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Diese Deutschen: Warum man vor ihnen (fast) keine Angst haben muss
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eBook300 Seiten3 Stunden

Diese Deutschen: Warum man vor ihnen (fast) keine Angst haben muss

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Über dieses E-Book

Das A bis Z deutschösterreichischer Frontlinien

Wenn eine Kolumne Hunderte Leserbriefe, offene Proteste und zwei Auftritte im Fernsehen nach sich zieht, dann hat sie offenbar einen Nerv getroffen. Und wer könnte österreichische Leser besser provozieren als "diese Deutschen", die inzwischen die größte Migrantengruppe in Österreich bilden? Sie begegnen einem überall, als Kellner im Wirtshaus ebenso wie als Kollegin auf der Arbeit. Und sie sind, gerade für österreichische Ohren, einfach unüberhörbar. Dietmar Krug erzählt, wie es einem Deutschen in Österreich so ergeht, in welch komische, ja skurrile Lagen ihn das ewige Wechselspiel aus Fremdheit und Nähe, Faszination und Befremdung immer wieder aufs Neue führt.
Mit feinem Blick und scharfer Klinge lotet er Mentalitätsunterschiede aus, lauscht der Sprache nach - und verliert schon mal die Fassung, wenn er das Wort "Córdoba" auch nur hört.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Apr. 2014
ISBN9783902862921
Diese Deutschen: Warum man vor ihnen (fast) keine Angst haben muss

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    Buchvorschau

    Diese Deutschen - Dietmar Krug

    1. Einleitung

    Was mich als Deutschen nach Österreich verschlagen hat? Die Liebe war’s. Die gibt es heute, fünfundzwanzig Jahre später, immer noch. Mit der Frau, die mich ins Land gelockt hat, habe ich eine Familie dazugewonnen, eine Schwiegersippe. Von der bin ich herzlich aufgenommen worden, übrigens ebenso wie die Lebensgefährtin meines Schwagers, die auch aus Deutschland stammt. Nun ist meine Schwiegerfamilie eine österreichische Familie, eine steirische, und die starke deutsche Fraktion in der Sippe hat dem Vater meiner Frau dann doch ein wenig Stirnrunzeln bereitet. Darum hat er seinem jüngsten Sohn, als der ins paarungsfähige Alter kam, einen Rat mitgegeben: »Du bringst aber schon wen Normalen heim, oder?« Der Junior hat seinen Rat beherzigt – und eine Polin geheiratet.

    Einen sonderbaren Stein im Brett hatte ich bei der Großmutter. Sie war die Gattin eines illegalen Nazis und hat im hohen Alter voller Schadenfreude gestanden, bei allen Wahlen seit Kriegsende insgeheim die Sozialisten gewählt zu haben. Sonst eher zu raumgreifendem Griesgram neigend, ließ sie sich bei meinem ersten Besuch zu dem Kommentar hinreißen: »Ein feiner Herr.« Also das hat nun wirklich noch niemand über mich gesagt. Ich habe übrigens Respekt vor Omas Urteil, denn sie verfügt über eine prophetische Gabe. Als sie ihre Enkelin, eine Cousine meiner Frau, einmal mit einer Puppe spielen sah, die einem afrikanischen Baby nachgebildet war, mahnte sie: »Gebt’s dem Kind kein Negerpupperl, sonst wird ’s noch mal mit einem Neger heimkommen.« – Die Cousine ist heute mit einem Nigerianer verheiratet und hat zwei Kinder …

    Zurück zu meinem Schwager, dem Junior, der »wen Normalen« geheiratet hat. Bei der Taufe seines ersten Kindes war die anwesende Sippschaft in zwei Lager geteilt: hier die Geschwister des Vaters samt unnormalem Anhang – alle aus der Kirche ausgetreten –, dort die polnische Verwandtschaft der Mutter, alle katholisch. Obwohl ich in der tief katholischen rheinischen Provinz aufgewachsen bin und als Ministrant so manche Taufe geschaukelt habe, war mir das Ritual inzwischen fremd geworden. Der Pfarrer hielt eine Ansprache über die Erbsünde und irgendwann muss ihm bewusst geworden sein, dass die Verwandtschaft der Mutter womöglich der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sein könnte. Er blickte in die Runde und suchte nach einem Gesicht, dessen Mimik am ehesten verriet, dass es nicht die Bohne von der Botschaft mitbekam. Und der belämmertste Ausdruck war offenbar meiner. Mit besorgter, durchaus freundlicher Miene trat Hochwürden einen Schritt auf mich zu und fragte langsam, gedehnt und überaus artikuliert: »Ver-ste-hen Sie mich?«

    Mit diesen Zeilen habe ich mich im Februar 2010 den Lesern der Presse am Sonntag vorgestellt. Es war der Auftakt zu einer wöchentlichen Kolumne, der zu meiner großen Freude ein erstaunliches Ausmaß an öffentlicher Wahrnehmung zuteil werden sollte. Hunderte Leserbriefe gingen bei der Presse ein. Zwei Auftritte im österreichischen Fernsehen sollten folgen, einer davon im altehrwürdigen Club 2. Eine Redakteurin des Westdeutschen Rundfunks reiste eigens aus Köln an, um mit mir in einem traditionsreichen Wiener Restaurant ein Interview über Küche und Genussfähigkeit hüben und drüben zu führen. Robert Sedlaczek, Kolumnist der Wiener Zeitung, griff mich mehrmals scharf an und bezeichnete mich als »überheblichen Teutonen«. Roland Neuwirth, der Kopf der Mundart-Band »Extremschrammeln«, schrieb einen offenen Protestbrief an die Presse und saß mir später im Club 2 gegenüber. Der offizielle Rainhard-Fendrich-Fanclub forderte von mir eine öffentliche Entschuldigung, weil ich nicht nur das Idol, sondern »halb Österreich« beleidigt hätte.

    Ich hatte offenbar einen Nerv getroffen und wohl auch einen guten Zeitpunkt für die Kolumne erwischt. Meine Landsleute sind in den letzten Jahren in Scharen nach Österreich gekommen, über 200 000 waren 2013 in Österreich gemeldet, mehr als 40 000 davon allein in Wien. Die Deutschen bilden hierzulande inzwischen die größte Migrantengruppe. Sie begegnen einem überall, als Kellner im Wirtshaus ebenso wie als Kollegin auf der Arbeit. Und sie sind, gerade für österreichische Ohren, einfach unüberhörbar.

    Fünfundzwanzig Jahre in einem anderen Land schärfen einem nicht zuletzt den Blick für die Un- und Eigenarten des Landes, in dem man aufgewachsen ist und das einen geprägt hat. Mit den gelegentlichen Seitenhieben auf meine Landsleute habe ich mir aber zugleich vor meinem eigenen Gewissen den Freibrief erkauft, auch meine Wahlheimat immer wieder polemisch herauszufordern. Und Österreich ist bekanntlich ein Land, das sich gern provozieren lässt, zumal von einem Deutschen …

    Vielleicht sind ja meine kleinen Bosheiten nur die Revanche für so manche Anfeindung, die ein Deutscher hierzulande zwangsläufig erlebt. Man ist ja permanent gefährdet, in einen Familienkonflikt mit dem argwöhnischen kleinen Bruder zu geraten, selbst dann, wenn man der große gar nicht sein will. Das ist oft ein Spiel, es kann aber auch wehtun. Rassismus ist es sicher nicht, der ist jenen Migranten vorbehalten, die nicht zur Familie gehören. Doch letztlich sucht ein jeder Auswanderer in seiner neuen Welt das Gleiche: Akzeptanz. Die habe ich gefunden, nicht zuletzt in dem oft so überraschend regen und authentischen Austausch mit meinen Lesern. Es fällt mir nun leichter denn je, dieses Land auch als mein Land zu sehen, als meine Wahlheimat. Und Akzeptanz kann nur finden, wer sich öffnet für das Neue.

    2. Weichzeichner und Wunderwörtchen

    Österreichs rätselhafte Rituale

    Meine erste Begegnung mit der Abgründigkeit des österreichischen Deutsch hatte ich in der Straßenbahn. Da war ein Schild angebracht, auf dem stand in schwarzer Schrift auf silbernem Grund: »Bitte sich festzuhalten«. Das Seltsame an dieser Anweisung ist, dass sie streng genommen niemanden anweist. Eine sprachlich korrekte Aufforderung würde lauten: »Bitte halten Sie sich fest!« oder: »Bitte festhalten!« Und wenn die umständliche Nennform schon sein muss: »Wir bitten Sie, sich festzuhalten.« In dieser Version wäre auch klar, wer hier wen auffordert: »Wir, die Wiener Verkehrsbetriebe, bitten Sie, die Fahrgäste, sich festzuhalten.«

    Das Wort »bitte« ist eine Zauberformel, die Befehle erträglich macht, sie wendet sich direkt an ein Gegenüber und meint: Ich fordere dich zu etwas auf, aber ich respektiere dich. Darum befehle ich nicht, ich bitte dich. Bitte ist das »Sesam, öffne dich!« aus Kindheitstagen. Wollen wir einem Kind beibringen, wie es sozial verträglich (und damit erfolgreich) fordert, dann sagen wir: »Wie sagt man?«

    Die Aufforderung »Bitte sich festzuhalten« führt im Grunde in die Irre. Sie beginnt scheinbar mit der Höflichkeitsformel »bitte«, aber dieses »bitte« verwandelt sich beim Weiterlesen unversehens in ein Nomen, in »die Bitte«, etwas zu tun, nämlich sich festzuhalten. Es steckt etwas Kafkaeskes in diesem bruchstückhaften Amtsdeutsch: Da steht plötzlich eine Bitte im Raum, man weiß nicht recht, wer sie ausspricht, sie ist einfach da. Man erfährt nur vage, an wen sie sich wendet, und doch fühlt sich jeder angesprochen. Es ist ein durch und durch österreichisches Phänomen: eine erteilte Anweisung, die ihre Autorität aus dem Unausgesprochenen zieht.

    Etwas Ähnliches passiert hierzulande mit dem Wort »Entschuldigung«, das häufig gerade dann zum Einsatz kommt, wenn es besonders unversöhnlich zugeht. Die Deutschen kennen zwar auch die Redensart »Na, entschuldigen Sie mal!«. Und was immer dann folgt, es ist sicher keine Bitte um Verzeihung. In Österreich jedoch begegnet einem diese Zweckentfremdung auf Schritt und Tritt, hier ist sie mit gezogenem Klagelaut fixer Bestandteil jeder Rhetorik: »Entschuuuldigung« oder in der Steigerungsform »Entschuuuldige, bitte«. Immerfort wird unversöhnlich für etwas um Verzeihung gebeten, das noch gar nicht gesagt ist und das, Entschuldigung!, jetzt unbedingt einmal gesagt gehört.

    Hinzu kommt ein Phänomen, das für deutsche Ohren höchst kurios ist; wird einmal eine echte Entschuldigung ausgesprochen, etwa für ein Versehen, dann wird man erstaunlich oft von wildfremden Menschen geduzt: »Entschuldige!« Ich frage mich, ob das wirklich ein Duzen ist oder am Ende nicht etwas ganz anderes. Womöglich eine verkürzte Form von »Bitte zu entschuldigen«? Ich muss, pardon, gestehen: Ich weiß es nicht.

    Eine ordentliche Portion »eh«

    Wenn ich hierzulande jemandes Bekanntschaft mache, kommt es in neun von zehn Fällen zu folgendem Dialog: »Wie lange leben Sie schon hier?« – »Über zwanzig Jahre.« – »Das hört man Ihnen überhaupt nicht an.« Hat der oder die Betreffende eine Weile in Deutschland verbracht, folgt meist der Nachsatz: »Also ich hab dort schnell angefangen, wie ein Deutscher zu reden.« Sind wir Deutschen wirklich resistente Granitblöcke, die sich sprachlich nicht und nicht assimilieren wollen? Im Vergleich zu Österreichern, die in Deutschland leben, gewiss. Die verlangen erstaunlich rasch beim Einkauf ’ne Tüte für die Tomaten. Das hat, abgesehen von heiklen Fragen des Selbstbewusstseins, einen einfachen Grund. In Deutschland verbindet man mit dem österreichischen Akzent Dinge wie Ski, Charme und Sommerfrische. In einem Klima der Akzeptanz gehen einem ein paar flotte Zugeständnisse leicht über die Lippen.

    Unser Akzent hingegen weckt hierorts Assoziationen wie Härte, Hochmut und Humorlosigkeit, was den Trotz der bestätigten Erwartung zur Folge hat: Wenn ihr mich schon für einen Piefke haltet, dann bin ich halt einer; den Gefallen, mich anzubiedern, tu ich euch nicht. Zumindest an der Oberfläche, denn zugleich beginnt man unwillkürlich, sich und seinesgleichen mit den Ohren der anderen wahrzunehmen. Manches kommt einem plötzlich selbst komisch vor.

    Nach einiger Zeit macht man einen Bogen um jene Eigenheiten, die besonders piefkinesisch klingen. So guck ich mir etwa seit Jahren keine Filme mehr an, ich schau sie mir an. Ich verneine längst mit »na« statt mit »ne«, und meine rheinische Variante »nä« erinnert mich inzwischen an ein Geräusch aus dem Ziegenstall. Ein Weichzeichner hat sich über meine Konsonanten gelegt, ich spreche heute irgendwie »buttriger« als früher. Meinen deutschen Freunden ist das keineswegs entgangen, zumal sich auch mein Wortschatz erweitert hat.

    Mein erster Sprachimport war das Wunderwörtchen »eh«. Zum einen, weil es im Sprachfluss unschlagbar ist im Vergleich zu seinen schwerfälligen Verwandten »ohnehin« und »sowieso«. Zum anderen, weil es wohl kaum zwei Buchstaben gibt, die einen so direkten Zugang zur österreichischen Seele haben. Kommentiert man etwas Gesagtes mit »eh«, dann geht eine kleine Welt auf, bestehend aus resignativer Zustimmung, Wurstigkeit und »Spar dir den Atem, weiß ich doch längst«. Will man noch eins draufsetzen, sagt man »eh kloa«. Ist man ein Wiener, der etwas auf sich hält, ist einem ständig alles »eh wurscht«. Und wenn’s am Ende »eh kan Sinn« hat, dann ist man in der Regel der, der es »eh immer schon gewusst« hat. Ohne eine ordentliche Portion »eh« kann ein Deutscher hier gar nicht existieren, wenn er nicht den Verstand verlieren will.

    Von Aspiration und Transpiration

    Wir Deutschen haben beim Aussprechen von Wörtern ein metaphysisches Talent: Wir aspirieren. Wir sehen und sprechen ein H, wo gar keines steht. Zum Beispiel beim Wort »Tante«. Wir hauchen den beiden Ts ein wenig hinterher, geben dem folgenden Vokal eine kleine Brise mit auf den Weg. Damit schließen wir eine Verwechslung der guten Frau mit dem Autor der Göttlichen Komödie aus und ersparen uns zugleich eine Frage, die nur der Österreicher kennt: Mit hartem oder weichem T oder D oder was auch immer? Zugegeben, die Sache mit dem H ist nur eine Metaphysik mit Eselsbrücke, denn in Wörtern wie Theater oder Apotheke steht das H ja drin.

    Nun klingt das gehauchte T für österreichische Ohren wie der Inbegriff affektierter Sprechweise. Ein Österreicher, der etwas auf sich hält, würde sich eher die Zunge abbeißen als seine Tante mit »Thanthe« anzureden. Warum sollte er auch? Jeder Depp weiß, dass seine Tante nicht die Göttliche Komödie geschrieben hat.

    Weilt man jedoch in Deutschland, hat die Neigung zum scheinbar gerümpften Hoch- und Hauchlaut durchaus seine Vorteile. Vor einiger Zeit war ich mit meiner Frau zu Besuch in meiner Heimatstadt, in Aachen. In einem Café bestellte sie nicht etwa einen Kaffee – niemand, der jemals in einem Wiener Kaffeehaus eine Melange getrunken hat, bestellt in Deutschland einen Kaffee. »Ich hätte gern einen Tee«, sagte sie zur Kellnerin, und die fragte: »Bitte?« Der Wunsch wurde wiederholt, die Kellnerin verstand wieder nicht. Drei-, viermal ging das so hin und her, bis ich dolmetschend eingriff.

    Das war nötig, weil zwei Dinge unglücklich zusammenkamen: die erwähnte tief sitzende Abneigung der Österreicher gegen das unsichtbare H und zugleich der Umstand, dass meine Frau aus der Obersteiermark kommt, was von Bestellung zu Bestellung hörbarer wurde. Ich kann sie bis heute auf die Palme bringen, wenn ich behaupte: »Deine Bestellung hat geklungen wie: Ich hätte gern einen Day.«

    Ich kenne nur einen einzigen Österreicher, der in Fragen der Aspiration keinerlei Berührungsängste kennt. Der stammt zwar auch aus der steirischen Provinz, aber das hört man ihm nun wirklich nicht mehr an. Er ist Kunstkenner, trägt eckige Brillen aus Paris und aspiriert beim Sprechen derart inspiriert, dass ich anfangs geglaubt hatte, er wolle mich auf den Arm nehmen, indem er mich karikiert. Seinen in Österreich durchaus geläufigen Namen hat er behördlich ändern lassen. Er heißt jetzt Theo. Wegen der hiesigen Aversion gegen Aspiration klingt sein Name jetzt unweigerlich wie ein kosmetisches Mittel gegen Transpiration. Aber das ist dem Theo sicher egal, der lebt inzwischen längst in Deutschland.

    Die Fähigkeit, das Unaussprechliche auszusprechen

    Immerhin erlaubt uns die Fähigkeit zur Aspiration, beim Sprechen zwischen dir und Tier zu unterscheiden. Wir geben dem Viech einfach einen kleinen Hauch mit auf den Weg: »Thier«. Dieser Trick ist aber nichts im Vergleich zu der geradezu metaphysischen Kunst der Österreicher, solche Dinge auseinanderzuhalten.

    Wenn ein Österreicher nicht am Kontext der Rede erkennt, ob sich jemand wegen seiner Daten oder seiner Taten verantworten muss, dann fragt er: Mit hartem oder weichem – ja, was eigentlich? Mit hartem oder weichem was? Und jetzt wird’s philosophisch: Schriebe ich bei dieser Frage einen Buchstaben hin, etwa ein D, würde ich einen logischen Kategorienfehler begehen, abgesehen davon, dass die Frage dann sinnlos wäre, weil schon beantwortet. Ich muss bei der Erkundigung ein übergeordnetes Drittes benennen, das entweder ein D oder ein T sein kann. Da es aber für dieses Dritte gar keinen Buchstaben gibt, erfinde ich einfach einen, nennen wir ihn: d/t. Jetzt kann ich die Frage zumindest niederschreiben: Mit hartem oder weichem d/t?

    Aussprechen kann ich diesen Laut natürlich nicht, wie sollte er auch klingen? Das kann nur ein Österreicher, jedes Kind ist hier von klein auf daran gewöhnt, das schlechthin Unaussprechliche auszusprechen: einen Laut, den es streng genommen gar nicht gibt. Lauschen Sie doch mal, wie es klingt, wenn jemand fragt, mit weichem oder hartem …

    Zu einem metaphysischen Missverständnis kam es unlängst in meiner Band. Das Gespräch kreiste um das deutsch-österreichische Verhältnis – das passiert mir hin und wieder – und der Bassist teilte eine interessante Beobachtung mit: Die einzigen Ausländer, mit denen die Österreicher konsequent Hochdeutsch sprechen, seien die Deutschen. Sobald aber etwa ein des Deutschen mächtiger Amerikaner auftauche, redeten sie wieder, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Was zur Folge habe, dass der Ärmste kein Wort versteht.

    Der Schlagzeuger warf ein, er verstehe die ganze Aufregung nicht, er sehe überhaupt kein Problem zwischen Deutschen und Österreichern, das sei doch alles nur harmlose Frotzelei. Er habe zum Beispiel einen deutschen Schulkollegen gehabt, den »Scheibi«, der sei optimal in die Klasse integriert gewesen. Okay, man habe ihn schon mal auf die Schaufel genommen – aber Probleme, woher denn? Ich glaubte ihm das sofort, und erst nach meiner Frage, warum der Kollege denn »Scheibi« geheißen habe, wurde mir bewusst, dass ich wieder einmal der österreichischen Sprachmetaphysik aufgesessen war: »Nix Scheibi – mit hartem b/p!« Da fiel der Groschen, sein Name war eine Abkürzung. Für was? Für was wohl: Schei… Pie…

    Die Kunst der uneigentlichen Rede

    In meiner Anfangszeit in Wien bin ich einmal in eine peinliche Situation geraten. Ich hatte ein Fahrrad zur Reparatur gegeben, und als ich es abholen wollte, teilte mir der Verkäufer mit, dass er nicht nur wie vereinbart die Gangschaltung repariert, sondern auch noch einen defekten Bremszug ausgetauscht habe. Auf meine Frage, ob der Kostenvoranschlag jetzt noch gelte, meinte er: »Für den Zug muss ich Ihnen fast was verrechnen.« Gott sei Dank nur fast, dachte ich und wollte schon den ausgemachten Preis zahlen. Erst an der peinlichen Pause, die entstand, merkte ich, dass ich da etwas missverstanden hatte.

    Was ich damals noch nicht wusste, war, dass die Österreicher mit dem Wörtchen »fast« nur in den seltensten Fällen »beinahe« meinen. »Mir wäre fast lieber« ist hierzulande eine ebenso gängige wie klare Willensbekundung. Die zusätzliche Abschwächung durch den Konjunktiv »wäre« verrät, was dem Österreicher ein Gräuel ist: die bestimmte Feststellung dessen, was er möchte. Die hiesige Alltagsrhetorik mäandert unentwegt um das zu Sagende herum – ein Albtraum für den nach schamloser Klarheit gierenden Deutschen.

    Ein schönes Beispiel verdanke ich einem »Facebook«-Posting von einem Landsmann namens Kai Sann: Begegnen sich zufällig zwei Deutsche, die wenig verbindet und die das auch nicht zu ändern gedenken, dann wechseln sie beim Abschied eine möglichst unverbindliche Floskel wie »Man sieht sich«. In Österreich ist man in solchen Fällen charmanter und sagt: »Ruf ma sich z’samm!« Zum Problem wird das erst, wenn eine solche Begegnung eine deutsch-österreichische ist. Dann kann es vorkommen, dass der Deutsche in einem Anflug von Ordnungssinn noch rasch die Telefonnummern austauscht und – kleine Warnung an meine einheimischen Mitbürger! – am Ende auch noch anruft.

    Ganz heikel sind solche Fälle uneigentlicher Rede, wenn mein Landsmann zur verbreiteten Spezies der Schnäppchenjäger gehört. So haben wir bei einer Burma-Reise einmal einen Kölner kennengelernt. Wir haben eine schöne Wanderung miteinander gemacht, waren zusammen essen, und als sich unsere Wege trennten, meinte meine Frau zu ihm: »Wenn du mal nach

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