LARP: Zeug: Aufsatzsammlung zum MittelPunkt 2015
Von Tobias Cronert, Björn-Ole Kamm, Daniel Steinbach und
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Über dieses E-Book
Zusammengestellt und aufbereitet anlässlich der Live-Rollenspiel-Konferenz MittelPunkt 2015.
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Buchvorschau
LARP - Tobias Cronert
Schlickmann
Tobias Cronert
ILLEGALES LARP-ZEUG
Eine Handvoll abgekämpfter Gestalten nähert sich im finsteren Wald vorsichtig dem uralten Obelisken. Außer den Geräuschen des Waldes und dem Knistern einer Fackel ist nichts zu hören, als der junge Magierlehrling die Reliquie in der dafür vorgesehenen Nische im Heiligtum platziert, während seine Freunde vorsichtig und voller Anspannung die Umgebung mustern. Plötzlich durchschneidet eine Stimme die Spannung in der Luft: „Timefreeze! Also, ihr werdet jetzt von allen Seiten von Zombies angegriffen, aber da wir die Waldwege nicht verlassen dürfen, müssen wir das auf der Wiese hinter dem Lager ausspielen, und da unser Sani gerade jemanden ins Krankenhaus bringt, müssen wir mit dem Kampf auch noch warten, bis er zurück ist. Außerdem müssen Fackeln und Laternen ausgemacht werden, wir dürfen außerhalb des Zeltplatzes kein offenes Feuer benutzen. Wir hinken mit dem Plot auch etwas hinterher und haben schon nach Mitternacht, also haben wir keine Genehmigung für Klasse-2-Feuerwerk mehr, das gilt auch für die Spieler, und weil es so spät geworden ist, muss ich auch noch mal die unter 18-Jährigen daran erinnern, dass sie nicht mehr in die Taverne gehen dürfen."
Die meisten Larp-Arten in Deutschland stoßen an irgendeinem Punkt an Grenzen, die von Gesetzen und offiziellen Regeln bestimmt werden und nicht mehr von der Dynamik des Geschichtenerzählens oder den puren Ansprüchen der Logistik einer Veranstaltung. Abstrakte Gesetze und Richtlinien beeinflussen dann alles, vom Einsatz scheinbar echt aussehender Waffen, über Pyrotechnik und Schwarzpulver, bis hin zur Rücksichtnahme auf Waldbrandwarnstufen und Tierschutzrichtlinien. Dabei sehen sich Veranstalter allzu oft gefangen zwischen ihren Ambitionen, ein möglichst imposantes und/oder spaßiges Event auf die Beine zu stellen, und der Angst vor persönlichen Konsequenzen.
WAS KANN DENN ÜBERHAUPT ALLES ILLEGAL SEIN?
Als Erstes kommen da natürlich Pyrotechnik und die Simulation von Kämpfen mit Waffen in Betracht, aber grundsätzlich erstreckt sich der Konflikt mit „dem Gesetz" auf so ziemlich alle Bereiche, denen man im Larp begegnen kann. Das fängt mit der Anreise zum typischen Feld-, Wald- und Wiesencon an, bei der zig Fahrzeuge auf Feldwegen und im Wald geparkt werden, obwohl dies mit forstwirtschaftlichen Nutzrechten, Umweltauflagen et cetera in Konflikt gerät. Der Benzingenerator für die Beleuchtung im Naturschutzgebiet sollte doch eigentlich auch kein Problem sein, oder?
Das Ganze geht dann weiter mit der Nutzung von Feuer im Lager bis zu Bauten der Orga im Wald, wo eigentlich gar nichts stehen dürfte. Diese Bauten sind dann auch metaphorisch die nächste Baustelle und reichen vom illegalen Eremiten-/Schamanenzelt im Wald bis zu Lagertürmen und Palisaden auf den Großcons, bei denen sich die Bauaufsicht bestimmt auch zweimal den Nacken kratzt. Fliegende Bauten, maximal 5 Meter Höhe und „Betreten auf eigene Gefahr" … oder wie war das noch mal?
Wo wir gerade bei Umgebung sind, wie ist es mit Wegerechten im Wald? Wer tapert so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Lichkönig mit seiner Untotenarmee! Ist eigentlich gerade Jagdsaison? Die Besitzer kennen wir, aber wer war nochmal der Jagdpächter?
Von draußen zurück zu Heim und Herd: Brauchen/haben alle, die zum Küchendienst eingeteilt sind, eine Hygieneprüfung der IHK und der Pfannkuchenstand eine Konzession? Braucht der überhaupt eine – und wenn wir gerade schon dabei sind, wie war das noch mal mit dem Schankrecht? Vereinsveranstaltung? Ähm …
GEMA-Gebühren fallen bei einer Vereinsveranstaltung doch auch nicht an oder war das der Passus mit der öffentlichen Veranstaltung?
Weil die letzten zehn Schlauchmeter der Wasserleitung nicht vom Gesundheitsamt abgenommen worden sind, haben wir natürlich ein „Kein Trinkwasser"-Schild drangehängt, aber jetzt fragen uns die Spieler alle drei Minuten, ob das Wasser denn jetzt wirklich nicht trinkbar ist, und glauben einem Schild (das die Orga aufgehängt hat) mehr als der SL-Aussage, dass ja eigentlich alles in Ordnung ist.
Dann gucken wir uns doch lieber etwas Leichteres an. Wir haben doch sicher die Auflagen für den Sanitätsdienst erfüllt und genug Rettungswege vorgehalten, die zu der Bunkeranlage im Wald führen, oder? Ja, Sanis sind ja kein Problem, wir haben die ja in der Anmeldung ein Häkchen setzen lassen und die Leute dann bei der Ansprache vorgestellt, aber wie war das noch mal mit Brandwachen und Feuerwehr, da gab es doch auch mal was …
Zumindest müssen wir uns über Diebstähle keine Gedanken machen, denn die Larper sind ja ein ganz ehrliches Völkchen. Die ausgegebenen Münzen wurden ja auch extra als Spielgeld deklariert und allen gesagt, dass man die ruhig „dieben kann. Alle anderen „gediebten
Gegenstände werden ja immer zeitnah bei der Orga abgegeben, die sie kompetent und zuverlässig verwaltet.
Über Freiheitsberaubung und Folterspiel haben wir im Vorfeld mal geredet, aber wenn die Spieler das halt so unter sich machen wollen, dann sind die ja alle alt und reif genug, um damit umzugehen … Also, außer es sind halt ein paar von den Minderjährigen dabei, da sollte das dann besser nur angedeutet werden.
Haben wir echt Minderjährige dabei? Haben die auch alle Aufsichtspersonen und schlafen nach Geschlechtern getrennt in verschiedenen Zelten oder gibt es diesen Kuppelparagrafen gar nicht mehr?
Zumindest ist ja klar, dass wir nicht einfach erlauben können, dass jemand auf einer öffentlichen Veranstaltung Schwarzpulver benutzt, um eine Muskete darzustellen, das kann doch nicht legal sein, oder? Aber um den Anscheinsparagrafen im Waffengesetz brauchen wir uns nicht zu kümmern, weil der gilt ja nur in der Öffentlichkeit und ein Con ist ja eine Privatveranstaltung … Oder was hatte ich eben noch mal gesagt?
Herrgott, da kann einem ja schon mal richtig Bange werden, aber zum Glück haben wir ja alle Spieler beim Check-In noch mal die AGBs unterschreiben lassen, und diejenigen, die später angereist sind, haben versprochen, am Sonntag vor der Abfahrt noch ihren „Kaiser Wilhelm" drunter zu setzen.
ILLEGAL, WAS NUN?
Gesetze sind zwar meist innerhalb eines Landes einheitlich, aber Verwaltungsvorschriften, Auflagen des Ordnungsamtes oder der Versicherung ändern sich schon fast von Dorf zu Dorf. Darüber hinaus sprechen wir ja hier meist für den gesamten deutschsprachigen Larp-Raum, und wenn wir nur über die Grenze in die Schweiz oder nach Österreich blicken, dann haben wir es, aller Eurovereinheitlichungen zum Trotz, mit wirklich echt unterschiedlichen Gesetzgebungen zu tun. Das einfachste und prominenteste Beispiel ist eine Muskete, die mit Knallern einen Softball verschießt. In Deutschland ist es verboten, ein Projektil mithilfe heißer Gase durch ein Rohr zu feuern¹ (die allseits beliebte Kartoffelkanone), während dies in Österreich erlaubt ist.
Was jetzt genau verboten oder erlaubt ist, das ist selten wirklich klar. Meistens kommt das „illegale Larp-Zeug auch nicht in Konflikt mit „richtigen echten
Gesetzen, sondern mit Verwaltungsvorschriften, Platzordnungen, Auflagen des Ordnungsamtes, IHK-Vorgaben, Arbeitsrecht, Auflagen der Versicherungen und so weiter.
Das hat schon mal einen ganz anderen Stellenwert, denn wenn gegen die Auflagen der Versicherung oder des Ordnungsamtes verstoßen wird, dann geht eine Larperin eben nicht in den Knast für das, was sie getan hat, sondern muss eher eine Ordnungsstrafe zahlen oder verliert den Versicherungsschutz in der betreffenden Angelegenheit.
Natürlich sind sich die entsprechenden Behörden ebenfalls sehr bewusst, wie der ganze Dschungel der Anweisungen aussieht und angewendet wird, und letztendlich sitzen da normale Menschen, die ihre subjektiven Ansichten und Meinungen zu dem Thema haben. Die meisten der „offiziellen Verwaltungsmenschen" wollen eigentlich nur Gutes und sorgen sich bei der Einhaltung ihrer Regeln darum, Menschen und/oder Umwelt zu schützen. Und wenn eine Larp-Orga sicherstellen kann, dass die Maxime der Regeln beachtet wird, dann ist der exakte Wortlaut vielleicht nicht mehr so wichtig.
So breit gefächert wie die Regeln, mit denen eine Orga in Konflikt kommen kann, sind auch die Bewältigungsmechanismen. Von einer „Vogel-Strauß-Taktik und der (falschen) Überzeugung, man könne nicht für etwas belangt werden, von dem man nichts weiß, bis zum reflexartigen Verbot aller Aktionen, die auch nur ansatzweise in Konflikt mit irgendwelchen Regeln kommen könnten, wurde sicher alles schon einmal angewendet. Dabei ist besonders auffällig, dass beide erwähnten Extrempositionen aus Angst geboren werden. Auf der einen Seite die Angst, den Con nicht wie geplant durchführen zu können (und essenzielle Spielinhalte zu verlieren), falls man den Regeln Beachtung schenkt, und auf der anderen Seite die Angst vor persönlichen Konsequenzen, wenn man etwas „Illegales
tut. Letztere Angst dürfte sehr einfach nachzuvollziehen sein, aber auf die Angst, Spielinhalt zu verlieren, möchte ich noch einmal genauer eingehen.
Eine Orga investiert viel Zeit und Engagement in einen Con und hat eine gewisse