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Lehrmeister Ratte: Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können
Lehrmeister Ratte: Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können
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eBook375 Seiten4 Stunden

Lehrmeister Ratte: Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können

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Über dieses E-Book

Menschen, Ratten, Psychologen  

Was können uns ganz gewöhnliche Laborratten über das Menschsein verraten? Die Biopsychologin Kelly Lambert meint: sehr viel. Sie führt seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren Forschungen an Ratten und anderen Nagetieren durch und ist dabei zu einer überraschenden Erkenntnis gekommen: Mit ihrer Anpassungsfähigkeit und ihren besonderen Lebensgewohnheiten vermögen uns diese bescheidenen Tierchen so einiges darüber beizubringen, wie wir als Menschen ein besseres Leben führen können. Von emotionaler Resilienz und strengem Arbeitsethos bis hin zur effektiven Betreuung des Nachwuchses und zur Erhaltung der eigenen Gesundheit kann die Laborratte für uns alle ein – zugegebenermaßen ungewöhnliches – Vorbild sein.   

„Mit Witz, Klugheit und immer auf dem Boden der Tatsachen lehrt uns Kelly Lambert eine Menge über uns selbst, indem sie ihren Ratten die Bühne überlässt. Wenn wir die Grundlagen der Hirnfunktion bei der Ratte erforschen, können wir darin vieles entdecken, was auch für uns gilt, und erhalten ganz neue Einblicke in das Menschsein.“ Patricia Churchland, emeritierte Professorin der Philosophie der University of California in San Diego und Autorin des Buches Braintrust   

Die Autorin   

Kelly Lambert ist Macon and Joan Brock Professor am Randolph-Macon College in Ashland, Virginia, und Inhaberin des dortigen Lehrstuhls für Psychologie. Sie wurde 2008 zur Professorin des Jahres in Virginia ernannt und war von 2009 bis 2011 Präsidentin der International Behavioral Neuroscience Society. Sie lebt mit ihrem Ehemann Gary, einem Arbeitspsychologen, den beiden Töchtern Lara und Skylar sowie mehreren Haustieren (einem klugen Hund namens Golgi, einer misstrauischen Katze namens Gracie und den beiden Vulkanasche liebenden Chinchillas Sophie und Sadie) in Mechanicsville, Virginia.  

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum3. Juni 2013
ISBN9783642373411
Lehrmeister Ratte: Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können

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    Buchvorschau

    Lehrmeister Ratte - Kelly G. Lambert

    A978-3-642-37341-1_CoverFigure.jpg

    Kelly G. LambertLehrmeister Ratte2013Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können10.1007/978-3-642-37341-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    Kelly G. Lambert

    Lehrmeister RatteWas wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können

    Credit: Deb Silbert Photography

    Aus dem Englischen übersetzt von Jorunn Wissmann.

    A308325_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.gif

    Kelly G. Lambert

    Randolph-Macon College, Ashland, VA, USA

    ISBN 978-3-642-37340-4e-ISBN 978-3-642-37341-1

    www.springer-spektrum.de

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    Springer Spektrum Übersetzung der englischen Ausgabe: The Lab Rat Chronicles von Kelly Lambert, erschienen bei Perigee 2011, © 2011 by Kelly Lambert, PhD. Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Perigee, a member of Pengiun Group (USA) Inc.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    Planung und Lektorat: Frank Wigger, Dr. Meike Barth

    Redaktion: Idis Eisentraut

    Einbandabbildung: Fotolia

    Einbandentwurf: deblik, Berlin

    Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

    Springer Spektrum ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.

    Für meine früheren, jetzigen und zukünftigen Studenten … und natürlich für die Laborratten

    Dank

    Wie im Titel schon angedeutet, stammt das meiste für dieses Buch verwendete Material aus meinen Untersuchungen an all den einfallsreichen und anpassungsfähigen Ratten, die seit rund zwei Jahrzehnten mein Labor am Randolph-Macon College (R-MC) bevölkern. Meinen Studenten, die in all diesen Jahren zu einem steten Strom innovativer und informativer Forschungsarbeit mit den Nagern beigetragen haben, werde ich ewig dankbar sein. Viele von ihnen werden im vorliegenden Buch namentlich erwähnt, doch viele bleiben aus redaktionellen und Platzgründen ungenannt. Dennoch gilt mein herzlichster Dank jedem einzelnen Studenten, der einmal in meinem Labor mitgearbeitet hat. Besonders dankbar bin ich zudem Catherine Franssen, einer ehemaligen Studentin, die als Postdoktorandin an das R-MC zurückkehrte und die Leistungsfähigkeit des Labors deutlich steigerte. Die in diesem Buch beschriebene Forschungsarbeit wurde und wird durch R-MC-Fördergelder unterstützt, die großzügigerweise von folgenden Quellen gestiftet wurden: Chenery Research Grants, Walter William Craigie Grants, Schapiro Undergraduate Research Fellowships, Macon and Joan Brock Professorship, der Duff-Familie aus Fredericksburg und dem Randolph-Macon Psychology Department. Wertvolle Unterstützung erhielten wir zudem von den National Institutes of Health und der National Science Foundation.

    Auch außerhalb des Labors trugen etliche Personen zum Entstehen dieses Buches bei. Mein besonderer Dank gilt meiner Agentin Michelle Tessler und der Lektorin bei Perigee, Marian Lizzi – beide sahen in der eher ungewöhnlichen Idee zu zeigen, was wir aus dem Leben von Nagern lernen können, ein lohnendes Buchkonzept. Dank schulde ich auch meinen geschätzten Kollegen am R-MC Psychology Department sowie Hochschulleiter William Franz und unserem Präsidenten Robert Lindgren für ihre Unterstützung. Barb Wirth trug durch ihren administrativen Beistand Unschätzbares zum Projekt bei. Kollegen in aller Welt schließlich leisteten wertvolle Forschungsarbeit und lieferten damit wichtigen Stoff für dieses Buch. Craig Kinsley, mit dem ich bei meinen Forschungen besonders oft zusammenarbeite, war bei mehreren im Buch wiedergegebenen Studien beteiligt. Hoffentlich halten die kommenden Jahrzehnte ähnlich interessante Forschungsabenteuer bereit. Massimo Bardi, mit dem ich erst seit Kurzem zusammenarbeite, hat unsere Arbeit mit den Nagern mit seiner Fachkenntnis in der Analyse von Endokrinologie und Verhalten sehr bereichert. Dank schulde ich außerdem mehreren Kollegen, die mit ihren wertvollen Kommentaren zur Verbesserung des Manuskripts beitrugen. Sämtliche Fehler und Fehlinterpretationen in der Endfassung des Textes liegen jedoch ausschließlich in meiner Verantwortung.

    Da ich meinem „Alltagsjob" als Professorin und Forscherin während der Arbeit am vorliegenden Buch weiter nachging, verbrachte ich viele Abende und Wochenenden mit Schreiben. Meine Familie unterstützte mich in dieser arbeitsreichen Zeit und lauschte mir gebannt, wenn ich mal wieder neue Ratten-Erkenntnisse beschrieb, die ich in verschiedenen Kapiteln unterbringen wollte. Mein Ehemann Gary ging über die ehelichen Korrekturpflichten weit hinaus, indem er jedes einzelne Kapitel aufschlussreich kommentierte und bearbeitete. Wie im Buch geschildert, haben meine Töchter Lara und Skylar meine neuronalen Netzwerke so verändert, dass die täglichen Herausforderungen des Lebens eine neue, größere Bedeutung bekommen haben. Ich weiß ihre Liebe und Toleranz gegenüber einer Mutter, die ein erklärter Nagerfan ist, wirklich zu schätzen!

    Inhalt

    1 Wie alles begann

    2 So entsteht geballte Intelligenz

    3 Neuroökonomie und langfristige Investitionen

    4 Allgemeines Gesundheitswesen

    5 Emotionale Resilienz

    6 Vom Wert sozialer Diplomatie

    7 Das Geheimnis gepflegter Haare

    8 Die Finalrose

    9 Familiäre Werte

    10 Dem Stress davonlaufen

    11 Waffen und Gewalt

    12 Im richtigen Leben: die wichtigste Lektion von allen

    Literatur und Quellen

    Index

    Kelly G. LambertLehrmeister Ratte2013Was wir von den erfolgreichsten Säugetieren der Welt lernen können10.1007/978-3-642-37341-1_1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    1. Wie alles begann

    Kelly G. Lambert¹  

    (1)

    Randolph-Macon College, Copley Science Center 138, 23005 Ashland, VA, USA

    Kelly G. Lambert

    Email: barbara.brachwitz@mohrbooks.com

    Zusammenfassung

    Können Nager uns etwas über die Erfolgsgeheimnisse der Säugetiere verraten? Können sie Aufschluss über das komplexe mentale Innenleben der am höchsten entwickelten Kreatur auf Erden, des Menschen, geben? Die Vorstellung von Naturwissenschaftlern, die mit Unterstützung von Ratten versuchen, die vielen Rätsel des Geistes zu entschlüsseln, erinnert eher an einen Trickfilm von Walt Disney als an ein wissenschaftliches Sachbuch. Dennoch entspricht dieses merkwürdige Szenario meiner beruflichen Realität, und das versetzt mich in die besondere Lage, die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Ratten erzählen zu können. Wie bei praktisch jeder nicht autorisierten Biografie kommt bislang Unbekanntes ans Licht, in diesem Falle geheime Einzelheiten über Anpassungsstrategien der Nager, von denen andere opportunistische Spezies und insbesondere der Mensch profitieren können.

    Können Nager uns etwas über die Erfolgsgeheimnisse der Säugetiere verraten? Können sie Aufschluss über das komplexe mentale Innenleben der am höchsten entwickelten Kreatur auf Erden, des Menschen, geben? Die Vorstellung von Naturwissenschaftlern, die mit Unterstützung von Ratten versuchen, die vielen Rätsel des Geistes zu entschlüsseln, erinnert eher an einen Trickfilm von Walt Disney als an ein wissenschaftliches Sachbuch. Dennoch entspricht dieses merkwürdige Szenario meiner beruflichen Realität, und das versetzt mich in die besondere Lage, die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Ratten erzählen zu können. Wie bei praktisch jeder nicht autorisierten Biografie kommt bislang Unbekanntes ans Licht, in diesem Falle geheime Einzelheiten über Anpassungsstrategien der Nager, von denen andere opportunistische Spezies und insbesondere der Mensch profitieren können.

    Meine berufliche Laufbahn als Biopsychologin wird seit einem Vierteljahrhundert durch meine Fähigkeit bestimmt, effektiv zu arbeiten und von meinen vierbeinigen Mitarbeitern zu lernen. In meinem Beruf kommt es vor allem darauf an, Versuche zu konzipieren, bei denen sich Nager auf ihre ureigene Weise „frei äußern" können – andernfalls machen sie nicht mit, und ich habe keine Daten, um meine neueste Hypothese zu überprüfen. Ohne solche Daten wiederum gibt es keine Manuskripte, die man veröffentlichen, keine Vorträge, die man auf Tagungen halten, keine aufschlussreichen Studien, die man seinen Studenten vermitteln, und keine Pilotdaten, mit denen man sich um Fördermittel bewerben kann. Kurzum, ohne all dies müsste ich meinen Beruf aufgeben.

    Mir ist durchaus klar, dass ich einer Minderheit angehöre – nur wenige Menschen haben beruflich mit Nagern zu tun, und manch einer findet den Gedanken an Ratten wahrscheinlich ekelhaft, da er in ihnen nur eine Gefahr für unsere Gesundheit sieht. Ich hoffe, dieses ungerechtfertigte Bild der Tiere mit Forschungsergebnissen sowie persönlichen Erlebnissen und Erkenntnissen hinter mir lassen zu können. Wie Beatrix Potters Bücher schon vor über einem Jahrhundert zeigten, können wir viel über uns selbst lernen, indem wir das Leben von Nagern (und anderen Tieren) beobachten. Wie Sie noch erfahren werden, sind die wissenschaftlichen Geschichten dermaßen aufschlussreich und interessant, dass es keiner erfundenen Handlung mehr bedarf. Auch ohne die niedlichen Kleidchen und gespielten Kaffeekränzchen, die so typisch für Beatrix Potters Bücher waren, können Nagetiere uns so manche wichtige Lektion erteilen. Ich hoffe sogar, dass Sie nach der Lektüre dieses Buches bei der nächsten Schwierigkeit, der Sie sich gegenübersehen, an die Tiere denken und sich womöglich fragen: Was würde ein Nager tun? Aber ich will nicht vorgreifen. Bevor ich Ihnen ihre vielen Leistungen präsentiere, ein paar Worte zur Einleitung.

    Eine kurze Geschichte der Laborratten

    Die Beziehung zwischen Mensch und Nagern war nicht immer von dem Wunsch geprägt, Letztere – ob im Labor oder im sprichwörtlichen Sinne – auf ein Podest zu heben. In die USA wanderten Ratten mit Schiffen aus verschiedenen Regionen Europas ein. Menschen und Ratten haben viel gemeinsam, schließlich sind beide Opportunisten und Allesfresser. Und die Ratten waren so schlau herauszufinden, dass es überall dort, wo Menschen waren, Nahrung für sie gab – so entwickelte sich eine wunderbare Beziehung. Sich von den Schiffen zu stehlen, war für die anpassungsfähigen Nager ein Leichtes, und so kolonisierten sie die USA ebenso erfolgreich wie ihre menschlichen Gegenstücke. Man nennt sie auch kommensale Säugetiere, das heißt, sie teilen den Tisch mit uns, indem sie sich ihre Nahrung von den Menschen holen, ohne dabei größeren Schaden anzurichten. Unsere Beziehung zu ihnen nahm vor etwa einem Jahrhundert eine neue Wendung, als die Naturwissenschaft sie als Gegenstand ihrer Forschung entdeckte.

    Vor ihrer Reise in die Neue Welt hatten es die Ratten in ihrer europäischen Heimat jedoch nicht leicht gehabt. Um 1800 machte man sich in Frankreich und England ein Vergnügen daraus, einen ausgebildeten Terrier mit ein- bis zweihundert Ratten in eine Grube zu setzen und darauf zu wetten, wie lange er brauchen würde, um alle zu töten. In den 1830er-Jahren entwickelten sich Rattenkämpfe zu einem beliebten Zeitvertreib in den USA – angeblich entspannten sich gestresste Einwanderer nach ihrer Ankunft in New York, indem sie in überfüllten, kleinen Saloons dabei zusahen, wie die Ratten kämpften. Angesichts des Unheils, das Ratten (und ihre Flöhe) in früheren Zeiten über die Menschheit gebracht hatten, verwundert diese Brutalität nicht besonders. Kaum jemand gestand diesen Tieren einen Nutzen zu. Doch Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Um genügend Tiere für die Rattenhatz zu produzieren, züchtete man sie im großen Stil. Dabei traten immer wieder Albinoratten auf – seltene und gefragte Tiere, selbst wenn es nur Ratten waren.

    Im Laufe der Jahre wurden die Albinoratten zu zahmen Haustieren. Man züchtete sie gezielt, und so entwickelten sich immer umgänglichere Tiere. Diese seltenen Albinoformen der normalen braunen Wildform waren es, die der naturwissenschaftlichen Forschung schließlich ihr heutiges Gesicht gaben. Vermutlich brachte der Schweizer Adolph Meyer, um 1900 einer der einflussreichsten Psychiater, die ersten Albinoratten in die USA, als er 1890 an die Universität von Chicago ging. Dort lernte er Henry Herbert Donaldson kennen, der seine Stelle im dortigen Fachbereich für Neurologie letztlich aufgab, um Forschungsdirektor des Wistar Institute in Pennsylvania zu werden. Unter Donaldsons Leitung wurde die erste kommerzielle Rattenkolonie offiziell eingerichtet. Penible Forschungen enthüllten entscheidende Eigenschaften dieser Tiere, die den Weg für grundlegende Umwälzungen in der biomedizinischen Forschung bereiteten. Heute werden 85 % aller biomedizinischen Forschungen weltweit an Ratten und Mäusen durchgeführt.

    Man schätzt, dass stündlich eine wissenschaftliche Publikation erscheint, die auf Reaktionen von Laborratten basiert

    Zwei der verbreitetsten heutigen Rattenvarianten sind die Albinoratten mit weißem Fell und roten Augen sowie mein persönlicher Favorit, die Long-Evans-Ratte, eine Farbratte mit dunklem Kopf („hooded", also an eine Kappe erinnernd) und Rückenstreifen bei ansonsten weißem Fell. Zwar unterscheiden sich beide Varianten äußerlich sehr von ihrer wilden Urahnin, der ursprünglich aus Asien (und nicht, wie ursprünglich wohl vermutet, aus Norwegen) stammenden Wanderratte (Rattus norvegicus), doch rechnet man sie nach wie vor derselben Art zu. Man schätzt, dass stündlich eine wissenschaftliche Publikation erscheint, die auf Reaktionen von Laborratten basiert.

    Natürlich gibt es noch weitere Rattenarten, doch haben diese keine Karriere als Versuchstiere gemacht. In zahllosen Laboratorien in aller Welt hält man außerdem Labormäuse, da diese kleiner und im Unterhalt wirtschaftlicher sind. Obwohl wir von Mäusen viel lernen können, beeindrucken mich doch Ratten am meisten. Es heißt, dass die Ratten Komplexität als Überlebensstrategie wählten, die Mäuse dagegen Einfachheit. Folglich entwickelten sich Ratten mit der Zeit zu sozialen, geschickten, intelligenten und komplexen Tieren.

    Der Wandel in der Beziehung zwischen Ratten und Menschen ist sozusagen eine echt amerikanische Erfolgsstory. Kürzlich schrieb sogar jemand, die Geschichte der Laborratten sei die eines Aufstiegs aus der Gosse in vornehme Kreise, denn welche Kreatur stehe wohl „niedriger als die Ratte als wild lebender Schädling, und welche höher als dieselbe Art, die als Laborratte so viel zum Fortschritt der Naturwissenschaft beigetragen hat?"

    In jener Anfangszeit der Domestikation der Ratten für wissenschaftliche Zwecke führten Naturwissenschaftler unterschiedlichste Studien mit ihnen durch, doch taten sie dies ein bisschen nachlässig, weil sie Laborratten und -mäuse einfach als die Labortiere schlechthin betrachteten. Viele dieser wissenschaftlichen Projekte erschienen denkbar einfach: Man injiziere dem Versuchstier die Substanz X und dokumentiere die Wirkung. Obwohl die ersten Forschungen an Ratten für den wissenschaftlichen Erfolg der Laborarbeit entscheidend waren, verschwendete man kaum einen Gedanken an den Umstand, dass dieses erst kürzlich domestizierte Säugetier das komplexe Produkt einer Jahrmillionen währenden Evolution war. Folglich wäre es hilfreich, mehr über die Naturgeschichte der Ratten zu wissen, um die in Laboratorien in aller Welt angehäuften Datenmengen verstehen zu können. Als die Biopsychologen die Nagetiere in ihren Labors besser kennenlernten, wurde immer deutlicher, dass diese mehr zu bieten hatten als reflexhafte physiologische oder Verhaltensreaktionen. Um als Wissenschaftler erfolgreich zu sein, mussten wir mehr über diese Tiere und ihre wilden Verwandten selbst wissen.

    Eine Lehrstunde von der wilden Verwandtschaft

    Eine wilde Ratte stattete meinem Büro einen unangemeldeten Besuch ab

    Ich habe schon viel Zeit damit verbracht, Ratten im Labor zu beobachten und zu untersuchen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich durch eine Ratte gewonnen habe, verdanke ich jedoch weder einer meiner sorgfältig konzipierten Studien noch einer der fast hundert neurowissenschaftlichen Tagungen mit ihren unzähligen Nagerstudien, die ich in den letzten Jahrzehnten besucht habe. Nein, das beeindruckendste Beispiel für Rattenlebenstüchtigkeit lieferte mir vor einigen Jahren eine wilde Ratte, die meinem Büro im Copley Science Center einen unangemeldeten Besuch abstattete.

    Die Tatsache, dass eine Ratte aus der freien Natur ihren Weg ausgerechnet in das Büro und Labor einer Biopsychologin fand, die ihr ganzes Berufsleben der Erforschung des Rattengehirns und -verhaltens gewidmet hat, war irgendwie absurd.

    Dies hier war eine Ratte mit akademischem Anspruch

    Das Tier drang eines Morgens in mein Büro ein, riss eine Ketchuptüte in meiner Schreibtischschublade auf und hinterließ überall auf meinem Schreibtisch seine unverwechselbaren Nagerfußspuren. Als ich das übrige Büro und das angrenzende Labor auf weitere Spuren meines vierbeinigen Mitbewohners untersuchte, stellte ich erschreckt und gleichzeitig aufgeregt fest, dass diese Ratte ein Nest auf einem der verdeckten Regalbretter gebaut hatte, nur etwa zwei Meter von meinem Schreibtisch entfernt. Und welches Material hatte das findige Tier verwendet? Ich musste lachen, denn das Nest bestand aus einem in Streifen gerissenen Alumni-Magazin der University of Richmond, auf dessen Titelblatt mein Kollege Craig Kinsley mit einer seiner Albino-Laborratten abgebildet war. Das zweite Nistmaterial war sogar noch kreativer – kleine Schafhirnstückchen, die ich für das Gehirnpraktikum in meinem Biopsychologiekurs benutzt hatte. Offensichtlich hatte ich es nicht mit einer typischen Großstadt-, Land- oder Laborratte zu tun – dies hier war eine Ratte mit akademischem Anspruch.

    Die Collegevorschriften verlangten, dass ich einen Kammerjäger rief, um den wilden Eindringling zu fangen, bevor er noch mehr Schaden anrichtete. Obwohl der Fachmann behauptete, nichts sei leichter als das, schlug jeder Versuch fehl, die gebildete Ratte zu erwischen. Zum Einsatz kamen verschiedene Modelle von Lebendfallen, und jedes Mal gelang es dem Tier, den Köder zu stibitzen, ohne dass die Falle auslöste. Ich muss zugeben, dass ich von Anfang an der Ratte die Daumen drückte und fasziniert beobachtete, wie sie ein ums andere Mal den Kammerjäger austrickste.

    Nachdem ich wochenlang beobachtet hatte, wie die Ratte die vom angeblich höher entwickelten menschlichen Gehirn ersonnenen Fallen durchschaute, saß ich eines ruhigen Volkstrauertages in meinem Büro und hörte, dass in meinem Labor etwas von einem Regal gefallen war. Ich drehte mich um, und zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke. Mein vierbeiniger Bürogenosse hatte die Tüten mit Zucker und Milchpulver entdeckt, die ich bei manchen meiner Versuche verwende, und sie zu Boden geworfen, als ich ihn überraschte. Es gelang mir, die Ratte unter einem Bücherregal festzusetzen, doch selbst mit der Hilfe einer Assistentin – und von Eimern, Handschuhen und Netzen – konnte ich das gewitzte Tier nicht einfangen. Für kurze Zeit hatte ich es in meinem Netz, doch gegen seine Kraft und Wendigkeit hatten wir keine Chance, und es entkam schnell. Das war etwas ganz anderes als meine Laborratten, die umgänglich wie kleine Kätzchen sind. Obwohl ich zu gern das Gehirn dieses schlauen Tieres untersucht hätte, freute ich mich insgeheim, als es über meine Füße lief und seinen Fluchtplan in die Tat umsetzte. Während ich jedes Mal eine Laborversion in Riverdance ablieferte, sobald die Ratte vorbeilief, war mir bewusst, dass mein 1,4-Kilogramm-Gehirn soeben von einem Tier mit nur zwei Gramm neuronalem Gewebe ausgetrickst wurde! Das faszinierte mich nur noch mehr.

    Und was lernte ich aus dem Besuch der wilden Ratte? Wenn sie Gelegenheit haben, außerhalb des geschützten Raums des Labors Probleme zu lösen, beweisen Ratten eine enorme Intelligenz und Findigkeit. Dieses Erlebnis beeindruckte mich und gemahnte mich daran, die natürlichen Lebensräume und Lebensgewohnheiten dieser Tiere zu berücksichtigen, während ich mich bemühe, im Labor mehr über sie zu erfahren. Würden außerirdische Forscher auf die Erde kommen und versuchen, etwas über mein Verhalten zu lernen, indem sie mich in einem langweiligen Drahtkäfig beobachten, dann käme nicht viel dabei heraus. Leider können die meisten Forscher ihre Nager-Studienobjekte nun einmal nur im Labor beobachten und nicht in ihrem natürlichen Lebensraum. Wie ich später noch erläutern werde, geht der Trend in der Naturwissenschaft jedoch dahin, eine naturnähere Umgebung für die Tiere zu schaffen, auch wenn die Ratten im Labor untersucht werden. Wenn wir mehr über die wahre Natur unseres eigenen Geisteslebens erfahren wollen, müssen wir die wahre Natur der Nager respektieren, die wir so eifrig erforschen. Nur dieser Ansatz bietet die Chance, adäquate Verhaltensmodelle zu entwickeln, die Aufschluss über die vielen Herausforderungen geben, denen sich unsere eigene Spezies gegenübersieht, wie Depressionen, Autismus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Autoimmunkrankheiten.

    Modellverhalten

    Tierische Topmodels sind unsere größte Hoffnung auf Erkenntnisgewinn zur Heilung verschiedener Krankheiten

    Was ist ein Tiermodell? Tierische Topmodels stolzieren nicht auf irgendwelchen Laufstegen herum, sondern sie sind unsere größte Hoffnung auf den Gewinn von Informationen, die dabei helfen, verschiedene Krankheiten und Leiden des Menschen zu heilen. Erinnern wir uns beispielsweise daran, dass die einst unerreichbar scheinende Idee der Organtransplantation an Tieren ausprobiert und perfektioniert wurde. Andere Tiermodelle dienten und dienen dazu, die Wirkungen unzähliger Medikamente auf verschiedenste Leiden, vom Bluthochdruck bis zum Diabetes, zu erforschen. Auch wenn bis heute kein Heilmittel dagegen gefunden ist, haben uns Tiermodelle doch zu vielen der heute existierenden Behandlungsmethoden bei Krebs verholfen. Die komplexe Physiologie eines Menschen kann bei Forschungen nicht durch Zellen in einer Petrischale ersetzt werden. Wir benötigen ein repräsentatives Tiermodell, um lebensverändernde Hypothesen zu überprüfen. Und in den meisten Fällen suchten Forscher die Antworten auf diese wissenschaftlichen Fragen zunächst einmal bei Ratten und Mäusen.

    Ein Problem, mit dem sich Biomediziner, die mit Nagermodellen arbeiten, herumschlagen müssen, ist die sterile Umgebung im Labor – ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist sie erforderlich, um die Versuchstiere gesund zu halten und die Effizienz klassischer Laborversuche zu gewährleisten. Andererseits erzeugen die rigiden Vorschriften, die weltweit in Laboratorien gelten, eine dermaßen künstliche Umgebung, dass die Laborratte womöglich gar kein repräsentatives Modell eines Säugetiers mehr abgibt, insbesondere nicht für Fragen der geistigen Gesundheit und Krankheit (denen mein Interesse gilt).

    Nebenbei bemerkt, hat die Modewelt ein ähnliches Problem: Oft wird kritisiert, menschliche Models seien dermaßen groß und dünn, dass sie gar nicht mehr echten Frauen entsprächen. Als ich ein Teenager auf dem Land in Alabama war, sehnte ich allmonatlich das Erscheinen meines neuen Seventeen-Heftes (das ungefähr der deutschen Bravo entspricht) herbei – es war ein Fenster in eine andere Welt außerhalb der heimatlichen Kleinstadt. Doch jeden Monat wuchs meine Enttäuschung, weil ich erkannte, dass die in den Zeitschriften abgebildeten Models mit ihrer Bohnenstangenfigur und der bizarren Kleidung niemals einen Teenager in meiner Welt repräsentieren könnten. Einmal schickte ich sogar einen Brief an den Herausgeber des Heftes, in dem ich forderte, dass Models im Heft gezeigt werden, die allen Teenie-Mädchen im ganzen Land entsprächen, und erwähnte, dass ich, wenn ich mich wie ihre Models kleidete – seltsamer Hut, schrille Stiefel, starkes Augen-Make-up und knallbunte Leggings –, wohl eher in einer psychiatrischen Anstalt landen würde als irgendwen mit meinem Gespür für Mode zu beeindrucken. Ich erhielt einen Antwortbrief, in dem man mir für meine Ansichten dankte und vorschlug, doch einmal ein Praktikum bei ihnen zu machen, wenn ich etwas älter wäre. So viel zu meinem Versuch, die Modewelt umzukrempeln!

    Ähnlich ließe sich gegen Versuchstiere argumentieren, die unter künstlichen Laborbedingungen leben. Wenn ich das Verhalten meiner Labortiere mit dem James-Bond-Verhalten jener wilden Ratte in meinem Büro vergleiche, stelle ich immer den Wert unserer Laborarbeit mit Nagern infrage. Darum gilt in meinem Labor und anderen biomedizinischen Labors in aller Welt dem arttypischen, natürlichen Verhalten dieser zähen Tiere meine ganz besondere Aufmerksamkeit. Selbst innerhalb der Grenzen, die die Arbeit im Labor setzt, verschafften uns die Nager umfassende Informationen über die komplexen Grundlagen des Verhaltens. Und nun, da auch das natürliche Verhalten berücksichtigt wird, dürfte es engagierten Naturwissenschaftlern gelingen, immer mehr Geheimnisse des Erfolgs dieser Säugetiere zu lüften.

    Heute, da so viel über die Naturgeschichte der Ratten bekannt ist, nimmt es mich immer ziemlich mit, wenn ich mir altes Filmmaterial von den ersten mit diesen Tieren durchgeführten Verhaltensstudien ansehe. Die Ratten wurden oft in nackten Metallkäfigen gehalten, durch deren Gitterboden Kot und Urin in einen darunter befindlichen Sammelbehälter fielen. Ohne einen festen Boden konnten die Tiere kein Nest bauen, ein Verhalten, das im Leben ihrer wilden Verwandten eine so große Rolle spielt. Zudem beinhalteten die Experimente künstliche Variablen wie Elektroschocks, einschränkende Maßnahmen und das Drücken von Hebeln.

    Wenn heute Studenten in mein Labor kommen, fallen ihnen die großen Unterschiede zwischen den typischen Versuchsaufbauten der 1940er-Jahre und den heutigen Vorgehensweisen in der Forschung auf. Die Tiere werden in Gruppen gehalten, um ausgiebige soziale Interaktionen zu ermöglichen. Die Käfigböden sind massiv, und es gibt verschiedene Einstreumaterialien, um damit Nester zu bauen. Verschiedene neue Objekte werden in die Käfige gegeben, um die kognitive Entwicklung der Tiere zu unterstützen. Temperatur, Beleuchtung und Luftfeuchtigkeit werden genau kontrolliert, um Stress zu verringern und ihre Gesundheit zu fördern. Die Labornager von heute erhalten nur gesunde Nahrung (wahrscheinlich gesünder als die manches Kindes), bei verschiedenen Lernversuchen allerdings auch hier und da einige Süßigkeiten oder Körner als Belohnung. Kurzum, wir wollen eine gesunde und möglichst naturnahe, komplexe Umgebung schaffen, damit unsere Labortiere repräsentative Modelle ihrer wilden Artgenossen sind. Zwischen Labor- und Wildratten bestehen zwangsläufig einige Unterschiede (auf die ich später noch zu sprechen komme), doch wir tun alles, was irgend möglich ist, um bei im Labor aufgezogenen Tieren realistische Verhaltensweisen hervorzurufen.

    Welche wertvollen Informationen mögen uns die realistischeren Bedingungen für die Nagermodelle im Labor bringen? Man muss beispielsweise sehr genau auf relevante Tiermodelle achten, um adäquate Tiermodelle von Geisteskrankheiten entwickeln zu können. Ist es möglich, das ideale Tiermodell der Depression zu erschaffen? Ich sage: Nein, aber es ist möglich, wichtige Symptome der Depression in verschiedenen Tiermodellen aufzuspüren, sodass die Wissenschaft ein fundiertes Bild dessen zeichnen kann, was passiert, wenn die Emotionen derart auf Abwege geraten. So fanden wir heraus, dass Tiere, die chronischem Stress ausgesetzt waren, weniger motiviert waren, Zuckerwasser zu trinken, was eigentlich eine gängige Belohnung für Laborratten ist. Das lässt vermuten, dass ihre positiven Reaktionen durch chronischen Stress verändert werden, was für uns durchaus nachvollziehbar ist. Dieses Modell bietet zudem die Gelegenheit, die Mechanismen im Gehirn zu erforschen, die den verminderten Lustreaktionen (in der Neurowissenschaft Anhedonie genannt) zugrunde liegen. Die exakte Beobachtung der Reaktionen von Ratten in diesem Nager-Modell der Depression kann wichtige Erkenntnisse über die Gehirnaktivitäten liefern, die auch für Depressionen beim Menschen charakteristisch sind.

    In meinem Laboratorium fanden meine Studenten und ich außerdem einen Zusammenhang zwischen gesteigerter körperlicher Aktivität und einer geringeren Tendenz, bei Problemen des täglichen Lebens aufzugeben. Wie konnten wir das bei Nagern ermitteln? Ratten, die Gelegenheit bekamen, etwas für ihre Belohnungen zu tun (die „Arbeiter"), versuchten anschließend länger, ein ihnen gestelltes unlösbares Problem zu lösen, als Ratten, die ihre Belohnungen einfach so erhalten hatten, ohne zuvor

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