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Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte
Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte
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eBook523 Seiten9 Stunden

Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte

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Über dieses E-Book

Die Treuhandanstalt gehört zu den schmerzlichen Erinnerungen an die deutsche Einheit. 25 Jahre nach ihrem Ende ist das Echo der Wut noch nicht verhallt. Klaus Behling hat seit 1990 die Anstalt beobachtet, mit Managern aus dem Westen und Arbeitslosen aus dem Osten gesprochen, Betriebe besucht und Akten gewälzt. Daraus entstand eine Bilanz, die einige Erfolge beim Neustart der früheren DDR-Wirtschaft ebenso zeigt, wie die vielen Hoffnungen, die in Enttäuschungen endeten. Behling untersucht die historischen Wurzeln der Treuhand, ihre Verwandlung in eine undurchsichtige Behörde, die die Wirtschaft eines ganzen Landes abschaffte, und fand Spuren von Kriminellen, die Millionenvermögen ergaunerten. Klar wird: Auch auf kommende Generationen wird die längst verschwundene Treuhand noch Einfluss haben.
Das Folgen der Treuhand in der Langzeit-Perspektive - eine historische Spurensuche der besonderen Art. Sehr aufschlussreich!
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Berolina
Erscheinungsdatum5. Nov. 2015
ISBN9783958415171
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    Buchvorschau

    Die Treuhand - Klaus Behling

    www.buchredaktion.de

    Ein Wort voraus:

    »Helmut, nimm uns an die Hand …

    … zeig uns den Weg ins Wirtschaftswunderland«.

    Die blonde Mittdreißigerin, die am 19. Dezember 1989 in Dresden unter einem Transparent mit diesen Worten stand und begeistert dem extra eingeflogenen Bundeskanzler Helmut Kohl zujubelte, war sorgfältig frisiert, trug eine Wolljacke im DDR-typischen »Exquisit«-Chic und darunter eine weiche, braune Lederhose, die im Westen gerade aus der Mode gekommen war und nun per Paket gern den armen Brüdern und Schwestern geschickt wurde. Wohlgefällig strich sie einem zwölfjährigen Jungen über den Kopf, und nur als »Deutschland, Deutschland über alles« angestimmt wurde, klang ihre Melodie noch ein wenig nach »Auferstanden aus Ruinen«. Der ins Gesicht gemeißelten Erhabenheit des Augenblicks schien es keinen Abbruch zu tun. Die Dame meinte es ernst.

    Nur wenig mehr als ein Jahr später hatten sich die Aufschriften auf den Transparenten gewandelt. »Treuhand – Kohls Mafia in Ostdeutschland«, »Soll die Arbeitslosigkeit in den Bürgerkrieg führen? Dann weiter so!« oder »Vielen Dank Treuhand für die aktive Sterbehilfe« stand jetzt darauf.

    Was dazwischen lag, gehört zur Geschichte der mächtigsten und undurchsichtigsten Behörde, die es jemals in Deutschland gab. Sie begann ihr Werk noch zu DDR-Zeiten und wurde nach der Einheit zum Symbol der westlichen Dominanz über die beigetretene DDR. Mit rund 200 Kilometern Aktenbestand nach nur vier Jahren Tätigkeit ist die Hinterlassenschaft der Treuhand noch um einiges länger, als das Erbe der Stasi nach vierzig Jahren Überwachung des DDR-Volkes. Im Gegensatz zu deren Papieren sind die der Treuhand jedoch nicht öffentlich zugänglich. Sie verhandelte geheim, kontrollierte sich selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nutzte stets das Schwert »Datenschutz« zur Verteidigung und verströmte einen undurchdringlichen Nebel von Selbstbeweihräucherungen, statt verlässliche Bilanzen, Abrechnungen und Zahlen zu publizieren.

    Im Stillen verlief das trotzdem alles nicht. Biedere Bürger legten sich mit der Polizei an und manche droschen schon mal mit einem Knüppel auf ein Treuhand-Schild ein. Zum Beispiel Klaus-Dieter Schäfer am 17. Mai 1993, Kali-Kumpel aus Bischofferode und damals 48 Jahre alt. Inzwischen sind die Wunden auf der Seele vernarbt, aber nicht geheilt. »Ein bisschen knurrt es einen immer noch«, sagt Schäfer fast 25 Jahre später. Ähnlich ist es auch von anderen im Land zu hören. Die schicksalhaften Gemeinsamkeiten beim wirtschaftlichen Umbau Ostdeutschlands haben sich längst wieder in individuelle Lebenswege aufgelöst. Für Klaus-Dieter Schäfer kam 1993 nach 26 Jahren im Kali-Werk das Aus. Es folgten noch zwei Jahre Abrissarbeiten, dann eine kurze Zeit in einer Auffangfirma, Arbeitslosigkeit und schließlich der Herzinfarkt. »Seitdem habe ich Rente gekriegt. Da kann man sagen: Arbeitslos macht krank«, sagt Schäfer.

    Nicht für alle endete es so dramatisch, für viele aber ähnlich. Die neunziger Jahre prägte die Generation jener, die in der DDR aufgewachsen waren und dort ihr Leben eingerichtet hatten. Das wollten sie 1989 verändern. Wie tiefgreifend diese Veränderungen werden würden, ahnte damals jedoch kaum jemand. Die Reaktionen waren weitgefächert. Manche besetzten ihre Betriebe, um sie vielleicht doch noch zu retten, etliche resignierten und erstickten den Frust im Alkohol, einige rappelten sich trotz alledem auf.

    Und immer wieder gab es wütende Ausbrüche. Am 14. August 1990 kippten Bauern ihre Produkte vor die Volkskammer. Als Staatssekretär Günther Krause (CDU) einen Tag später mehr als 60.000 aufgebrachte LPG-Abgesandte auf dem Ostberliner Alex beruhigen wollte, wurde er damit beworfen. Seine Sekretäre zählten achtzehn Einschläge von Eiern und zwölf von Tomaten auf dem schicken Anzug. Krause: »Das konnte man so an den Beulen im Gesicht ausmachen und an den Kleidungsstücken.« Der Staatssekretär war so sauer, dass er am liebsten zurückgetreten wäre.

    Eine verlässliche Bilanz des damaligen Geschehens macht das alles aber auch noch nach 25 Jahren schwer. Die Zeitzeugen schweigen oder schimpfen, die Profiteure verweigern die Auskunft über ihren damaligen Geldsegen oder sind ganz von der Bildfläche verschwunden, und die ehrlichen Makler haben es satt, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Der Augenschein auf Indus­triebrachen und Ruinen einstiger DDR-Betriebe verstellt den Blick für die Realität des tatsächlich Erreichten. Der oft überschäumende Jubel darüber lässt manchmal vergessen, dass Geschichte eher einen langen Atem braucht. In Büchern und Filmen werden die Schlachten von gestern noch einmal geschlagen. Wer dann letztlich gewonnen hat, hängt vom Blickwinkel auf das anvisierte Publikum ab. Die Darstellung der Treuhand ist der letzte Schützengraben im Kalten Krieg.

    Vor diesem Hintergrund kann es nur eine Spurensuche im Labyrinth geben. Sie offenbart das ganze Spektrum von Hilfe, Versagen und Erfolg über die politische Dominanz und die Macht des Geldes bis hin zum kriminellen Ausnehmen der »Brüder und Schwestern«.

    Die Geschichte der Treuhand ist die Folge des gescheiterten Gesellschaftsmodells des Sozialismus. Als das 1949 in der DDR begann, hatte Friedrich Dürrenmatt ein halbes Jahr zuvor am Stadttheater Basel seine Komödie Romulus der Große aufführen lassen. Dort sagt einer der Protagonisten: »Wir müssen zwischen einem katastrophalen Kapitalismus und einer kapitalen Katastrophe wählen.« Die Treuhand hat beides zugleich geschafft. Gut vierzig Jahre später erzählte Günter Grass seine Geschichte der deutschen Einheit. Er wollte sein Buch Die Treuhand nennen. Doch dann erinnerte er sich an Theodor Fontane und machte Ein weites Feld daraus. Für seine Bewertung der gerade verblichenen DDR als »kommode Diktatur« waren ihm manche böse. Vielleicht wäre das beim ursprünglich ins Auge gefassten Titel nicht der Fall gewesen, denn auch die Treuhand diktierte vielen, wie sie den Rest ihres Lebens zu verbringen hätten. Sie polarisierte die Meinungen und beansprucht bis heute gemeinsam mit der damaligen Bundesregierung die Deutungshoheit über die verschlungenen Wege in die wirtschaftliche Einheit. Vielleicht liegt hier ein Kern für den Zorn auf Günter Grass. Dennoch passte sein Titel letztlich viel besser zu den vielen verschiedenen persönlichen Erfahrungen von Betroffenen und Beobachtern. Sie eint die Erfahrung, dass alles Ein weites Feld war.

    Heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn des Weges in die Marktwirtschaft, bestimmt die Erinnerung den Blick darauf. Sie vergoldet und dramatisiert, manchmal täuscht sie, manche Perspektiven verschieben sich.

    Danach soll hier gefragt werden. Welche Zwänge der Politik wirkten, als alles begann? Was ist aus den Schlagzeilen von damals geworden, die viele bewegten, dann aber schnell vergessen waren? Was steckte hinter manchen Entwicklungen, die erst Leute auf die Straße brachten und bald darauf stillschweigend im Sande verliefen? Wo blieben die Steuermillionen, wem gehört heute eigentlich was?

    Solange es Menschen gibt, die das erlebt haben, wird es auch verschiedene Meinungen darüber geben. Sie sollen hier dargestellt werden – um die »einzig wahre Geschichte der Treuhand« geht es dabei nicht.

    1. Der schöne Traum vom

    großen Geld

    Ein paar Tage nach dem Mauerfall rollte ein großer Daimler durch die Potsdamer Seestraße. Aufmerksam musterte der Mann am Steuer die Villen am Heiligen See. In einer residierte die französische Militärmission, in einer anderen die britische. Der Rest der Häuser ließ alte Pracht nur noch erahnen. In einem Garten goss eine Frau ihre Radieschen. Der Mann hielt und stieg aus. Nach einem kurzen Gespräch über den Zaun bat sie ihn zum Kaffee auf die Terrasse. Noch herrschte die Euphorie über den Mauerfall. Vom Haus aus konnte man die weiße Wand sehen, die den Neuen Garten verschandelte. Der Wachturm an der Uferbiegung war noch besetzt. »Schön haben Sie’s hier«, sagte der Mann und die Frau bestätigte es: »Wenn die Mauer erst verschwunden ist, können wir vielleicht sogar die Pfaueninsel sehen.« Der Mann beugte sich vor: »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wohin Sie dann ziehen?« Die Frau lachte: »Ich zieh hier doch nicht weg – ist doch alles Volkseigentum!«

    Schon wenige Wochen später machten sich die ersten so ihre Gedanken, ob und wie dieses »Volkseigentum« tatsächlich Eigentum des Volkes werden könnte. Für die Menschen war es bis dahin immer nur ein sehr abstrakter Begriff. Darüber verfügen, wie über »richtiges« Eigentum, konnten sie nicht. Tat es doch jemand, führte es die einen hinter Gitter, die anderen auf den nächsthöheren Sessel im Staats- oder Parteiapparat. Unter anderem der Wunsch nach Abschaffung dieser Ungerechtigkeit hatte die Leute auf die Straße getrieben. Ihre ersten Vorwürfe gegen ihre Regierenden richteten sich nicht gegen die Todesschüsse an der Grenze oder die Gummiparagraphen im Recht, sondern betrafen deren »Amtsmissbrauch und Korruption«. Eine Neuregelung des Eigentums würde mehr Gerechtigkeit schaffen – das war die unterschwellige Hoffnung. In ähnliche Richtung, nur unter umgekehrten Vorzeichen, hatte 150 Jahre zuvor ja auch schon Karl Marx gedacht, und wer sich heute »links« fühlt, pflegt immer noch die fragwürdige Annahme, dass Gleichheit automatisch die ersehnte Gerechtigkeit schaffe.

    Doch bevor darüber vielleicht geredet würde, musste erst einmal festgestellt werden, was und wie viel überhaupt da war. Niemand kannte die Zahlen und auf die Statistik der DDR war wenig Verlass. Inzwischen hatte Hans Modrow von der zur SED-PDS umbenannten und bereits entmachteten einstigen Staatspartei das Amt des Ministerpräsidenten übernommen. Von ihm und seinen Leuten wurde erwartet, den »Wert des Volkseigentums« zu beziffern. Das war schwierig, denn in der DDR fehlte der Markt mit seinen Preissignalen. Wer seinen Produktionsplan erfüllte, schuf für die Abrechnung »Wert«, ganz egal, ob Ladenhüter oder Verkaufsschlager herausgekommen waren. Diese Art des Rechnens würde sich in jedem Fall ändern, in welche Richtung schien noch offen. Dennoch versuchten die Ökonomen schon mal, den »Substanzwert« festzustellen. Das blieb eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Trotzdem verkündete Hans Modrow am 13. Februar 1990, das »Nettoanlagevermögen« der DDR würde rund 1,4 Billionen Mark betragen. Das war wohl zu optimistisch.

    Deshalb ließ seine Wirtschaftsministerin, Christa Luft, ebenfalls SED-PDS, nachrechnen. Eigentlich hatte die Professorin für Außenhandel und internationale Wirtschaftsbeziehungen und Rektorin an der Berliner Hochschule für Ökonomie keine großen Ambitionen auf politische Ämter. Aber ihre Partei rief sie, und die Praxis lockte wohl auch. Das Ergebnis ihrer Rechnung zum Vermögen des in schwerem Sturm schwankenden Staates ließ die Propagandablase von der DDR als eine der weltgrößten Industrienationen platzen. Das Land war längst zum Billiglohn-Zulieferer für den Westen geworden. Durch die hoffnungslos veraltete Technik wurden viele Produkte im Osten fünf- bis zehnmal teurer als dort hergestellt.

    Zu ignorieren, dass die DDR immer ärmer wurde, je mehr sie produzierte und verkaufte, gehörte zu den Lebenslügen der SED-Führung. Noch nach seinem Sturz schwärmte Erich Honecker vom »Zuwachs beim Nationaleinkommen« und in der industriellen Warenproduktion und rechnete sich das als Verdienst an: »Dieser Zuwachs wurde in der Hauptsache erreicht durch Investitionen. Rund 50 Prozent der Grundfonds der DDR waren nicht älter als fünf Jahre …« Offenbar wagte es zuvor lange niemand, ihm zu sagen, wie es tatsächlich hinter den extra gemalerten Fassaden aussah, wenn er mal »die Republik« besuchte.

    Christa Luft wusste das aus ihren Forschungen besser: »1989 betrug das Durchschnittsalter aller Indus­trieausrüstungen in der DDR etwa 18 Jahre. Die vergleichbare Größe für das produzierende Gewerbe der Bundesrepublik lautete acht Jahre. Nur gut 20 Prozent der Ausrüstungen waren in der DDR jünger als fünf Jahre, 45 Prozent jünger als zehn und etwa 25 Prozent waren länger als 20 Jahre in Betrieb, einige stammten noch aus der Zeit vor dem Kriege.«

    Aus jener Zeit kamen auch die für die Volkswirtschaft wesentlichen Teile der Infrastruktur – insbesondere Verkehrs- und Kommunikationswege –, die zudem vierzig Jahre lang physischem und moralischem Verschleiß unterlagen. Neu entstanden war hingegen eine erhebliche Umweltbelastung. Bis heute nahezu unbekannt ist, dass Ende 1989 in der DDR 598 Betriebe wegen Verletzung der Umweltstandards nur mit vom Gesundheitsministerium erteilten Ausnahmegenehmigungen arbeiteten. In den Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wurde auf Initiative der West-SPD die Verpflichtung aufgenommen, in der DDR-Wirtschaft die westdeutschen Umweltstandards einzuführen. Der DDR gelang es, sie auf fünf Jahre zu strecken, andernfalls hätten diese Betriebe bereits zum 1. Juli 1990 geschlossen werden müssen.

    Der reale Zustand der DDR-Wirtschaft führte bis Ende 1989 zu einer stark negativen Umsatzrentabilität, die bis zu Honeckers Sturz einfach nicht ausgerechnet wurde. Im zweiten Halbjahr 1990 geschah das dann zum ersten Mal. Es erbrachte ein ebenso ernüchterndes wie bedrohliches Ergebnis: Elektrotechnik minus 50,82 Prozent, bei Glas und Keramik minus 70,48 Prozent, im Maschinenbau minus 38,45 Prozent und in der Textilindustrie minus 41,98 Prozent. Im Außenhandel, einem wirtschaftlichen Standbein in einem Land mit der ökonomischen Struktur Deutschlands, hatte das in der DDR über Jahre zu Verlusten geführt. Erwirtschaftete die Bundesrepublik allein durch die Differenzen zwischen Export- und Importpreisen, im Fachjargon terms of trade, zwischen 1971 und 1987 einen Gewinn von 156 Milliarden US-Dollar, machte die DDR im gleichen Zeitraum daraus 22 Milliarden US-Dollar Minus.

    Wie Erich Honecker dennoch zu seinem Traum von der modernen DDR-Wirtschaft kam, erklärte sein Politbüro-Kollege Günter Schabowski: »In Wirtschaftsfragen vertraute Honecker blind auf Günter Mittag. Der ließ 1983 ohne Wissen des Politbüros durch eine von ihm verfügte ›staatliche‹ Verordnung die normative Nutzungsdauer vieler Maschinen um acht Jahre verlängern. Durch einen bürokratischen Federstrich wurde die technologische Verschlissenheit und Rückständigkeit einfach weggebucht. So wurden dann ›Mittel freigemacht‹, die in Honeckers Lieblingskind ›Mikroelektronik‹ flossen. In den anderen Bereichen verzehrten wir dafür praktisch die Substanz.«

    Die vielen weiteren gravierenden Probleme, wie etwa die Umweltbelastung und die marode Infrastruktur, unterlagen überdies ohnehin einem Tabu und tauchten somit in keiner Abrechnung oder Planung auf.

    Trotz alledem schätzte Christa Luft das Nettoanlagevermögen der DDR im Mai 1990 immerhin noch auf rund 900 Milliarden Mark. Dieses Vermögen hatte die Regierung zusammenzuhalten.

    Die Bewegung zum Sturz des SED-Regimes stellte in ihren Anfängen nicht die weitere Existenz des Sozialismus in Frage, aber inzwischen war die Stimmung gekippt. Nach dem »realen Sozialismus in den Farben der DDR« nun ein neues Experiment mit der Suche nach Demokratie und Gerechtigkeit zu beginnen, schien vielen müßig. Schließlich gab es ja den anderen Teil Deutschlands. Durch das Schaufenster von Fernsehen, eigenen Westreisen und Besuchen von dort, Paketen und der Intershops in der DDR entstand der Eindruck, dort wäre die Welt in einer Ordnung, die auch für das eigene Leben erstrebenswert sei. Berichte von sauberen, gepflegten und bunten Städten, bequemen und modernen Verkehrsmitteln und übervollen Läden bestimmten dieses Bild. Sogar der Himmel strahlte dort blauer und die Wiesen grünten kräftiger, glaubte man den Berichten der Hunderttausenden von Leuten, die seit 1986 auch unterhalb des Rentenalters in den Westen reisen durften. Warum sollte man also nicht den Weg in Richtung »Deutschland, einig Vaterland« wählen?

    Dass dafür vorher geklärt werden musste, was aus dem »Volkseigentum« würde, interessierte nur wenige. Für die meisten war es etwas, über das sie ja ohnehin nicht verfügten.

    Für die politisch Verantwortlichen stellte sich das anders dar. Sie standen in der Pflicht, das geheimnisvolle Eigentum vor allem erst einmal zu sichern. Wie viel es eigentlich war, würde man vielleicht später sehen. So entstand unter dem Druck der friedlichen Revolution die Idee der Gründung einer »Treuhand«. Sie sollte das »Volkseigentum« für jene bewahren, die es erarbeitet hatten. Als Vermögenswert wurde dabei die von Christa Luft errechnete Größenordnung angenommen. Der aus dem Westen importierte Treuhand-Verwaltungsrat Claus Köhler erklärte später zu dieser Bilanz der Modrow-Regierung: »Sie wies per Ende 1989 ein Bruttovermögen von 1.420 Milliarden Mark auf. Nach Abrechnung aller Verbindlichkeiten und Rückstellungen ergaben sich 924 Milliarden Mark als Nettovermögen der DDR. Zieht man davon noch die nicht von der Treuhand zu verwaltenden Teile wie Post, Bahn, Kommunalvermögen, Wohnungsgesellschaften und so weiter ab, bleiben rund 620 Milliarden Mark übrig.«

    Diese Rechnung war Hintergrund der bis heute gern zitierten Bemerkung des ersten Treuhand-Chefs, Detlev Karsten Rohwedder, »der ganze Salat« sei rund 600 Milliarden Mark wert. Sie wurde von seiner Nachfolgerin Birgit Breuel übernommen. Sie zitierte Rohwedder noch im Spätherbst 1993: »Das Ganze ist etwa 600 Milliarden Mark wert.« Inzwischen hieß auch die Währung im Osten »Deutsche Mark« (DM). »Offiziell« galt stets ein Kurs von eins zu eins zur West-Mark, so dass auch die erhoffte Mitgift der DDR nicht umgerechnet wurde. Wie damit zu verfahren sei, wurde bereits seit Februar 1990 überlegt.

    Suche nach dem »dritten Weg« und die

    Treuhand-Idee

    Eine »Treuhand« ist zunächst erst einmal nichts anderes als ein Vertragsverhältnis. Dabei gibt der Eigentümer einer Sache als »Treugeber« diese dem »Treunehmer« oder »Treuhänder«. Der übt dann damit alle mit dem Eigentum verbundenen Rechte im eigenen Namen, jedoch nicht zum eigenen Vorteil, aus. Ob der »Treunehmer« oder »Treuhänder« nach außen als Eigentümer oder nur als Verwalter des Besitzes des »Treugebers« auftritt, ist Sache der Vertragsformulierung. Wichtiger sind die »treuen Hände«, denen das Eigentum anvertraut wird.

    1989/90 wussten viele, wer »untreue« Hände gehabt hatte, aber niemand, wem man noch vertrauen könne. Die am 18. November 1989 unter Hans Modrow gebildete Regierung war durch keine demokratische Wahl legitimiert. Trotzdem verpflichtete sie die Verfassung der DDR, das »Eigentum des Volkes« zu schützen.

    Allen schien klar, dass dies nicht mehr so wie bisher, durch die Dominanz einer Partei, erfolgen konnte. Der bislang in der Verfassung festgeschriebene Führungsanspruch der SED war bereits verschwunden. Hans Modrow und seine Leute traten jedoch auch nicht an, um »den Sozialismus« abzuschaffen. Wege, wie die Wirtschaft zwischen neuen Ideen und dem Beharren auf dem Marxschen Dogma entwickelt und gelenkt werden könnte, wurden gesucht. Finden sollte sie die neu eingerichtete »Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform«. Unter Leitung und Aufsicht von Wirtschaftsministerin Christa Luft begann sie sofort nach der Regierungsbildung damit, nach Strategien zu suchen.

    Die Arbeitsgruppe orientierte sich an früheren Überlegungen zu notwendigen Wandlungen in der sozialistischen Wirtschaft. In der DDR gab es sie zum Beispiel Anfang der sechziger Jahre als »Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft«; in der benachbarten Tschechoslowakei im Zuge des »Prager Frühlings« 1968. Beide beinhalteten die Berücksichtigung marktwirtschaftlicher Elemente. Sie scheiterten an der Machtpolitik der jeweiligen Parteien, die darin eine Bedrohung ihres Einflusses in der Wirtschaft, und damit ihrer Macht, sahen. Nun begann also die Suche nach dem legendären »dritten Weg« aufs Neue.

    Christa Luft nannte dabei als wichtigste Eckpfeiler all das, was eigentlich auch jeder Betriebsleiter aus der täglichen Praxis wusste. Die Kommandostrukturen engten den Bewegungsspielraum der Betriebe ein und verboten jegliche Flexibilität. Deshalb mussten sie verschwinden. Stattdessen sollte die Nachfrage unter Beachtung der Marktgesetze die Produktion bestimmen. Dazu musste der Gewinn als Maßstab anerkannt werden, um so Leistung und Effektivität zu messen. Neu hinzu kam die Einsicht, dass bei ökonomischen Entscheidungen die Ökologie berücksichtigt werden müsse und Wirtschaft nur auf der Basis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit funktionieren kann. Sie bildeten auch die Voraussetzung für die Nutzung der internationalen Arbeitsteilung als Produktivitätsfaktor.

    Bei all diesen Überlegungen dachten Christa Luft und ihre Leute an den Erhalt des Volkseigentums als wichtigstes Element: »Uns schwebte ein konsequenter Wandel, nicht aber ein radikaler Wechsel der Eigentumsordnung vor, das heißt, wir plädierten für ein gleichrangiges Miteinander vielfältiger Eigentumsformen. Neben dem öffentlichen Sektor, speziell in der Energiewirtschaft, der Schwerindustrie und im Verkehrswesen, sowie dem genossenschaftlichen Bereich sollte sich wieder privates Eigentum an den Produktionsmitteln entfalten können. Ausländisches Eigentum auf dem Territorium der DDR galt nicht mehr als tabu.«

    Damit konzentrierten sich die Überlegungen zu einer Wirtschaftsreform auf die Korrektur der Wirtschaftspolitik Erich Honeckers. Er hatte mit seiner Machtübernahme Anfang der siebziger Jahre das Aufbaumotto Walter Ulbrichts »So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben« durch seine Linie des »Ich leiste was, ich leiste mir was« ersetzt. Das gaukelte einer ganzen DDR-Generation zwar die Illusion eines relativen Wohlstandes vor, verdeckte aber, dass dieser auf Pump basierte. Er kostete das Geld, das dann beim Erhalt und Ausbau der Infrastruktur, des Lebensumfelds und für Neu- und Ersatzinvestitionen in der Wirtschaft fehlte. So entstand seit Anfang der achtziger Jahre bei vielen DDR-Bürgern zunehmend das Gefühl, in einem ökonomisch langsam, aber stetig absterbenden Gemeinwesen zu leben. Im Herbst ’89 trieb es sie auf die Straße.

    Dem stand der augenscheinlich gewachsene Wohlstand auf der Grundlage der »sozialen Marktwirtschaft« im Westen gegenüber. Sie basierte auf der »ungerechten« Verteilung des Eigentums, sicherte aber auch den Nicht-Besitzenden ein von ihnen akzeptiertes Lebensniveau. Den DDR-Bürgern erschien es als erstrebenswertes Ziel.

    Damit wurde die anstehende Wirtschaftsreform zur Quadratur des Kreises. Dass ihr Preis ein länger andauerndes, massives Absinken des Lebensstandards der DDR-Bevölkerung sein würde, hüteten einige wenige Insider der abgesetzten SED-Führung als strenges Geheimnis. Die neue Regierung unter Hans Modrow klammerte sich an die Illusion, mit dem »Volkseigentum« eine Grundlage für die »Rettung des Sozialismus« zu haben. Dafür Zugeständnisse zu machen, war sie bereit. Christa Luft: »Mit der Umwandlung dieses eigenartigen Zwitterwesens ›Volkseigentum‹ – weder ganz Staats- noch annähernd Privatbesitz, aber Existenzgrundlage des DDR-Wirtschaftsmechanismus und Quelle für ein wenn auch bescheidenes, so doch weitgehend sicheres Lebensniveau der Menschen – hatten wir es in der Regierung nun zu tun. Wir mussten es einerseits in marktwirtschaftskonforme juristische Strukturen überführen, was zum Beispiel das Haftungsprinzip, die Konkursmöglichkeit einschloss. Andererseits war es so gut wie nur möglich für die soziale Sicherung unserer Landsleute zu handhaben, die schon bald dem eiskalten Wind der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sein würden.« Dabei schien eines klar: »Es fiel mir und meiner Arbeitsgruppe nicht schwer, einzusehen, dass der Übergang zur Marktwirtschaft mit monolithischen staatlichen Eigentumsstrukturen ausgeschlossen, Privatisierung als Element wirtschaftlicher Belebung unverzichtbar war.« Die gesellschaftliche Grundlage des »Sozialismus« sollte es nicht ankratzen. Christa Luft: »Zum Selbstzweck sollte die Veränderung der Eigentumsstruktur nicht werden … Nach unserem Konzept war die Privatisierung eine wichtige, aber nur eine Grundtendenz der zu verändernden Eigentumsverhältnisse beim Übergang der DDR zur sozialen und ökologisch orientierten Marktwirtschaft. Nicht jedoch war sie als dominierende und schließlich einzige Richtung gedacht.«

    Alle Hoffnungen fokussierten sich zu jener Zeit auf die Wiederherstellung der Stabilität der DDR. Sie würde es dann erlauben, mit der Bundesrepublik eine »Vertragsgemeinschaft« einzugehen, die mittelfristig in eine Konföderation führen könnte. Um das zu erreichen, ging es in der Wirtschaft um das Zusammenhalten der Ressourcen, nicht um deren Verteilung. Christa Luft: »Da eine Privatisierung im großen Rahmen nicht zu unseren Zielen gehörte, hatte es auch einer speziellen Behörde dazu nicht bedurft. Die vorgenannten Projekte wären in Regie der zuständigen Ministerien realisierbar gewesen. Mit der Verwaltung des Vermögens der Staatsunternehmen wäre ein Schatzamt beauftragt worden. Eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums zu schaffen, war in der Regierung und der von ihr beauftragten Arbeitsgruppe ›Wirtschaftsreform‹, ebenfalls in der Volkskammer oder am Runden Tisch dabei lange überhaupt kein Thema.«

    Überlegungen jenseits eines schnellen Weges in die deutsche Einheit gab es im Westen besonders in der SPD. Ökonomisch hielt sie eine allmähliche Annäherung durchaus für möglich. Der SPD-Politiker und frühere Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller nannte am 13. Januar 1990 die Voraussetzung dafür: »Die Wirtschaftsgemeinschaft als Ganze müsste eine marktwirtschaftliche Orientierung haben. Dass der Anteil von Unternehmen im öffentlichen Eigentum in der DDR sehr viel höher wäre als in der BRD, wäre kein Hindernis. Wesentlich ist, dass die Unternehmen in den freien Wettbewerb gestellt werden.«

    Ausgespart blieb dabei die grundsätzliche politische Position der Bundesrepublik, die die DDR auch Ende 1989 staatsrechtlich nicht anerkannte und auf ein Grundgesetz verpflichtet war, das die »Wiederherstellung der deutschen Einheit« postulierte. Nach fast vierzig Jahren erfolgloser Versuche bot nun das Bröckeln des sowjetischen Imperiums und die in dessen Folge sich öffentlich manifestierende Instabilität der DDR den Hebel, voranzukommen. Plötzlich zeigte sich eine bis dahin ungekannte Interessenübereinstimmung von West und Ost. »Deutschland, einig Vaterland« schien vielen nicht nur die einzige, sondern auch die am weichsten mögliche Landung aus der Krise in der DDR. Die sich tagtäglich vertiefenden ökonomischen Probleme des Landes – unter anderem durch den massiven Strom von Abwanderern in den Westen – verschärften diesen Eindruck. Die ersten freien Wahlen zur neuen Volkskammer der DDR wurden vom 5. Mai auf den 18. März 1990 vorgezogen. Die Mannschaft um Hans Modrow wusste: »Damals deutete sich unmissverständlich an, dass nach den Wahlen eine andere Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen und sich ein politisches Zusammengehen mit der BRD beschleunigen würde.«

    In Bonn wurde den Abgesandten der SED-PDS-Regierung während des Besuchs am 13. und 14. Februar 1990 unverblümt deutlich gemacht, dass das Ende der DDR nahte. Ihre Pläne, Bonn zur Zahlung eines »Solidarbeitrags von 10 bis 15 Milliarden Mark für die DDR« zu bewegen, liefen ins Leere. Die Bonner Regierung lehnte es damit ab, eine Stabilisierung der DDR aus ihrer Staatskasse zu finanzieren. Alles andere hätte ihren politischen Grundsätzen widersprochen, dennoch wunderte es die DDR-Abgesandten. Christa Luft: »Für eine Wiedervereinigung in geordneten Bahnen die Weichen mit zu stellen, Nacht-und-Nebel-Aktionen mit vielen Unwägbarkeiten und Ungewissheiten für die DDR-Bürger einzudämmen – das waren die Absichten, die der Visite zugrunde lagen. Der Versuch war nicht erfolgreich.«

    Die Wirtschaftsministerin musste enttäuscht feststellen: »Als Beteiligte erkannte ich an Ort und Stelle, dass es nicht mehr um ein Zusammenwachsen beider deutscher Staaten über eine Vertragsgemeinschaft und eine Konföderation ging. Nur ob Anschluss oder Beitritt der DDR zur BRD, darüber waren die Würfel noch nicht gefallen.«

    Bundeskanzler Helmut Kohl hatte beide Optionen. Sie waren nicht das Verdienst seiner, sondern das Ergebnis der gescheiterten SED-Politik. »Unsere Kriegskassen sind prall gefüllt«, äußerte er nach der Erinnerung von Zeitzeugen im internen Kreis. Die am 18. März zu wählende Volkskammer musste entscheiden, wie der Weg letztlich aussehen sollte.

    Dabei würde beim Eigentum alles, was sich in der DDR außerhalb privater Hände befand, eine Rolle spielen. Es war egal, ob ein Gebäude vielleicht marode oder ein Grundstück durch Verseuchung mit Altlasten erst einmal nicht nutzbar erschien – »Wert« ist immer auch eine Option auf die Zukunft. Ein Schrottplatz an der Spree in Berlin, eine mit einer Imbissbude besetzte Baulücke in der Hauptstraße einer mecklenburgischen Kleinstadt oder ein Acker am Rande von Dresden konnte über Nacht zur Millionen-Immobilie werden. Andererseits würden die manchmal über verschiedene Bezirke verteilten Standorte leistungsstarker Industrie­unternehmen, idyllisch zwischen Wäldern und Seen gelegene Truppenübungsplätze der sowjetischen Besatzer und der Nationalen Volksarmee oder die über zwanzig Jahre errichteten »sozialistischen Stadtzentren« vielleicht nur noch »Altlasten« sein.

    Dass dies alles nicht mehr steuerbar wäre, wenn erst das Kapital den Rhythmus vorgab – und das konnte nur aus dem Westen kommen, denn in der DDR gab es keines in privaten Händen –, wussten auch die Anfang 1990 am Runden Tisch politisch aktiv gewordenen oppositionellen Gruppen, die nun in einem zeitweilig rechtsfreiem Raum mitregierten.

    Überlegungen darüber, was aus dem »Volkseigentum« werden sollte, gingen vor allem vom »Freien Forschungskollegium Selbstorganisation« aus. Künstler und Wissenschaftler diskutieren dort während des Umbruchs in der DDR ihre liberalen und bisweilen auch etwas wirren Thesen. Die Sorge um das Eigentum brachte das Forschungskollegium schließlich auf die Idee zur Gründung der Treuhandanstalt. Der Physiker Gerd Gebhard stellte sie im Februar 1990 auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vor: »Meine Damen und Herren, mein Name ist Dr. Gebhard. Ich spreche als unabhängiger Wissenschaftler. Und das vorgeschlagene Modell ist das Ergebnis langer Überlegungen und Abstimmungen mit sehr vielen Experten. Der Titel sollte sein: Bildung einer Holding Treuhand-Gesellschaft-Volkseigentum.« Die Hintergründe seines Vorschlags beschrieb er so: »Unser erstes Papier … hatte die Überschrift: ›Vom Subjekt-Monopolismus verwalteter Subalterner zur Subjektpluralität von Wirtschaftssubjekten‹. Klingt sehr kompliziert. Heißt aber: Initiative ergreifen und nicht warten, bis neue Kommandos kommen.« Der Ingenieur Matthias Artzt, ebenfalls Mitglied der Gruppe, ergänzte: »Eine wichtige Frage, die wir damals schon diskutiert haben, war die Frage des Eigentums. Das Eigentum war zwar formal dem Volk zugeschrieben, aber der Besitz und die Nutzung dieses Eigentums lag in der Hand von Funktionären, die zum überwiegenden Teil verantwortungslos damit umgegangen sind.«

    Die Notwendigkeit, diese Frage nun zu diskutieren, ergab sich aus der sich abzeichnenden Vereinigung von Bundesrepublik und DDR. Artzt: »Der konkrete Anlass für den Entwurf zur Gründung einer Treuhandgesellschaft war der 7. Februar. An diesem Tag waren die Minister ohne Geschäftsbereich bei Bundeskanzler Kohl eingeladen. Und sie hatten um einen Milliardenkredit gebeten. Kohl hat dieses abgelehnt. Und am gleichen Tag haben wir noch ein Interview mit dem Präsidenten der USA, Bush, gehört, der gesagt hat: ›Nun geht es nur noch um den Anschluss der DDR nach Artikel 23.‹ Das war an einem Freitag.« Noch am gleichen Abend setzten sich die Initiatoren in Potsdam zusammen und entwarfen übers Wochenende ihren »Vorschlag der umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR«. Auf zwei DIN A4-Seiten schlugen sie vor, das Volkseigentum einer Staatsholding zu übertragen. Sie sollte verhindern, dass sich im Einigungsprozess Funktionäre oder Spekulanten das DDR-Vermögen unter den Nagel reißen. Stattdessen sollten die Bürger Anteile erhalten.

    Wolfgang Ullmann übernahm es am 12. Februar 1990, den Vorschlag öffentlich zu machen. Matthias Artzt: »Das Konzept am Runden Tisch ist dort vorgetragen worden von Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt. Es ist kurz diskutiert worden und einstimmig beschlossen worden, weil alle beteiligten Partner das eigentlich als eine sehr gute Initiative gesehen haben und im Ergebnis wurde ein Beschluss gefasst, dass die Modrow-Regierung sofort bis zum 1. März eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten hat.«

    Das tat die Regierung unter Hans Modrow auch. Sie unterstützte den Gedanken, »Volksaktien« auszugeben, unternahm aber keine konkreten Schritte dazu. Der erklärte Grund lag darin, dass die Regierung die Meinung vertrat, eine Verteilung des Volkseigentums sei zu kompliziert und es könne keine angemessene Lösung bis zum Wahltag am 18. März gefunden werden. Dagegen protestierte das »Freie Forschungskollegium« erfolglos mit einer öffentlichen Stellungnahme.

    Nun wurde der Vorschlag auch im Westen diskutiert. Weshalb ihn die DDR-Oppositionellen für nötig hielten, beschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)am 15. März 1990: »Diese Rechtskonstruktion sei notwendig gewesen, erläuterte Minister Ullmann (Demokratie jetzt), weil es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik den juristischen Begriff des Volkseigentums nicht gebe. Volkseigentum bedeutet in der DDR bisher nichts anderes als Staatseigentum. Es zu wirklichem Volkseigentum werden zu lassen, ist eine der Aufgaben der Treuhandanstalt.« Dazu gab es für den Bürgerrechtler keine Alternative: »In der Bildung der Treuhandanstalt sieht Ullmann einen wichtigen Schritt zur Sicherung der Rechte und des Eigentums der Bürger. Auf eine Enteignung der Bürger würde es hinauslaufen, wenn das von ihnen erarbeitete und eigentlich auch ihnen gehörende Volkseigentum als Staatseigentum behandelt würde.«

    Ein sehr großes Echo fand das in der sich auflösenden DDR nicht. Im Frühjahr 1990 hatten viele Leute noch keine Vorstellung davon, wie es weitergehen würde. Manche hofften, es bliebe alles beim Alten, nur eben mit West-Geld und Reisefreiheit. Um »Volkseigentum«, das ohnehin kaum als »Eigentum« empfunden wurde, machten sich die »Besitzer« wenig Gedanken.

    Die Treuhandgesetze der Volkskammer

    In den ersten Monaten des Jahres 1990 genossen viele Bürger die schönste DDR der Welt. Alles schien möglich. Die Zukunft konnte nur besser werden und davon, dass Licht auch Schatten wirft, wollte niemand etwas wissen.

    Ebenso wenig interessierte es die meisten, dass ein paar Dutzend Leute in jenen Tagen nicht an Freizeit oder gar Urlaub dachten, sondern rund um die Uhr arbeiteten. Noch gab es eine DDR-Verwaltung, und sie hatte die Aufgabe, die Weichen auf dem Weg in die Einheit zu stellen. Mit dem Einschwenken Hans Modrows auf die Linie »Deutschland, einig Vaterland« Anfang 1990 war eine baldige Übernahme des bürgerlichen Rechts für die DDR absehbar. Das musste vorbereitet werden, unabhängig davon, wie sich das Land entwickeln und vor welchem Zeithorizont die grundsätzliche Veränderung des Verhältnisses zum anderen Teil Deutschlands erfolgen würde. Deshalb stand die Änderung der Rechtsform »Volkseigentum« im Parlament an vorderer Stelle auf der Tagesordnung. Regierung und Opposition teilten das Anliegen, um eine »kalte Enteignung« der Besitzer, des Volkes der DDR, zu verhindern.

    Aus diesem Grund legte die erste Treuhandverordnung fest: »1. Zur Wahrung des Volkseigentums wird mit Wirkung vom 1. März 1990 die Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums gegründet.« In ihrer Struktur reflektierte sie die zentralistische Wirtschaftsführung der DDR. Wie mit dem Eigentum weiter zu verfahren sei, blieb offen: »Bis zur Annahme einer neuen Verfassung wird die Treuhandanstalt der Regierung unterstellt.«

    An den sozialistischen Grundlagen der DDR wollte die Regierung Modrow damit nicht rütteln. Deshalb bestimmte die Treuhandverordnung, welche Vermögensteile betroffen waren: »2. Mit der Gründung übernimmt die Treuhandanstalt die Treuhandschaft über das volkseigene Vermögen, das sich in Fondsinhaberschaft von Betrieben, Einrichtungen, Kombinaten sowie wirtschaftsleitenden Organen und sonstigen im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragenen Wirtschaftseinheiten befindet.« Stichtag für die Feststellung der Höhe war der 31. Dezember 1989. Ausgespart blieb: »6. Der Verantwortungsbereich der Anstalt umfasst nicht das volkseigene Vermögen, das sich in Rechtsträgerschaft der den Städten und Gemeinden unterstellten Betriebe und Einrichtungen befindet sowie das volkseigene Vermögen der als Staatsunternehmen zu organisierenden Bereiche und durch LPG genutztes Volkseigentum.« Damit gehörte die gesamte Infrastruktur – Post, Bahn, Wasserwege und Straßen – zum »Sondervermögen«. Da die Gesetzgebung auf der Grundlage der geltenden DDR-Verfassung erfolgte, blieben auch Grund und Boden »unteilbar und unveräußerlich«. Als Aufgabe formuliert wurde: »3. Die Treuhandanstalt ist berechtigt, juristische oder natürliche Personen zu beauftragen, als Gründer und Gesellschafter von Kapitalgesellschaften zu fungieren oder die sich aus den Beteiligungen ergebenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen.«

    Das klang nach dem Bemühen um den Erhalt der DDR-Wirtschaft durch Umstrukturierung. Deren Finanzierung blieb offen. Dass die Reise mit Unterstützung des Westens in Richtung Privateigentum gehen würde, zeigte ein kleines Ereignis am Rande: Am 1. März 1990 erhielt Dieter Harting aus Zernsdorf im Bezirk Potsdam den ersten Kredit von 100.000 DM aus dem ERP-Programm, mit dem die Bundesrepublik die Wirtschaft in der DDR fördern wollte, für seine Eisdiele. Sie hielt sich bis 1994. Geld aus der Bundesrepublik würde also vor allem in die Schaffung neuer privater Strukturen fließen, nicht in den Erhalt des »Volkseigentums«.

    In der großen Politik machte der Erlass der Treuhandverordnung einen Beschluss des Ministerrates über die Umwandlung der

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