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Adel verpflichtet - Der Agent der Krone: im Vereinigten Königreich angesiedelter Steampunk-Roman
Adel verpflichtet - Der Agent der Krone: im Vereinigten Königreich angesiedelter Steampunk-Roman
Adel verpflichtet - Der Agent der Krone: im Vereinigten Königreich angesiedelter Steampunk-Roman
eBook380 Seiten5 Stunden

Adel verpflichtet - Der Agent der Krone: im Vereinigten Königreich angesiedelter Steampunk-Roman

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Über dieses E-Book

Eddy Christians ist der blaublütigste Spion, den das Empire je hervorgebracht hat. In einer Zeit des viktorianischen Umbruchs und technischen Fortschritts muss er sich nicht nur mit dem russischen Geheimdienst, verschwundenen englischen Agenten und dem bekanntesten Serienkiller aller Zeiten auseinandersetzen, sondern begegnet auch hilfreichen Raketeningenieuren, noch hilfreicheren verrückten Wissenschaftlern, weniger hilfreichen Kriegstreibern und dem hilfreichsten Berater von Queen Victoria.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Dez. 2015
ISBN9783941864528
Adel verpflichtet - Der Agent der Krone: im Vereinigten Königreich angesiedelter Steampunk-Roman

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    Buchvorschau

    Adel verpflichtet - Der Agent der Krone - A.P. Glonn

    Das Buch

    Eddy Christians ist der blaublütigste Spion, den das Empire je hervorgebracht hat. In einer Zeit des viktorianischen Umbruchs und technischen Fortschritts muss er sich nicht nur mit dem russischen Geheimdienst, verschwundenen englischen Agenten und dem bekanntesten Serienkiller aller Zeiten auseinandersetzen, sondern begegnet auch hilfreichen Raketeningenieuren, noch hilfreicheren verrückten Wissenschaftlern, weniger hilfreichen Kriegstreibern und dem hilfreichsten Berater von Queen Victoria.

    Die Autorin

    Gerüchten zufolge wurde A.P. Glonn 1974 geboren, beschloss mit sieben Jahren, nach Afrika auszuwandern und Wildhüter zu werden – oder Pilot. Wahlweise beides. Sollten diese Ziele nicht erreicht werden, durfte es auch Autor sein. Da man niemanden verrückte Loopings über Afrika fliegen sieht, kann man getrost davon ausgehen, dass lediglich Letzteres geklappt hat. Man munkelt, A.P. Glonn lebe in Bayern, beherrsche aber Hochdeutsch. Keine dieser Theorien konnte bislang verifiziert werden.

    A.P. Glonn

    ADEL VERPFLICHTET –

    DER AGENT DER KRONE

    Roman

    Originalveröffentlichung

    © 2015 Verlag in Farbe und Bunt

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

    Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Alle Rechte liegen beim Verlag.

    Cover-Gestaltung: Stefanie Zurek, Stefanie Kurt

    E-Book-Satz: Winfried Brand

    verantwortlicher Redakteur: Stefanie Zurek

    Lektorat: Nika S. Daveron

    Korrektorat: Nadine Sönnichsen

    Herstellung und Verlag:

    in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

    Kruppstraße 82 - 100

    45145 Essen

    www.ifub-verlag.de

    ISBN Taschenbuch: 978-3-941864-51-1

    ISBN E-Book: 978-3-941864-52-8

    ISBN Audiobuch: 978-3-941864-53-5

    Eins

    Mondsteinsonate

    Juni 1885

    »Nennen Sie mich einfach Eddy.«

    Albert Victor Christian Edward, Duke of Clarence and Avondale

    I

    Seit einer halben Stunde stehen wir in Heidelberg. Es dauert nicht so lange, die Dampfmaschine des Luftschiffes zu warten, das ist eine Sache von Minuten. Ich habe die Mechaniker durch das Fenster der Kaiser Otto I. beobachtet; flink und zahlreich wie Ameisen sind sie auf ihren jaulenden, stinkenden Steambikes herangerast, um ihre Aufgaben zu erledigen.

    Nein, der Grund für diese Verzögerung ist ein anderer. Ich lehne mich in den Gang, um Augenkontakt zu Helen aufzunehmen, die heute im Stil einer sittsamen Gouvernante unterwegs ist. Ihr Kragen ist so hochgeschlossen, dass sie auf Außenstehende den Eindruck hinterlässt, sie habe einen Spazierstock verschluckt, doch ich kenne sie besser. Sie ist milde besorgt.

    »Verzeihung, der Herr?«

    Kein Deutscher. Der Akzent ist so dick, dass man ihn mit einem Brotmesser schneiden könnte. Die Maschinen erwachen stotternd und ratternd zum Leben, fauchen wie sich angeifernde Kater bei ihren Revierkämpfen. Blasiert drehe ich mich herum und rückte meine Brille zurecht, deren blaugetönte Gläser dem neuesten Schrei der Pariser Salons entsprechen.

    »Tut mir leid, der Platz neben Ihnen …«

    Ich zupfe meinen eleganten, grauen Zweiteiler zurecht, stehe auf und trete einen Schritt zur Seite. »Natürlich, bitte setzen Sie sich doch.«

    Der Mann holt tief Luft. »Ich bitte um Entschuldigung.« Er grübelt, offensichtlich bereitet ihm die Sprache Schwierigkeiten.

    Ich beschließe, ihm großzügig entgegenzukommen. »Wir könnten Englisch sprechen«, näsele ich und neige meinen Kopf. »Ich vermute, damit würden wir uns beide wohler fühlen.«

    »Oh.« Schweiß perlt über seine Schläfe, und seine flinken, braunen Augen huschen hin und her, verweilen keine Sekunde länger auf einem Punkt, wandern über Mitreisende, den langen Gang, die Reling im Mittelteil des Schiffes, zur Decke und wieder zurück zu mir.

    »Sie sind Engländer, vermute ich?« Er verbeugt sich. »Jones mein Name, Doktor Jones.«

    »Amerikaner?«

    Das Lächeln schafft es nicht bis in seine Augen. »Aus Princeton, New Jersey«, bestätigt er.

    Amüsant, dass er aus einem Ort namens Princeton stammt, wo immer dieses New Jersey in den Kolonien auch liegen mag. Ich gebe zu, Geographie ist nicht meine Stärke. Allgemein bin ich dem stupiden Auswendiglernen nicht zugetan, weswegen mich mein Vater für einen absoluten Dummkopf hält. Ich tue nichts, um ihm diese Meinung zu nehmen. Leider – oder besser glücklicherweise – hat sich meine Großmutter nicht auf dieselbe Weise täuschen lassen.

    Ich ergreife Jones’ ausgestreckte Hand. Die Regeln des Anstandes verlangen in einer solchen Situation, sich vorzustellen. Gestatten, Prinz Albert Victor Christian Edward, Enkel von Königin Victoria und Sohn von Kronprinz Albert Edward. Würde bestimmt hervorragend ankommen. Besonders bei Helen, die mich dafür irgendwann unter vier Augen windelweich prügeln würde, zukünftiger Thronerbe hin oder her.

    Ich lächle träge. »Wir werden ja eine Zeitlang gemeinsam reisen. Nennen Sie mich einfach Eddy.«

    II

    Die Kaiser Otto I. schwingt sich gerade behäbig in die Luft, als sich mein Phony meldet. Ich knirsche mit den Zähnen. Verdammt, was will Helen denn jetzt schon? Sie ist schlimmer als Alf, der mich ausgebildet hat, und der neigt schon dazu, mich ständig anzufunken. Die Signalstöße hämmern gegen meine Haut, und ich konzentriere mich.

    Zweimal kurz, dreimal kurz, einmal lang. Pause. Einmal kurz. Einmal lang. Einmal kurz. Pause. Einmal kurz. Dreimal kurz. Ist er es?

    Natürlich ist er es, und sie weiß das ganz genau. Ich wette, sie hat sein Bild weitaus gründlicher studiert als ich.

    Gereizt trommle ich mit den Fingerspitzen auf meinem Oberschenkel herum. Einmal kurz, dreimal lang. Einmal kurz, einmal lang. Ja.

    »Sind Sie nervös?«, fragt Jones und mustert mich aus den Augenwinkeln. Ausgerechnet er! Ich bin es jedenfalls nicht, dem die Finger zittern.

    »Ich … ähm … leide unter Flugangst.« Lächerlich! Schon als kleiner Junge habe ich mich für Flugschiffe begeistert, und nichts fasziniert mich mehr als Geschichten über die zaristischen Rapidis, die so schnell fliegen, dass das menschliche Auge nicht mehr zu folgen vermag. Schon vor dreißig Jahren haben sie ihre militärische Überlegenheit demonstriert, als sie uns im Krimkrieg eine vernichtende Schlappe beibrachten. Grandma hat erzählt, alle erwarteten, dass die Russen nach unserer Kapitulation einfach die ganze Welt mit ihren Schnellflugschiffen eroberten. Warum sie es nicht taten, haben wir erst jetzt erfahren. Die Energiequelle, die ihre Fluggeräte speist, kann nicht unbegrenzt hergestellt werden. Ein Agent meiner Großmutter nannte auch einen Namen: Mondstein.

    Zuerst haben wir gelacht. Natürlich, jeder kennt diese billigen Feldspate, die nach der Bearbeitung einen bläulichen Schimmer abgeben. Diese Steine haben keinerlei Wert und schon gar keine geheimen Kräfte, um fliegende Maschinen unvorstellbar schnell zu machen. Doch unser Mann in St. Petersburg hat noch mehr herausgefunden. Allem Anschein nach handelt es sich bei diesen Mondsteinen um genau das, was ihr Name impliziert: um Mineralien, die nicht von der Erde stammen.

    Grandma erteilte dem Agenten daraufhin den Zerostatus. Ihm war es freigestellt zu tun, was immer nötig war, um in den Besitz eines dieser Steine zu kommen.

    Und ich? Ich weiß nur, dass ich vor drei Tagen den Auftrag bekommen habe, mich unverzüglich in meine ehemalige Studienstadt Heidelberg zu begeben und dafür zu sorgen, dass der Bote des Agenten sicher nach London gelangt. Wie ich das anstellen soll, weiß ich nicht.

    Ich wende mich ihm zu. »Sie sind also Arzt?«, frage ich.

    Er sieht sich unsicher um. »Nein, ich … ich bin Historiker. Ich habe einen Lehrstuhl an der Universität Krakau. Leider hat mich ein Unglücksfall in der Familie dazu gezwungen, kurzfristig nach Hause zurückzukehren.« Seine Hand betastet die Außenseite seines Jacketts und fast verdrehe ich die Augen. Kann er sich noch auffälliger benehmen?

    Das wird ein ruhiger Job. Wozu Grandma mir ihre beste Agentin mitsamt einem Backupteam aus drei Leuten mitgegeben hat, entgeht mir völlig.

    III

    Das Krachen der Explosion reißt mich nicht nur aus einem leichten Schlummer, sondern auch aus dem Sitz, und ich werde quer durch das Schiffsinnere geschleudert. Rauch, Geschrei, Gewimmer, das Knirschen von stählernen Balken, das Ächzen der Kaiser Otto I. und das Gefühl, meine Kehle sei quer durch meinen Kopf gerutscht, verbinden sich zu einem Kaleidoskop der Angst. Ich schreie. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich schreie, bis ich gegen eine Wand rutsche und mir den Kopf anschlage. Für einen Moment bin ich zurückversetzt in meinen Traum, der sich um leichte Mädchen und schwere Börsen drehte, und ich atme auf.

    Ich erwache mitten im Chaos. Das Schiff hat eine Schieflage, die es mir unmöglich macht, mich zu erheben. Ich rutsche aus und lande in einer dunklen Flüssigkeit. Fast zehn Sekunden vergehen, bevor ich begreife, dass es sich um Blut handelt – noch warm, geradezu lebendig, was man von der Person, die verdreht neben mir liegt, nicht mehr behaupten kann. Als ich auf meine beschmierte Hand starre und mich das Rütteln des abstürzenden Schiffes hin- und herwirft, steigt unkontrollierte Heiterkeit in mir auf. Wir werden sterben. Wir werden alle sterben. Ich brülle hysterisch vor Lachen. Zumindest solange, bis mich etwas hart im Gesicht trifft. Mehrfach.

    »Reiß dich zusammen, Eddy!« Helens Stimme dringt endlich zu meinem benebelten Geist durch, und obwohl sie soeben den Sohn ihres Kronprinzen geschlagen hat, ist ihr Gesicht das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Ich nehme es in beide Hände und küsse ihre vollen Lippen.

    Sie beißt mich und verpasst mir noch eine. »Jetzt ist nicht die Zeit für Hysterie«, sagt sie so ruhig, als säßen wir bei Grandma im Teesalon. »Statusbericht: Alfred und James versuchen, das Schiff zu stabilisieren, Peter ist angeschlagen, aber bei Bewusstsein. Der Captain ist schwer verletzt, aber in der Lage, Anweisungen zu geben.«

    Als wollte die Kaiser Otto I. ihre Worte bestätigen, legt sie sich abrupt waagerecht. Ich stolpere kurz, doch Helen hält mich fest.

    »Für unseren Schützling sieht es nicht gut aus. Ich habe gesehen, wie ein Teil der Oberdeckverkleidung auf ihn gestürzt ist – wir müssen ihn dort herausholen und brauchen dich dazu, Eddy.« Sie tätschelt meinen Arm.

    Ich überprüfe, ob alles an mir heil und unverletzt ist. Meine Hände öffnen und schließen sich ohne Probleme, also scheint mein dröhnender Kopf keine meiner Fähigkeiten zu beeinträchtigen.

    Vater würde lachen, wenn jemand im Zusammenhang mit mir von Fähigkeiten spräche. Tatsächlich weiß er nicht einmal, was in mir steckt. Wortwörtlich. Als ungestümer Junge von zwölf Jahren bin ich von Vaters Rappen gestürzt. Das dumme Tier war so erregt, dass es mir auf dem Arm herumtrampelte und ihn völlig zerschmetterte. Es war unmöglich, meinem Vater davon zu berichten, ebenso unmöglich, als Krüppel dahinzusiechen; ich gestehe, ich dachte an Selbstmord. Grandma, die immer alles wusste und erfuhr, ließ mich in ihren Teil von Buckingham Palace verlagern und versprach mir Hilfe.

    Ich lernte das erste Geheimnis Grandmas kennen: Professor Andrew. Er entspricht dem Bild eines verrückten Wissenschaftlers, wie ihn Mary Shelley entworfen haben könnte. Seine Ideen von künstlichen Gliedmaßen und besonderen Materialen werden von seinen Kollegen belächelt und verhöhnt. Nicht so von der Queen. Sie hatte den Professor gekauft, mitsamt seinem Labor und den Forschungen der letzten dreißig Jahre. Ich bin der Erste gewesen, der davon profitierte.

    Mein Arm besteht aus einem Metall, das härter ist als jeder Stahl und biegsamer als eine Weidenrute. Der Professor nennt es Andrewit, und als ich zuletzt mit ihm geredet habe, stellte er mir seine neueste Vision vor: ganze Menschen aus diesem Metall, die sich selbstständig bewegen und denken können. Eine entsetzliche Vorstellung!

    Ich folge Helen taumelnd durch den Gang, bis wir den Platz erreichen, an dem Jones und ich gesessen haben. Im ersten Moment bin ich mir sicher, dass sich unter diesem Schutt nichts Lebendiges mehr befinden kann, doch ich reiße das Gestänge hastig fort. Helen und ich wechseln einen Blick. Doktor Jones ist bei den Explosionen von seinem Sitz gerutscht, was ihm das Leben gerettet hat. Ob er am Leben bleibt, können wir im Moment nicht beurteilen – ein Stück Stahl hat sich wie ein Speer in seine Seite gebohrt. Jones’ Augen sind verdreht wie bei einem durchgehenden Pferd. Helen zwängt sich zu ihm durch, ohne ihn zu berühren.

    »Können Sie mich verstehen?«, fragt sie so sanft, als spräche sie zu einem Kind.

    Ein Grunzen folgt als Antwort, doch sein Blick fokussiert sich auf ihr Gesicht.

    »Wie Ihnen der junge Eddy sicherlich mitgeteilt hat …« Er stöhnt auf und umklammert den Stab, der aus seinem Leib ragt. »… bin ich der englischen Sprache durchaus mächtig.«

    Der junge Eddy? Na, der hat Nerven. Er ist höchstens fünfundzwanzig, der ehrenwerte Historiker!

    Helen lächelt besänftigend. »Gut, Sir. Sehen Sie mich an: Wie viele Finger sehen Sie?« Sie hält ihre Hand hoch.

    Jones grinst verzerrt. »Lady, wer hat Ihnen erzählt, dass medizinische Kenntnisse von der Fähigkeit abhängen, diverse Finger zu erkennen? Ich weiß, dass ich mich im Schockzustand befinde; eine Methode des Körpers, sicherzustellen, dass man lange genug funktioniert, um erste medizinische Maßnahmen zu ergreifen.«

    Der Mann belehrt uns in dieser Situation? Kann er seine Dozententätigkeit nicht einmal einstellen, wenn er sich in einer Krisensituation befindet? Ich falle auf die Knie, als etwas hart wie übergroße Regentropfen in den Rumpf des Luftschiffs einschlägt. Und die Kaiser Otto I. jault kreischend auf. Heißer Dampf zischt an uns vorbei. Gellende Schreie ertönen, als sich das Schiff mit der Nase nach unten neigt. Mein Team hat es offenkundig nicht geschafft, das Luftschiff zu kontrollieren. Ich werfe mich über Helen und Jones.

    Gott nimmt das Luftschiff zwischen seine mächtigen Hände und zerquetscht es. Wie ein Kind schlägt Er es mehrfach auf den Boden, um zu sehen, wie die Scheiben bersten, tödliche Scherben alles zerfetzen, was sich in ihrem Weg befindet, und Stahlträger abknicken und brechen wie Strohhalme. In Seiner Gnade beschließt Er, uns nicht zu töten, doch Er gewährt diese Gnade nicht vielen.

    Husten schüttelt mich und ich ringe nach Luft. Meine verquollenen Augen zeigen mir Sodom und Gomorrha. Bläuliche Flammen zucken und flackern über mir, und die Hitze versengt mein Gesicht. Unter mir wimmert jemand, und ich rutsche zurück. Helen sieht benommen aus, doch außer einem langen Riss auf ihrer Wange scheint sie unverletzt. Das dunkle Blut, das an ihrem schwarzen Kleid klebt, stammt von Jones. Sein Atem geht flach, doch er ist bei Bewusstsein.

    »Raus«, ächzt er. »Die Maschinen werden jeden Moment hochgehen.«

    Helen gibt ihm Recht. »Los, Eddy. Ich sehe nach, ob es Überlebende gibt.«

    Ich will protestieren, nicke jedoch. Natürlich wäre sie nicht in der Lage, den Mann zu tragen, und irgendwer muss nach den anderen Passagieren schauen. Es gefällt mir nicht, aber es gibt Zeiten, in denen ich mich durchaus von Vernunft leiten lasse. Mühelos hebe ich Jones wie eine Braut auf meine Arme – Professor Andrews Erfindung sei Dank.

    »Lassen Sie mich hier, Eddy.« Jones ist kaum mehr bei Bewusstsein. »Ich schaffe es ohnehin nicht. Und diese ganzen Leute … Sie sind alle meinetwegen gestorben.« Die Schmerzen haben ihn nicht gebrochen, doch rinnen ihm Tränen die Wangen herunter.

    »Ach, tatsächlich?« Ich fluche, als weißer Rauch seitlich aus der Wand zischt, und schütze den Historiker mit meinem Körper. »Haben Sie das Schiff zum Absturz gebracht?«

    »Ich bin dafür verantwortlich!«, beharrt er schwach. »Sie verstehen nicht …«

    Die Tür klemmt. Dreimal muss ich dagegen treten, bis sie sich widerwillig öffnet und mich ins Freie bringt. Schweiß rinnt mir in die brennenden Augen und macht mich reizbar. »Ich verstehe besser, als Sie ahnen, Sir. Sie besitzen, was die Russen nicht hergeben wollen, und deshalb haben ihre Rapidis das Luftschiff abgeschossen.«

    Oha! Kann ich nicht einmal mein flinkes Maul halten? Jones’ Augen werden so groß wie die Untertassen von Grandmas Teeservice.

    »Wer sind Sie, Eddy?«

    »Nur jemand, der auf Sie aufpassen sollte und spektakulär versagt hat«, antworte ich widerwillig.

    »Mein Gott!«, murmelt er. »Sie wissen von …«

    »Den Mondsteinen? Natürlich.«

    Ein helles Pfeifen ist meine einzige Warnung. Ich werfe mich mit Jones in ein dichtes Buschwerk und dämpfe mit meiner Hand seine Schmerzensschreie. Innerlich fluche ich wie ein Droschkenkutscher. Natürlich reicht es den Zaristen nicht, das Luftschiff vom Himmel zu holen. Sie wollen ihren Mondstein zurück! Ein silberner, schlanker Pfeil faucht heran und setzt lautlos zur Landung an. Es ist ein Rapid, schnelle, wendige Jäger, die durch die Luft schnellen wie Kometen. Glühende Feuerbälle zucken aus dem Wrack der Kaiser Otto I., hämmern treffsicher in den Rapid und reißen ein schwarzes Loch in seine Flanke. Die Maschine brüllt auf und stürzt ungebremst zu Boden.

    Ich erwarte Flammen, die bis zum Himmel lodern, doch nichts passiert. Gott weilt gerade außerhalb meiner Gebete. Oder auch nicht, denn irgendwer hat schließlich den Rapid abgeschossen.

    Erleichtert wende ich mich von dem Anblick der zerstörten Rapid ab und sehe, wie sich eine schwarze Gestalt aus einem der zerstörten Luftschifffenster fallen lässt und zwei weiteren Leuten hilft. Als die drei in meine Richtung humpeln, begreife ich. Mir wird schlecht, doch ich nehme meine Hand von Jones’ Schulter, richte mich auf und winke Helen zu.

    IV

    Wie es aussieht, sind nur Helen und ich mit leichteren Blessuren und ein wenig angesengt aus dem Absturz davongekommen. Der Historiker hat jede Menge Blut verloren. Neben Helen steht Alf; zum ersten Mal in der gesamten Zeit, die ich ihn kenne, wirkt mein raubeiniger Ausbilder, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Die Finger seiner rechten Hand umklammern sein linkes Handgelenk, und die bittere Galle in meiner Kehle droht überzuschwappen, als ich sehe, dass er keineswegs an der Hand verletzt ist – er besitzt keine linke Hand mehr. Blut tropft stetig zu Boden, und er beobachtet das dunkle Rinnsal weggetreten, voller Faszination.

    Den anderen Mann kenne ich nicht. Er ist nicht mehr jung, um die fünfzig vielleicht, und er hat sich von Helen mehr tragen lassen, als dass er in der Lage war, selbst zu laufen. Sein dunkles Haar ist angesengt und raucht.

    »Peter? Jamie?« Die dünne Stimme eines Kindes. Es ist meine.

    Helen schüttelt den Kopf und zieht uns eilig mit, bis wir im Schutz der Bäume verschwunden sind. Wie recht sie daran getan hat, zeigt sich nur wenige Sekunden später. Die Erde bebt, als die Kaiser Otto I. mit einer Wucht explodiert, die einen Vulkan in den Schatten stellt, und kurz darauf prasseln die harten Schüsse einer Gatling Gun an die Stelle, an der wir uns soeben noch befunden haben.

    Ich schleppe Jones hinter ein paar Felsenbrocken. Der Historiker deutet mit zitternden Fingern auf Alf. »Sie müssen ihn abbinden, sonst verblutet er«, keucht er heiser.

    »Zuerst einmal müssen wir das Ding aus Ihrem Körper entfernen«, entgegne ich.

    »Nein!« Zum Glück hat er kaum noch eine Stimme, sonst wüssten die Russen sofort, wo wir uns befinden. »Das … Ding.« Er spuckt Blut und setzt von neuem an. »Wenn Sie es herausnehmen, verblute ich. Genau wie der Mann da.« Er sieht zu Helen, von der er – wohl zu Recht – mehr Sachverstand erwartet. »Los doch!«

    Helen diskutiert nicht, sie folgt seiner Anweisung. Alf merkt nicht einmal, was um ihn herum passiert, und der andere Mann kauert zu unseren Füßen und beißt auf seine Faust.

    Jones gibt leise Anweisungen, und da ich der Meinung bin, keine Hilfe zu sein, schwinge ich mich auf die Felsen und beobachte die Zaristen. Zwei Männer schleichen geduckt auf die Kaiser Otto I. zu. Zwei weitere suchen die Umgebung mit Fernrohren ab, und da sich der Lauf der Gatling bewegt, muss sich mindestens noch einer in dem Silberpfeil befinden.

    Ich überprüfe mein Phony. Vielleicht ist Gott doch nicht allzu weit fort, denn das warme Summen verrät mir, dass es noch funktioniert. Meine Finger zittern, als ich einen Ruf absetze. Dreimal kurz. Pause. Einmal lang. Zweimal lang, einmal kurz, einmal lang.

    STQ.

    Save the Queen. Das Zeichen, dass alles, was schief gehen kann, auch schief gegangen ist. Die Funker von Grandmas Geheimdienst werden mithilfe des Rufes unsere Position bestimmen können. Im Kopf überschlage ich, wie lange es dauern wird, bis Hilfe eintrifft, und knirsche mit den Zähnen. Stunden, vielleicht sogar bis morgen früh, denn bald geht die Sonne unter und nachts funktionieren die Ortungsgeräte schlecht. Ich beobachte den glühenden Feuerball am Horizont, als könnte ich ihn mit meinem Blick bannen.

    Als ich wieder zu meinen Gefährten zurückkomme, liegt Alf bleich wie ein Toter neben Jones, der auch nicht lebendiger aussieht. Der fremde Mann reibt mit seinen Fäusten über seine geröteten Augen. Helen spricht leise zu ihm, doch er schüttelt nur den Kopf.

    »Ich bin Österreicher!«, schnieft er. »Ich habe keinen Streit mit den Russen oder euch Engländern.«

    Helen und ich wechseln einen Blick.

    »Alois Schicklgruber«, stellt sie ihn vor. »Ein Zollbeamter auf dem Weg nach Lüttich.« Sie zuckt mit den Schultern, ihre Meinung über den Mann ist klar: Er ist nutzlos.

    Ich nehme sie zur Seite. »Ein Notruf ist abgesetzt«, erkläre ich. »Wir haben mindestens fünf Gegner, die alle bewaffnet sind.«

    Sie überlegt einen Augenblick. »Wir besitzen zwei Armeerevolver mit insgesamt zwölf Schuss. Die Felsen und Bäume geben uns Deckung, aufpassen müssen wir erst bei Einbruch der Nacht. Die Zaristen könnten uns in der Dunkelheit überraschen.«

    »Dann sollten wir sie am besten jetzt ausschalten.« Mein Magen verkrampft sich vor Angst, bevor er hungrig knurrt.

    Helen nickt, nimmt Alf den Revolver ab, tätschelt Jones’ blasse Wange und bedenkt den Österreicher mit einem kühlen Blick, bevor sie mir die Waffe reicht. »Versuch einfach, dir nicht selbst ins Bein zu schießen, Eddy«, murmelt sie.

    Ehrlich mal, ich bin nicht der beste Schütze, aber ein wenig Zutrauen hätte mir jetzt auch nicht geschadet.

    Wir schlagen einen Bogen und nähern uns dem Rapid von der anderen Seite. Die beiden Soldaten haben das zerstörte Luftschiff überprüft und diskutieren aufgeregt mit ihren Kameraden. Ich verstehe kein Wort, doch ihr Ärger entgeht mir nicht. Helen nickt mir zu und verlässt meine Seite.

    Hinter einer Fichte kniend, visiere ich die Russen an. Der schwere Revolver bockt in meinen Händen, und meine Ohren werden taub. Vielleicht wäre ich erfolgreicher gewesen, wenn ich die Augen offen gehalten hätte, doch schmerzerfülltes Schreien bestätigt mir, dass ich zumindest irgendetwas getroffen habe.

    Die Gatling schwenkt in meine Richtung, und ich fliehe. Wie ein angeschossener Hirsch presche ich durchs Unterholz und höre die Zaristen hinter mir, doch mehrere dröhnende Schüsse stoppen meine Verfolger abrupt.

    Helen und ich treffen uns am Waldrand nahe unserer provisorischen Zuflucht und werfen uns zu Boden.

    »Wie sieht’s aus?«, keuche ich.

    »Zwei getroffen, tödlich oder schwer genug verletzt, um uns keine Sorgen mehr zu bereiten«, konstatiert sie. »Einer nur gestreift, einen verfehlt.« Sie verzieht ihr Gesicht, unzufrieden mit sich selbst.

    »Bleiben also noch zwei«, denke ich halblaut nach.

    »Eher drei, wenn der mit dem Streifschuss ein harter Hund ist.«

    Das sind sie alle. Nur die Elitesoldaten des Zaren gehören zur Besatzung eines Rapidis. Wir huschen zu unseren Schützlingen zurück.

    V

    Als sich die Dunkelheit wie ein Leichentuch über uns senkt, haben sich Helen, der Zollbeamte und ich um das Lager verteilt und lauschen in die Nacht. Ich hoffe, ja, ich bete darum, dass unsere Leute kommen, doch die Stunden vergehen, und das Einzige, was ich höre, ist ein Käuzchen, das direkt über mir seinen schaurigen Ruf ausstößt. Die Geisterstunde hält mich in ihrem erbarmungslosen Griff, und es schüttelt mich. Von allen Seiten drohen grausige Schatten mit ihren Skelettfingern, wabert Nebel auf und drückt mir den Atem ab.

    Dennoch ist es nicht meine Schuld, dass die Situation eskaliert. Schicklgruber muss eingeschlafen sein, denn plötzlich höre ich ihn wie am Spieß schreien, und dann blenden Laternen auf und nehmen mir für Minuten die Sicht. Ein harter Lauf drückt sich in meine Brust.

    »Wo ießt Montstein?«, blafft eine harte, raue Stimme.

    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, mein Herr«, behaupte ich, und er rammt mir die Waffe in den Leib, sodass ich minutenlang keine Luft bekomme. Wie Vieh treiben sie uns zusammen, die drei Männer in ihren ehemals weißen Uniformen. Jetzt sehen sie aus, als hätten sie in Schlamm gebadet – sie müssen die ganze Nacht nach uns gesucht haben.

    Einer von ihnen, derjenige, dessen gesamte linke Seite blutverkrustet ist, stößt einen triumphierenden Schrei aus und richtet sein Gewehr auf Jones.

    »Du! Gieb mierr Montstein odär iech mache diech kapuutt!«

    Jones’ Augen flattern nur, er ist kaum bei Bewusstsein.

    »Tötte ien!«, bellt der Offizier, der neben mir steht. »Tötte ien …«

    »Nein!« Helen steht mit ausgebreiteten Armen über Jones. »Ich lasse es nicht zu – erst müsst ihr an mir vorbei!«

    Grauen packt mich, doch bevor ich schreien kann, zuckt der verletzte Zarist mit den Schultern, hebt seine Waffe und drückt ab. Die Kugeln schlagen in Helens schmalen Oberkörper ein, lassen sie tanzen und zucken wie die Puppen, die an Fäden geführt werden. Ohne einen Laut sackt sie über dem Historiker zusammen und begräbt ihn unter sich.

    »Ihr Schweine!«, heule ich.

    Mein Bewacher grinst. »Alles gutt!«, sagt er.

    Dann erschießt er mich.

    VI

    Mit Tränen in den Augen beobachte ich, wie sich die Russen über Helen und Jones beugen, und warte. Ich brauche nicht lange warten. Zwei Schüsse ertönen. Die letzten beiden Kugeln aus dem sechsschüssigen Armeerevolver, den Helen bei sich trägt.

    Die beiden Soldaten stürzen zurück, und der Offizier schreit etwas auf Russisch, doch da stehe ich schon neben ihm. Seine aufgerissenen Augen starren mich an, als ich ihn mit meinem rechten Arm an der Kehle packe und hochreiße. Er gurgelt.

    Ich hämmere seinen Schädel gegen den nächsten Baum und lasse ihn fallen. Vielleicht bin ich hysterisch, doch falls dem so ist, lässt Helen es sich nicht anmerken, als ich ihr aufhelfe. Stöhnend reibt sie sich über ihre Brust und bleckt die Zähne. Die hauchdünne Rüstung aus Andrewit unter unserer Kleidung hindert die Kugeln zwar am Eindringen, nicht jedoch an der Wucht ihrer Schläge. Ich schätze, wir werden in der nächsten Zeit jede Menge blauer Flecken spazieren tragen. Ich grinse trotzdem wie ein Idiot und sie lächelt mir zu.

    »Gut gemacht, Eddy.«

    Das ist das erste Lob, das ich jemals von ihr gehört habe. Vermutlich auch das letzte.

    Sie sinkt neben Jones auf die Knie und legt ihm die Hand auf die Stirn. Er erwacht, als habe sie die Macht, ihn von den Toten zurückzuholen. Seine Augen starren mich glasig an. »Ich … ich wüsste

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