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Tod bei der Fahne: Fälle aus MFS, Polizei und NVA
Tod bei der Fahne: Fälle aus MFS, Polizei und NVA
Tod bei der Fahne: Fälle aus MFS, Polizei und NVA
eBook324 Seiten3 Stunden

Tod bei der Fahne: Fälle aus MFS, Polizei und NVA

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Über dieses E-Book

Die bewaffneten Organe, Polizei, MfS und Armee agierten in der DDR oft, wie auch in anderen Ländern, als Staat im Staate. So wurden Vorkommnisse bei denen Menschen zu Schaden oder zu Tode kamen möglichst "intern" geklärt. Das führte dazu, dass nicht einmal Familienangehörige über die wirklichen Umstände von tragischen ereignissen ins Bild gesetzt wurden. Die Autoren haben nach umfangreichem Aktenstudium Fälle zusammengetragen wo Vertuschung und kriminelles Vorgehen oft Hand in Hand gingen.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Berolina
Erscheinungsdatum29. Jan. 2013
ISBN9783867895576
Tod bei der Fahne: Fälle aus MFS, Polizei und NVA

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    Buchvorschau

    Tod bei der Fahne - Klaus Behling

    Agenten

    Unfehlbar, Allmächtig, Unsterblich?

    Eine Vorbemerkung

    Am Schluss ist nur noch der letzte musikalische Gruß am Grab konspirativ: Der Trompeter hat zwar die Noten von Mozarts »Ave Verum« auf sein goldglänzendes Instrument gesteckt, aber dann spielt er doch lieber »Von all unseren Kameraden, war keiner so lieb und so gut …«

    Als die Urne des DDR-Spionagechefs Markus Wolf am 25. November 2006 in der Berliner »Gedenkstätte der Sozialisten« in die Erde gleitet, fehlt kein einziges der üblichen Geheimdienstklischees.

    »Nur die, die reinen Herzens sind, verabschieden sich so aus dem Leben«, lässt Russlands Botschafter Vladimir V. Kotenev in den lauen Spätherbstvormittag schallen. – Meint er damit, dass Geheimdienste unfehlbar sind?

    »Wenn die Wende in der DDR ohne Blutvergießen verlief, haben wir es auch Markus Wolf zu verdanken«, diktiert Hans Modrow, der letzte SED-Ministerpräsident der DDR, den Journalisten in den Block. – Will er damit sagen, dass die Stasi so mächtig war, auf alles einzuwirken?

    Doch das ist längst noch nicht alles: »Ehrendes Gedenken« bezeugt die »Leitung der HVA« mit einem Kranz aus roten Nelken. Diese »Leitung« gibt es seit fast 16 Jahren nicht mehr – der Geheimdienst wäre demnach wohl sogar unsterblich?

    Unfehlbar, allmächtig, unsterblich?

    Göttliche Attribute, die sich die Herren mit den steifen Gesichtern gern anheften. Sie meinen sie durchaus ernst. Und über die ansonsten im einfachen Volk verbreiteten James-Bond-Klischees – schnelle Autos, attraktive junge Frauen, Sonnenbrillen und exotische Kulissen – können sie sogar lächeln.

    Aber all diese Schablonen sind falsch und verlogen.

    Geheimdienste sind brutale Machtinstrumente der jeweils Herrschenden. Sie machen ihre Protagonisten zu Rädchen in einem für die Betroffenen selbst undurchschaubaren Getriebe, instrumentalisieren Gefühle und Empfindungen und lassen sie wie eine ausgesaugte Frucht fallen, wenn sie nicht mehr »nützlich« sind.

    Viele ihrer Methoden sind in einer kriminellen Grauzone angesiedelt, Unrechtsbewusstsein wird vom alles heiligenden Zweck unterdrückt.

    Wer sich mit dem Geheimdienst einlässt oder in dessen Visier gerät, ist nahezu automatisch auch kriminellen Praktiken ausgesetzt. Als Täter nutzt er sie, als Opfer erleidet er sie. Manchmal sind die Grenzen zwischen beiden auch verwischt.

    Wenn die Schattenmänner dann auch noch einer subtil strukturierten Diktatur dienen, ist die Gefahr einer kriminellen Verstrickung besonders groß. Denn immer geht es um die Macht, immer geht es um aggressive Aktionen, die allein den gewünschten Erfolg versprechen.

    Unter diesem Dach spielen unzählige Geschichten von Hoffnung und Glauben, Verrat und Missbrauch, Enttäuschungen und Betrug.

    Meist sind sie spannend, manchmal unterhaltsam, ein anderes Mal fast unglaublich, skurril und voller schwarzem Humor. Immer aber verbergen sich Tragödien dahinter, weil stets irgendeiner irgendwo auf der Strecke bleibt.

    Transit in den Tod

    Mit dem Blinddarm hatte Heinz Fischer nie Probleme.

    Für den Studenten an der berühmten Universität in Cambridge lief überhaupt alles glatt.

    Das Studium belastete ihn nicht besonders, die Ruderer-Konkurrenten aus Oxford wurden auch immer mal wieder besiegt und Geldsorgen kannte er nicht.

    Nur einmal, das war 1966, ärgerte ihn ein kleiner Zwischenfall; Heinz Fischer hatte seinen deutschen Ausweis verbummelt.

    Doch auch das war kein Problem. Die Bonner Botschaft an der Themse schrieb einfach ein neues Dokument aus.

    Drei Jahre später reist Heinz Fischer damit nach Hamburg. In Deutschlands Medienmetropole redeten damals alle nur von den Wunderdingen, die diese neuen Computer inzwischen so können. Sogar bis auf den Mond hatten es die amerikanischen Apollo-Astronauten mit Hilfe der elektronischen Rechenkisten geschafft. Punktgenau, das hat Heinz Fischer am 20. Juli 1969 mit eigenen Augen im Fernsehen gesehen.

    Natürlich will er auch so einen EDV-Kurs machen und wenn schon, dann gleich richtig. Studieren ist er ja gewöhnt. Die DGB-Bundesfachschule für Datenverarbeitung in Hamburg bietet das Passende für ihn an.

    Das ist der Karriere nützlich. Heinz Fischer steigt wenig später als EDV-Abteilungsleiter bei einer Bank ein.

    Ein paar Jahre lang passiert nichts. Bis zum Frühjahr 1973.

    Heinz Fischer ist inzwischen in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig und die Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz überprüft seine Daten: Brillenträger – stimmt, bis Herbst 1965 der Job beim Bahnpostamt Köln-Deutz – kann sein, Volksschulabschluss – Moment, jetzt werden die Abwehrleute stutzig. Der Mann hat doch in England studiert. Ohne Abi geht das aber nicht!

    Konspirativ gehen sie erst einmal auf Dienstreise nach Köln.

    Natürlich können sich die älteren Kollegen dort noch an Heinz Fischer erinnern. Hat ein bisschen Pech gehabt, der Junge. 1955 aus der Zone in den Westen geflohen, dann von der Freundin verlassen, beruflich ging es auch nicht so recht voran. Gewundert hat sich jedenfalls niemand, als er im Herbst 1965 den Kollegen erzählte, er wolle in die DDR zurück …

    Jetzt ist die Spionageabwehr hellwach. Offenbar sind die Geheimen einem Doppelgänger auf die Spur gekommen. Sie observieren Pseudo-Fischer, denn noch ist ihm kaum etwas nachzuweisen.

    Es ist Sommer und eines Tages geht der Banker in der Elbe baden. Körper unauffällig, keine Narbe, nichts, registrieren die Beschatter routiniert.

    Das ist es!

    Wäre Fischer echt, müsste er eigentlich eine Blinddarmnarbe haben. Ihr Fehlen hat den ansonsten so sorgsam vorbereiteten Doppelgänger aus dem Osten verraten.

    Nun geht die Sache ans BKA, denn der Verfassungsschutz darf nicht so einfach verhaften. Immerhin geht es ja um ein kriminelles Delikt. Wer in Deutschland unter falschem Namen mit falschen Papieren lebt, macht sich strafbar.

    Natürlich vermuten die Ermittler, dass es sich um Spionage für die DDR handeln könnte. Und die funktioniert kaum ohne die sorgsam vertuschte Begleitkriminalität – von falschen Papieren über Nötigung bis zur Erpressung. Kein Jurist, weder im Westen, noch im Osten, unterscheidet zwischen »guten« und »schlechten« Straftaten. Spionage und Landesverrat werden strafrechtlich nicht anders behandelt als zum Beispiel die Kriminalität im Rotlichtmilieu. Helden sind die Täter nur für die jeweils andere Seite. Deshalb sind überstürzte Fluchten und wilde Verfolgungsjagden – meist auch wieder mit hohem kriminellen Potential – an der Tagesordnung.

    So auch in diesem Fall. Als die Fahnder dreimal klingeln, ist Heinz Fischer weg.

    Glück im Unglück für den ertappten Spion: Er hatte sich in eine seiner Kolleginnen verliebt und das passte der Truppe von Markus Wolf in Ost-Berlin nicht. Ohne zu ahnen, dass sich über ihrem Mann in der Hansestadt das Netz bereits eng zusammengezogen hatte, beorderten sie ihn zufällig just in dem Moment hinter den Eisernen Vorhang zurück, als das Greif-Kommando mit dem Peterwagen voran anrückte.

    So glimpflich geht es jedoch nicht immer beim Einsatz an der unsichtbaren Front ab.

    Die doppelte Ute

    Das war doch klar, das hat er doch gleich gewusst. Bremsen quietschen, dann ein dumpfer Schlag. Taxifahrer Horst K. ist Zeuge des Unfalls, den er Sekundenbruchteile zuvor hat kommen sehen. Natürlich funkt er sofort die Zentrale an: »Schwerer Unfall Neue Kantstraße 22«. Es ist 17.21 Uhr und wenig später erscheinen Polizei und ein Krankenwagen der Berliner Feuerwehr.

    Horst K. könnte sich schon wieder aufregen. Wie auf dem Dorf hat sich die junge Frau bewegt! Ohne nach rechts und links zu gucken, durch die Autos durch und rauf auf die Strasse. Wie auf dem Dorf! Und das in Berlin, »inne ßitti«, wie die Kutscher vom »Würfelfunk«-Taxi stolz das Zentrum ihrer halben Stadt seit dem Mauerbau nennen. Und das ganze auch noch acht Tage vor Weihnachten!

    Es ist der 16. Dezember 1968, und Horst K. ein guter Zeuge. Noch während die beiden Feuerwehrmänner die aus einer Kopfwunde blutende Frau bergen, gibt er seine Beobachtungen zu Protokoll. Kaum zu sehen war die junge Frau an diesem düsteren Nachmittag, trotz ihres hellen Popelinemantels. Und sie hat weder nach links, noch nach rechts geguckt. Das hat er doch gleich gewusst, das konnte doch nur mit dem Schlimmsten enden …

    Das sieht ein paar Monate später auch das Jugendschöffengericht so: »Das Opfer hat durch verkehrswidriges Verhalten seinen Tod mitverschuldet«, stellen die Richter fest. Der 20-jährige Unfallfahrer, Norbert W. aus Charlottenburg, kommt in der ersten Instanz mit einer Geldbuße von 800 DM wegen »fahrlässiger Tötung« davon.

    Minuten nach dem Unfall war die bewusstlose Frau damals ins Westend-Krankenhaus eingeliefert worden. Die etwa 30-Jährige hatte keine Papiere dabei, aber ein Notizbuch mit einer Telefonnummer in Frankfurt am Main.

    Der ermittelnde Polizeibeamte ruft dort an. Ein Kaufmann ist am Apparat, der sich auch sofort erinnert: Ja, einer Frau Ute Schwarzer* habe er in Berlin seine Nummer gegeben. Nein, ein Irrtum ist nicht möglich. Sie ist Lehrerin in Hannover und wollte sich bei Gelegenheit mal melden. So haben sie es nach ihrem Ku’damm-Bummel verabredet. Dann hat er die Dame ins Hotel »Frühling« am Zoo gebracht. Natürlich in der Lobby verabschiedet, er kannte Ute Schwarzer ja kaum.

    Im gewohnten Trott macht sich die Polizei an die nun nötige Routinearbeit. Im Hotel wird sie fündig und findet im Zimmer der Verunglückten einen auf Ute Schwarzer ausgestellten Reisepass mit der Nummer C 0842 98. Die Daten werden nach Hannover übermittelt, schließlich können die Kollegen dort auch mal etwas tun. Außerdem ist das Überbringen einer Unglücksnachricht ohnehin kein angenehmer Job.

    Der Beamte in Niedersachsen hat dennoch kein Problem damit, denn Ute Schwarzer öffnet ihm persönlich, als er klingelt. Die Lehrerin kann ohne lange zu suchen, auch ihren Pass vorweisen. Er trägt die Nummer C 2921 087.

    Darüber geht nun eine Meldung nach Berlin, denn irgendwas stimmt ja wohl nicht an der ganzen Sache.

    Dort war die nun wieder völlig unbekannte Frau im Westend-Krankenhaus nicht mehr erwacht und Stunden nach dem Unfall an »Gehirndruck« verstorben. Ihre sterbliche Hülle wird ins Leichenschauhaus Invalidenstrasse 59a in Moabit gebracht.

    In der geteilten Stadt kann solch ein mysteriöser Fall schnell einen politischen Hintergrund haben. Deshalb ermitteln nun die Beamten der Abteilung I, die für die politischen Fälle zuständig sind. Sie fangen noch einmal ganz von vorne an.

    In der braunen Lederhandtasche der Toten finden sie einige Packungen DDR-Zigaretten der Marke »Belvedere«. Beim weiteren Stöbern kommt dann ein Geheimfach zum Vorschein. Darin stecken 200 West-Mark und eine Ansichtskarte mit einem unverfänglichen Text, aber einer Adresse in der DDR.

    Den Reisepass haben sich indes die Kriminaltechniker vorgenommen. Schnell erkennen sie eine Totalfälschung. Der Name wurde von Ute Schwarzer »entliehen«, die Passnummer von einem anderen Hannoveraner Bürger.

    Nun wandert der Vorgang an die Spionnagabwehr beim Verfassungsschutz. Dort ist man sich sicher, dass der gefälschte Pass und die Handtasche mit dem »Container« aus Ost-Berliner Werkstätten stammen. Die Stasi ist für die Machart von derartigem Reisegepäck einschlägig bekannt.

    Die Fremde dürfte sich in West-Berlin auf dem Weg zu einem Spionageauftrag irgendwo hinter dem Eisernen Vorhang befunden haben, als ihre Reise zum Transit in den Tod geriet.

    Aber wie heißt die dunkelhaarige Frau im Leichenschauhaus? Die Ermittlungen zu dem Unfall mit Todesfolge in der Neuen Kantstrasse stecken in der Sackgasse, denn von der Stasi ist kaum Auskunft zu erwarten.

    Doch plötzlich geschieht etwas, was jeder durchschnittliche Krimi-Autor mit dem Satzklischee vom »Eingreifen des Kommissars Zufall« beschreiben würde.

    Per Telefon meldet sich nämlich der West-Berliner Anwalt Jürgen Stange und begehrt im Auftrag seiner Ost-Berliner Mandanten die Genehmigung zur Überführung der Leiche in die DDR. Den Namen der Toten gibt er mit Gerda Kabel* an, geboren am 14. April 1939 in Chemnitz, jetzt Karl-Marx-Stadt.

    Nun werden die Verfassungsschützer hellhörig, denn Jürgen Stange ist kein Unbekannter im west-östlichen Agententauschgeschäft. Er hatte mit seinem Ost-Berliner Kollegen Wolfgang Vogel im Februar 1962 die Freilassung des amerikanischen Piloten Gary Powers gegen den Sowjet-Spion Rudolf Abel gemanagt, der mit richtigem Namen William Genrichowitsch Fisher heißt.

    Schnell wird nun klar, dass auch der Schlüssel für die Rückführung der Leiche Gerda Kabels alias Ute Schwarzer im geheimdienstlichen Dunstkreis zu suchen sein würde.

    Und so ist es auch: Das Ministerium für Staatssicherheit hatte die Eltern der jungen Frau in der DDR informiert, dass ihre Tochter in West-Berlin ums Leben gekommen sei. Die wiederum baten Anwalt Stange mit Duldung der Ost-Berliner Behörden, die Überführung zu bewerkstelligen.

    Das ist kein Problem, aber die Lösung des Falls hat ihren Preis.

    Der Senat lässt Jürgen Stange wissen, dass er an einem Agentenaustausch durchaus interessiert sei und im Gegenzug zwei in der DDR inhaftierte West-Späher erwarte. Ohne lange zu zögern, stimmt die DDR zu.

    Am 27. Dezember 1968 holt ein Leichenwagen des Ost-Berliner »Städtischen Bestattungswesens« den Sarg in der Invalidenstrasse West ab und verschwindet damit über den gleichnamigen Grenzübergang Richtung Osten.

    Per S-Bahn kehren wenige Stunden später zwei BND-Spione aus der DDR-Haft nach West-Berlin zurück.

    Damit hat die Stasi zwar keinen besonders guten Tausch gemacht, aber so ist die peinliche Angelegenheit wenigstens vom Tisch.

    Im Westen spekulieren noch ein paar Zeitungen, ob die Stasi bei dem Unfall in der Kantstraße nicht ein wenig nachgeholfen haben könnte, doch das bleiben Vermutungen.

    Im Osten wird die Aktion Rückführung ausgewertet und durchaus kritisch gesehen. Immerhin musste die Stasi den Namen der Toten preisgeben und deren letzte Reise außerdem noch mit zwei »Faustpfändern« bezahlen – es ist der Preis für die kriminellen Aktivitäten in der anderen Hälfte der Stadt. Das soll nicht wieder vorkommen.

    Deshalb lassen sich die Genossen in der Normannenstraße ein paar Jahre später etwas ganz anderes einfallen, als »die Freunde« vom KGB bei einer ihrer kriminellen Aktionen Hilfe brauchen.

    Mit der Geisterbahn nach West-Berlin

    »Naa’sche«, die unseren, nennen die Russen ihre DDR-Untertanen. Das klingt zwar familiär, aber lässt auch erkennen, wer das Sagen hat. Die »richtigen Deutschen«, die aus »Germanija«, sind für die Genossen in Moskau eher jene, die hinter dem Eisernen Vorhang stecken.

    Ihr Geheimdienst KGB hat natürlich beide Sorten fest im Auge. Über sie wachen rund 1000 KGB-Männer und einige wenige Frauen. Ihr Hauptquartier befindet sich im Ost-Berliner Stadtteil Karlshorst.

    Von dort geführte Spionageaktionen im »Operationsgebiet« sind mehrfach gesichert. Nur der Führungsoffizier kennt den Namen des Agenten, dessen gesamtes Umfeld peinlich genau überwacht wird.

    Ist der geheime Späher an der unsichtbaren Front dann auch noch aus familiären Motiven Spion geworden, wird das um so schwieriger.

    So wie bei Josef Springer*. Seit 1977 dient der West-Berliner Journalist dem KGB. Er meint, damit eine Dankesschuld gegenüber seinen Eltern abtragen zu müssen.

    Springers Vater musste als Jude 1937 Hals über Kopf seine Heimat Österreich verlassen. Seine Mutter war Kommunistin und brachte sich ebenfalls vor den Nazis in Sicherheit. Beide wanderten nach Südafrika aus.

    Dort störte sie nach dem Krieg zunehmend die Apartheid-Politik, die ihnen schließlich ein ruhiges Weiterleben am Kap unmöglich machte. Über die Bundesrepublik zogen die alten Springers in die DDR, weil sie meinen, dort ihre wahre Heimat finden zu können.

    Im »ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden« bringt der Vater seinen Sohn mit dem KGB in Kontakt.

    Das ist nicht nur ein Gastgeschenk für die neuen Asyl-Geber. Vater Springer ist ehrlich davon überzeugt, eine Hilfe für die Sowjetunion wäre immer auch ein Stückchen Kampf gegen die Apartheid. Der scheint ihm bitter nötig, doch selbst kann er ihn nicht mehr leisten. Der dankbare Sohn ist aber bereit, das für die Familie zu tun.

    Schon als Volontär und später dann als junger Reporter zweier West-Berliner Zeitungen liefert er Stimmungsberichte an die Sowjets. Dann, von 1984 bis 1987, wird er einer der Redenschreiber des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen und hat so die Möglichkeit, interne Stimmungsbilder aus der CDU und dem Senat zu verraten.

    Ab 1988 arbeitet Josef Springer in der Presseabteilung der US-Mission. Nun tun die Russen alles, um ihre potentielle Spitzenquelle bei den Amerikanern zu schützen.

    Doch das ganze Geheimdienstgeflecht droht zu zerreißen, als Josef Springers Mutter Mitte 1988 im Berliner Ostsektor verstirbt. Herzversagen, so wie es bei älteren Leuten oft vorkommt.

    Dass der Mitarbeiter der US-Mission bislang peinlich verschwiegene Verwandtschaft im Osten hat, muss unbedingt geheim bleiben. Deshalb greift die KGB-Einsatztruppe zu einem rüden Mittel, um sich der Leiche der Frau zu entledigen: Die Tote wird eines Nachts einfach in eine der im Transit unter Ost-Berlin verkehrenden West-U-Bahnen gesetzt.

    Dazu reicht ein kurzer Stopp irgendwo zwischen Jannowitzbrücke und Rosenthaler Platz in Ost-Berlin. Die Grenzer sind vorsorglich für ein paar Minuten abgezogen und die West-Züge fahren ohnehin im Schritttempo durch die unbeleuchteten und verdreckten Geisterbahnhöfe im Osten.

    Im Westen soll man die Tote finden und denken, sie sei während eines Besuches bei ihrem Sohn in West-Berlin verschieden.

    So läuft es wohl auch und ohne das Ende des Kalten Krieges wäre Frau Springers letzte Reise ewig geheim geblieben.

    Da das KGB die Rückkehr der Toten aus der »Hauptstadt der DDR« per Geisterbahn aber nicht ohne die Mithilfe der Stasi bewerkstelligen konnte, fand sich dort nach dem Ableben der DDR auch jemand, der die Räuberpistole den bundesdeutschen Behörden erzählte.

    Josef Springer fliegt auf und gesteht. Das wirkt strafmildernd und so bringt ihm seine Spionage im Juni 1992 nachträglich nur noch 18 Monaten auf Bewährung und 20 000 Mark Geldbuße ein. Außerdem muss er seinen KGB-Agentenlohn von 3 000 Mark an die Staatskasse abgeben.

    Und eine als »unbekannte Tote« bestattete Leiche hat wieder ihren Namen bekommen.

    Der scheintote Verfassungsschützer

    Regierungsamtmann. Das klingt zwar ganz gut, aber in der deutschen Beamten-Hierarchie ist der schöne Titel nicht allzu viel wert. Für NichtAkademiker so um die 40 fast das Ende der Fahnenstange, Gehalt nach A 11, rund 3 500 Mark. Bis zum Oberamtsrat kann man noch klettern, aber damit ist dann die Karriere beendet.

    Und die vier Männer in der »Groß-Destille« nahe der Schöneberger Hauptstrasse sind alle so um die 40. Bei den letzten Beförderungen im Frühjahr 1982 war keiner von ihnen dabei.

    Dabei sitzen sie in ihren getarnten Büros rings um die Hauptstrasse und am Fehrbelliner Platz gerade einmal fünf Busstationen von der Front entfernt. Für die Spionageabwehr hier in West-Berlin verläuft diese nämlich direkt an der Mauer.

    Das schmerzt. Die jungen Schnösel von den Unis, Juristen meist, ziehen an den Frontschweinen vorbei. Deren Erfahrung ist offenbar nicht mehr so viel wert, wie irgendwelche Zeugnisse. Früher war das anders.

    Wer wollte denn schon nach dem Mauerbau nach Berlin. Ohne eine anständige Zulage und die Aussicht auf eine schnelle Karriere lief da gar nichts. Und jetzt tritt man die Mühle und bleibt beim Regierungsamtmann hängen.

    Bernhard Spitzwald* will da raus. Natürlich ist er frustriert, deshalb zieht er ja auch mit den Kollegen eine Molle mit Korn nach der anderen. Abgelehnt haben sie ihn, einfach abgelehnt. Ohne Begründung, man ist ja beim Geheimdienst.

    Nach West-Deutschland wollte Bernhard Spitzwald, nach Hannover. War ja auch schon alles klar, der Job beim Verfassungsschutz in Niedersachsen schien wenigstens bis zur A 13 gesichert. Das wären dann runde 4 200 Mark im Monat. Damit lässt es sich schon leben und die Pension stimmt auch. Bernhard Spitzwalds Bewerbung lief ohne Probleme durch, in Berlin saß der Nachfolger für die Planstelle schon bereit.

    Ob er solch ein Händchen wie Bernhard Spitzwald gehabt hätte, sei mal dahingestellt. Als »Schleusenwärter« arbeitete der Experte im mittleren Dienst für den Verfassungsschutz. Sein Job ist es, die jeweils aktuellen Visa- und Kontrollstempel mitsamt ihren geheimen Zeichen aus dem Osten zu beschaffen. »Ich sage euch, auf den i-Punkt kommt es an, auf irgendeinen Fleck, der wie ein verwischter Popel aussieht, oder auf die scheinbar zufällig fehlende Schlinge unter dem a!« Bernhard Spitzwald hatte da seine Erfahrungen.

    Der sichere Rücktransport des ostdeutschen Atomspions Reiner Fülle in den Westen ging auf sein Konto. Als Operation »Veronika« lief er bei der Truppe. Er hatte für die Passfälscher von der CIA die Vorlagen besorgt, als der in die DDR geflohene Mann damals, Anfang September 1981, zurück in den Westen wollte. Trotz Villa in Kleinmachnow, Boot und zwei Autos von der Stasi gefiel ihm der Sozialismus dann doch nicht so

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