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Der Schiffbruch der Fregatte Medusa: Ein dokumentarischer Roman aus dem Jahr 1818
Der Schiffbruch der Fregatte Medusa: Ein dokumentarischer Roman aus dem Jahr 1818
Der Schiffbruch der Fregatte Medusa: Ein dokumentarischer Roman aus dem Jahr 1818
eBook312 Seiten4 Stunden

Der Schiffbruch der Fregatte Medusa: Ein dokumentarischer Roman aus dem Jahr 1818

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Über dieses E-Book

Die Wahrheit ist oft unwahrscheinlich!
Am 2. Juli 1816 zerbrach die auf Grund gelaufene Fregatte Medusa vor der Küste Afrikas. Da nicht genügend Rettungsboote an Bord waren, wurde ein Floß gezimmert, auf dem nicht weniger als 150 Personen untergebracht wurden. Ohne Skrupel entfernten sich die Rettungsboote und ließen das weitgehend manövrierunfähige Gefährt zurück. Als das Floß durch Zufall nach zwölf Tagen entdeckt wurde, befanden sich nur noch fünfzehn Personen am Leben.

Der vorliegende Romanbericht zweier Überlebender beschreibt eindrucksvoll den Kampf auf hoher See sowohl gegen den Hunger als auch gegen die Leidensgenossen. Berühmt wurde der Text nicht nur durch die erstaunlich nüchterne Schilderung von Meuterei und Kannibalismus, sondern auch durch die politische Bedeutung, da nicht wenige Zeitgenossen in diesem Schiffbruch ein Bild des Staatsschiffs sahen. Die Medusa wurde sofort als allégorie réelle auf die Zustände im nach-revolutionären Frankreich bezogen.

Der Bericht lieferte aber auch den Impuls für eine der imposantesten Bildfindungen der Moderne. Gaben die beiden Autoren den politischen Misständen durch ihre Beschreibung des Schiffbruchs eine Stimme, so gab der junge Théodore Géricault ihm mit seinem gleichnamigen Monumentalgemälde ein Gesicht.

In seinem Essay geht Jörg Trempler auf die Beziehung zwischen Textquelle und Bildgestalt ein. Er kommt über die Rezeptionsgeschichte des Gemäldes auf aktuelle Fragen zur Bildpolitik zu sprechen und zieht eine Parallele zur heutigen Livebildberichterstattung.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Okt. 2012
ISBN9783882211641
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    Buchvorschau

    Der Schiffbruch der Fregatte Medusa - Jean Baptiste Henri Savigny

    Savigny / Corréard

    Der Schiffbruch der Fregatte Medusa

    Jean-Baptiste Henri Savigny

    Alexandre Corréard

    Der Schiffbruch der Fregatte Medusa

    Mit einem Vorwort von Michel Tournier,

    einem Nachwort von Johannes Zeilinger

    und einem Bildessay zu Théodore Géricaults

    »Floß der Medusa« von Jörg Trempler

    Inhalt

    Michel Tournier – Das Floß der Medusa

    Jean-Baptiste Henri Savigny und Alexandre Corréard – Schiffbruch der Fregatte Medusa auf ihrer Fahrt nach dem Senegal, im Jahr 1816

    Johannes Zeilinger – Der Tod der Medusa

    Jörg Trempler – Der Stil des Augenblicks. Das Bild zum Bericht

    Nautisches Glossar

    Literaturverzeichnis

    Michel Tournier

    Das Floß der Medusa

    Das furchtbare Schicksal der Medusa, jenes französischen Schiffes, das am 2. Juli 1816 auf der Arguin-Bank, vierzig Seemeilen vor der Küste Afrikas, Schiffbruch erlitt, dringt erst durch mehrere Filter zu uns; sie entstellen es, bereichern es aber auch.

    Gefiltert wird es naturgemäß durch die Zeit, die uns davon trennt, und nicht minder auch durch das geschichtliche Umfeld—jene frisch bejubelte Restauration mit ihrem Salto über ein Vierteljahrhundert der Revolution und des Empire hinweg nach rückwärts. Um sich davon wenigstens eine schwache Vorstellung zu machen, muß man die Befreiung Frankreichs von 1944 erlebt haben und den politischen und moralischen Umbruch, den sie mit sich brachte. Daß der Kommandant des Schiffes – Hugues Duroy Vicomte de Chaumareys – ein früherer Emigrant ohne jede seemännische Erfahrung war, spielte beim Grund für die Katastrophe und auch bei ihrer nachträglichen Beurteilung eine entscheidende Rolle.

    Bei näherer Betrachtung ist es seltsam und erstaunlich, daß ein Gemälde, dessen Schöpfer Théodore Géricault aus politischen Gründen und wegen seines frühen Todes bar jeder Anerkennung und Ehrung bleiben sollte, derart berühmt wurde, daß es sich zwischen das reale Geschehen und uns schiebt. Was wäre uns ohne Géricault vom Schiffbruch der Medusa in Erinnerung? Hier betritt man den Bereich des Mystischen, in dem das Bild über die Wirklichkeit siegt. Der morbide Reiz dieses Bildes erwächst aus dem ununterscheidbaren, bedrängenden Durcheinander von Toten und Überlebenden, von heller Hoffnung und absoluter Verzweiflung.

    Das Thema Floß wurzelt tief in unserer Vorstellungswelt. Man spürt ein deutliches Unbehagen, wenn man auf Géricaults Gemälde ein vom Wind geblähtes Segel sieht, von dem das Floß anscheinend vorangetrieben wird. Eine traumwandlerische Logik in uns läßt die Gleichsetzung Floß – Schiff nicht zu. Nein, das Floß ist kein Schiff, und es verträgt weder Segel noch Motor. Dieses Gefühl hatten übrigens von Anfang an auch die Seeleute der Medusa, die behaupteten, das Floß durch Ruderboote schleppen zu können. Es wurde ihnen alsbald klar, daß das Floß eine träge, maßlos schwere Masse darstellte und daß Rudererkraft sie niemals von der Stelle bewegen konnte. Sie mußten, ob sie wollten oder nicht, die Taue loswerfen, die sie mit dem Floß verbanden, und es seinem Schicksal überlassen.

    Diese naturgegebene Unbeweglichkeit des Floßes hat neuerdings im Urwald des Amazonas eine wunderbare Illustration gefunden: mit dem »Gipfelfloß«. Hubschrauber hatten auf den Wipfeln der Bäume im tropischen Urwald ein großes Netz ausgebracht, auf dem dann ein Team von Naturforschern lebte. Unter freiem Himmel, dreißig Meter über dem Boden, konnten sie Vögel, Insekten und die Vegetation des »grünen Baldachins«, der Gipfeletage des Feuchtwaldes, erforschen, wo der Hauptteil des tropischen Lebens beheimatet ist. Nichts weckt so sehr wie dieses »Floß« die Vorstellung von Unbeweglichkeit inmitten eines fragilen, sich ständig wandelnden Umfeldes.

    Hier ist wohl der rechte Ort, eine der bizarrsten, bedeutungsschwersten Komponenten dieser erstaunlichen Geschichte anzusprechen: den Namen Medusa, den das Schiff trug. Durch welches Mysterium, welche Verirrung konnte man einem Schiff diesen Namen anhängen? Denn eine Meduse ist nicht etwa ein Fisch, sie ist ein gallertiger Schirm, der sich wabbelnd in den Wassern bewegt. Paul Valéry hat sie mit lyrischer Kraft gefeiert, die Quallen, diese »Wesen aus einer Substanz ohnegleichen, durchscheinend und sensibel, irre sich wandelnd, gläserne Leiber, Kuppeln von wehender Seide, Kronen wie aus Glas, lange, lebendige Riemen, alle durchwogt von eiligen Wellen, Fransen und Runzeln, in die sie sich legen und aus denen sie sich wieder glätten.«* Und zu erwähnen ist auch das schlangenstarrende Haupt von einer der drei Gorgonen – der Medusa –, das sie, welche es ansahen, zu Stein werden ließ. Ein Schiff wirklich Medusa zu taufen — hieß das nicht, es bewußt einem geheimnisvoll-tragischen Schicksal überantworten?

    Dennoch enthält das tödliche Dahindriften der 117 Schiffbrüchigen des Unglücksfloßes zumindest eine Episode, die anmutig, wundersam und voll luftiger Poesie ist. Am Abend des vierten Tages gegen vier Uhr, so berichtet Jean-Baptiste Henri Savigny, ging ein Schwarm fliegender Fische auf dem Floß nieder. Über 300 wurden von den Schiffbrüchigen eingefangen und lieferten ihnen eine unerwartete, von der Vorsehung geschenkte Nahrung. Man denkt da gewiß an das Manna, das Jehova auf die Juden herabregnen ließ, als sie Mose folgend die Wüste durchquerten, aber noch mehr denkt man vielleicht an den wunderbaren Fischfang, den Jesus den Männern vom See Genesareth bescherte.

    Das ist nicht das einzige religiöse Echo dieser Geschichte. Paradoxerweise fehlte es den Schiffbrüchigen an allem — außer an Wein, denn ein Barriquefaß hatte auf das Floß umgeladen werden können, und darum gesellte sich zu Erschöpfung und Hunger oftmals der Rausch. Auch da strömen uns biblische Anklänge zu, denn in unserer religiösen Bilderwelt fließt der Wein in Strömen, von Noahs Trunkenheit bis zur Hochzeit zu Kana.

    So sind wir nun durch den Wein zum Kern des Dramas der Medusa gelangt, den wir nicht umgehen können. Ich meine die Szenen von Kannibalismus, die geschahen und die mit äußerstem Grauen das Überleben der Fünfzehn ermöglichten, die von der Brigg L’Argus geborgen wurden.

    Über das Verzehren von Menschen wurden in den Ethnien, wo es vorkommt, zahlreiche Studien erstellt. Der Abscheu, den es uns einflößt, sollte angesichts der Dimension, die ihm in allen beobachteten Fällen zukommt, sehr viel geringer sein. Denn es geht nie darum, menschliches Fleisch zu sich zu nehmen, wie man Gemüse oder ein Tier ißt. Der Tote, dessen Körper unter die Mitglieder von ein und demselben Stamm verteilt wird, ist immer ein Fremder, und das Verzehren seines Körpers hat das Ziel, sich Fähigkeiten einzuverleiben, die ihm eigen und die wertvoll sind. Kannibalismus ist also weit mehr ein geistiger als ein materieller Akt, und zumeist hat der Verzehr von Menschenfleisch die Form einer symbolischen Zeremonie.

    Auch da werden wir wieder in unsere eigene geistige Welt verwiesen. Für die Judenchristen, die wir ja sind, ist die Eucharistie kein Mysterium, das man sich so leicht zu eigen macht. Als Jesus sie verkündete, rief er damit bei seinen Jüngern Empörung und Abkehr hervor. Am stärksten äußerte sich Jesus hierüber in der Synagoge von Kaparnaum:

    »Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. Da stritten die Juden untereinander und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes eßt und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. […] Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören? […] Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm.« (Johannes 6,51–54, 60, 66)

    Zwischen Kannibalismus und Eucharistie liegt natürlich eine ungeheure Distanz. Doch der Weg aufwärts, der sie vereint, ist durchlässig. Vor einigen Jahren war ein Flugzeug an einem Gipfel der Anden zerschellt, und die Überlebenden hatten nichts anderes zu essen gehabt als die Leichen der toten Reisegefährten. Das Ereignis schlug in den Medien erhebliche Wellen. Ich befragte dazu den orthodoxen Theologen Olivier Clément: »Welcher Unterschied besteht zwischen Kannibalismus und Eucharistie?« Ich werde seine Antwort nie vergessen: »Der Kannibale ißt totes Fleisch, während der Christ, der kommuniziert, an einer lebendigen Wahrheit teilnimmt.«

    * Paul Valéry, Tanz, Zeichnung und Degas. Aus dem Fränzösischen von Werner Zemp, Frankfurt am Main 1951.

    150 Fran zoten suchten ihr Heil auf dieser Maschine; nur 15 fanden Rettung nach 13 tœgichen Leiden.

    Schiffbruch der Fregatte Medusa

    auf ihrer Fahrt nach dem Senegal,

    im Jahr 1816;

    oder

    vollständiger Bericht

    von den merkwürdigen Ereignissen auf dem Floß, in der

    Wüste Sahara, zu Saint-Louis und in dem Lager bei Dakar,

    nebst

    Erörterungen über den landwirtschaftlichen Anbau

    der afrikanischen Westküste, vom Kap Blanc

    bis zu der Mündung des Gambia,

    von

    Jean-Baptiste Henri Savigny,

    ehemaliger Wundarzt im Seedienst

    und

    Alexandre Corréard,

    Ingénieur-Géographe,

    beide Schiffbrüchige auf dem Floß.

    Vorwort

    Die Jahrbücher des Seewesens liefern kein Beispiel eines so schauderhaften Schiffbruchs als den der Fregatte Medusa. Zwei Unglückliche, demselben wie durch ein Wunder entronnen, übernehmen hier das eben so herzbrechende als heikle Geschäft, alle Umstände dieses schrecklichen Ereignisses zu schildern. Mitten unter den grausamsten Leiden nahmen wir uns den Eid ab, sie der gesitteten Welt in einem vollständigen Bericht mitzuteilen, sofern uns der Himmel noch vergönnte, unser geliebtes Vaterland wieder zu betreten. Wir würden befürchten, uns an uns selbst, so wie an unseren Mitbürgern zu verschuldigen, wenn wir Dinge im Dunkel ließen, über die sie begierig sein müssen, Licht zu schöpfen. Alle Umstände, von denen wir nicht selbst Augenzeugen waren, sind uns von glaubwürdigen Männern mitgeteilt, welche für deren Echtheit bürgen. Auch führen wir nichts an, wovon sich nicht gehörige Beweise beibringen ließen. Was die Nachrichten betrifft, welche sich zunächst auf das Schiff beziehen, so haben wir deshalb bei mehreren Seeleuten, die sich an Bord befanden, Erkundigungen eingezogen, und wo ihre Aussagen nicht ganz gleichlautend waren, hielten wir uns an die Tatsachen, welche die meisten Zeugen für sich hatten. Zuweilen werden wir uns genötigt sehen, grausame Wahrheiten ans Licht zu bringen, aber diese können nur die treffen, deren Ungeschick oder Kleinmütigkeit alle jene Schrecknisse herbeiführten. Wir dürfen zuletzt noch mit Zuversicht sagen, daß unsere zahlreich gesammelten Beobachtungen uns in Stand setzen, alles, wie bei einem so wichtigen Werke mit Recht zu erwarten steht, vollkommen treu und richtig darzustellen.

    Fregatte Medusa in voller Takelung.

    Einleitung

    Die französischen Niederlassungen an der westlichen Küste Afrikas vom Kap Blanc bis zur Mündung des Flusses Gambia standen abwechselnd bald unter französischer, bald unter englischer Hoheit, endlich aber blieben sie in den Händen der Franzosen, deren Vorfahren schon im 14ten Jahrhundert, gleich nach Entdeckung dieses Landes, sich hier angesiedelt hatten.

    Die Engländer bemächtigten sich im Jahr 1758 der Insel Saint-Louis, des Sitzes der Oberstatthalterschaft aller unserer Besitzungen auf diesem Teile der Küste; 1779, also zwanzig Jahre später, kam sie wieder an uns. Um diese Zeit wurden uns unsere Besitzungen durch den am 3ten September 1783 zwischen Frankreich und England abgeschlossenen Friedensvertrag von neuem zugesichert. 1808 fielen sie abermals in die Hände der Engländer, nicht sowohl durch Gewalt der Waffen als durch die Verräterei einiger Männer, die nicht verdienten, Franzosen zu heißen. Endlich wurden sie uns zurückgegeben durch die Pariser Verträge von 1814 und 1815, welche den vom Jahre 1783 nach seinem ganzen Inhalt bestätigten.

    Die Artikel dieses Vertrags bestimmen die gegenseitigen Rechte beider Regierungen auf die westliche Küste von Afrika. Sie geben die französischen Besitzungen folgendermaßen an: vom Kap Blanc, 19° 30’ Länge und 20° 55’ 30 Breite bis zur Mündung des Gambia 19° 9 Länge und 13° Breite. Sie verbürgen uns ferner den ausschließenden Besitz dieser Ländereien, indem sie den Engländern nur zugestehen, gemeinschaftlich mit den Franzosen, von dem Flusse St. Jean bis Portendick inbegriffen den Gummihandel zu treiben, ohne daß es ihnen erlaubt sei, an diesem Flusse noch an sonst einem Punkte der Küste sich im geringsten, und auf welche Art es auch sein mag, festzusetzen.

    Das einzige, was den Engländern in diesen Verträgen zugesichert wird, ist das Eigentumsrecht auf die Faktorei Albreda an der Mündung des Gambia so wie auf das Fort James.

    Nachdem die Rechte beider Völker auf diese Art auseinander gesetzt waren, machte Frankreich Anstalten, den ihm zugefallenen Teil in Besitz zu nehmen. Der Marineminister beschäftigte sich ernsthaft damit, ließ im Verlauf von zwei Jahren zu dieser Unternehmung vier Schiffe ausrüsten und gab endlich Befehl zur Abfahrt nach dem Senegal. Es gehörten dazu:

    Außerdem zu einer Reise, die man willens war nach dem Lande Galam zu unternehmen:

    Ferner, zu einer Unternehmung, welche dahin ging, auf dem Kap Verde, oder in dessen Nähe, einen Platz zu einer Ansiedlung ausfindig zu machen:

    Also in allem 365, von denen ungefähr 240 auf die Fregatte Medusa kamen.

    Bericht

    von dem Schiffbruch der Fregatte Medusa

    Am 17ten Juni 1816, morgens um sieben Uhr, verließ das nach dem Senegal beorderte Geschwader unter Anführung des Fregattenkapitäns Herrn von Chaumareys, die Reede der Insel Aix. Die Fahrzeuge, aus denen es bestand, waren die Medusa¹, eine Fregatte von 44 Kanonen, befehligt von dem Herrn von Chaumareys; die Korvette Echo², angeführt von Herrn Cornet de Venancourt, Fregattenkapitän; die Loire, ein Flütschiff, und die Brigg Argus³, unter den Schiffsleutnants Herrn Gicquel des Touches und von Parnajon. Der Wind kam aus Norden und wehte angenehm; wir hatten alle Segel aufgespannt; kaum aber waren wir auf offener See, so ließ der Wind etwas nach, und wir mußten lavieren, um den Turm von Chassiron zu umfahren, welcher an der Spitze der Insel Oléron liegt.⁴ Nachdem wir den ganzen Tag laviert hatten, verlangte die Loire abends gegen fünf Uhr zu ankern, weil sie die Strömungen nicht überwältigen konnte, die sie von dem Fahrwasser abhielten; Herr von Chaumareys erlaubte es ihr und ließ zugleich das ganze Geschwader die Anker werfen. Wir waren jetzt eine halbe Stunde von der Insel Ré mitten in der Enge von Antioche. Unser Schiff ankerte zuerst, und die übrigen Fahrzeuge stellten sich in unserer Nähe auf. Die Loire, welche am langsamsten segelte, fand sich erst nach allen andern auf dem Ankerplatz ein. Das Wetter war schön, der Wind blies aus Nordwest, etwas zu gebrochen, als daß wir Chassiron hätten umsegeln können, um so mehr, da sich ungünstige Strömung einstellte. Abends gegen sieben Uhr, mit eintretender Ebbe, lichteten wir die Anker und spannten die Segel auf; alle Fahrzeuge taten ein Gleiches, nachdem sie einige Augenblicke vorher das Zeichen zum Aufbruch erhalten hatten. Mit anbrechender Nacht befanden wir uns zwischen den Leuchttürmen von Chassiron und La Baleine⁵, die wir in kurzer Zeit umsegelten; kaum waren wir auf offener See, so trat beinahe eine gänzliche Windstille ein, die Schiffe arbeiteten nicht mehr, der Himmel bedeckte sich, das Meer wurde unruhig, alles kündigte einen Sturm an, der Wind drohte sich nach Westen zu wenden und folglich widrig zu werden; er war veränderlich und ruckend; gegen zehn Uhr bemerkte man, daß wir auf der eingeschlagenen Fahrt geradewegs einer Gefahr, »les Roches-Bonnes« genannt, entgegensteuerten.⁶ Wir machten verschiedene Wendungen, um derselben zu entkommen. Gegen Mitternacht bildete sich im Norden eine finstere Sturmwolke, die von dort her blies; nun konnten wir den Vorderteil nach der See wenden, die Wolken zerstreuten sich, und am folgenden Tage war sehr schönes Wetter mit schwachem Nordost; einige Tage lang legten wir nur einen kurzen Weg zurück.

    Den 21ten oder 22ten umsegelten wir Kap Finistère. Außerhalb der Spitze, welche den Golf von Gascogne begrenzt, trennten sich die Loire und die Argus von uns; da sie schlechte Segler waren, konnten sie unmöglich der Fregatte folgen, die sie nicht anders in ihrer Nähe hätte behalten können als vermittelst der Bramstange und der Beisegel.

    Nur die Echo war noch zu sehen, aber in einer großen Entfernung und aus allen Kräften segelnd, um uns nicht zu verlieren; die Fregatte fuhr viel rascher als diese Korvette, so daß sie bei geringer Anspannung der Segel nicht allein mit ihr Fahrt hielt, sondern sie auch zum Erstaunen übersegelte; der Wind war indes etwas stärker geworden, und wir legten neun Knoten zurück.

    Ein unglücklicher Zufall störte unsere Freude über diese günstigen Winde; ein Schiffsjunge von fünfzehn Jahren fiel ins Meer; mehrere von unseren Leuten standen auf dem Hinterteile des Schiffes und der Schanzdecke, wo sie den Sprüngen der Meerschweine zusahen.⁸ Auf den Freudenruf über das Gaukeln dieser Fische folgte plötzlich ein ängstliches Geschrei des Mitleids. Einige Augenblicke hielt sich der Unglückliche längs dem Bord an einem Strick, den er im Hinabfallen ergriffen hatte, aber bei der Schnelle, mit welcher die Fregatte segelte, mußte er ihn bald fahren lassen. Man gab der Echo, die sehr weit entfernt war, ein Zeichen von diesem Mißgeschick; noch mehr, man wollte einen Kanonenschuß tun, aber es war kein einziges Stück geladen. Hierauf warf man die Rettungstonne aus.⁹ Wir zogen die Segel ein und machten eine Wendung von der Seite. Dies erforderte viel Zeit. Auf den Ruf »Ein Mann ins Meer« hätte man vielmehr die Höhe des Windes gewinnen sollen. Zwar hörten wir von der Batterie her laut rufen, daß er gerettet sei; ein Matrose hatte ihn wirklich beim Arm gefaßt, aber er mußte ihn loslassen, wollte er nicht selbst mit fortgerissen werden. Indes schickte man ein kleines Fahrzeug von sechs Rudern und mit drei Mann besetzt in See. Alles war vergeblich; nachdem sie bis in einer ziemlichen Entfernung gesucht hatten, kamen sie wieder an Bord, ohne einmal die Rettungstonne gesehen zu haben. Ist es diesem unglücklichen Burschen gelungen, sie zu erreichen, so muß er nach den grausamsten Qualen darauf umgekommen sein. Man richtete die Segel und fuhr weiter.

    Die Korvette Echo war wieder zu uns gestoßen, und wir segelten geraume Zeit mit ihr auf Stimmweite; aber bald verloren wir sie noch einmal. In der Nacht vom 26ten wurde laviert, weil wir befürchteten, auf die acht Felsen zu treffen, von denen der nördlichste 34° 45’ Breite und der südlichste 34° 30’ liegt, so daß der Umfang dieser Gefahr ungefähr fünf Lieues von Norden nach Süden und vier Lieues von Osten nach Westen beträgt; der südliche Felsen ist ungefähr 40 Lieues Nord, 5° Ost von der Spitze Ost der Insel Madeira entfernt.

    Den 27ten früh versprachen wir uns, die Insel Madeira zu sehen, aber wir schifften vergeblich bis Mittag, wo wir das Zeichen auf der Seekarte machten, um unseren Standpunkt festzustellen. Der Sonne nach befanden wir uns auf der Höhe von Porto-Santo; wir fuhren seitwärts fort, und abends mit Sonnenuntergang riefen die Wachen auf den Masten »Land!«.¹⁰ Dieser Irrtum in Angabe eines Landungsortes betrug wenigstens 30 Lieues nach Osten hin; wir schrieben ihn den Strömungen der Meerenge von Gibraltar zu, die uns gewaltig umgetrieben hatten. Gründet sich dieser Irrtum wirklich auf den Strömungen, so verdient er alle Aufmerksamkeit von den Seefahrern, welche diese Gewässer besuchen. Die ganze Nacht fuhren wir nur mit geringer Segelkraft; gegen Mitternacht wendeten wir uns nach einem andern Windstrich, um dem Lande nicht zu nahe zu kommen. Am folgenden Tage ganz früh sahen wir sehr deutlich die Inseln Madeira und Porto-Santo; links die, welche man gewöhnlich die wüsten Inseln nennt; Madeira war wenigstens zwölf Lieues entfernt, wir hatten den Wind im Rücken und legten neun Knoten zurück. In wenigen Stunden befanden wir uns ganz nahe der Insel. Geraume Zeit segelten wir hart längs der Küste und kamen bei den zwei vorzüglichsten Städten, Funchal und Do-Sob vorbei. Madeira erhebt sich wie ein Amphitheater; die Landhäuser zeugen von gutem Geschmack und gewähren einen reizenden Anblick. Alle diese lieblichen Wohnungen sind von prächtigen Gärten und Pomeranzen- und Zitronen-Wäldern umgeben, die, wenn der Wind vom Land her kommt, eine halbe Stunde weit auf der See den angenehmsten Geruch verbreiten. Die Hügel prangen mit Weinstöcken, die mit Paradiesfeigenbäumen eingefaßt sind: kurz, alles vereinigt sich, Madeira zu einer der schönsten Inseln von Afrika zu machen. Ihr Boden ist eine wachstumsfördernde Erde, vermischt mit einer Asche, die ihr eine bewunderungswürdige Kraft mitteilt. Überall zeigen sich Spuren einer durchs Feuer gegangenen Erde, welche die Farbe des Elements an sich trägt, dem sie ihre Beschaffenheit verdankt. Funchal, die Hauptstadt der Insel, liegt 19° 20’ 30 Länge und 32° 37’ 40 Breite. Sie ist nicht gut angelegt; die Straßen sind eng und die Häuser größtenteils von schlechter Bauart. Der höchste Teil der Insel ist der Pico von Ruvio, der sich 200 Meter über die Meeresfläche erhebt. Die Volksmenge auf Madeira beträgt 85 000 bis 90 000 Einwohner, wie uns ein glaubwürdiger Mann versicherte, der sich einige Zeit hier aufgehalten hat.

    So fuhren wir längs der Küste von Madeira, weil der Befehlshaber willens war, ein Boot hinzusenden, um Erfrischungen zu holen; allein, da plötzlich Windstille eintrat, mußten wir befürchten, zu nahe ans Land zu kommen und die heftigen Strömungen nicht überwältigen zu können, die sich in der Nähe desselben bilden. Es erhob sich ein leiser Strichwind, der uns

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