuhr fragte er mich »Bist du schon mal einen Four-Wheeler gefahren?« Ich verneinte und fragte, »Wie sieht denn so ein Fahrzeug aus?« Er schaute mich leicht schockiert an und zog mich nach draußen. Unter ihrem großen überdachten Stellplatz zeigte er mir zwei Fahrzeuge, die ich so in Natura noch nicht gesehen hatte. Beide hatten einen Motorradlenker und Ballon-Reifen mit Allradantrieb. Das eine Fahrzeug war als Dreirad konzipiert mit einem Sattel, das zweite hatte gleich sechs Ballon-Reifen zwei Sättel und hinten noch eine kleine Pritsche. Er ging zu dem sechsrädrigen Gefährt, zeigte mir wie man es startet, bremst, Vorwärts- und Rückwärtsgang einlegt und sagte »Probier es mal aus.« Er ließ mich ein paar Runden auf dem Vorplatzdrehen, winkte mich nach einer Weile zurück und meinte
»Den Rest lernst du schon im Gelände.«
Als ich Inge davon erzählte fragte sie ungläubig nochmals bei Ingrid nach, ob wir wirklich dieses Fahrzeug benötigen. Sie erklärte »Ihr fahrt mit Steffen fünf bis sechs Kilometer zu einem einsamen See und der Weg ist nur mit einem Four-Wheeler befahrbar.«
Zu dem Haus gehörte ein, für europäische Maßstäbe, riesiges Grundstück von einigen Quadratkilometern. Dieses Grundstück grenzte an einen Inlandsee der keinen Zugang über eine Straße besaß.
Nach einer kleinen Mahlzeit zur Mittagszeit trafen wir uns mit Steffen auf dem Vorplatz. Steffen war damals gerade mal fünfzehn Jahre alt und ein richtiges Naturkind, etwas schweigsam und menschenscheu aber wenn es ums Fischen, Jagen und Natur erleben ging taute er förmlich auf.
Er schwang sich auf sein Dreirad und wartete ungeduldig bis wir unser sechsrädriges Gefährt bestiegen und gestartet hatten.
Dann brauste er los und ich versuchte ihm zu folgen. Zum Glück gab es nach einigen hundert Metern nur noch eine enge Fahrspur die durch Hecken und Brombeersträucher führte und nicht zu verfehlen war.
Steffen wartete nach eineinhalb Kilometer Fahrt vor einer steilen Böschung. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich was er dachte »Wie lange brauchen die denn noch für diese Strecke?« Am Rande der Böschung angekommen blickte ich erschrocken in die Tiefe. Steffen war mit unvermindertem Tempo schon unten angekommen.
Obwohl ich im Schneckentempo hinab fuhr sträubte sich alles in mir und ich hatte das Gefühl einem Überschlag nahe zu sei. Als wir Steffen erreichten hatte sich seine Laune nicht verbessert. Von hier aus ging es weiter durch leichteres Gelände und ich konnte Steffen so folgen, dass ich ihn nicht aus den Augen verlor. Es kann natürlich auch sein, dass er etwas langsamer fuhr, um nicht dauernd auf uns warten zu müssen. Am See angekommen stellten wir die Four-Wheeler ab und Steffen zeigte uns ein altes hölzernes Ruderboot.
Der See erstreckte sich über eine Fläche von einem halben Quadratkilometer, dicht umsäumt von Büschen und Bäumen lief er zu einer Seite in eine Schilf- und Moorlandschaft aus, ein wahrer Traum für Naturliebhaber.
Nachdem wir in dem wackeligen Boot Platz genommen hatten, warf Steffen seine Angel und einige andere Utensilien ins Boot, stieß es vom Ufer ab und sprang elegant hinterher. Trotz seiner Jugend merkte man gleich, dass er es gewohnt war sich selbstständig in der freien Natur zu bewegen. Nach ein paar Ruderschlägen hielt er inne, versah die Angel mit einem Köder, übergab sie an Inge die ihm am nächsten saß, mit der Aufforderung sie auszuwerfen. In unserem ganzen Leben hatten wir noch nicht geangelt. Inge holte, wie mit einem Federballschläger, schwungvoll aus. Ich schaute erwartungsvoll auf die ruhige Seeoberfläche um mir die Eintauchstelle des Hakens nebst Köder zu merken. Es ging ein Ruck durch das Boot und ich hörte ein qualvolles Stöhnen von Steffen. Was war passiert?
Inge hatte mit der Angel so schwungvoll ausgeholt, dass der Haken nach hinten losgegangen war und da wir uns noch in Ufernähe befanden, hatte er sich in den herunterhängenden Ast eines Baumes verhakt. Steffen ruderte zu dem Ast hin, löste den Haken und versah ihn erneut mit einem Köder. Er nahm das Ruder und sagte »Wir rudern jetzt zur Seemitte.« Dort angekommen forderte er mich auf den Anker auszuwerfen. Ich schaute mich in dem kleinen Boot um, konnte aber beim besten Willen keinen Anker entdecken. So fragte ich ihn »Wo ist denn der Anker?« Er antwortete mürrisch »Der Stein.« Tatsächlich lag da ein großer Stein, an dem ein Tau befestigt war, vor meinen Füßen. Also nahm ich den etwa fünfzehn Kilo schweren Stein und warf ihn über den Bootsrand in den See. Er verschwand und zu meinem Entsetzen auch das angebundene Tau. Es war nur an dem Stein befestigt nicht aber am Boot und der See wies hier wohl eine besondere Tiefe auf. Stein und Tau waren auf nimmer Wiedersehen verschwunden. Als Steffen mich fragte, ob ich das Tau festgehalten hätte und ich dies verneinte war sein Stöhnen nicht mehr steigerungsfähig.
Er ruderte noch an zwei andere Stellen des Sees und warf selbst die Angel aus. Aber heute wollte ihm kein Fisch die Laune verbessern. So ruderte er, nach einer Stunde auf dem See, mit den Worten »Heute haben wir wohl kein Glück« zum Anlegeplatz zurück. Er packte missmutig seine Sachen und schwang sich auf sein Dreirad. Dann fragte er uns noch »Findet ihr den Weg zurück?« Als wir dies bejahten brauste er davon. Deprimiert von unserem Unvermögen machten wir uns auch auf den Heimweg.
Steffen traute uns noch nicht mal den Rückweg zu. Er wartete immer weit voraus an den Schlüsselstellen des Weges und wenn er uns kommen sah fuhr er weiter. Was mir noch Sorgen bereitete war die steile Böschung, doch an ihr angekommen gab ich Vollgas und das sechsrädrige Gefährt zog uns, ohne schlingern und rutschen, in gleichmäßigem Tempo die Böschung hoch. Oben angekommen, ich hatte langsam Vertrauen zu unserem Fahrzeug gewonnen, spürte ich einen leichten Widerstand auf der rechten Seite des Lenkers. Auf der weiteren Wegstrecke nahm der Widerstand beständig zu.
Steffen war jetzt endgültig unseren Blicken entschwunden, da er uns wohl den Rest der Strecke allein zutraute. Zugegeben, die restliche Wegstrecke war zwar kurvenreich und unübersichtlich aber an sich nicht schwer zu befahren. Ich stoppte das Fahrzeug und schaute es mir rundherum an. Der vordere rechte Reifen hatte Luft verloren. Bei dieser Art von Niederdruck-Ballonreifen fällt das optisch nicht gleich auf, aber der Fahrwiderstand in unebenem Gelände nimmt erheblich zu. Ich fuhr langsam und vorsichtig weiter, froh um jeden Meter den wir dem Ziel näher kamen und war wirklich glücklich das Haus zu erreichen, ohne dass sich der Reifen von der Felge gelöst hatte. Wir zeigten das Problem Ernst, er lachte nur und sagte »Den muss ich nur wieder aufpumpen, dann ist er wieder in Ordnung.«
Im nachherein haben wir dann noch von Ingrid gehört, dass sich Steffen bitterlich über unser Unvermögen beschwert hatte und ablehnte nochmals mit uns in der Wildnis irgendetwas zu unternehmen.
Bis heute haben wir keinen weiteren Angelversuch unternommen, abgesehen von einem Fisch der uns ins Kanu sprang.
Das ist aber eine andere Geschichte.
Der neue Ofen
(Herbst/Winter 1995/1996)
Nun hatten wir also das Cottage gekauft. Michael, der Real Estate Broker - in Deutschland würde man Immobilienmakler sagen - brauchte drei Anläufe um den Preis sowohl für Käufer als auch Verkäufer so attraktiv zu gestalten, dass einer Vertragsunterzeichnung nichts mehr im Wege stand.
Um den Kauf abzuwickeln war es nötig Tausend Dollar „In Trust bei Michael zu hinterlegen. Aus leidvoller Erfahrung mit ausländischen Touristen, die in Urlaubslaune eine Immobilie kaufen und nach Rückkehr in ihre Heimat nichts mehr davon wissen wollen, wurden diese Tausend Dollar „In Trust
als Sicherheit und zur Begleichung der Aufwendungen eingeführt. Als Touristen verfügten wir nur über eine Kreditkarte und Traveller-Schecks. So eröffneten wir bei einer Bank ein Konto und zahlten alle unsere Traveller-Schecks ein. Ich kam mir vor wie in der Autogramm-Stunde, sechsundfünfzig Traveller-Schecks à zwanzig Dollar unterschreiben und dem Bankangestellten überreichen. Danach war ein Girokonto bei einer kanadischen Bank mit 1.120,-$ Guthaben unser Eigen und wir konnten die tausend Dollar auf Michaels Konto überweisen.
Die Preisverhandlungen waren beendet, der Kaufvertrag unterschrieben und Michael organisierte das erste Treffen mit dem Vorbesitzer unserer neu erworbenen Immobilie zur Schlüsselübergabe.
Ein sonniger Herbsttag Anfang Oktober 1995. Wir trafen Werner, unseren Vorbesitzer, mit knapp zwei Metern ein Hüne von einem Mann. Seinen Händen, manche würden sie eher Pranken nennen, sah man an, dass sie Arbeit gewohnt waren. Als Sohn deutscher Auswanderer konnten wir Deutsch mit ihm reden. Bevor wir ins Haus gingen zog er mich zur Seite und ging mit mir den schmalen Trampelpfad zwischen Eichen, Zedern und Hemmlock-Tannen zu dem alten Cabin hinauf. Ein kleines Holzhaus mit Zedernholztüre und kleinen Fenstern. Dahinter eröffnete sich die ganze Schönheit der kanadischen Natur.
Der Wald lichtete sich und eröffnete ein kleines Granitfelsenplateau welches nach oben hin durch fünf, von Werner selbst gepflanzten Tannen, begrenzt wurde. Hinter den Tannen blickte man auf eine weiter ansteigende Felsenstufe mit nur noch vereinzelten, vom Wind geformten, White-Pines, eine hier verbreitete weiße Kiefernart. In den Felsenmulden wuchsen, wie grüne Inseln, Heidelbeer- und Wacholderbeersträucher.
Auf der kleinen Lichtung vor dem alten Cabin stand ein runder Tisch mit zwei kleinen halbrunden, weiß gestrichenen, Bänkchen aus Zedernholz auf denen wir Platz nahmen. Die Nachmittagssonne schien direkt in die Lichtung und wärmte uns.
Werner begann mit ruhiger Stimme zu erzählen wann und wie er das Grundstück in den sechziger Jahren erworben hatte. Allein oder zusammen mit seiner Frau und den beiden Söhnen erlebte er hier viele Wochenende und Sommerurlaube. Das Cabin maß nur drei auf sechs Meter, hatte aber alles was für eine Familie zu einer Übernachtung notwendig ist. Kühlschrank, Gasherd, Spüle, Geschirrschrank, Stockbett ...
Ich merkte deutlich, dass es ihm schwer fiel sein über die Jahrzehnte ans Herz gewachsene Grundstück, mit all den Erlebnissen und Erinnerungen, nun herzugeben. Aber er hatte sich finanziell übernommen und musste wohl oder übel verkaufen. Die kanadische Wirtschaftslage sah damals gar nicht gut aus und wir waren die einzigen ernstzunehmenden Interessenten vor dem nahenden Winterhalbjahr, in dem man in dieser Region kaum Immobilien zu vernünftigen Preisen verkaufen kann.
Trotzdem war es Werner ein Bedürfnis, dass sein Eigentum in gute Hände kommt und wir, die neuen Besitzer, es schätzen und lieben lernen sollten. Er zeigte auf einige Bäume und sagte »Man kann diese Bäume in einer halben Stunde fällen, aber sie brauchen über hundert Jahre bis sie wieder nachwachsen.« Was er mir auf seine stille Art eindringlich beibrachte: »Denk besser dreimal darüber nach, bevor du einen großen Baum fällst. Es ist etwas, was du in deiner verbleibenden Lebensspanne nicht mehr wieder nachwachsen sehen wirst.« Das Gespräch hat bei mir bis heute einen tiefen, nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Unvermittelt erhob er sich und sagte »Ich muss dir noch einiges am Haus zeigen.« Er wendete mir schnell den Rücken zu und trat den Rückweg an. Ich denke er war den Tränen nahe und wollte nicht, dass ich dies bemerkte.
Am Haus angekommen zeigte er auf einige kleine Bäume an dem aufsteigenden Hang zum alten Cabin hin, die er als nicht sehr sinnvoll ansah. Wir erreichten das Steinpatio, welches er vor der hinteren Seite des Hauses selbst verlegt hatte. »Als Truck-Fahrer habe ich all diese Steine selbst aus den verschiedenen Regionen Kanadas zusammen gesammelt.« An der vorderen Ecke des Hauses angekommen beäugte er sehr kritisch drei dicht zusammenstehende White-Pines, jede mit einem Durchmesser von ungefähr einem halben Meter. Er sagte »Die stehen verdammt nahe am Haus. Frag mal Ted, den Tree-Cutter, was er davon hält.« Spätestens jetzt bemerkte ich Werners Werteeinstellung. Lass die Natur da wo sie hingehört und belass sie am besten wie sie ist, aber wenn sie sein oder jetzt unser Haus gefährdet, dann muss sie weichen. Eine Regel, die wir erst heute so richtig zu deuten wissen.
Dann gingen wir an der zur Straße gewandten Seite des Hauses entlang und schauten den Abhang zum „Septic-Feld" hinunter, bestehend aus zwei eingegrabenen Betonkammern und einem anschließenden, zehn Mal zwanzig Meter großen, Sickerfeld für das Abwasser. Durch eine Dreierreihe Tannen ist es zur Straße hin abgegrenzt. Auch hier zeigte er mir eine noch junge, etwa acht bis zehn Meter hohe, White-Pine und gab mir den Rat »Mach die im nächsten Jahr weg. Die Wurzeln haben auf dem steilen Hang nicht genügend Halt.« Mit meinem Versprechen erreichten wir die vordere Eingangstür und betraten das Haus.
Das Haus hatte er selbst entworfen und zusammen mit Handwerkern gebaut. Schon die Eingangstür machte einen, für nordamerikanische Verhältnisse, ungewöhnlichen Eindruck. Eine rustikale Zedernholztür mit einem festen, nur zum zuziehen, gedachten Messingknauf und einem Schließzylinder darunter. Normalerweise hat man hier einen Drehknauf oder einen Drücker an der Tür, um sie jederzeit öffnen zu können. Dies war mit dieser Türkonstruktion nicht möglich und sollte in der Zukunft noch einige Handwerker und Lieferanten zur Verzweiflung treiben.
Im Eingangsbereich fielen gleich zwei Besonderheiten des Hauses auf. Auf der rechten Seite eine massive Eichenholztreppe hinauf in das obere Stockwerk und auf der linken Seite eine rote Backsteinwand, die Rückseite des Kamins. Zusätzlich, direkt am Eingang in die Backsteinwand eingelassen, ein halbrunder Erker als Durchbruch zum Wohnzimmer. In die Erkeröffnung hatte Werner ein in Blei gefasstes Tiffany-Blumenglasbild montiert. Es verlieh dem Eingangsbereich gleich einen warmen, heimeligen Charakter. Werner ging vor mir her, klopfte mit seiner Pranke auf die Treppe, und sagte »Diese Treppe hält ewig, die hat ein deutscher Zimmermann zusammengebaut. Wir brauchten sechs Männer um sie hereinzutragen und zu montieren.« Im Flur angekommen wendete er sich nach links ins Wohnzimmer.
Zielstrebig ging Werner zu dem mit roten Backsteinen gemauerten Kamin, das beherrschende Element in diesem Raum. Halb kniend schaute er in den Abzug des Kamins und erklärte »Im Winter kannst du diesen Kamin nicht als offenen Kamin benutzen. Die Hitze wird nur durch den Schornstein geblasen und nachts kommt mehr Kälte rein als dir lieb ist.« Er drängte mich mit Nachdruck unbedingt einen Insert-Oven einzubauen und empfahl mir den Osborne-Fireplace. Der Kamin wäre extra für den Einbau von solch einem Ofen vorgesehen. Im Geiste merkte ich mir diesen Ratschlag als eine der Anschaffungen mit höchster Priorität. Wir beabsichtigten unseren Winterurlaub über Weihnachten und Neujahr in unserem neu erstanden Cottage zu verbringen.
Die weiteren Zimmer zeigten sich wie es bei Michael im Verkaufsprospekt stand: „Unfinished and need some improvements was frei übersetzt „Noch viel Geld und Arbeit reinstecken
bedeutet.
Die Küche, eine klassische Junggesellen-Lösung. Eine Arbeitsplatte mit eingelassener Spüle war auf Hohlblock-Betonsteinen aufgelegt und ein daran mit Reißzwecken befestigtes Wachstuch diente als Vorhang. Der Herd sah aus als wenn er schon mindestens 30 Jahre auf dem Buckel hätte, in schicker kackbrauner Farbe mit offen gedrehten Brennelementen. So etwas hatten wir in Europa noch nie gesehen. Die Waschküche, ein totales Durcheinander von Warmwasserspeicher, Wasserpumpe, ein Doppelwaschbecken aus Plastik, Waschmaschine und Trockner. Das Bad verfügte wenigstens über eine gekachelte Dusche. Ansonsten gab es noch eine rosa Toilette mit zerbrochenem Wasserkastendeckel aus schwerem Porzellan und ein paar Zu- und Abflussrohre die aus der Wand ragten. Das hintere Schlafzimmer war leer bis auf einen begehbaren Kleiderschrank.
Michael sagte »Jetzt noch das obere Stockwerk.« Werner nickte und stapfte vor uns die Eichentreppe hinauf. Das Bad, in einen Dacherker eingebaut, machte mit hellblauer Badewanne, Waschbecken und Toilette als einziger Raum im Haus einen wohnlichen Eindruck. Die zwei oberen Schlafzimmer überraschten mit großzügigen Dimensionen und geraden Wänden, obwohl wir uns hier schon in der Dachschräge befanden. Werner sagte »Ich mag keine schrägen Wände und das Haus hat keinen Keller. So hab ich die Dachschräge als Stauraum abgetrennt« öffnete eine kleine Tür neben dem Bad und zeigte uns einen davon.
Am Ende der Besichtigung hieß es für Werner Abschied nehmen. Er brummelte noch so etwas wie »Passt mir gut auf‘s Haus auf« und gab uns die Hand. Wieder fühlte ich wie schwer es ihm fiel, dieses Haus aufgeben zu müssen. Er ging ohne sich nochmals umzudrehen zurück zu seinem Auto. Wir haben ihn bis heute leider nicht wieder gesehen.
Zurück bei Cousin Ernst - wir wohnten schon seit über einer Woche bei ihm - besprachen wir die weiteren Schritte. Unser Urlaub neigte sich langsam dem Ende zu und die Zeit lief uns davon.
Das offizielle Kaufdatum, mit Zahlung der Kaufsumme und Übernahme von uns als neue Eigentümer im Grundbuch, war auf Ende November festgelegt. Ein Zeitpunkt zu dem wir sicherlich nicht in