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Geheimnisse eines versunkenen Landes: Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten
Geheimnisse eines versunkenen Landes: Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten
Geheimnisse eines versunkenen Landes: Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten
eBook477 Seiten8 Stunden

Geheimnisse eines versunkenen Landes: Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten

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Über dieses E-Book

Die DDR existiert seit bald 25 Jahren nicht mehr, aber die Kämpfe um die Interpretation ihrer Geschichte halten unvermindert an. Doch wie war er denn nun wirklich beschaffen, dieser untergegangene deutsche Staat? Welche Bedingungen bestimmten das Leben der DDR-Bürger? Und warum war nach vier Jahrzehnten Schluss? Fernab jeden Anspruchs auf Deutungshoheit oder Vollständigkeit lotet Klaus Behling in einem umfangreich recherchierten und pointiert geschriebenen Kaleidoskop 40 Jahre DDR-Historie aus. 111 interessante, tiefgreifende, brisante, traurige, schaurige, witzige, in jedem Fall aber neugierige Fragen stellt er sich und seinen Lesern, aus deren Beantwortung ein kundiges und im besten Sinne populäres Sachbuch entstanden ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberBild und Heimat
Erscheinungsdatum12. März 2015
ISBN9783867895941
Geheimnisse eines versunkenen Landes: Kurzweilige Anekdoten aus dem DDR-Zettelkasten

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    Buchvorschau

    Geheimnisse eines versunkenen Landes - Klaus Behling

    Vorwort

    D ie DDR als Fußnote

    der Geschichte

    Die DDR existierte 14 970 Tage. Als sie am 7. Oktober 1949 begann, geschah das mit dem Anspruch, eine Stufe der Geschichte erreicht zu haben, die über allem jemals Stattgefundenen stand. Von hier aus würde es nur noch weiter treppauf gehen, bis der Staat irgendwann gar nicht mehr nötig wäre, weil alle alles ohne Regelwerk im Überfluss hätten. Es war eine paradiesische Vorstellung, ohne daran zu denken, dass auch das Paradies Tücken haben konnte. Friedrich Hölderlins Bedenken: »Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte«, hatte die Geschichte wohl beiseite gewischt.

    Eine eigenartige Symbiose von Stillstand und Bewegung entstand. Einerseits würde es niemals mehr zurückgehen, andererseits konnte es aber auch nicht so bleiben, wie es war. Ein Weg endloser Erfolge schien vorgezeichnet, es sollte ein Weg ins Glück aller sein. Dass sich dessen materielle Ausgestaltung stets am Imperialismus orientierte, den Lenin nicht nur als monopolistischen, sondern auch als parasitären und faulenden sowie sterbenden Kapitalismus kennzeichnete, schien niemanden zu stören. Viel wichtiger war das Postulat, endlich historische Gerechtigkeit hergestellt und damit einen uralten Menschheitstraum verwirklicht zu haben. Das sollte genügen, um eine neue Form von Macht und Herrschaft zu legitimieren.

    Dazu passten keinen Fragen, denn sie bergen stets den Kern des Zweifels. Also wurden die heiklen unter ihnen nicht gestellt. Oder nicht beantwortet. Trotzdem gab es sie. Doch sie hatten gestört, denn der Weg war ja gut und richtig und führte bergauf. Warum ihn also bezweifeln und es so allen Gutwollenden noch schwerer machen?

    Jahrhundertelang bewegten Fragen die Geschichte nach vorn. Jetzt schienen sie Bremsen geworden zu sein. Fragen als destruktiver Ansatz. Sie so zu interpretieren, hatte einen Grund. Noch bedurfte die vermeintlich bereits erreichte Gerechtigkeit ja ihrer Vollstrecker. Ausgerechnet diese nach dem Vernünftigen ihres Tuns zu fragen, hätte bedeutet, sie in Frage zu stellen. So gern jegliche Macht die »Machtfrage« stellt, bevor sie diese Macht errungen hat, so sehr unterdrückt sie sie, wenn sie sich etabliert hat.

    Dennoch gibt es eine Elle, an der Legitimitätsansprüche gemessen werden können. Immanuel Kant nennt sie »Probierstein der Rechtmäßigen eines jeden öffentlichen Gesetzes«. Kann einem solchen Gesetz ein ganzes Volk zustimmen, »so ist es Pflicht, das Gesetz für Recht zu halten«. Das sieht er auch für den Fall, »dass das Volk in einer solchen Lage, oder Stimmung seiner Denkungsart wäre, dass es, wenn es darum befragt wurde, wahrscheinlicherweise seine Beistimmung verweigern würde.«

    Jegliche Politik kann demnach also dann als gerecht gelten, wenn die begründete Annahme besteht, dass sie allein aus der Vernunft der Mitglieder des entsprechenden Gemeinwesens entstanden ist.

    Karl Marx hat diesen Gedanken aufgegriffen. Für ihn ging es – der Historie geschuldet – um die Rechtmäßigkeit der Pariser Kommune. Er sah sie nicht aufgrund von historischen Gesetzmäßigkeiten für gerechtfertigt an, sondern allein deshalb, weil sie die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder der Gesellschaft reflektierte.

    Ob dies auch ab dem ersten der 14 970 DDR-Tage der Fall war, ist ohne Nachweis geblieben, weil die Fragen dazu fehlten. Die wichtigste lautete: Hatte eine Gemeinschaft von Freien und Gleichen den Plan eines sozialistischen Weges gefasst? Sie kann nicht beantwortet werden, weil es diese Gemeinschaft nach dem Absinken des ganzen deutschen Volkes in die Abgründe der Barbarei nicht geben konnte.

    Ohne Fragen wird aber auch der Marxismus schnell zur Ersatzreligion. Sein Legitimationsansatz wandelt sich durch das »Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist« seiner Benutzer in ein Rechtfertigungssystem. Diese Interpretation erinnerte an den klassischen »Widerspruch in sich« – die contradictio in adiecto, am unmöglichen »runden Quadrat« simpel zu illustrieren – und wurde zur Projektionsfläche unbeantworteter Fragen. Dass Lenin den Satz 1913 in seiner Agitationsschrift »Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus« formulierte, macht ihn nicht wissenschaftlicher. Trotzdem waren 14 970 Tage lang Fragen dazu nicht erwünscht. Gegen dennoch hier und da auftretende Renitenz half eine Weile das auch umkehrbare, oben benannte Totschlagargument. Dann nicht mehr. Am Ende seines politischen Weges stellte selbst Erich Honecker die zuvor nicht gelittene Frage: »Hatten wir Sozialismus?« Und er antwortet unorthodox: »Wir hatten zumindest ein großes Stück von ihm!« Den Glauben daran, dass dieser Weg irgendwann und irgendwo weitergehen würde, schöpfte er nicht aus der Annahme, dass es irgendein Volk dann so haben will, sondern »weil sich die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte nicht außer Kraft setzen lassen«.

    Doch wie sehen diese Gesetzmäßigkeiten aus?

    Stefan Heym meinte 1989, von der DDR würde nichts weiter bleiben als eine Fußnote in der Geschichte. Dafür bekam er viele wütende Kommentare und vielleicht kam das Wort ja auch aus seinem gerechten Zorn über die vielen offen gebliebenen Fragen. Nur sie können aus der DDR vielleicht doch noch mehr als eine Fußnote machen, denn in seinem historischen Befund hat er zweifellos Recht:

    Die kapitalistische Schlange hat das

    sozialistische Igelchen geschluckt,

    sie wird ihre Verdauungsprobleme haben,

    aber das Igelchen ist jedenfalls weg.

    I. Grundsätzliches und Politisches

    War die DDR mal eine Bundesrepublik?

    Thüringer lieben Klöße, Sachsen sind Reiseweltmeister und Mecklenburger ein bisschen stur – als nach der Deutschen Einheit die ostdeutschen Länder auferstanden, galt die unterschiedliche regionale Identifikation als wichtiges Bindemittel. Daran hatte die sowjetische Besatzungsmacht auch schon nach dem Krieg gedacht. Mit Befehl vom 9. Juli 1945 bestimmte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Wiederherstellung einer Struktur im Osten Deutschlands, die sich an die früheren historischen Grenzen anlehnte. So entstanden zunächst die Länder Mecklenburg, Sachsen und Thüringen. Den Rest der sowjetischen Besatzungszone bildeten Teile preußischer Provinzen. Nach der offiziellen Auflösung des »Staates Preußen« mit Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 entstanden Sachsen-Anhalt und Brandenburg als Länder. Zwischen Dezember 1946 und Juli 1947 gaben sich diese Länder ihre eigenen Verfassungen. Berlin hatte als Viersektoren-Stadt einen besonderen Status und bildete kein eigenes Land.

    Die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges hatten die Struktur der neuen Verwaltung wesentlich beeinflusst. Mit der Festlegung der Ostgrenze auf die Oder-Neiße-Linie verlor die ehemalige preußische Provinz Brandenburg alle Gebiete östlich der Oder. Im Entwurf der Verfassung für Mecklenburg, das aus den früheren Großherzogtümern Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und dem westlichen Vorpommern gebildet wurde, plante man zunächst den Namen Mecklenburg-Vorpommern. Das verboten die Sowjets, um nicht an die verlorenen deutschen Ostgebiete zu erinnern.

    Auch der niederschlesische Landzipfel um Görlitz tauchte in keinem Namen mehr auf und ging an Sachsen. Das Land Sachsen-Anhalt entstand aus der preußischen Provinz Sachsen – nicht mit dem Königreich Sachsen zu verwechseln – und dem ehemaligen Freistaat Anhalt.

    Damit war die Sowjetische Besatzungszone strukturell als Bundesrepublik angelegt. Deshalb definierte sich die DDR in ihrer ersten Verfassung auch als dezentralisierter Einheitsstaat. Mit ihrer Gründung am 7. Oktober 1949, die auf dem Staatsgründungsgesetz beruhte, entstand neben der Abgeordnetenkammer – wegen des weiterhin gültigen Besatzungsrechtes »Provisorische Volkskammer« genannt – auch eine »Provisorische Länderkammer« – so wie es im Westen Bundestag und Bundesrat gab.

    Die 50 Abgeordneten der DDR-Länderkammer kamen aus den Landtagen entsprechend der Fraktionsstärke der dort vertretenen Parteien. Sachsen schickte 13, Sachsen-Anhalt 11, Thüringen 10, Brandenburg 9 und Mecklenburg 7 Parlamentarier. Die 13 Berliner Abgesandten verfügten nur über eine beratende Stimme.

    Bereits bei den Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946 zeigte sich, dass diese Struktur die Macht der ein halbes Jahr zuvor aus KPD und SPD gebildeten SED gefährdete. Trotz erheblicher Behinderung der bürgerlichen Parteien (Nationaldemokraten, Liberale und Christen) und der Bauern-Partei, verfehlte sie die angestrebte absolute Mehrheit. In Sachsen-Anhalt entstand eine Regierung aus Christdemokraten und Liberalen. Deshalb änderte die Besatzungsmacht das Wahlrecht, künftig war nur noch die Einheitsliste der »Nationalen Front« zugelassen. Sie erhielt am 15. Oktober 1950 bei einer Wahlbeteiligung von über 98 Prozent mehr als 99 Prozent aller Stimmen – etwas anderes zu Wählen gab es nicht mehr. Da es auf dieser Einheitsliste außer der SED und den »Blockparteien«, Christlich Demokratische Partei, Liberaldemokratische Partei, Nationaldemokratische Partei und Deutsche Bauernpartei, auch Abgeordnete von FDJ über Kulturbund bis zum Demokratischen Frauenbund gab, deren Nominierung die SED bestimmen konnte, war deren Macht fortan gesichert.

    Mit der Gründung der DDR verloren die Länderinstitutionen einen Großteil ihrer Befugnisse. Die Gesetze wurden nun von der Regierung in Ostberlin als Legislative bestimmt, die Landesbehörden waren als Exekutive für deren Umsetzung verantwortlich.

    Sein faktisches Ende fand das Modell »Bundesrepublik DDR« mit dem »Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik« vom 23. Juli 1952. Damit erfolgte die Umsetzung des von der II. Parteikonferenz der SED kurz zuvor gefassten Beschlusses zum Aufbau des Sozialismus in der DDR. Die Verwaltungsstruktur entsprach nun dem sowjetischen Vorbild. Aus den bisher 132 wurden nun 217 Kreise, die fünf Länder wandelten sich in 14 Bezirke: Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Magdeburg, Potsdam, Frankfurt (Oder), Halle, Leipzig, Cottbus, Erfurt, Suhl, Karl-Marx-Stadt, Gera und Dresden. Ostberlin behielt seinen Sonderstatus. Dieses Aufblähen der Verwaltung diente letztlich der Sicherung der Macht.

    Die Länderkammer der DDR existierte nun nur noch als verfassungsrechtliche Absurdität, denn es gab ja keine Länder mehr. Dennoch erhielt sie die SED, um nicht die damals angestrebte Wiedervereinigung zu blockieren. 1954 wurde die Länderkammer von den entsprechend der früheren Länderstruktur zusammengetretenen Bezirkstagen gewählt, 1958 dann von den Bezirkstagen direkt. Die Abgeordneten hatten danach nur noch eine Aufgabe: Zur Auflösung des Länder-Parlamentes per Volkskammer-Gesetz vom 8. Dezember 1958 zu nicken. Der Traum von der DDR als Bundesrepublik war ausgeträumt.

    Wie friedlich war die Friedensgrenze?

    Fritz Gronau wurde Anfang der fünfziger Jahre beim Versuch, illegal die Oder-Neiße-Grenze zu überqueren, erwischt und wanderte dafür nach Bautzen ins Gefängnis. Dort kam er in eine Zelle mit Georg Dertinger. Der hatte am 6. Juli 1950 den Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze mit unterschrieben. Da war der CDU-Politiker noch Außenminister der DDR. Am 15. Januar 1953 wurde er zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Es war der Terror jener Jahre, verbrämt als angebliche »Spionage und Verschwörung«. Erst 1964 wurde Dertinger begnadigt.

    Die neue deutsche Ostgrenze nach dem Krieg galt derweil längst als »Friedensgrenze«. So stand es erstmals am 10. Juli 1948 in der Zeitung »Neues Deutschland«. Das Abkommen darüber hatten Walter Ulbricht und Polens Regierungschef Jozef Cyrankiewicz sowie ihre Außenminister am 6. Juli 1950 in Zgorzelec, dem nun polnischen Teil von Görlitz, unterzeichnet. Jetzt hieß es, dass die Grenze Deutsche und Polen »nicht trennt, sondern einigt«. Trotzdem gehörte die »Friedens- und Freundschaftsgrenze« bis in die sechziger Jahre zu den am besten bewachten und abgeriegelten Grenzen Europas.

    Ihre Geschichte begann mit der Schaffung vollendeter Tatsachen. Nachdem sich die Sowjetunion und ihre West-Alliierten vor Kriegsende über eine neue Grenzziehung nicht einigten, stand die Frage auf der Tagesordnung der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945. Zu dieser Zeit hatte die siegreiche Rote Armee die Verwaltungshoheit für die östlich der Oder gelegenen deutschen Gebiete bereits an die provisorische Regierung Polens übergeben. Im Juli 1945 folgten mit Einverständnis der Alliierten auch Stettin und dessen Umland, westlich der Oder.

    Damit war das bisherige ethnografische Prinzip bei der deutsch-polnischen und russisch-polnischen Grenzziehung grundsätzlich durchbrochen. In der Vergangenheit führte es immer wieder zur Unterdrückung der verschiedenen Volksgruppen – Deutsche unter polnischer Verwaltung, Polen unter deutscher oder russischer Herrschaft. Die jetzt erfolgte Grenzziehung ging mit einer zunächst unkontrollierten, dann planmäßigen Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den inzwischen polnischen Gebieten einher.

    Begründet wurde die Oder-Neiße-Grenze mit der Westverschiebung Polens. Dadurch gingen etwa 178 000 Quadratkilometer im Osten verloren, 102 000 Quadratkilometer im Westen kamen hinzu. Von polnischer Seite wurde überdies, historisch umstritten, argumentiert, dass es sich auch östlich der Oder um »urpolnisches Gebiet« handele.

    Versuche der Alliierten in Potsdam, einen Einfluss auf die neuen polnischen Westgebiete zu erhalten, setzten sich nicht durch. Die Westmächte stimmten nur dem sowjetischen Wunsch nach Annexion der deutschen Gebiete Ostpreußens und Königsbergs zu. Das Territorium jenseits von Oder und Neiße wurde als »vorläufig«, bis zum »Abschluss eines Friedensvertrages« unter polnischer Verwaltung stehend, akzeptiert.

    Differenzen, ob bei der Grenzziehung die Lausitzer oder Glatzer Neiße gemeint sei, wurden zugunsten Polens entschieden. Dadurch verschob sich die neue Grenze um weitere etwa 50 Kilometer nach Westen, Görlitz und Guben wurden geteilt.

    Mit dem aufkommenden Kalten Krieg stellten die Westmächte die Endgültigkeit dieser Grenze erneut in Frage. Da der DDR die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit versagt wurde, verweigerten sie nach Abschluss des Görlitzer Abkommens am 6. Juli 1950 auch dessen Anerkennung. Die Bundesrepublik erklärte es als »null und nichtig«. Im Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 gelang es ihr, die »frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland« als Voraussetzung für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu verankern. Das erschwerte ihr bis zur »neuen Ostpolitik« Willy Brandts die Gestaltung der Beziehungen zu Polen. Mit der Annäherung an Polen signalisierte die Bundesregierung ab 1968 die »Anerkennung bzw. Respektierung der Oder-Neiße-Grenze bis zur friedensvertraglichen Regelung«. Mit dem Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 wurde nur festgeschrieben, dass sie »die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen« bilde und es »gegeneinander keine Gebietsansprüche gebe« und geben werde.

    In der KPD und dann der SED im Osten Deutschlands war die Grenzziehung bis etwa 1947 umstritten. Danach sorgte der sowjetische Einfluss für deren uneingeschränkte Anerkennung. Mit einem Abkommen vom 27. Januar 1951 trat die DDR »zum Beweis der Festigung der deutsch-polnischen Freundschaft« Gebiete westlich von Swinemünde auf Usedom an Polen ab.

    Grenzstreitigkeiten in der Oder-Bucht nach der eigenmächtigen Ausdehnung der DDR-Hoheitsgewässer 1985 wurden erst in einem Abkommen zwischen der DDR und Polen vom 22. Mai 1990 (!) beigelegt.

    Obwohl die Oder-Neiße-Grenze in den Jahren der Ost-West-Teilung im Schatten der Realpolitik stand und dadurch problemlos erschien, war sie doch ein politisch heißer Ort des Kalten Krieges. Entschärft wurde er erst mit den gemeinsamen, gleichlautenden Erklärungen der Volkskammer und des Bundestages vom 21. Juni 1990: »Die Grenze Polens zu Deutschland, so wie sie heute verläuft, ist endgültig.« Das wurde so im »Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« vom 12. September 1990 bestätigt.

    Aus dem Bild von der Unterzeichnung des Vertrages über die Oder-Neiße-Grenze zwischen der DDR und Polen für die Geschichtsbücher, war der in Ungnade gefallene einstige DDR-Außenminister Georg Dertinger längst wegretuschiert worden.

    Wer war Wilhelm Pieck?

    An einem Juli-Wochenende im Sommer 1954 bauten die Häftlinge Herbert Friedrich aus Hoyerswerda und Gerhard Lau aus Berlin-Köpenick in der geheimen »Planstelle S« des Staatssicherheitsdienstes in der Ostberliner Freienwalder Straße Wanzen in den schwarzen SIS-Dienstwagen Wilhelm Piecks ein. Das wurde bekannt, weil sie den Sondereinsatz mit Hilfe des MfS-Unterleutnants Hans-Joachim Dittmann zur Flucht in den Westen nutzen konnten. Die Wanzen nahmen sie mit.

    Solcherart Extras im Wagen eines amtierenden Präsidenten lassen darauf schließen, dass ihm seine Regierung nicht völlig vertraute. Nun wussten auch die Geheimdienste im Westen, dass sein SIS aus Moskau mit Fünf-Millimeter-Stahlplatten gepanzert war, kugelgesicherte Scheiben hatte und über zwei fest eingebaute Maschinenpistolen verfügte. Das wiederum weist auf die berechtigte Vermutung hin, die Liebe des Volkes zu seinem Präsidenten könne ihre Grenzen gehabt haben.

    Dabei ist Wilhelm Pieck zu dieser Zeit 78 Jahre alt und galt als gütiger Volks-Opa der DDR. Bis zu seinem Tod am 7. September 1960 war er der erste und einzige Präsident im Osten Deutschlands.

    Am 3. Januar 1876 wurde Wilhelm Pieck in Guben als Sohn eines Kutschers geboren. Er absolvierte die Volksschule, lernte ab 1890 das Tischler-Handwerk und ging danach auf Wanderschaft. Dabei gewann der junge Mann aus einem streng katholischen Elternhaus eine andere Sicht auf die Welt. Die Arbeiterbewegung schien ihm einen Ausweg aus den täglich zu spürenden Ungerechtigkeiten des Lebens zu weisen. Er trat in die Holzarbeitergewerkschaft und 1895 dann auch in die SPD ein. Der Tischlergeselle war in Bremen gelandet und begann eine kleine Karriere in der SPD. Pieck galt als verlässlich, wurde Kassierer der Partei und verwaltete bald darauf die Kasse der Gewerkschaft. Die sorgte dafür, dass Wilhelm Pieck 1905 Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft wurde. Nun folgte auch der Aufstieg in der Partei. 1906 wählte sie ihn zum Ersten Sekretär der Bremer SPD.

    Versammlungen und Schreibtisch versprachen eher einen bescheidenen Wohlstand als Holz und Späne. Wilhelm Pieck blieb von nun an bis an sein Lebensende hauptamtlicher Funktionär.

    Für die SPD schien der bodenständige und ambitionierte junge Mann ein idealer »Nachwuchskader« zu sein. Sie schickte ihn 1907 auf ihre Reichsparteischule. Dort lernte er Rosa Luxemburg kennen und wurde ihr begeisterter Anhänger.

    Wilhelm Pieck war nun ein linker Sozialdemokrat. Er kämpfte gegen den Krieg, wurde 1915 Soldat und landete wegen »Insubordination und Hetze« vorm Kriegsgericht. Vor dem Urteil konnte er fliehen.

    Gemeinsam mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gehörte Wilhelm Pieck 1918 zu den Gründern der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die November-Revolution ließ Hoffnung aufkeimen, doch Freikorps-Soldaten schlugen sie blutig nieder. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden ermordet. Der dafür verantwortliche Offizier, Waldemar Pabst, behauptete später mehrfach, er habe entscheidende Hinweise dazu vom ebenfalls verhafteten und gefolterten Wilhelm Pieck bekommen. Bewiesen ist das nicht.

    Dennoch war der Spitzenfunktionär nicht mehr unumstritten. Die KPD-Reichstagsabgeordnete und in der Partei eher konservativ orientierte Clara Zetkin warnte 1921, Pieck sei »als Generalsekretär unmöglich, wenn wir nicht der KPD den Totenschein ausschreiben wollen.«

    Doch die Zeichen der Zeit standen auf Revolution. Wilhelm Pieck wurde ins Exekutiv-Komitee der Kommunistischen Internationale gewählt und lernte Lenin kennen. Gleichzeitig war er Mitglied des Preußischen Landtags und ab 1928 dann des Reichstags. 1922 zählte der inzwischen erfahrene Politiker zu den Mitbegründern der Internationalen Roten Hilfe. Diese Tätigkeit brachte ihm 1931 die Wahl ins Präsidium des Exekutiv-Komitees der Kommunistischen Internationale ein. Nun war Wilhelm Pieck ganz oben angekommen.

    Dennoch bleibt er ein Mann der zweiten Reihe in der KPD. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers im Januar 1933 ging er bereits im Mai nach Paris ins Exil. Die Nazis bürgerten ihn aus. Die KPD agierte nun in Deutschland in der Illegalität. Seit 1925 war Ernst Thälmann ihr Vorsitzender, den die Faschisten 1933 verhafteten. John Schehr übernahm, er wurde im Februar 1934 ermordet. Wilhelm Pieck als dessen Stellvertreter rückte nach. Die Brüsseler Konferenz der KPD wählte ihn 1935 ausdrücklich nur »für die Zeit der Haft Ernst Thälmanns« zum Parteivorsitzenden. Wilhelm Pieck verlegte sein Exil nach Moskau. Dort überlebte er Stalins Terror, dem drei Viertel aller aus Deutschland emigrierten Kommunisten zum Opfer fielen. Nachdem die Nazis bereits 1934 John Schehr und 1944 Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ermordet hatten, war nur noch Wilhelm Pieck als nächster Führer der KPD da.

    Er war inzwischen 68 Jahre alt und eine Ikone der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Pieck kannte sie alle noch persönlich: Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Lenin, er hatte gegen die Rechtsabweichler in der SPD gekämpft und war Mit-Initiator des antifaschistischen »National-Komitees Freies Deutschland«, das die Weichen für die Zeit nach 1945 stellte. Und vor allem hatte er überlebt.

    Doch der kommende Mann Moskaus war inzwischen längst ein anderer. Er hieß Walter Ulbricht. Für den »dicken Wilhelm« blieb nur der Posten eines Präsidenten ohne Machtbefugnisse übrig.

    Was stand in den Personalausweisen?

    Wer 14 war, empfing mit Stolz und für zwei Mark Verwaltungsgebühr seinen zwölfseitigen Personalausweis und fühlte sich von nun an erwachsen. Wer 24 war, schämte sich beim Besuch im Freundesland manchmal etwas, sich als »Deutscher zweiter Klasse« ausweisen zu müssen. Wer die 34 erreicht hatte, amüsierte sich über das Bild und musste einen neuen Ausweis beantragen – ab 1973 gab es dann gleich Raum für drei Bilder – und mit 44 wurde für viele der »Personalausweis für Bürger der Deutschen Demokratischen Republik« zum ersten Reise-Dokument ihres Lebens.

    Der Personalausweis musste die aktuelle Meldeadresse tragen, der Familienstand war vermerkt und die Kinder wurden namentlich eingetragen. Für sie konnten bei Reisen im Alter bis zu 14 Jahren »Kinderausweise« – ein Faltblatt mit Foto – beantragt werden.

    Vergessen ist, dass er bis in die siebziger Jahre »Deutscher Personalausweis« hieß, zuerst 20 Seiten hatte, Ostberliner ihn wegen des Vier-Mächte-Status der Stadt erst 1953 bekamen und die VP-Meldestellen einen »Einkleber« für Grenzstempel und Geldumtausch hinzufügen konnten, im Volksmund »Ziehharmonika« genannt.

    Verdrängt haben die meisten auch den rüden Ton im Ausweis:

    Bürger

    der Deutschen Demokratischen Republik

    Dieser Personalausweis ist Ihr wichtigstes Dokument

    Sie haben deshalb:

    – den Personalausweis stets bei sich zu tragen

    Und so weiter. Die übliche Anrede bei der Polizei lautete dementsprechend dann auch kurz »Bürger!«, am Telefon: »Teilnehmer!«

    Wer diesen Status verloren hatte, etwa durch eine Haftstrafe, musste mit dem »PM 12« vorliebnehmen. In der Regel war dieser »vorläufige Personalausweis« mit Auflagen wie Meldepflicht bei der Polizei, Arbeitsplatzbindung oder Hinterlegung des Wohnungsschlüssels bei der VP verbunden. Allein seine Ausgabe diffamierte die Betroffenen als »unzuverlässig«. Oft waren dafür politische Gründe, wie vorangegangene Verurteilungen nach § 213, versuchter illegaler Grenz­übertritt oder § 212, Widerstand gegen die Staatsgewalt, der Hintergrund. Möglich war auch ein »Berlin-Verbot«, das hieß, DDR-Bürger durften nicht in die DDR-Hauptstadt reisen.

    Während des Wehrdienstes musste der Personalausweis beim Wehrkreiskommando hinterlegt werden. Der Wehrpass galt dann gleichzeitig als Ausweis. Damit waren NVA-Angehörige bei jeglichen Kontrollen erkennbar, denn für Mannschaften galt auch im Urlaub die Pflicht zum Tragen der Uniform.

    Ab 1. Januar 1970 führte die DDR »Personenkennzahlen« (PKZ) ein. Sie wurden im Ausweis eingetragen und dienten der Errichtung einer zentralen Personendatenbank, ab 1972 mit Sitz in Berlin-Biesdorf. Seit dem 1. Januar 1984 war sie voll funktionsfähig und enthielt zu jeder Person neben den Stammdaten auch Eintragungen zu Ehepartnern, Kindern, besonderen Erlaubnissen wie Waffen- oder Giftschein, Fahrerlaubnis und Hinweise auf Strafregistereintragungen und besondere Aktivitäten.

    Die zwölfstellige PKZ bestand aus Geburtstag, Geburtsmonat, Geburtsjahr in zwei Stellen, dem Geschlecht und dem Jahrhundert der Geburt in einer Zahl, der dreistelligen Schlüsselnummer des eintragenden Melderegisters, einer fortlaufenden Nummer innerhalb des Geburtstages und einer einstelligen Prüfziffer.

    Diese Prüfziffer ergab sich aus einer festgelegten Rechenvorschrift für die vorhandenen Zahlen, um so Eingabefehler erkennen zu können. Ein hartnäckiges Gerücht behauptete, dass über die PKZ im Ausweis geheime Zeichen angebracht worden wären. Manchmal erkennbare »Besonderheiten« hatten aber lediglich in der mangelnden Qualität der Dokumentenschreibmaschinen ihrer Ursache und waren harmlos.

    Tatsache hingegen ist, dass die PKZ neben der Eintragung im Personalausweis auch im SV-Buch und im Wehrdienstausweis und auf der Erkennungsmarke stand. Sie wurde überdies von den Betrieben und staatlichen Organen genutzt, was eine flächendeckende Verknüpfung der Daten aller Bürger ermöglichte, die ihrerseits jedoch durch die noch rudimentäre DDR-Computertechnik gehemmt wurde. Mit Herstellung der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde die weitere Nutzung der PKZ der DDR grundgesetzwidrig. Laut Einigungsvertrag durften nur die erforderlichen Personendaten zur Überführung des polizeilichen Meldewesens in die örtlichen Melderegister genutzt werden. Danach waren die PKZ zum »frühestmöglichen Zeitpunkt« zu löschen, spätestens jedoch am 31. Dezember 1992. Heute existieren diese Personenkennzahlen nur noch in den MfS-Akten. Wer seine PKZ noch weiß, kann damit seinen eventuellen Antrag auf Akteneinsicht beschleunigen.

    Der DDR-Personalausweis hingegen wurde am Ende der DDR noch einmal richtig wichtig. Er diente als Beleg für den Empfang der 100 DM »Begrüßungsgeld« im Westen. Nach dem Fall der Mauer wurde er wie ein westliches Personaldokument anerkannt. Bei der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 vermerkte die Bank die Kontenanmeldung im Ausweis. Das war nicht nur für den geregelten Umtausch der DDR-Mark in DM wichtig. Es eröffnete gleichzeitig den Zugang zu einem Giro-Konto West auf Guthabenbasis, auf das es damals keinen Rechtsanspruch gab. Die Gültigkeit der Personalausweise der DDR erlosch am 31. Dezember 1995.

    Wie sah die Welt

    den 17. Juni 1953?

    Steinewerfer gegen Panzer, ein paar brennende Fahnen und wütende Menschen – Bilder prägen Erinnerungen und die vom David gegen Goliath den Blick auf den 17. Juni 1953 in der DDR. Wie sah die Welt damals dieses Ereignis, dessen Bewertung bis heute von »Putschversuch« bis »Volksaufstand« geht?

    Die SED stritt von Anfang an jede Eigenverantwortung für die Unruhen und deren Folgen ab. In ihrer vom Politbüro 1978 bestätigten, offiziellen Geschichtsschreibung heißt es: »Die Feinde des Sozia­lismus im Innern der DDR nutzten die Unzufriedenheit und Missstimmung der Werktätigen für ihren konterrevolutionären Putschversuch aus; sie erhielten operative Anleitung durch in Westberlin und der BRD stationierte imperialistische Geheimdienste und Agentenzentralen sowie Sender der USA. Von Westberlin wurden Provokateure in die Hauptstadt und in die Bezirke der DDR eingeschleust.« Diese Darstellung ist heute historisch überholt.

    In der Bundesrepublik wurden die Ereignisse im Osten vor dem Hintergrund der durch das Besatzungsregime eingeschränkten Souveränität als erneuter Ausdruck der »deutschen Ohnmacht« wahrgenommen. Franz Josef Strauß, ab 20. September 1953 im zweiten Kabinett Konrad Adenauers, berichtet in seinen Memoiren: »Wir hatten zwar Informationen, dass die Unzufriedenheit unter den Menschen drüben von Tag zu Tag stieg, dennoch wurden wir von dem plötzlichen Ausbruch der Unruhen und dem demonstrativen Freiheitswillen überrascht.« Auch das durfte nur die halbe Wahrheit sein, denn es gab durchaus westliche Einflussnahme, zum Beispiel durch das »Radio im amerikanischen Sektor« (RIAS) in Berlin und geheimdienstliche Vorbereitungen auf den »Tag X« in der DDR.

    Die offiziellen westdeutschen Reaktionen blieben symbolhaft. Am 4. August 1953 erklärte der Bundestag den 17. Juni zum »Tag der Deutschen Einheit« und zusätzlichen gesetzlichen Feiertag. In Westberlin wurde eine Hauptstraße in »Straße des 17. Juni« umbenannt.

    Eine völlige Fehleinschätzung der Lage bestimmte die Haltung der USA. Vor dem innenpolitischen Hintergrund des aggressiven Antikommunismus der McCarthy-Ära lag ihr außenpolitischer Schwerpunkt im Fernen Osten. In Korea wurde Krieg geführt. Der Einsatz sowjetischer Truppen im entmilitarisierten Ostberlin erschien den Amerikanern zunächst als Vorbereitung eines Militärschlages gegen Westberlin. Nachdem sich dies als nicht zutreffend erwies, hielt man es für eine von der SED inszenierte Aktion, die aus dem Ruder gelaufen war.

    In Moskau tobte nach Stalins Tod Anfang März 1953 der interne Kampf um dessen Nachfolge. Geheimdienstchef Lawrenti Berija sorgte zwar für die Niederschlagung der Unruhen, spielte aber gleichzeitig mit dem Gedanken der Freigabe der DDR gegen wirtschaftliches Entgegenkommen des Westens. Nach Berijas Hinrichtung am 23. Dezember 1953 und der Machtübernahme durch Nikita Chruschtschow gewann die Furcht überhand, der DDR-Aufstand könne eine Vorbildwirkung für andere osteuropäische Staaten haben.

    Besondere Sorge hegte dabei die polnische Parteiführung. Sie hatte die Arbeitsnormen weit drastischer als die DDR erhöht und fürchtete nun sowohl Widerstand durch noch in Polen lebende Deutsche als auch in den an die Sowjetunion abgegebenen ehemaligen deutschen und polnischen Ostgebieten. In einer Analyse vom 23. Juni 1953 sah die PVAP die Gründe der Unruhen in einer falschen Politik der SED.

    In der von den Moskauer Machtkämpfen nur am Rande berührten Deutschlandpolitik reagierte die Sowjetunion skeptisch auf den 1952 von Walter Ulbricht verkündeten »Aufbau des Sozialismus«. Sie betrachtete ihn als übereilt und fürchtete dadurch innenpolitische Verwerfungen in der DDR. Deshalb verpflichtete Wladimir Semjonow als Hoher Kommissar und damit Chef der Besatzungsmacht die DDR-Führung, Anfang Mai 1953 in Moskau festgelegte »Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR« durchzuführen. Auf Ulbrichts Einwand dagegen antwortete er am 2. Juni

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