FM4 Wortlaut 15. WILD: Der FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb
Von Michaela Darwin, Marcus Fischer, Katrin Kellermann und
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Über dieses E-Book
Die urteilenden Wilden und Wildhüterinnen: Sonja Eismann (Journalistin und Autorin), Wladimir Kaminer (Schriftsteller und Kolumnist), Angelika Reitzer (Schriftstellerin), Tex Rubinowitz (Witzzeichner und Autor), Christoph Strolz (Wortlautgewinner 2014).
"So viel Putziges und Grausliges und überall kann man hineinschauen in die Geschmäcker der Menschen. (aus dem Siegertext "Wild campen" von Marcus Fischer)
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Rezensionen für FM4 Wortlaut 15. WILD
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Buchvorschau
FM4 Wortlaut 15. WILD - Michaela Darwin
Czesch
Das ist gut
„Wortlaut hat mir den Glauben an mich selbst gebracht."
Eröffnete die Schriftstellerin Gertraud Klemm 2015 in einem Interview bei FM4. Gertraud Klemm hat am häufigsten etwas gewonnen, bei Wortlaut, dem FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb. Dreimal – einmal unter Pseudonym.
„Vorher war da ein leiser Verdacht: ‚Ja, du kannst vielleicht schreiben.‘ Aber dann sagt eine Jury, die dich nicht kennt: ‚Das ist gut.‘ Dann kriegst du das Schwarz auf Weiß und kriegst auch noch was dafür. Das war ein guter Start."
Mittlerweile hat Gertraud Klemm u.a. 2014 den Publikumspreis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur, dem Wettlesen um den Bachmann-Preis, in Klagenfurt gewonnen.
Außerdem ist sie auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015. Auf der Liste finden sich heuer noch zwei Autorinnen, die bei Wortlaut ihre ersten Schreiberfolge feierten: Valerie Fritsch und Monique Schwitter. Auch die beiden haben heuer beim Wettlesen um den Bachmann- Preis teilgenommen. Valerie Fritsch hat den Kelag Preis und den Publikumspreis gewonnen.
Über all das haben wir uns sehr gefreut!
Das ist gut – und wohl der traumhafteste Weg für Wortlaut-Autor_innen. Den wünschen wir natürlich allen Teilnehmenden!
Denn auch 2015 haben über 800 Autorinnen und Autoren ihre Kurzgeschichten eingereicht. „WILD" war das Thema – die redaktionelle Vorjury (die FM4-RedakteurInnen Zita Bereuter, Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Barbara Köppel, Conny Lee, Maria Motter, Christian Pausch, Martin Pieper, Simon Welebil, Irmgard Wutscher und Markus Zachbauer, sowie Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag) war beeindruckt von den vielfältigen Herangehensweisen. Nach mehrmaligem Lesen und langen Diskussionen wurden zwanzig anonymisierte Texte an die Jury weitergeben.
Sonja Eismann (Journalistin und Autorin), Wladimir Kaminer (Schriftsteller und Kolumnist), Angelika Reitzer (Schriftstellerin), Tex Rubinowitz (Witzezeichner und Autor) und Christoph Strolz (Wortlautgewinner 2014) haben sich schließlich auf die hier vorliegenden zehn Kurzgeschichten geeinigt. Den größten gemeinsamen Nenner, wie Angelika Reitzer das in ihrem Rückblick bezeichnet.
Da wären mal der jugendliche Aussteiger, der dem neuen Freund der Mutter einen Uhu kredenzt, während ein Wolf Kunststudierende beschäftigt und ein anderer ein Pärchen im amerikanischen Nirgendwo erschreckt. In einer Wiener Bar findet eine Frau den eigenwilligen Diego und ihren Schatten und in einer anderen Geschichte macht der Ex plötzlich via SMS auf Seelenverwandter. Es gibt einen verletzten Taucher und woanders gebrochene Herzen. Man liest von einer psychisch erkrankten Mutter und von einer, die genauestens die Flüchtlinge im Nachbarhaus beobachtet.
Am meisten beeindruckt war die Jury von der Kurzgeschichte „Wild campen". „Wo kann Gut und Böse, Liebe und Hass so nah und beinahe vermischt miteinander sein? Natürlich nur auf einem Campingplatz!", meinte Wladimir Kaminer knapp. Die Ambivalenz der Figuren, die dichte Erzählweise und die Sprache, die einen guten Sound und Rhythmus sowie ein ebensolches Tempo hat, haben die Jury ebenso überzeugt wie das inhaltlich Beklemmende. „Man weiß nicht zu viel und man weiß auch nicht zu wenig."
Schließlich ist uns noch der „Hase Hansi" umgehend ans Herz gewachsen. Ende April schrieb uns Martina Sprachmann: „Da bei uns zu Hause eigentlich so gut wie immer FM4 läuft, hat meine 6 Jahre alte Tochter, nachdem sie den Aufruf zur Einsendung von Kurzgeschichten im Rahmen des WORTLAUT-Wettbewerbs 2015 gehört hat, selber eine (sehr) kurze Kurzgeschichte geschrieben.
Und weil sie mich immer wieder gebeten und gefragt hat, ob ich ihre Geschichte schon an fm4 geschickt hab, mach ich das einfach mal!"
Die schöne Geschichte von Hansi und Anna zeigen wir auf der nächsten Seite.
Und so spannen wir den Wortlautbogen von der Sechsjährigen zur Longlist des Deutschen Buchpreises.
Das ist gut.
Sehr gut!
finden
Zita Bereuter und Claudia Czesch
(Herausgeberinnen)
Hase Hansi
Annika Wanda Sprachmann
Foto: Martina und Daniel Sprachmann
geb. am 22.07.2008 in Klagenfurt. Lebt mit ihren Eltern und ihrem 11 jährigen Bruder in Moosburg. Besucht dort die 2. Klasse Volksschule. Neben lesen, malen und allem was mit Farben und Papier zu tun hat, hört sie gern Musik und hat eine beneidenswerte, schier endlose Bewegungsfreude und Energie!
Der größte gemeinsame Nenner
In einer Jury zu sitzen, ist eigentlich immer schrecklich. Denn die Entscheidung für den einen Text bedeutet in letzter Konsequenz immer auch eine gegen viele andere. Was ein wenig nach Ausrede klingt, ist tatsächlich der Hauptgrund, warum ich (wenn es sich vermeiden lässt und das tut es zumeist) eher nicht Jurorin bin. Wer möchte schon Menschen, die vielleicht gerade mit ihren ersten Texten an eine Öffentlichkeit gehen, indirekt zu verstehen geben, sie haben’s nicht geschafft: nicht unter die besten zwanzig, nicht unter die ersten zehn und ganz nach vorn schon gar nicht. Und kann man die Texte denn so bewerten, dass man sie platzieren kann wie Skifahrer, Skispringer, Synchronschwimmerinnen?!
Der Hinweis allerdings, dass es (ehemalige) Wortlaut-Teilnehmerlnnen gibt, die mitten in der Nacht – also auf jeden Fall früher als die Autorin und potenzielle Jurorin Reitzer – aufstehen, um neben Berufstätigkeit, Schule, Familie, whatever, überhaupt zum Schreiben zu kommen, ließ mich dann innehalten und die Sache von der positiven Seite angehen. Ich schreibe und v.a. lese selbst gern kurze Geschichten, interessiere mich für deren Entwicklung in der deutschsprachigen Literatur und Literaturlandschaft und will ja auch ein guter Mensch sein.
Was macht aber eine gute Kurzgeschichte aus? Für jeden wird klar sein, dass man es weiß, wenn man sie liest. Um aber in der Diskussion mit den anderen JurorInnen mehr als Daumen rauf oder Daumen runter andeuten zu können, interessiere ich mich beim abermaligen Lesen genauer dafür, wie der Text aufgebaut und dann aber auch ausgearbeitet ist (sich z.B. daran hält, was er sich vorgenommen hat), ob Beginn und Schluss kurzgeschichtenmäßig was hergeben, aber auch, wie im Text mit Sprache umgegangen wird und wie wild der Text selber, irgendwas im/am Text ist oder ob nur das obligatorisch eingesetzte Rehkitz kurz auf der Bildfläche erscheint, inhaltlich aber gar keinen Auftrag hat. Natürlich ist ein literarischer Text mehr als die Summe seiner einzelnen, benennbaren Teile. Und tatsächlich stellen sich im Lauf der Lektüre jener zwanzig Kurzgeschichten noch weitere, recht spezifische Kriterien ein. Ist die Geschichte eher Bambi oder mehr Raging Bull, mehr Waldlichtung oder ganz schön weird im Sinne von bizarr-wild? So macht das Lesen gleich noch mehr Spaß und der setzt sich in der ausführlichen Jurysitzung fort. Wir sind fünf und das bedeutet, fünf verschiedene Auffassungen darüber, was eine gute Geschichte ist. Für die einen ist das Wie, für andere mehr das Was ausschlaggebend, Originalität, Genauigkeit, Verrücktheit oder aber auch das Leben, das man sich beim Lesen dazu vorstellen kann, Ideen, die dahinterstecken, Zugänge und Ausblicke. Jeder Text wird detailliert besprochen: inhaltlich, sprachlich, wie er uns überrascht, aber auch enttäuscht hat (manchmal), wie wild, wie neu, wie spannend – und welch’ Potential eine Geschichte hat. Denn einige dieser zwanzig besten Texte lasen sich so, dass meistens nicht nur eine/r von uns neugierig auf weitere Texte der noch unbekannten Autorinnen und Autoren war. Manche Texte überzeugten auf Anhieb die ganze Jury. Jede Jurorin, jeder Juror hatte Favoriten und setzte sich für sie ein. Am Ende sind Juryentscheidungen natürlich auch Kompromisse. Aber das Votum für diese zehn Geschichten, die im vorliegenden Buch versammelt sind, war keines des kleinsten gemeinsamen Nenners, aka fauler oder gar müder Kompromiss, sondern eines für die besten Texte; jurymäßig könnte man sagen, der größte gemeinsame Nenner hat sich durchgesetzt. Sicher, bei einer anders besetzten Jury hätte es womöglich der eine oder andere Text von den besten zwanzig bis in diese Textsammlung herein geschafft. Ein Wettbewerb ist eine Lesart unter bestimmten Voraussetzungen.
Und die anderen zehn, die nur auf die Longlist gekommen sind? Für sie gilt wie für alle, die schreiben wollen: teilgenommen, wahrgenommen, leider nicht – abhaken das Ganze und: weiterschreiben.
Angelika Reitzer
Angelika Reitzer, geb. 1971 in Graz, studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und Berlin, lebt in Wien. Zuletzt erschienen: Wir Erben, Roman, Jung und Jung Verlag 2014.
Wild campen
Marcus Fischer
Foto: Christian Fischer
geb. 1965 in Wien, Germanistik-Studium in Berlin, danach ein paar Jahre Lehrer für Deutsch als Fremdsprache. Aus Neugierde einen Job als Texter in einer Berliner Werbeagentur angenommen. Aus Neugierde wurde ein Beruf: 15 Jahre als Texter und Kreativdirektor in Agenturen in Berlin und (seit 2001) wieder in Wien gearbeitet. 2014: Auszeit und erster veröffentlichter Text. Seit 2015 selbstständiger Texter, Schreibtrainer und Autor.
I.
Drei Stunden Vollgas und ein Scheppern im Kleinwagen, dass man eh lieber nicht redet, dann ist man drin in der Trachtenlandschaft. Gipfel, dass es einem den Hals verdreht im Auto, unten grasen Kühe an den Bergen und in den Seen ein Glitzern als wären da Sternspritzer reingefallen. Das Wetter hat nämlich auch mitgespielt: Ein Kaiserhimmel war das über den Köpfen, den zerzausten. Denn kaum waren sie auf der Landstraße, die Anna am Steuer und der Christoph daneben, Schiebedach auf und hallo Salzkammergut- luft!
Kein schlechter Start für ein Beziehungswochenende. In einem haben sie sich dann aber doch geschnitten. Ende September winken einem keine Campingplätze mehr entgegen vom Straßenrand. Sterbensgrau liegen die am See und menschenleer und wenn einer offen hat, steht da: Nur Dauercamper.
Auf einem haben sie dann ihre Runde gedreht. Wie geplatzte Wohnzimmer sind da die Wohnwagen gestanden mit den Verandazelten davor. So viel