Mord am Mikro: Steiners fünfter Fall
Von Martin Olden
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Über dieses E-Book
Im fünften Band der Krimi-Reihe mit Bernd Steiner lässt Autor Martin Olden seinen raubeinigen Helden neue Wege erkunden. Steiner ermittelt im Columbo-Stil! Schauen Sie dem Detektiv bei seiner Arbeit über die Schulter und entdecken Sie mit ihm, welche kleinen, aber entscheidenden Fehler der Täter beging ...
Nach "Gekreuzigt", "Der 7. Patient", "Wo bist du?" und "Böses Netz" ermittelt Bernd Steiner in seinem 5. Fall in "Mord am Mikro"
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Buchvorschau
Mord am Mikro - Martin Olden
1
13. August 2015
Wenn er jetzt zudrückte, gab es für ihn kein Zurück mehr. Dieter Brandt wusste das genau. Seine Hände schwitzten. Er lächelte in sich hinein, als er es bemerkte. Unglaublich! Er hatte es doch schon so oft getan. Warum verspürte er nach all den Jahren noch diese Aufregung? Brandt kannte die Antwort. Damit er sich konzentrierte. Damit er keine Fehler beging, die ihm über kurz oder lang den Kopf kosten konnten. Ein Blick zur Uhr. Es blieben nur noch dreißig Sekunden. Rasch wischte sich Brandt mit dem Handrücken eine Schweißperle aus der Stirn, unmittelbar unter dem Ansatz seines silbergrauen Lockenkopfes. Es würde einer dieser Sommertage in Frankfurt werden, an denen die Wolkenkratzer wie Hochöfen glühten und die Hitze mörderisch anstieg. Dann glitten seine Finger langsam in Richtung seines Werkzeugs. Zischend atmete er aus, als ob er dadurch die Anspannung aus seinem gesamten Körper pressen könnte. In diesen Momenten, kurz bevor er es tun musste, kamen ihm manchmal Zweifel, ob er den richtigen Beruf ergriffen hatte. Es hätte andere Jobmöglichkeiten gegeben, bei denen das persönliche Risiko weniger hoch war. Klempner etwa oder Fliesenleger wie sein Vater. Doch Dieter Brandt war nun einmal geworden, was er war. Ein Vollprofi, dem auf seinem Gebiet niemand das Wasser reichen konnte. In ein paar Minuten, wenn alles vorbei war, würde er davon wieder fest überzeugt sein und sich wie der König der Welt fühlen. Allein um diesen Kick zu erleben, erledigte er seine Aufgaben seit fünfzig Jahren gewissenhaft und mit der Präzision einer gut geölten Maschine. Das Hochgefühl war ihm wichtiger als jedes noch so lukrative Honorar. Im Geist zählte Brandt den Countdown bis zum Einsatz herunter: 5,4,3,2,1 – Feuer frei! Seine rechte Hand schnellte vor und der Zeigefinger presste sich auf den Knopf, der Brandts Mikrofon von „Off auf „On
schaltete. Im Kopfhörer hörte er die Stimme von John Sebastian leiser werden. Brandt begann zu sprechen, während seine linke Hand gleichzeitig den Schieberegler bediente, der die Lautstärke seines Mikros pegelte. „Das war Summer in the City, ein Titel, mit dem die Band The Lovin´ Spoonful einen Nummer 1 Hit in der amerikanischen Hitparade landen konnte – und das auf den Tag genau vor 49 Jahren, am 13. August 1966. Junge, ist das lange her. Damals war der Moderator dieser Sendung gerade zwanzig Jährchen alt und legte Platten auf in einem Tanzschuppen in Bremen. Mit einer Frisur, die mindestens so wild war wie die Farben der Hemden. Brandt lachte glucksend. „Tja, der gute John Sebastian, der Gründer und Sänger von The Lovin` Spoonful, hat mittlerweile auch schon seine 71 Lenze auf dem Buckel. Kinder, wie die Zeit vergeht! Apropos Zeit. Diese Sendung neigt sich gewaltig dem Ende entgegen, aber einen Song spielen wir noch. Das war ebenfalls ein Nummer 1 Hit, allerdings nicht in Amerika, sondern in Großbritannien, Österreich und der Schweiz im Jahre 1979. Dieses Lied einer britischen New Wave Band ist der Albtraum jedes Radiomoderators. Nicht, weil er schlecht klingt. Ganz im Gegenteil. Aber welcher Radiomann lässt sich schon gerne ermorden? Und dazu noch von einem Video? Doch genau davon erzählt der Text. Video killed the Radio Star.
Brandt drückte die „Enter"-Taste auf dem Keyboard, das vor ihm stand, und startete damit die Musik aus dem Titelcomputer. Er sprach weiter, während im Hintergrund die ersten Töne der Melodie erklangen. Ihm blieben 14 Sekunden, bis der Gesang einsetzen würde.
„Mit dem dazugehörigen Video-Clip eröffnete der TV-Sender MTV am 1. August 1981 um 0.01 Uhr sein Programm. Und am Synthesizer stand ein Frankfurter Bub, der später für seine Filmmusik einen Oscar gewinnen sollte. Hans Zimmer. Und die Band, die er begleitete, das waren natürlich … The Buggles."
Gerade rechtzeitig beendete Brandt seine Anmoderation, schaltete das Mikro auf „Off" und fuhr die Lautstärke der Musik nach oben. Perfektes Timing! Befriedigt lehnte er sich in seinem drehbaren Bürostuhl zurück. Dann nahm er die Kopfhörer ab und rückte seine goldgerahmte Brille zurecht. Sein Blick blieb an einem Poster hängen, das an der weiß gestrichenen Studiowand befestigt war. Es zeigte Frank Sinatra, Sammy Davis jr., Dean Martin, Joey Bishop und Peter Lawford. Das Rat Pack im Original, dachte Brandt. Nicht diese Bubis, die nun unter dem Namen Rat Pack durch die Lande touren. Das sind billige Imitatoren. Austauschbar wie die meisten Plastikgesichter der heutigen Show-Branche. Echte Typen wie „Frankie Boy und „Dino
sind so gut wie ausgestorben. Bei den Radio-DJ`s ist es ganz ähnlich. Die Tage nahmen zu, an denen sich Brandt wie das Exemplar einer bedrohten Tierart vorkam. Landauf und landab gab es Hunderte Plappermäuler, die sich für geistreich und witzig hielten, obwohl sie im Grunde alle denselben Text vom Blatt herunterleierten, der ihnen von Medien-Agenturen und PR-Firmen in die Sender gemailt wurde. Originalität? Gleich null. Kreativität? Nicht vorhanden. Fachkompetenz? Fehlanzeige. Der Niedergang der Programmkultur hatte mit dem Aufkommen der Privatsender begonnen, die ihre Vorstellung eines guten Radioformats clever zu vermarkten wussten. Bald kopierten auch die Öffentlich-Rechtlichen die scheinbare Erfolgsformel zur Hörermaximierung. Man sende drei Hits am Stück, unterbrochen durch aufdringliche Jingles, danach ein bisschen nichtssagendes Gequassel oder ein Promi-Interview, das auf belanglose Sound-Häppchen heruntergeschnitten wurde. Kein Beitrag darf länger sein als drei Minuten. Eine Minute und dreißig Sekunden sind ideal. Weil die Hörerinnen und Hörer keine größere Aufmerksamkeitsspanne haben, so behaupteten die Manager in den Programmdirektionen, und lediglich in ihrem Alltag „berieselt werden wollten. Dieter Brandt schüttelte sich bei dem Gedanken. Wer Radio derart missverstand, ließ es zu einer Geräuschkulisse verkommen, die in Supermärkten aus Lautsprechern dudelte. The Buggles sangen: „Video killed the Radio Star, in my mind and in my car, we can`t rewind we`ve gone too far.
Brandt nickte. Ihm war klar, dass man das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen konnte. Aber es sollte möglich sein, Sand ins Getriebe zu streuen. Er weigerte sich zu glauben, dass die iPod-Jugend nicht für echtes Radio mit Herz und Hirn zu erwärmen war. Man musste ihnen bloß jene Begeisterung nahe bringen, die ihn als achtjährigen Knaben ergriffen hatte, als er aus dem alten Volksempfänger seines Onkels die sich überschlagende Stimme von Herbert Zimmermann hörte: „Aus, aus, aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister! Damals hatte er zum ersten Mal gespürt, welche Macht das Radio besaß und wie viele Emotionen es in den Menschen wecken konnte. Sein Vater hatte diese Lektion bereits in den 40er Jahren gelernt durch eine Übertragung aus dem Berliner Sportpalast. „Wollt ihr den totalen Krieg?!
, brüllte Joseph Goebbels und die Massen bejahten enthusiastisch. Brandt senior waren die Nazis verhasst, ebenso jegliche Form der Propaganda, worunter in seinen Augen auch die modernen Medien wie Radio und Fernsehen fielen. Beide Geräte hatte man im Hause Brandt vergeblich gesucht. Vielleicht ist meine Liebe zum Hörfunk daher umso heftiger entflammt, überlegte er. Es war seine Art der Rebellion gegen die starre Weltsicht des „Alten gewesen. Aus der Schule flog er ohne Abschluss, schaffte mit Ach und Krach eine Lehre zum Autoverkäufer, legte aber jede Nacht für die G.I.`s Rock `n Roll Platten auf und kannte jeden Takt seiner Lieblingsstars auswendig. Die Beatles und die Rolling Stones, The Mamas and the Papas, The Supremes, The Monkees, The Doors, Otis Redding und natürlich Elvis Presley. Ein paar seiner Jugendidole durfte er sogar persönlich kennenlernen, als ein günstiger Wind den Bremer Jungen auf den Platz hinter dem Mikrofon wehte. Zuerst beim Norddeutschen Rundfunk, später beim HR und nun als Chef seines eigenen Senders. Mit Memory Music FM würde es ihm noch einmal gelingen, die Hörer-Generationen zu vereinen – und sei es vor dem Webradio. „Video killed the Radio Star
ging zu Ende. Brandt setzte den Kopfhörer wieder auf, wischte sich die feuchten Hände am Stoff seiner weißen Leinenhose ab und schaltete das Bügelmikro ein, das hinter seinen Ohren befestigt war.
„Es ist 9 Uhr, 55 Minuten und 14 Sekunden! Das war Ihr sonniger Start in den Morgen, das war die Morning Show auf Memory Music FM! Er wurde beim Sprechen stetig lauter und schneller. „Wir hören uns, wenn Sie mögen, morgen früh wieder oder schon heute Abend ab 19 Uhr in der Kuschelrock-Sendung Zeit für Zärtlichkeit! Bis dahin genießen Sie den Tag und bleiben Sie unserem Programm treu! Am Mikrofon und der Technik verabschiedet sich Ihr … Diiiieter Brrrrandt!
Den letzten Satz schmetterte er hinaus wie ein Marktschreier, der allzu reifes Obst anpries.
2
Als Dieter Brandt seine Morning Show beendete und die Tür des Studios aufschloss, wartete Daniel „Danny" Eck bereits auf dem Gang. Er war der Moderator der nachfolgenden Sendung Kulturcheck.
„Sonnigen Morgen, mein Junge. Alles gut bei dir?, fragte Brandt heiter. Danny nahm die Stöpsel seines MP3-Players aus dem Ohr und meinte: „Häh?
„Ich habe dir einen guten Morgen gewünscht", sagte Brandt, etwas lauter als zuvor.
„Cool. Dito", entgegnete Danny, wobei er nicht aufhörte, das Stückchen Kaugummi zwischen seinen Zähnen zu bearbeiten.
„Was hast du heute für ein Thema? Leben im Ghetto? Du siehst jedenfalls wieder aus wie ein Gangster-Rapper", sagte Brandt.
Danny trug ein himmelblaues, ärmelloses Converse T-Shirt, weiße Baggy-Hosen und eine Baseball-Mütze, die verkehrt herum auf seiner braunen Wuschelmähne saß. Um seinen Hals baumelte eine Goldkette.
„Jeder hat seinen Stil. Deiner war auch mal hip. So kurz nach dem Krieg, grinste der breitschultrige junge Mann. „Ehrlich, ich glaube, du bist der einzige DJ der Welt, der mit Anzug und Krawatte on air geht.
Dieter Brandt lächelte zurück. „Das, mein Lieber, ist eine Frage des Respekts vor dem Publikum."
„Aber die Leute sehen uns doch nicht."
„Tja, und genau da liegst du falsch. Genau wie viele andere deiner jungen Kollegen, die denken, sie können Barfuß und in Strandklamotten vor dem Mikro lümmeln und keiner, der ihre Sendung verfolgt, würde es mitbekommen. Brandt hob mahnend den Zeigefinger. „Da irrt ihr euch gewaltig! Die Art und Weise wie wir während einer Show sitzen oder stehen, uns bewegen, denken, fühlen, atmen – das alles beeinflusst unsere Stimme und überträgt sich durch den Äther in das Bewusstsein der Hörerinnen und Hörer. Sie spüren, ob man glaubwürdig und seriös ist, ob man seine Arbeit ernst nimmt oder nur so tut und sich im Grunde nicht wirklich für seine Themen und die Menschen interessiert. Eine Sendung zu gestalten, ist wie eine Theater-Aufführung. Dafür wählt man eine angemessene Garderobe. Oder hast du schon mal gesehen, dass ein Regisseur oder ein Intendant mit Jogging-Hosen auf der Bühne stand und den Applaus der Zuschauer entgegen genommen hat?
„Bei modernen Stücken schon, feixte Danny. Beruhigend klopfte er auf Brandts Schulter. „Aber ich weiß, wir machen hier nichts Modernes. Wir machen Papas Radio. Vertrau mir, ich vergraul dir die alten Leutchen nicht. Kein Bushido – nur Beethoven.
„Beethoven muss nicht sein. Die Beach Boys würden reichen. Passen ebenso gut zu deiner Kostümierung", sagte Brandt mit einem verklemmten Grinsen.
„Fun, Fun, Fun, till her daddy takes the T-Bird away", sang Danny und lief mit federndem Gang ins Studio.
„Und nimm den Kaugummi raus, bevor du anfängst!", rief Brandt hinterher. Menschenskinder, was für ein Chaot und ein Großmaul. Doch ein Kenner, was die Musikwelt betrifft. Gutes Ausgangsmaterial, um daraus vielleicht eines Tages einen Top-Moderator zu formen. Brandt ging über den mit grauem Teppichboden ausgelegten Gang in sein Büro, das dem Studio gegenüber lag. An seinem Schreibtisch, direkt unter einem handsignierten Tournee-Plakat von Cliff Richard saß Bruno Scattone, ein weiterer junger Moderator und obendrein Webmaster des Senders.
„Na, Bruno! Hast du heute Morgen zugehört? Hat wieder tierischen Spaß gemacht. Wahnsinn!, frohlockte Brandt, während er sein weinrotes Jackett auszog, die Krawatte lockerte und sich eine Zigarette anzündete. „Zwischen 7 und 8 habe ich eine Stunde lang Titel von den Eagles gespielt. Von Take it Easy bis Hotel California. Wo hört man das sonst im Radio? Nirgendwo! Nur auf Memory Music FM!
„Ich muss mit dir reden, sagte Bruno ernst. Er hatte die Hände auf der Tischplatte gefaltet und wirkte in seinem weißen Polo-Shirt und dem schwarzen Pullunder wie ein Pfarrer, der einen Sünder zum Beichtgespräch bat. Er warf seinem Chef einen strengen Blick aus tiefblauen Augen zu und presste die Lippen in seinem Kindergesicht zusammen, das von dunklen Locken umspielt wurde. Dieter Brandt zog genüsslich an seiner Zigarette. „Falls es noch mal um die Sache mit deinem Gehalt geht: Ich habe mit meinem Buchhalter gesprochen. Uns ist da ein dummer Fehler bei der Überweisung passiert. Ich habe ihm deine Kontonummer telefonisch durchgegeben und dabei versehentlich eine 0 und eine 1 vertauscht. Blöde Sache, geb ich zu. Kommt beim nächsten Mal nicht mehr vor. In ein paar Tagen kriegst du die volle Summe. Alles, was wir dir noch schulden. Doppelt oder nichts wie in der Spielbank
, scherzte er.
„Da tippe ich eher auf nichts, sagte Bruno gepresst. „Genau darum geht es nämlich, wir…
Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen und die Praktikantin Sophia Clausen rauschte mit wallendem Blondhaar und wogendem Busen in das Büro.
„Dieter, ich wollt fragen, ob die Umfrage okay war, die wo ich für dich gemacht habe. Die über die Hitze und was die Leute dagegen tun", nuschelte sie.
„Könnt ihr das später klären, Sophia? Dieter und ich wollten gerade etwas besprechen", sagte Bruno.
„Oh Mann, ey. Nie hat einer Zeit für mich", nörgelte das Mädchen und wollte auf dem Absatz umdrehen.
Brandt sagte: „Nein, bleib hier, mien Deern. Ich hab immer Zeit für dich. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie länger fest als nötig. „Also, deine Umfrage war wirklich sehr schön
, lobte er, während sein Blick unstet zwischen Sophias großen braunen Augen, ihren rosa Lippen und dem Ansatz ihres Dekolletees schwankte. „Doch bei den Musikwünschen, die du auf der Straße einsammelst, musst du die Menschen in vollständigen Sätzen antworten lassen. Wenn ich deine Aufnahmen von der Mini-Disk abspiele, höre ich sie nur sagen: Hans Meier, Waterloo. Das klingt, als seien unsere Hörer Analphabeten. Und das wollen wir nicht, oder?" Er tätschelte ihren Arm. „Sie sollen sich vorstellen, ihren Wunsch äußern und Grüße durchgeben. Nach dem Motto: Ich heiße